Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 3535/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 857/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16. Dezember 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Kosten für die Behandlung des Klägers mit den dem den Wirkstoff Methylphenidat enthaltenden Medikament "Ritalin" im Rahmen des so genannten Off-Label-Use zu übernehmen hat.
Der 1977 geborene Kläger, der bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert ist, hat nach seinen Angaben auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur erworben, im Sommersemester 2004 Mathematik studiert und ist jetzt an der pädagogischen Hochschule immatrikuliert.
Seit Dezember 2002 steht der Kläger in Behandlung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie, psychotherapeutische Medizin K. C. M., der bei ihm ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom diagnostizierte und ihn seither mit "Ritalin" behandelt.
Mit Bescheid vom 08.01.2004 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung für die vom Kläger vorgelegten Verordnungen über Ritalin ab, da es sich um einen so genannten "Off-Label-Use" handeln würde. Das Präparat sei nur zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen vorgesehen.
Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er sich aufgrund von Depressionen jahrelang in Behandlung befunden habe. Er habe Antidepressiva eingenommen und zwei Psychotherapien absolviert. Die Behandlungen hätten keine nachhaltige Verbesserung in seinem psychischen und physischen Befinden gezeigt. Seit der Diagnosestellung Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) und Behandlung mit Ritalin habe sich sein psychischer und physischer Zustand wesentlich gebessert und er habe das Gefühl, sein Leben zu meistern. Er fügte Kopien von Studien über die Behandlung mit Methylphenidat bei Erwachsenen mit ADS aus Zeitschriften bei. Ergänzend wies er darauf hin, dass die Kosten für die Einnahme von Ritalin 53,24 EUR im Monat betragen würden.
Die Beklagte hörte zunächst den den Kläger behandelnden Arzt M ... Dieser führte aus, dass die Lebensqualität des Klägers durch die Erkrankung ADS erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Bei Aufnahme der Behandlung sei der Schulerfolg erheblich gefährdet gewesen. Die Behandlung mit Ritalin sei beim Kläger erfolgreich. Eine anderweitige erfolgreiche Behandlung von ADS sei in der Literatur nicht bekannt. Begleitende Verhaltenstherapie oder Ergotherapie sei nach der Studienlage im Gegensatz zur Medikation als alleinige Maßnahme nicht erfolgreich. Wenn auch keine Zulassung des Medikaments erfolgt sei, so stehe bestehe doch in der Fachliteratur und unter Kollegen allgemeiner Konsens zur Wirksamkeit von Methylphenidat.
Im Anschluss daran veranlasste die Beklagte eine Begutachtung nach Aktenlage durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. B. führte aus, die Studien-Datenlage zur Behandlung mit dem Wirkstoff Methylphenidat würde nicht ausreichen, um eine Zulassung zu bewirken. Ein Zulassungsantrag sei nicht gestellt. Auch wenn ein sehr weitgehender Konsens herrsche, diese Substanzen unter bestimmten Voraussetzungen einzusetzen, würde eine Zulassung wohl primär nicht bewirkt werden können. Darüber hinaus stehe die Arzneimittelrichtlinie, die Psychostimulanzien von der Verordnungsfähigkeit bei Erwachsenen ausschließe, einer Verordnung entgegen.
Auf die vom Kläger vorgelegten Fachartikel zum Off-Label-Use bei ADS-Erwachsenen, die er von der "ehrenamtlichen AD(H)S-Beratungsstelle" erhalten hatte und den zusätzlichen Hinweis des Klägers, dass Methylphenidat in Argentinien zugelassen sei, hörte die Beklagte noch einmal Dr. B., der die nachgereichten Unterlagen auswertete. Er blieb bei der bisherigen Einschätzung und wies darauf hin, dass auch das Methylphenidatpräparat Adderall am 11.08.2004 in den Vereinigten Staaten für Erwachsene mit ADS zugelassen worden sei. Die Zulassungsstudien lägen jedoch noch nicht vor. Importarzneimittel würden nicht zum Versorgungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei dem in Deutschland zugelassenen Medikament Ritalin handele es sich ohne Frage um ein Arzneimittel. Die Zulassung sei allerdings auf Kinder und Jugendliche beschränkt. Für die Verordnung bei Erwachsenen sei es nicht vorgesehen. Damit scheide eine Kostenübernahme aus. Unerheblich sei, dass Arzneimittel mit dem im wesentlichen gleichen Wirkstoff im Ausland zugelassen worden seien. Zum gleichen Ergebnis würden auch die Arzneimittelrichtlinien führen. Danach dürften nach Ziffer 20.1 Abs. 1 Buchstabe l der Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AMR) Stimulanzien (z. B. Psychanaleptika, Psychoenergetika und Leistungsstimulanzien) zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen nicht verordnet werden. Eine Verordnung sei nur ausnahmsweise möglich bei Narkolepsie und schwerer Cerebralsklerose sowie beim hyperkinetischen Syndrom und bei der so genannten minimalen cerebralen Dysfunktion vorpubertärer Schulkinder. Der in den Arzneimittelrichtlinien festgeschriebene Ausschluss aus der vertragsärztlichen Versorgung habe quasi Gesetzescharakter. Auch der Grundsatz des Off-Label-Uses führe im Ergebnis zu keiner anderen Beurteilung. Dieser setze unter anderem voraus, dass eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg aufgrund der Datenlage bestehe. Die wenigen vorhandenen Studien würden methodische Mängel aufweisen. Die geforderte begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg könne damit nicht bestätigt werden.
Deswegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Er fügte zur Unterstützung seines Begehrens Schreiben die Kostenübernahme für eine Arzneimittelbehandlung mit Concerta und Medikinet betreffend, ein Schema des Katecholamin-Stoffwechsels an einer zentralen Synapse und weitere Unterlagen der AD(H)S-Beratung sowie ein Schreiben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn bei. Ergänzend wies er darauf hin, dass sich durch die jahrzehntelang ausgebliebene Diagnosestellung und Behandlung das Krankheitsbild ADS bei ihm inzwischen so manifestiert habe, dass seine Depressionen immer stärker, öfter und lang anhaltender geworden seien. Parallel seien auch seine Suizidgedanken stärker geworden. In der Schule, Ausbildung und beim Abitur sowie auch im täglichen Leben habe er erheblich an seinen Konzentrations- und Leistungsproblemen gelitten. Keine der bisher von ihm durchgeführten Behandlungen habe eine nachhaltige Verbesserung in seinem psychischen und physischen Befinden gezeigt. Erst mit der Einnahme von Methylphenidat habe sich sein psychischer und physischer Zustand wesentlich gebessert. Durch die Wegnahme der Medikamente sei ein Rückfall in etlichen Bereichen unvermeidlich. Andere medikamentöse Alternativen gebe es nicht. In der Fachwelt gebe es seit Jahren Veröffentlichungen, die die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels bei Erwachsenen belegen würden. Diese seien wissenschaftlich und nachprüfbar. Einen Antrag auf Zulassung habe es bisher nicht gegeben, weil dazu keine Notwendigkeit bestanden habe. Man sei sehr lange davon ausgegangen, dass die Störung - insbesondere die Hyperaktivität - mit der Pubertät verloren gehe.
Das SG hörte noch einmal K. C. M. als sachverständigen Zeugen. Er führte aus, dass er beim Kläger eine ADS diagnostiziert habe. Diese habe die Lebensqualität des Klägers massiv beeinträchtigt. Die Behandlung mit Ritalin und Gesprächen, zeitweise auch die zusätzliche Behandlung mit einem Antidepressivum, sei erfolgreich. Eine alleinige psychotherapeutische Behandlung sei nach der Studienlage wenig wirksam. Eine andere sinnvolle Behandlung stehe nicht zur Verfügung. Ritalin sei sowohl nach seiner persönlichen Erfahrung als auch nach der ihm bekannten Literatur bei Erwachsenen gut wirksam. Er bezweifle aber, ob eine Zulassung des Medikaments für Erwachsene erfolgen werde. Entsprechende Studien und Vorbereitungen seien teuer und würden überwiegend von der Industrie finanziert. Da Methylphenidat keinen Patentschutz mehr genießen dürfte und inzwischen von verschiedenen Firmen auf dem Markt sei, würde eine Pharmafirma, die die erheblichen Investitionen tätige, nur eingeschränkt davon profitieren. In der neurologisch/psychiatrischen Fachliteratur werde jedoch überwiegend die Auffassung vertreten, dass Ritalin die Behandlung der Wahl sei. Der Arzt fügte auf einer CD-Rom Publikationen bei.
Die Beklagte legte hierzu, insbesondere zu den auf der CD-Rom enthaltenen Artikeln, ein weitres sozialmedizinisches Gutachten von Dr. B. vom MDK vor. Dieser wies ergänzend noch darauf hin, dass es sich bei ADS nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung handele. Eine Datenlage, die für eine Zulassung ausreichen würde, liege auch unter Beachtung der neuerlich veröffentlichten Studien nicht vor. Eine Zulassung für Erwachsene durch die entsprechenden europäischen oder nationalen Behörden sei nicht erteilt worden.
Das SG holte sodann eine Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein. Dieses teilte mit, derzeit sei weder ein nationales noch ein europäisches Verfahren auf Zulassung eines methylphenidathaltigen Arzneimittels zur Behandlung der ADS im Erwachsenenalter anhängig. Im Rahmen eines nach § 31 Abs. 3 AMG durchgeführten Verfahrens zur Verlängerung der Zulassung eines Methylphenidat-haltigen Innovatorpräparates sei eine entsprechende Indikationsformulierung in Bezug auf ADS abgelehnt worden, weil seitens des pharmazeutischen Unternehmens keine ausreichenden klinischen Unterlagen und Studien zur therapeutischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Wirkstoffes in dieser Indikation vorgelegt worden seien. Derzeit verfüge kein in der Bundesrepublik verkehrsfähiges Fertigarzneimittel über eine Zulassung für die Indikation ADS im Erwachsenenalter. Das seit Dezember 2004 zur Behandlung von ADS bei Kinder und Jugendlichen zugelassene Arzneimittel "Strattera" könne in ganz besonderen Einzelfällen auch zur Behandlung im Erwachsenenalter ausgedehnt werden. Dann müsse aber der Behandlungsbeginn im Kindesalter liegen, die Zulassung umfasse nicht die erst im Erwachsenenalter begonnene Therapie.
Mit Urteil vom 16.12.2005, an den Kläger per Postzustellungsurkunde zugestellt am 14.01.2006, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, eine Zulassung methylphenidathaltiger Arzneimittel zur Behandlung von ADS im Erwachsenenalter liege nicht vor. Die Voraussetzungen für eine Verordnung außerhalb der Zulassung lägen nicht vor. Der aktuell gegebene wissenschaftliche Erkenntnisstand reiche noch nicht aus, um eine generelle Erfolgsaussicht der Behandlung von ADS im Erwachsenenalter durch methylphenidathaltige Medikamente zu begründen. Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III lägen bisher nicht vor. Ein Konsens in der wissenschaftlichen Literatur könne bisher ebenfalls noch nicht angenommen werden. Bei der noch nicht restlos gesicherten Datenlage stelle die Behandlung des Klägers z. B. mit Ritalin einen individuellen Heilversuch dar, für den aber keine Kostenübernahmepflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe.
Hiergegen richtet sich die am 14.02.2006 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und eine Vielzahl weiterer Unterlagen vorlegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16. Dezember 2005 sowie den Bescheid vom 8. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. November 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat zu erstatten und auch zukünftig zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass eine Kostenübernahme auch nicht unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 - in Betracht kommt, da es sich auf jeden Fall nicht um eine lebensbedrohliche Krankheit handele.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten einschließlich der Akten des einstweiligen Rechtsschutzes sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und insbesondere statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da die Berufung einen längeren Zeitraum als ein Jahr umfasst. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung bzw. Übernahme der Kosten für ein methylphenidathaltiges Arzneimittel.
Nach Auffassung des Senats ist die Berufung bereits aus den vom SG ausführlich und zutreffend dargestellten Gründen als unbegründet zurückzuweisen. Insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug und verzichtet auf deren erneute Darstellung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es sich bei "Methylphenidat" unstreitig um einen arzneimittelrechtlich zugelassenen Wirkstoff handelt. Die Zulassung eines Arzneimittels erfolgt indessen stets anwendungsbezogen. Für einen Einsatz außerhalb der durch die Zulassung festgelegten Anwendungsgebiete fehlt dem jeweiligen Präparat die Verkehrsfähigkeit. Die Leistungspflicht der Krankenkasse besteht bei zulassungsüberschreitender Anwendung (so genannter Off-Label-Use) grundsätzlich nicht, da für das neue Anwendungsgebiet weder die Wirksamkeit noch etwaige Risiken des Arzneimittels in dem nach dem AMG vorgeschriebenen Zulassungsverfahren geprüft worden sind. An der Zulassung des Medikaments Medikinet mit dem Wirkstoff Methylphenidat bzw. anderer methylphenidathaltiger Arzneimittel für den Anwendungsbereich der ADS bei Erwachsenen fehlt es hier unstreitig. Dies hat grundsätzlich zur Folge, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung bzw. Übernahme der zukünftig entstehenden Kosten hat.
Nur ausnahmsweise sind die Krankenkassen zur Versorgung der Versicherten mit Medikamenten im Rahmen des Off-Label-Use verpflichtet. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184 ff.), der sich der Senat anschließt, die insoweit erforderlichen Voraussetzungen klargestellt. Danach ist ein Off-Label-Use gestattet, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Zumindest diese letztgenannten Voraussetzungen sind im Falle des Klägers auch zur Überzeugung des Senats nicht erfüllt. Ausweislich der vom SG eingeholten Auskunft des BfArM vom Oktober 2005 verfügt derzeit kein in der Bundesrepublik verkehrsfähiges Fertigarzneimittel über eine Zulassung zur Behandlung von ADS im Erwachsenenalter mit einem Beginn im Erwachsenenalter. Soweit seit Dezember 2004 das Arzneimittel "Strattera" in ganz besonderen Einzelfällen die Behandlung im Erwachsenenalter zulässt, ist dies nur gestattet, wenn die Behandlung bereits im Kindes- oder Jugendalter begonnen hat. Die Zulassung umfasst nicht den Beginn der Behandlung bei Erwachsenen. Die Erweiterung der Zulassung dieser Arzneimittel ist unstreitig auch nicht beantragt. Darüber hinaus sind bisher Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III bisher nicht veröffentlicht. Nach Auffassung des Senats fehlt es im Anschluss an Dr. B. vom MDK und auch nach den Ausführungen des Arztes M. dem SG gegenüber an hinreichend gesicherten Erkenntnissen über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet, die zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen. Nach bisheriger Datenlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen besteht. Es ist auch zu berücksichtigen, dass bisher keine publizierten Daten zu Effekten und Nebenwirkungen einer medikamentösen Langzeitherapie existieren (vgl. Leitlinien der DGPPN - ADHS im Erwachsenenalter - Der Nervenarzt 10, 2003, 939 bis 949). Auch wurden keine kontrollierten Studien zu der Frage publiziert, ob Methylphenidat das Risiko einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen erhöht oder erniedrigt und als Substanz gehäuft missbraucht wird. Kontrollierte Studien werden für erforderlich gehalten.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Behandlung des Klägers mit Medikinet oder einem anderen methylphenidathaltigen Arzneimittel als individueller Heilversuch dar. Diesen lässt aber das geltende Recht weder bei gänzlich fehlender arzneimittelrechtlicher Zulassung des Medikaments (BSG SozR 3 - 2500 § 31 Nr. 7, BVerfG in NJW 1997, 3085) noch im Bereich der zwar grundsätzlich gegebenen, sich jedoch nicht auf das konkrete Krankheitsziel erstreckenden Zulassung zu (BSGE 89, 184 ff., 191).
Das bei dem Kläger nach den Angaben des ihn behandelnden Arztes M. ein guter Behandlungserfolg erzielt werden konnte, vermag die Leistungspflicht der Beklagten nicht zu begründen. Es reicht nicht aus, dass die streitige Therapie nach Einschätzung des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte sie befürwortet haben (so zuletzt BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R).
Bei dem Kläger liegt auch keine Ausnahmekonstellation wie in dem vom BSG am 19.10.2004 entschiedenen Fall vor, denn es fehlt bereits an der Einzigartigkeit des Krankheitsbildes ADS, welches auch bei Erwachsenen durchaus verbreitet ist.
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -. Das Bundesverfassungsgericht hat den Anspruch gegen eine Krankenkasse auf Bereitstellung einer neuen Behandlungsmethode, die noch über keine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung verfügt, darauf beschränkt, dass schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht mehr vorliegen, ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gegeben sind und es sich insbesondere um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelt. Zumindest eine Erkrankung im letztgenannten Ausmaß erreicht die ADS-Erkrankung des Klägers nicht. Sie ist nicht lebensbedrohlich oder tödlich.
Damit hat der Kläger weder einen Anspruch auf Übernahme der zukünftig entstehenden Kosten für die Behandlung mit dem Wirkstoff Methylphenidat noch auf Erstattung der bereits entstandenen Behandlungskosten gemäß § 13 Abs. 3 zweite Alternative SGB V (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 25.10.2005 - L 11 KR 2788/05 -, bestätigt durch Beschluss des BSG vom 30.01.2006 - B 1 Kr 110/05 B - und Urteil vom 13.12.2005 - L 11 KR 3018/05 -).
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Kosten für die Behandlung des Klägers mit den dem den Wirkstoff Methylphenidat enthaltenden Medikament "Ritalin" im Rahmen des so genannten Off-Label-Use zu übernehmen hat.
Der 1977 geborene Kläger, der bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert ist, hat nach seinen Angaben auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur erworben, im Sommersemester 2004 Mathematik studiert und ist jetzt an der pädagogischen Hochschule immatrikuliert.
Seit Dezember 2002 steht der Kläger in Behandlung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie, psychotherapeutische Medizin K. C. M., der bei ihm ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom diagnostizierte und ihn seither mit "Ritalin" behandelt.
Mit Bescheid vom 08.01.2004 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung für die vom Kläger vorgelegten Verordnungen über Ritalin ab, da es sich um einen so genannten "Off-Label-Use" handeln würde. Das Präparat sei nur zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen vorgesehen.
Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er sich aufgrund von Depressionen jahrelang in Behandlung befunden habe. Er habe Antidepressiva eingenommen und zwei Psychotherapien absolviert. Die Behandlungen hätten keine nachhaltige Verbesserung in seinem psychischen und physischen Befinden gezeigt. Seit der Diagnosestellung Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) und Behandlung mit Ritalin habe sich sein psychischer und physischer Zustand wesentlich gebessert und er habe das Gefühl, sein Leben zu meistern. Er fügte Kopien von Studien über die Behandlung mit Methylphenidat bei Erwachsenen mit ADS aus Zeitschriften bei. Ergänzend wies er darauf hin, dass die Kosten für die Einnahme von Ritalin 53,24 EUR im Monat betragen würden.
Die Beklagte hörte zunächst den den Kläger behandelnden Arzt M ... Dieser führte aus, dass die Lebensqualität des Klägers durch die Erkrankung ADS erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Bei Aufnahme der Behandlung sei der Schulerfolg erheblich gefährdet gewesen. Die Behandlung mit Ritalin sei beim Kläger erfolgreich. Eine anderweitige erfolgreiche Behandlung von ADS sei in der Literatur nicht bekannt. Begleitende Verhaltenstherapie oder Ergotherapie sei nach der Studienlage im Gegensatz zur Medikation als alleinige Maßnahme nicht erfolgreich. Wenn auch keine Zulassung des Medikaments erfolgt sei, so stehe bestehe doch in der Fachliteratur und unter Kollegen allgemeiner Konsens zur Wirksamkeit von Methylphenidat.
Im Anschluss daran veranlasste die Beklagte eine Begutachtung nach Aktenlage durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. B. führte aus, die Studien-Datenlage zur Behandlung mit dem Wirkstoff Methylphenidat würde nicht ausreichen, um eine Zulassung zu bewirken. Ein Zulassungsantrag sei nicht gestellt. Auch wenn ein sehr weitgehender Konsens herrsche, diese Substanzen unter bestimmten Voraussetzungen einzusetzen, würde eine Zulassung wohl primär nicht bewirkt werden können. Darüber hinaus stehe die Arzneimittelrichtlinie, die Psychostimulanzien von der Verordnungsfähigkeit bei Erwachsenen ausschließe, einer Verordnung entgegen.
Auf die vom Kläger vorgelegten Fachartikel zum Off-Label-Use bei ADS-Erwachsenen, die er von der "ehrenamtlichen AD(H)S-Beratungsstelle" erhalten hatte und den zusätzlichen Hinweis des Klägers, dass Methylphenidat in Argentinien zugelassen sei, hörte die Beklagte noch einmal Dr. B., der die nachgereichten Unterlagen auswertete. Er blieb bei der bisherigen Einschätzung und wies darauf hin, dass auch das Methylphenidatpräparat Adderall am 11.08.2004 in den Vereinigten Staaten für Erwachsene mit ADS zugelassen worden sei. Die Zulassungsstudien lägen jedoch noch nicht vor. Importarzneimittel würden nicht zum Versorgungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei dem in Deutschland zugelassenen Medikament Ritalin handele es sich ohne Frage um ein Arzneimittel. Die Zulassung sei allerdings auf Kinder und Jugendliche beschränkt. Für die Verordnung bei Erwachsenen sei es nicht vorgesehen. Damit scheide eine Kostenübernahme aus. Unerheblich sei, dass Arzneimittel mit dem im wesentlichen gleichen Wirkstoff im Ausland zugelassen worden seien. Zum gleichen Ergebnis würden auch die Arzneimittelrichtlinien führen. Danach dürften nach Ziffer 20.1 Abs. 1 Buchstabe l der Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AMR) Stimulanzien (z. B. Psychanaleptika, Psychoenergetika und Leistungsstimulanzien) zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen nicht verordnet werden. Eine Verordnung sei nur ausnahmsweise möglich bei Narkolepsie und schwerer Cerebralsklerose sowie beim hyperkinetischen Syndrom und bei der so genannten minimalen cerebralen Dysfunktion vorpubertärer Schulkinder. Der in den Arzneimittelrichtlinien festgeschriebene Ausschluss aus der vertragsärztlichen Versorgung habe quasi Gesetzescharakter. Auch der Grundsatz des Off-Label-Uses führe im Ergebnis zu keiner anderen Beurteilung. Dieser setze unter anderem voraus, dass eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg aufgrund der Datenlage bestehe. Die wenigen vorhandenen Studien würden methodische Mängel aufweisen. Die geforderte begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg könne damit nicht bestätigt werden.
Deswegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Er fügte zur Unterstützung seines Begehrens Schreiben die Kostenübernahme für eine Arzneimittelbehandlung mit Concerta und Medikinet betreffend, ein Schema des Katecholamin-Stoffwechsels an einer zentralen Synapse und weitere Unterlagen der AD(H)S-Beratung sowie ein Schreiben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn bei. Ergänzend wies er darauf hin, dass sich durch die jahrzehntelang ausgebliebene Diagnosestellung und Behandlung das Krankheitsbild ADS bei ihm inzwischen so manifestiert habe, dass seine Depressionen immer stärker, öfter und lang anhaltender geworden seien. Parallel seien auch seine Suizidgedanken stärker geworden. In der Schule, Ausbildung und beim Abitur sowie auch im täglichen Leben habe er erheblich an seinen Konzentrations- und Leistungsproblemen gelitten. Keine der bisher von ihm durchgeführten Behandlungen habe eine nachhaltige Verbesserung in seinem psychischen und physischen Befinden gezeigt. Erst mit der Einnahme von Methylphenidat habe sich sein psychischer und physischer Zustand wesentlich gebessert. Durch die Wegnahme der Medikamente sei ein Rückfall in etlichen Bereichen unvermeidlich. Andere medikamentöse Alternativen gebe es nicht. In der Fachwelt gebe es seit Jahren Veröffentlichungen, die die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels bei Erwachsenen belegen würden. Diese seien wissenschaftlich und nachprüfbar. Einen Antrag auf Zulassung habe es bisher nicht gegeben, weil dazu keine Notwendigkeit bestanden habe. Man sei sehr lange davon ausgegangen, dass die Störung - insbesondere die Hyperaktivität - mit der Pubertät verloren gehe.
Das SG hörte noch einmal K. C. M. als sachverständigen Zeugen. Er führte aus, dass er beim Kläger eine ADS diagnostiziert habe. Diese habe die Lebensqualität des Klägers massiv beeinträchtigt. Die Behandlung mit Ritalin und Gesprächen, zeitweise auch die zusätzliche Behandlung mit einem Antidepressivum, sei erfolgreich. Eine alleinige psychotherapeutische Behandlung sei nach der Studienlage wenig wirksam. Eine andere sinnvolle Behandlung stehe nicht zur Verfügung. Ritalin sei sowohl nach seiner persönlichen Erfahrung als auch nach der ihm bekannten Literatur bei Erwachsenen gut wirksam. Er bezweifle aber, ob eine Zulassung des Medikaments für Erwachsene erfolgen werde. Entsprechende Studien und Vorbereitungen seien teuer und würden überwiegend von der Industrie finanziert. Da Methylphenidat keinen Patentschutz mehr genießen dürfte und inzwischen von verschiedenen Firmen auf dem Markt sei, würde eine Pharmafirma, die die erheblichen Investitionen tätige, nur eingeschränkt davon profitieren. In der neurologisch/psychiatrischen Fachliteratur werde jedoch überwiegend die Auffassung vertreten, dass Ritalin die Behandlung der Wahl sei. Der Arzt fügte auf einer CD-Rom Publikationen bei.
Die Beklagte legte hierzu, insbesondere zu den auf der CD-Rom enthaltenen Artikeln, ein weitres sozialmedizinisches Gutachten von Dr. B. vom MDK vor. Dieser wies ergänzend noch darauf hin, dass es sich bei ADS nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung handele. Eine Datenlage, die für eine Zulassung ausreichen würde, liege auch unter Beachtung der neuerlich veröffentlichten Studien nicht vor. Eine Zulassung für Erwachsene durch die entsprechenden europäischen oder nationalen Behörden sei nicht erteilt worden.
Das SG holte sodann eine Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein. Dieses teilte mit, derzeit sei weder ein nationales noch ein europäisches Verfahren auf Zulassung eines methylphenidathaltigen Arzneimittels zur Behandlung der ADS im Erwachsenenalter anhängig. Im Rahmen eines nach § 31 Abs. 3 AMG durchgeführten Verfahrens zur Verlängerung der Zulassung eines Methylphenidat-haltigen Innovatorpräparates sei eine entsprechende Indikationsformulierung in Bezug auf ADS abgelehnt worden, weil seitens des pharmazeutischen Unternehmens keine ausreichenden klinischen Unterlagen und Studien zur therapeutischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Wirkstoffes in dieser Indikation vorgelegt worden seien. Derzeit verfüge kein in der Bundesrepublik verkehrsfähiges Fertigarzneimittel über eine Zulassung für die Indikation ADS im Erwachsenenalter. Das seit Dezember 2004 zur Behandlung von ADS bei Kinder und Jugendlichen zugelassene Arzneimittel "Strattera" könne in ganz besonderen Einzelfällen auch zur Behandlung im Erwachsenenalter ausgedehnt werden. Dann müsse aber der Behandlungsbeginn im Kindesalter liegen, die Zulassung umfasse nicht die erst im Erwachsenenalter begonnene Therapie.
Mit Urteil vom 16.12.2005, an den Kläger per Postzustellungsurkunde zugestellt am 14.01.2006, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, eine Zulassung methylphenidathaltiger Arzneimittel zur Behandlung von ADS im Erwachsenenalter liege nicht vor. Die Voraussetzungen für eine Verordnung außerhalb der Zulassung lägen nicht vor. Der aktuell gegebene wissenschaftliche Erkenntnisstand reiche noch nicht aus, um eine generelle Erfolgsaussicht der Behandlung von ADS im Erwachsenenalter durch methylphenidathaltige Medikamente zu begründen. Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III lägen bisher nicht vor. Ein Konsens in der wissenschaftlichen Literatur könne bisher ebenfalls noch nicht angenommen werden. Bei der noch nicht restlos gesicherten Datenlage stelle die Behandlung des Klägers z. B. mit Ritalin einen individuellen Heilversuch dar, für den aber keine Kostenübernahmepflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe.
Hiergegen richtet sich die am 14.02.2006 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und eine Vielzahl weiterer Unterlagen vorlegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16. Dezember 2005 sowie den Bescheid vom 8. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. November 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat zu erstatten und auch zukünftig zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass eine Kostenübernahme auch nicht unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 - in Betracht kommt, da es sich auf jeden Fall nicht um eine lebensbedrohliche Krankheit handele.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten einschließlich der Akten des einstweiligen Rechtsschutzes sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und insbesondere statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da die Berufung einen längeren Zeitraum als ein Jahr umfasst. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung bzw. Übernahme der Kosten für ein methylphenidathaltiges Arzneimittel.
Nach Auffassung des Senats ist die Berufung bereits aus den vom SG ausführlich und zutreffend dargestellten Gründen als unbegründet zurückzuweisen. Insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug und verzichtet auf deren erneute Darstellung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es sich bei "Methylphenidat" unstreitig um einen arzneimittelrechtlich zugelassenen Wirkstoff handelt. Die Zulassung eines Arzneimittels erfolgt indessen stets anwendungsbezogen. Für einen Einsatz außerhalb der durch die Zulassung festgelegten Anwendungsgebiete fehlt dem jeweiligen Präparat die Verkehrsfähigkeit. Die Leistungspflicht der Krankenkasse besteht bei zulassungsüberschreitender Anwendung (so genannter Off-Label-Use) grundsätzlich nicht, da für das neue Anwendungsgebiet weder die Wirksamkeit noch etwaige Risiken des Arzneimittels in dem nach dem AMG vorgeschriebenen Zulassungsverfahren geprüft worden sind. An der Zulassung des Medikaments Medikinet mit dem Wirkstoff Methylphenidat bzw. anderer methylphenidathaltiger Arzneimittel für den Anwendungsbereich der ADS bei Erwachsenen fehlt es hier unstreitig. Dies hat grundsätzlich zur Folge, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung bzw. Übernahme der zukünftig entstehenden Kosten hat.
Nur ausnahmsweise sind die Krankenkassen zur Versorgung der Versicherten mit Medikamenten im Rahmen des Off-Label-Use verpflichtet. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184 ff.), der sich der Senat anschließt, die insoweit erforderlichen Voraussetzungen klargestellt. Danach ist ein Off-Label-Use gestattet, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Zumindest diese letztgenannten Voraussetzungen sind im Falle des Klägers auch zur Überzeugung des Senats nicht erfüllt. Ausweislich der vom SG eingeholten Auskunft des BfArM vom Oktober 2005 verfügt derzeit kein in der Bundesrepublik verkehrsfähiges Fertigarzneimittel über eine Zulassung zur Behandlung von ADS im Erwachsenenalter mit einem Beginn im Erwachsenenalter. Soweit seit Dezember 2004 das Arzneimittel "Strattera" in ganz besonderen Einzelfällen die Behandlung im Erwachsenenalter zulässt, ist dies nur gestattet, wenn die Behandlung bereits im Kindes- oder Jugendalter begonnen hat. Die Zulassung umfasst nicht den Beginn der Behandlung bei Erwachsenen. Die Erweiterung der Zulassung dieser Arzneimittel ist unstreitig auch nicht beantragt. Darüber hinaus sind bisher Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III bisher nicht veröffentlicht. Nach Auffassung des Senats fehlt es im Anschluss an Dr. B. vom MDK und auch nach den Ausführungen des Arztes M. dem SG gegenüber an hinreichend gesicherten Erkenntnissen über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet, die zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen. Nach bisheriger Datenlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen besteht. Es ist auch zu berücksichtigen, dass bisher keine publizierten Daten zu Effekten und Nebenwirkungen einer medikamentösen Langzeitherapie existieren (vgl. Leitlinien der DGPPN - ADHS im Erwachsenenalter - Der Nervenarzt 10, 2003, 939 bis 949). Auch wurden keine kontrollierten Studien zu der Frage publiziert, ob Methylphenidat das Risiko einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen erhöht oder erniedrigt und als Substanz gehäuft missbraucht wird. Kontrollierte Studien werden für erforderlich gehalten.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Behandlung des Klägers mit Medikinet oder einem anderen methylphenidathaltigen Arzneimittel als individueller Heilversuch dar. Diesen lässt aber das geltende Recht weder bei gänzlich fehlender arzneimittelrechtlicher Zulassung des Medikaments (BSG SozR 3 - 2500 § 31 Nr. 7, BVerfG in NJW 1997, 3085) noch im Bereich der zwar grundsätzlich gegebenen, sich jedoch nicht auf das konkrete Krankheitsziel erstreckenden Zulassung zu (BSGE 89, 184 ff., 191).
Das bei dem Kläger nach den Angaben des ihn behandelnden Arztes M. ein guter Behandlungserfolg erzielt werden konnte, vermag die Leistungspflicht der Beklagten nicht zu begründen. Es reicht nicht aus, dass die streitige Therapie nach Einschätzung des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte sie befürwortet haben (so zuletzt BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R).
Bei dem Kläger liegt auch keine Ausnahmekonstellation wie in dem vom BSG am 19.10.2004 entschiedenen Fall vor, denn es fehlt bereits an der Einzigartigkeit des Krankheitsbildes ADS, welches auch bei Erwachsenen durchaus verbreitet ist.
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -. Das Bundesverfassungsgericht hat den Anspruch gegen eine Krankenkasse auf Bereitstellung einer neuen Behandlungsmethode, die noch über keine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung verfügt, darauf beschränkt, dass schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht mehr vorliegen, ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gegeben sind und es sich insbesondere um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelt. Zumindest eine Erkrankung im letztgenannten Ausmaß erreicht die ADS-Erkrankung des Klägers nicht. Sie ist nicht lebensbedrohlich oder tödlich.
Damit hat der Kläger weder einen Anspruch auf Übernahme der zukünftig entstehenden Kosten für die Behandlung mit dem Wirkstoff Methylphenidat noch auf Erstattung der bereits entstandenen Behandlungskosten gemäß § 13 Abs. 3 zweite Alternative SGB V (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 25.10.2005 - L 11 KR 2788/05 -, bestätigt durch Beschluss des BSG vom 30.01.2006 - B 1 Kr 110/05 B - und Urteil vom 13.12.2005 - L 11 KR 3018/05 -).
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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