L 11 R 2164/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 4724/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2164/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Zwischen den Beteiligten ist die Durchführung einer Vergleichsberechnung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) streitig.

Die 1936 in der ehemaligen DDR geborene Klägerin wurde am 31.08.1950 nach Erfüllung der gesetzlichen Grundschulpflicht aus der Schule entlassen. Ab 01.09.1950 besuchte sie die Berufsschule. Zwischen dem 20.09.1950 und 15.10.1951 war sie in der ehemaligen DDR bei einem Zahnarzt versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend erlernte sie bis 31.08.1953 den Beruf der Industriekauffrau und war sodann als Kontoristin bzw. Buchhalterin versicherungspflichtig tätig. Nach der Flucht aus der ehemaligen DDR befindet sie sich seit 19.05.1959 in der Bundesrepublik Deutschland.

Seit 01.03.1996 bezieht die Klägerin Altersrente für Frauen (Bescheid vom 20.05.1996).

Am 20.06.2001 beantragte die Klägerin unter Vorlage einer "Bescheinigung nach § 17 i.V.m. § 22 BerRehaG für Zwecke der Rentenversicherung" des Sächsischen Landesamtes für Familie und Soziales vom 12.01.1998, wonach ein Verfolgungszeitraum vom 01.09.1950 bis 19.05.1959 anerkannt worden ist, die Überprüfung ihrer Rente.

Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 09.11.2001 die Altersrente der Klägerin neu fest. Hierbei wurden die Verfolgungszeiten als beitragsgeminderte Pflichtbeitragszeiten bewertet, was zu einer Erhöhung der Rente der Klägerin führte. In der Anlage 10 des Bescheids ist ausgeführt, dass die Prüfung, ob eine weitere Vergleichsberechnung nach dem BerRehaG vorzunehmen sei, zur Zeit leider noch nicht durchgeführt werden könne, da die Rentenversicherungsträger, weil die Modifizierung des BerRehaG durch das 2. Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (2. AAÜG-ÄndG) auf Initiative des Bundesrates erst kurz vor dessen Verkündung erfolgt sei, keine Möglichkeit gehabt hätten, vorbereitende Maßnahmen zur sofortigen Umsetzung dieser Neuerungen zu treffen.

Mit Bescheid vom 29.10.2003 lehnte die Beklagte die Durchführung einer weiteren Vergleichsberechnung nach dem BerRehaG unter Berücksichtigung der durch das 2. AAÜG-ÄndG in Kraft getretenen Ergänzungen ab. Die Vorschrift des § 13 Abs. 1a BerRehaG regele, dass der Rentenversicherungsträger im Rahmen einer weiteren Vergleichsberechnung zu prüfen habe, ob ein günstigerer rentenrechtlicher Nachteilsausgleich zum Tragen komme. Bei dieser Vergleichsberechnung nach den Vorschriften des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) sei für jeden Kalendermonat mit Verfolgungszeiten der monatliche Durchschnitt aus Entgeltpunkten für vollwertige Pflichtbeiträge aufgrund einer versicherten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit oder für freiwillige Beiträge entweder aus dem letzten Kalenderjahr vor Beginn der Verfolgung oder wenn dies günstiger sei, aus den letzten drei Kalenderjahren vor Beginn der Verfolgung zu berücksichtigen. Da die Verfolgungszeiten im Falle der Klägerin im Kalenderjahr des Eintritts in das Erwerbsleben beginnen würden, könne ein Durchschnitt an Entgeltpunkten aus Kalenderjahren vor Beginn der Verfolgung nicht ermittelt werden. Eine Vergleichsberechnung der Rente unter Beachtung von § 13 Abs. 1a BerRehaG könne deshalb nicht vorgenommen werden.

Ihren dagegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie einen ganz schlechten Berufsbeginn gehabt und auch später bis zu ihrer Flucht im Mai 1959 berufliche Benachteiligungen erlitten habe. Ursächlich hierfür sei allein gewesen, dass sie sich in allen gesellschaftspolitischen Angelegenheiten völlig neutral und nicht politisch verhalten habe. Dass bei ihr eine Vergleichsgrundlage fehle, sei nicht ihre Schuld. Dies müsse das kommunistische System verantworten. Sie legte eine eigene eidesstattliche Versicherung, die sie dem Landesamt für Familie und Soziales in Sachsen gegenüber abgegeben hatte, und eine Zeugenerklärung ihres Ehemannes M. Z. sowie ihr Abschlusszeugnis der Grundschule und ein Zeugnis der Berufsschule vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur weiteren Begründung führte sie aus, dass die Ermittlung eines fiktiven Berufseintritts gesetzlich nicht vorgesehen sei und deshalb nicht berücksichtigt werden könne.

Deswegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens wies sie darauf hin, dass sie aus der Grundschule mit sehr guten Zeugnissen entlassen worden sei und nur weil sie sich gesellschaftspolitisch neutral verhalten habe, keine Lehrstelle bekommen habe. Allein deshalb, weil sie als Berufsanfängerin gleich verfolgt worden sei, dürfe eine Vergleichsberechnung nicht ausgeschlossen sein. Entsprechend ihren Fähigkeiten müsse es möglich sein, einen fiktiven Berufseintritt festzulegen.

Die Beklagte wies darauf hin, dass sie an die gesetzlichen Regelungen gebunden sei und sie sich entsprechend § 13 Abs. 1a BerRehaG verhalten habe.

Mit Urteil vom 03.03.2006, dem Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 23.03.2006, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die Vergleichsberechnung nach § 13 Abs. 1a BerRehaG setze voraus, dass ein Durchschnitt an Entgeltpunkten aus Kalenderjahren vor Beginn der Versorgung ermittelt werden könne. Dies sei bei der Klägerin nicht möglich. Eine Vergleichsberechnung könne deshalb nicht vorgenommen werden. Die Durchführung einer Vergleichsberechnung unter Annahme eines fiktiven Berufseintritts sehe das Gesetz nicht vor. Im Übrigen sei eine solche fiktive Vergleichsberechnung nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Begrenzung in § 13 Abs. 1a BerRehaG auf die dort genannten Sachverhalte sei sachgemäß und verfassungsrechtlich unbedenklich.

Hiergegen hat die Klägerin am 19.04.2006 Berufung eingelegt. Das BerRehaG müsse ergänzt werden, damit mutige Jugendliche gegenüber denen, die willig bereit gewesen seien, die vorherrschende "Doktrin" zu schlucken, nicht benachteiligt würden.

Die Klägerin beantragt - teilweise sinngemäß -,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2006 sowie den Bescheid vom 29. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihr eine Vergleichsberechnung nach § 13 Abs. 1a BerRehaG durchzuführen und hierbei die Zeit vom 1. September 1950 bis 19. Mai 1959 mit 100% des Durchschnittsverdienstes der Buchhalterinnen zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die von der Klägerin begehrte Vergleichsberechnung sehe das BerRehaG nicht vor.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht komme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die Berufung, über die der Senat gemäß § 153 Abs. 4 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheidet, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Durchführung einer Vergleichsberechnung.

Vorab wird darauf hingewiesen, dass Streitgegenstand ausschließlich ist, ob im Falle der Klägerin eine Vergleichsberechnung durchzuführen ist. Der Streitgegenstand wird durch den prozessualen Anspruch bestimmt, durch das von der Klägerin auf Grund eines konkreten Sachverhalts an das Gericht gerichtete und im Klageantrag zum Ausdruck kommende Begehren sowie durch den Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (stRspr, vgl BSG Urteil vom 31.07.2002 - B 4 RA 113/00 R). Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid vom 29.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.06.2004, demzufolge die Durchführung einer Vergleichsberechnung nach § 13 Abs. 1a BerRehaG abgelehnt wurde. Nur insoweit hat eine Nachprüfung in diesem Verfahren zu erfolgen. Die Frage nach welchen Maßstäben die Vergleichsberechnung durchzuführen und ob der Klägerin eine höhere Rente zuzubilligen wäre, wurde in den angefochtenen Bescheiden nicht geregelt. Dies hat deshalb außen vor zu bleiben.

Die Voraussetzungen für die Durchführung einer Vergleichsberechnung gemäß § 13 Abs. 1a BerRehaG sind im Urteil des SG zutreffend dargestellt. Darauf wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Bei einer Vergleichsberechnung gemäß § 13 Abs. 1 a BerRehaG werden die Beiträge im letzten Kalenderjahr vor Beginn der Verfolgungszeit oder, wenn dies günstiger ist, in den letzten drei Kalenderjahren vor Beginn der Verfolgung berücksichtigt. Eine solche Vergleichsberechnung ist bei der Klägerin nicht möglich, da sie vor Beginn der Verfolgungszeit keine Beiträge geleistet hat. Dies hat das SG im angefochtenen Urteil zutreffend dargestellt. Der Senat schließt sich deshalb den begründeten und zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil in vollem Umfang an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch er keine Anhaltspunkte dafür sieht, dass diese Regelung und der Ausschluss der Klägerin als Berufsanfängerin von der Durchführung einer Vergleichsberechnung gegen die Verfassung verstößt. Insbesondere ist die Norm auch mit Art. 3 Grundgesetz (GG) vereinbar. Art. 3 GG gebietet im Falle der gewährenden Leistungen, dass niemand, der sich in gleicher Lage befindet, von einer Leistung ausgeschlossen werden darf. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches seiner Eigenart entsprechend ungleich zu behandeln. Hier ist der Unterschied, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, darin zu sehen, dass die Versicherten, die § 13 Abs. 1a BerRehaG berücksichtigt, vor Beginn der Verfolgungszeit bereits berufstätig waren und Pflichtbeiträge geleistet haben, während die Klägerin vor Beginn der Verfolgungszeit keine Pflichtbeiträge geleistet hat. Im Falle der Klägerin fehlt damit ein Vergleichsmaßstab. Die Zugrundelegung von Beiträgen, die z.B. pflichtversicherte Buchhalterlehrlinge bzw. in der Folge ausgebildete Buchhalter geleistet haben, wäre fiktiv und hypothetisch. Dass dies im Gesetz nicht vorgesehen ist, ist nachvollziehbar und frei von Willkür. Unter Berücksichtigung der in der Regel leichteren Feststellbarkeit der Grundlagen und damit der Reduzierung eines erheblichen Verwaltungsaufwandes sowie der Unsicherheit von hypothetischen Feststellungen über sonstige mögliche Berufsentwicklungen ist dies auch nicht sachwidrig. Insoweit ist auch zu beachten, dass das BerRehaG nicht bezweckt, sämtliche beruflichen Nachteile von Verfolgten auszugleichen, sondern nur die dort aufgeführten und innerhalb einer bestimmten Zeitspanne erlittenen. Nicht jede staatliche Repressalie, die zu einer Minderung der innegehabten beruflichen Stellung geführt hat, gilt als wieder gutzumachende Verfolgung im Sinne des BerRehaG. Bei dem Bestreben, die Verfolgten in versorgungsrechtlicher Sicht so zu stellen, als sei die Verfolgung nicht eingetreten, um so das vom SED-Staat begangene Unrecht nicht fortwirken zu lassen, ist der Gesetzgeber nicht soweit gegangen, prinzipiell einen Anspruch auf vollen Ersatz der Verfolgungsschäden zu gewähren. Die Schutzwirkung des BerRehaG ist auf Eingriffe in eine begonnene, zur Zeit des Eingriffs tatsächlich ausgeübte Berufstätigkeit sowie auf die Fälle der Verhinderung einen erlernten Beruf auszuüben oder eine Ausbildung abzuschließen, begrenzt. Diese gesetzliche Beschränkung ist verfassungsrechtlich unbedenklich, der Gesetzgeber hat damit den Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit zur Regelung der Unrechtsbereinigung nicht überschritten. Zwar erwächst der staatlichen Gemeinschaft aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) die Pflicht, Lasten mit zu tragen, die ihre Ursache in schicksalshaften Umständen haben, von denen einzelne Teile der Bevölkerung betroffen sind. Dieser Verpflichtung ist der Gesetzgeber mit Schaffung des BerRehaG jedoch hinreichend nachgekommen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.02.1998, Az.: 3 C 25/97).

Die Berufung der Klägerin konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anhaltspunkte, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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