L 11 R 3355/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 1909/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3355/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 5. Juli 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung der Beschäftigungszeit in der ehemaligen DDR vom 15.09.1974 bis 09.06.1989 als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) streitig.

Der am 23.10.1951 geborene Kläger studierte vom 01.09.1970 bis 31.08.1974 an der Hochschule für Bauwesen L., die er mit dem Abschluss als Diplom-Ingenieur verließ. Am 02.12.1981 wurde ihm der akademische Grad eines Dr.-Ing. verliehen. Er war vom 15.09.1974 bis 31.08.1979 als wissenschaftlicher Assistent an der Hochschule für das Bauwesen L., danach zum 01.09.1979 bis 30.04.1985 als Fachbereichsprojektant beim VEB PKM L. und schließlich vom 01.05.1985 bis 09.06.1989 als verantwortlicher Spezialprojektant beim VEB M. Kombinat L. beschäftigt. Mit Urkunde vom 07.06.1989, ausgehändigt am 14.06.1989, wurde er aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen und übersiedelte anschließend in die Bundesrepublik. Eine Versorgungszusage über Ansprüche auf Leistungen aus einer Zusatzversorgung erhielt er nicht.

Seinen Antrag vom 09.01.2002 auf Feststellung der Beschäftigungszeit vom 15.09.1974 bis 09.06.1989 nach dem AAÜG lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.10.2003 mit der Begründung ab, weder habe eine positive Versorgungszusage (Anwartschaft) zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch sei am 30.06.1990 (Schließung der Zusatzversorgungssysteme) eine Beschäftigung ausgeübt worden, die - aus bundesrechtlicher Sicht - dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Der Kläger sei am 30.06.1990 auch nicht mehr im Beitrittsgebiet beschäftigt gewesen.

Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, eine Stichtagsregelung in der von der Beklagten angenommenen Art verbiete sich von selbst. Der 30.06.1990 sei lediglich als letzter Termin erwähnt worden, an dem ein Recht oder eine Anwartschaft auf Versorgung (nach DDR-Recht) hätte entstehen können. Er habe seine "fiktive" Versorgungsanwartschaft aber nur deswegen verloren, weil die Regelungen der Versorgungssysteme einen solchen Verlust bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorgesehen hätten. Während seiner Beschäftigungszeit habe er alle Voraussetzungen für eine obligatorische Einbeziehung erfüllt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2004 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger habe bei Inkrafttreten des AAÜG am 01.08.1991 keine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes erworben. Er sei weder in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen, noch habe er einen Anspruch auf eine Versorgungszusage. Am 30.06.1990 habe er im Beitrittsgebiet keine Beschäftigung mehr ausgeübt, sei somit nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen.

Seine dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage hat der Kläger nicht begründet.

Mit Gerichtsbescheid vom 05.07.2005, dem Kläger zugestellt am 18.07.2005, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, der Kläger werde vom persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG nicht erfasst, denn mit der Beklagten bestehe kein Versorgungsrechtsverhältnis, für welches das AAÜG nach seinem § 1 Abs. 1 Geltung beanspruchen könne. Dieses gelte vom Wortlaut her ohnehin nur für solche Personen, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitragsgebiet Versorgungsberechtigungen erworben und diese wiederum beim Inkrafttreten des Gesetzes bestanden hätten. Der Kläger habe über eine solche frühere Versorgungszusage nicht verfügt, auch sei der Versicherungsfall (Alter, Invalidität) zu dem maßgebenden Zeitpunkt vom 01.08.1991 nicht eingetreten. Ebenso wenig greife zu seinen Gunsten eine fingierte Versorgungsanwartschaft ein, denn er habe am 01.07.1990 keine Rechtsposition inne gehabt, die er durch den Übertritt hätte verlieren können. Dies gelte auch in Anwendung der vom Bundessozialgericht (BSG) vorgenommenen erweiterten verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG. Insofern könne offen bleiben, ob der Kläger aufgrund seiner Berechtigung, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen, die persönlichen Voraussetzungen für eine fiktive Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem erfüllt habe. Denn zum maßgeblichen Stichtag 30.06.1990 habe er keine Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens (mehr) ausgeübt, sondern sei unstreitig bereits in die Bundesrepublik Deutschland ausgereist. Diese Stichtagsregelung sei auch verfassungsgemäß. Aus der Entscheidung des BSG vom 18.06.2003 (B 4 RA 1/03 R) ergäbe sich nichts anderes, denn diese Ausführungen beträfen allein die Frage, welche Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG als Pflichtbeitragszeiten in der Rentenversicherung gelten würden. Dies setze aber voraus, dass der Antragsteller zunächst vom Anwendungsbereich des AAÜG überhaupt erfasst werde, welches bei dem Kläger nicht der Fall sei.

Mit seiner dagegen am 15.08.2005 eingelegten Berufung trägt der Kläger im wesentlichen vor, als Inhaber des verliehenen akademischen Grades eines Diplomingenieurs sei er grundsätzlich vom persönlichen Anwendungsbereich der zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech erfasst. Insofern würde es ausreichen, dass er seine Tätigkeit im geltend gemachten Zeitraum auch tatsächlich ausgeübt habe, zumal er durch Ausbürgerungsbescheid zur kurzfristigen Ausreise aus dem Beitrittsgebiet veranlasst worden wäre.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 05. Juli 2005 sowie den Bescheid vom 23. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeiten vom 15. September 1974 bis 09. Juni 1989 als Zeiten der Zugehörigkeit zur Zusatzversorgung der technischen Intelligenz sowie die entsprechenden Verdienste festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass der Kläger bereits zum 30.06.1990 sein Beschäftigungsverhältnis beendet habe. Danach fehle es bei ihm für einen fiktiven bundesrechtlichen Anspruch auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zur Altersversorgung der technischen Intelligenz am Bestehen eines geforderten Angestelltenverhältnisses zu einem volkseigenen oder ihm gleichgestellten Betrieb zum Stichtag 30.06.1990. Diese Beschäftigung habe der Kläger nur bis zum 09.06.1989 ausgeübt. Hierbei spiele es keine Rolle, aus welchen Gründen die maßgebliche Beschäftigung am Stichtag nicht mehr ausgeübt worden sei. Die erweiterte Rechtsprechung des BSG beruhe allein darauf, dass bis zum letzten Tag einer Beschäftigung im Geltungsbereich eines Versorgungssystems ein Versicherter noch mit der Erteilung einer Versorgungszusage hätte rechnen können, danach nicht mehr. Wenn der Kläger daher vor dem Tag, an dem das maßgebliche Versorgungssystem geschlossen worden sei, aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden sei, ohne eine solche Versorgungszusage erhalten zu haben, so habe er vom Zeitpunkt seines Ausscheidens an nicht mehr auf eine Einbeziehung vertrauen können. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe mit Beschluss vom 26.10.2005 (Az.: B 1 BVR 1921/01, 1 BVR 203/05, 1 BVR 445/05, 1 BVR 1144/05) die Verfassungsbeschwerden zur Stichtagsregelung nicht zur Entscheidung angenommen und damit die bisherige Auslegungspraxis des BSG zur Anwendbarkeit von § 1 AAÜG ausdrücklich bestätigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG und damit insgesamt zulässig, jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Zeiten vom 15.09.1974 bis 09.06.1989 als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG.

Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung unter Würdigung der für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs relevanten Anspruchsgrundlagen zutreffend dargestellt, dass der Kläger aufgrund der Aufgabe seiner Berufstätigkeit als Ingenieur in volkseigenen Betrieben bereits vor dem 30. Juni 1990 bzw. der fehlenden Versorgungszusage kein Versorgungsrechtsverhältnis begründet hat, für welches das AAÜG nach seinem § 1 Abs. 1 Geltung beanspruchen könnte. Insoweit sieht der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt auf die zutreffenden Ausführungen im Gerichtsbescheid Bezug.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. vor allem Urteile vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 - SozR 3 - 8570 § 1 Nr. 1; B 4 RA 36/01 SGb 2002, 379 und B 4 RA 41/01 - SozR 3 - 8570 § 1 Nr. 6), der der Senat folgt, ist der persönliche Geltungsbereich des AAÜG auf Personen begrenzt, die am 01.08.1991 Versorgungsansprüche oder Versorgungsanwartschaften aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem hatten, weil sie am 03.10.1990 bereits einbezogen waren oder danach wegen der Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte der DDR wieder einbezogen waren oder vor dem 01.07.1990 einbezogen und aufgrund der Regelungen der Versorgungssysteme wieder ausgeschieden waren oder weil sie nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage aufgrund der zu Bundesrecht gewordenen zwingenden Bestimmungen der Versorgungssysteme einen Anspruch auf Einbeziehung/Versorgungszusage hatten.

Der Kläger gehört nicht zu diesem Personenkreis. Er war weder am 30. Juni 1990 in ein Versorgungssystem einbezogen noch hatte er einen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer solchen Versorgungszusage, da er am maßgebenden Stichtag am 30. Juni 1990 nicht (mehr) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Baugewerbes oder einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war.

Den Stichtag 30. Juni 1990 hat das BSG in seinen Entscheidungen vom 8. 6. 2004 - B 4 RA 56/03 R -, 27.07.2004 - B 4 RA 9/04 R - und 29.07.2004 - B 4 RA 4/04 R - erneut bestätigt und gleichzeitig ausgeführt, dass eine Gleichstellung weiterer Personen aus Verfassungsgründen nicht geboten sei. Der Bundesgesetzgeber hat an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme in der DDR ohne Willkürverstoß anknüpfen und damit zugrunde legen dürfen, dass nur derjenige in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz einbezogen werden konnte, der am 30. Juni 1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war. Zwar mag die Festlegung eines Stichtags im Einzelfall eine Härte begründen. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist eine solche Stichtagsregelung nicht zu beanstanden und hinzunehmen. Eine Härtefallregelung, die zur Aufweichung des Stichtags führen würde, ist nicht geboten.

Durch die Regelung wird auch weder gegen Art. 3, Art. 12 oder Art. 14 GG verstoßen (so auch BVerfG, Beschluss vom 26.10.2005, 1 BvR 1921/01, 1 BvR 203/05, 1 BvR 445/05 und 1 BvR 1144/05). Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Art. 3 Abs. 1 und 3 GG nicht gebieten, rückwirkend von den Gegebenheiten der Versorgungssysteme der ehemaligen DDR zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler abzuweichen und diese mit unkalkulierbaren finanziellen Folgen zu überziehen. Aus Art. 14 GG ergibt sich auch nicht eine eigentumsgeschützte Rechtsposition für Erwerbstatbestände, die im Gebiet der ehemaligen DDR zurückgelegt wurden. Ebenfalls fehlt der Regelung jegliche berufsregelnde Tendenz im Sinne des Art. 12 GG.

Die Berufung des Klägers konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nach der als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung des BSG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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