L 11 KR 540/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 4454/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 540/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. November 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Kapitalleistung aus einer Lebensversicherung der Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (PV) unterliegt.

Der 1944 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Arbeitnehmer freiwillig krankenversichert.

Mit Schreiben vom 27.09.2004 teilte die VPV Lebensversicherungs-AG der Beklagten mit, für den Kläger sei aus dem im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung bestehenden Versicherungsvertrag eine Kapitalleistung in Höhe von 31.972,50 EUR erbracht worden. Die Beklagte stellte hierauf mit Bescheid vom 29.09.2004 fest, die Kapitalauszahlung der VPV Versicherung unterliege der Beitragspflicht, da sie als Versorgungsbezug anzusehen sei. Die Kapitalleistung werde beitragspflichtig für die Zeit vom 01.04.2004 bis 31.03.2014 (= 120 Monate). Umgerechnet auf den Monat betrage der Versorgungsbezug 260,44 EUR. Da der Kläger als freiwilliges Mitglied im Höchstbeitrag versichert sei, werde ein zusätzlicher Beitrag aus dem Versorgungsbezug nicht erhoben. Bei Beendigung der Beschäftigung werde auch der Versorgungsbezug von monatlich 260,44 EUR beitragsrelevant und hieraus der Beitrag aus dem allgemeinen Beitragssatz berechnet.

Den nicht näher begründeten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2004 zurück.

Deswegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) mit der Begründung, er habe während der Zeit, als er in die Lebensversicherung einbezahlt habe, immer ein über der Beitragsbemessungsgrenze liegendes Einkommen erzielt und somit seines Wissens keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt.

Mit Urteil vom 29.11.2005, an den Kläger zum Zwecke der Zustellung mit Übergabe-Einschreiben abgesandt am 30.12.2005, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, nach § 226 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) würden bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung u.a. der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge - Ziff. 3 -) zugrunde gelegt. Als der Rente vergleichbare Einnahme (Versorgungsbezüge) würden Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung (§ 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V) gelten, soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt würden. Trete an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder sei eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalles vereinbart oder zugesagt worden, gelte 120stel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für 120 Monate (§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Danach habe die Beklagte zu Recht die Beitragspflichtigkeit der dem Kläger gewährten Kapitalleistung aus betrieblicher Altersversorgung festgestellt. Die berücksichtigungsfähige Höhe sei zutreffend mit einem 120stel des Zahlbetrages ermittelt worden.

Hiergegen richtet sich die am 27.01.2006 eingelegte Berufung des Klägers. Er macht geltend, er habe 30.000,- EUR aus der fälligen Lebensversicherung seinem Sohn, Vater von drei Kindern, geschenkt, der das Geld benötigt habe, um ein Darlehen und Gelder aus der Wohnungsbauförderung zu erhalten. Er empfinde es als Ungerechtigkeit, nachträglich für etwas bezahlen zu müssen, was er verschenkt habe.

Der Kläger beantragt - sinngemäß -,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. November 2005 sowie den Bescheid vom 29. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das angefochtene Urteil für zutreffend. Für die Beitragspflicht komme es allein darauf an, ob der Anspruch auf die Versorgungsleistung entstanden sei. Unerheblich für die Beitragsberechnung sei, dass der Kläger nicht selbst über die Kapitalleistung verfüge.

Der Senat hat eine Auskunft der VPV Lebensversicherungs-AG eingeholt. Danach seien die Beiträge von den VPV Versicherungen geleistet worden. Es habe sich um eine Direktversicherung - Gehaltsumwandlung - gehandelt. Der Vertrag sei zum 01.03.2004 abgelaufen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 151 Abs. 1, 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist insbesondere statthaft, da die Berufung eine Beitragspflicht von mehr als einem Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Kapitalzahlung der Lebensversicherung an den Kläger unterliegt der Beitragspflicht (vgl. auch Urteile des Senats vom 15.11.2005 - L 11 KR 3316/05 -, 13.12.2005 - L 11 KR 4346/05 -, 24.01.2006 - L 11 KR 2032/05 - und vom 11.04.2006 - L 11 KR 804/06; Beschluss des Senats vom 29.03.2006 - L 11 KR 604/06 -; Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 09.05.2005 - L 5 ER 7/05 KR -).

Wie das SG zu Recht dargelegt hat, wird bei versicherungspflichtigen Beschäftigten der Beitragsbemessung der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) zugrunde gelegt. Gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 5 SGB V gelten als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge), soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden, Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung. Zu solchen Versorgungsbezügen zählen auch Bezüge aus einer Direktversicherung i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) vom 19.12.1974 (BGBl I 3610). Anzuknüpfen ist dabei an den Zahlbetrag, nicht lediglich an den sog. Ertragsanteil (vgl. LSG Hamburg, 21.01.2004, L 1 KR 24/02, P 10/02).

Bei der Direktversicherung handelt es sich um eine vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer mit einem Versicherungsunternehmer im Wege einer Gruppen- oder Einzelversicherung auf den Todes- oder Erlebensfall des Arbeitnehmers abgeschlossene Kapitalversicherung, bei welcher der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen ganz oder teilweise bezugsberechtigt sind (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG). Als Versicherungsnehmer ist der Arbeitgeber zur Zahlung der Prämien verpflichtet. Direktversicherungsbeiträge werden pauschal besteuert, wobei der Satz der Pauschalbesteuerung von ursprünglich 10 % schrittweise auf 20 % angehoben wurde (§ 40b Einkommensteuergesetz - EStG). Die Pauschalbesteuerung von Prämien für eine Direktversicherung führt zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung, wenn die Direktversicherung zusätzlich zum Arbeitsentgelt tritt (BSG, Urteil vom 14.07.2004, B 12 KR 10/02 R), soweit ein jährlicher Höchstbetrag nicht überschritten wird.

Die Versicherungsleistung aus der Direktversicherung ist grundsätzlich ein Versorgungsbezug i. S. d. § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V (vgl. BSG, Urteil vom 26.03.1996 - 12 RV 21/95 -, SozR 3 - 2500 § 229 Nr. 13).

Dass eine solche Konstellation bei dem Kläger vorlag, ergibt sich aus den Angaben der VPV Lebensversicherungs-AG vom 27.09.2004 gegenüber der Beklagten sowie der Auskunft im Berufungsverfahren, wonach es sich um eine Direktversicherung - Gehaltsumwandlung - handelte. Begünstigter war der Kläger, während der Arbeitgeber die Beiträge leistete. Als Ablaufalter war das 60ste Lebensjahr bestimmt worden. Insoweit besteht ein hinreichender Zusammenhang zwischen dem Erwerb der Leistung aus der Lebensversicherung und der Berufstätigkeit des Klägers.

Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht deshalb, dass die Beitragspflicht von Kapitalzahlungen der betrieblichen Altersversorgung nach der Rechtslage bis 31.12.2003 und damit auch zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht galt, wenn eine einmalige Kapitalleistung gezahlt wurde und diese von vornherein als solche vereinbart oder zugesagt worden war. Durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) wurde nämlich § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V mit Wirkung vom 01.01.2004 ergänzt, indem vor dem Wort "gilt" die Worte "oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden" eingefügt wurden. Nach der Gesetzesbegründung zum GMG (BT-Drs. 15/1525 Seite 139 zu Nr. 143) bezweckt die Neuregelung die Beseitigung der Umgehungsmöglichkeiten bei der Beitragspflicht für Versorgungsbezüge. Damit werden nun auch alle Versorgungsbezüge nach der generellen Methode auf 10 Jahre verteilt zur Beitragsbemessung herangezogen, die von vornherein oder vor dem Versicherungsfall als nicht wiederkehrende Leistung (Kapitalleistung) vereinbart worden sind (vgl. Peters in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 229 SGB V Rdnr. 16).

Da die Kapitalleistung vorliegend erst nach dem 01.01.2004, nämlich am 01.03.2004 fällig wurde, ist die Neuregelung für den Kläger einschlägig. Ein Vertrauensschutz des Klägers aus verfassungsrechtlichen Gründen wäre nur zu berücksichtigen, wenn es sich um eine echte Rückwirkung handeln würde. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (BVerfGE 57, 361, 391) bzw. wenn die Rechtsfolgen für einen vor der Verkündung liegenden Zeitpunkt eintreten sollen und nicht für einen nach oder mit der Verkündung beginnenden Zeitraum (BVerfGE 72, 200, 242).

Eine echte Rückwirkung ist indes vorliegend nicht gegeben. Vielmehr handelt es sich um eine unechte Rückwirkung. Eine unechte Rückwirkung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 95, 64, 86 - ständige Rechtsprechung) vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Von unechter Rückwirkung oder auch tatbestandlicher Rückanknüpfung wird auch gesprochen, wenn eine Norm künftige Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig macht (BVerfGE 72, 200, 242; 79, 29, 45 ff.). Bei einer unechten Rückwirkung bzw. einer tatbestandlichen Rückanknüpfung wird somit ein Tatbestand geregelt, der zwar vor Gesetzesverkündung begonnen hat, aber noch nicht vollständig abgeschlossen oder - mit anderen Worten - bereits vor Verkündung "in Kraft gesetzt" worden ist (BVerfGE 97, 67, 79). So liegt es hier, da die Gesetzesänderung zwar vor Fälligwerden der Lebensversicherung in Kraft trat, aber der Wert der Altersversorgung dadurch geschmälert wurde. Die Direktversicherung wurde bereits 1989 abgeschlossen, gelangte aber erst am 01.03.2004, d. h. nach dem Stichtag der Änderung des § 229 SGB V durch das GMG zur Auszahlung. Deswegen handelt es sich um einen Fall der unechten Rückwirkung.

Eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig (Jarass in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rdnr. 73), weil das vom Gesetzgeber verfolgte Gemeinwohlinteresse in der Regel das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer ihn begünstigenden Rechtslage überwiegt. Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, ist im Sozialversicherungsrecht, ebenso wie im Steuerrecht (BVerfG, 05.02.2002, 2 BvR 305/93, NJW 2002, 3009 ff.) nicht geschützt.

Auch im übrigen erachtet der Senat die Vorschrift für verfassungskonform. Die Neuregelung sollte gerade Umgehungsmöglichkeiten bei der Beitragspflicht für Versorgungsbezüge beseitigen (BT-Drs. 15/1525 S. 139) und zu einer gleichmäßigen Behandlung aller Betroffenen führen (vgl. Peters in Kasseler Kommentar, § 229 SGB V Rdnr. 16). Deswegen verstößt die Neuregelung auch nicht gegen Art. 3 GG, sondern dient gerade der Gleichbehandlung aller Versicherten.

Dass der Kläger einen höheren Betrag der ausbezahlten Lebensversicherung seinem Sohn schenkte, führt zu keiner anderen Entscheidung. Der Senat hat zwar durchaus Verständnis für das Vorbringen des Klägers, zu Recht weist jedoch die Beklagte darauf hin, dass es für die Beitragspflicht unerheblich ist, wie der Versicherte über die Kapitalleistung verfügt, insbesondere ob er sie selbst verwendet oder verschenkt.

Die Berufung konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, da er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG beimisst.
Rechtskraft
Aus
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