L 7 AL 4493/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 3924/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AL 4493/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des Überprüfungsverfahrens um Ansprüche des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) bzw. Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der am 1952 geborene Kläger bezog ab dem 1. Dezember 1999 Alg. Nach einem Unfall im Privatbereich bezog er bis zum 4. September 2000 Krankengeld. In einem Gutachten des Dr. K. vom medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg vom 4. September 2000 wird der Kläger für fähig erachtet, ab sofort wieder eine Arbeit aufzunehmen. Diese Einschätzung wird bestätigt durch ein arbeitsamtsärztliches Gutachten des Dr. W. vom 8. Dezember 2000, wonach der Kläger vollschichtig in der Lage ist, jedenfalls leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Vermeidung von Zwangshaltungen der Wirbelsäule auszuführen. Am 7. September 2000 meldete der Kläger sich erneut arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Der Kläger bezog daraufhin vom 7. September 2000 bis 4. Februar 2001 Alg und im Anschluss daran aufgrund Bewilligungsbescheids der Bundesanstalt für Arbeit - Arbeitsamt Karlsruhe - vom 20. März 2001 Anschluss-Alhi vom 5. bis 6. Februar 2001. Zugleich wurde die Gewährung von Anschluss-Alhi über diesen Zeitpunkt hinaus abgelehnt wegen fehlender Arbeitsbereitschaft des Klägers. Die dagegen nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom SG Karlsruhe (SG) durch Urteil vom 12. Dezember 2002 (S 7 AL 1308/01) im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, entgegen seiner Auffassung könne der Kläger nach den vorliegenden medizinischen Gutachten und Stellungnahmen vollschichtig arbeiten. Ein Anspruch auf Alhi über den 6. Februar 2001 hinaus bestehe daher wegen fehlender Arbeitsbereitschaft nicht. Die dagegen zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Berufung (L 13 AL 2383/03) hat der Kläger im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter am 21. Oktober 2003 für erledigt erklärt. In der Zeit vom 4. Oktober 2002 bis 28. Februar 2003 bezog der Kläger Alg. Durch zwei Bescheide vom 26. Februar 2003 hob die Bundesanstalt für Arbeit - Arbeitsamt Karlsruhe - die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab dem 1. März 2003 auf. Zur Begründung der Aufhebung des auf § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gestützten Bescheids wurde ausgeführt, die Bewilligung sei von Anfang an fehlerhaft gewesen, da darin zu Unrecht davon ausgegangen worden sei, dass der Kläger die Anwartschaftszeit nach § 117 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch (SGB III) (in der maßgeblichen Fassung) erfüllt habe, indem er zwischen dem 27. November 2001 und dem 3. Oktober 2002 Krankengeld bezogen habe, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Die Bewilligung werde daher im Ermessenswege mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben. Der auf § 48 SGB X gestützte Aufhebungsbescheid wurde damit begründet, der Kläger sei nicht arbeitsbereit, da er sich entgegen einem arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 8. Dezember 2000 nicht in vollem Umfang dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stelle. Die gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche wurden durch Widerspruchsbescheid vom 13. März 2003 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die auf § 45 SGB X gestützte Rücknahme sei zu Recht erfolgt, da der Kläger wegen der Nichterfüllung der Anwartschaftszeit des § 117 Abs. 1 SGB III keinen Anspruch auf Alg erworben habe. Soweit der Kläger eingewendet habe, die Ablehnung seiner Krankengeldansprüche gegen die IKK sei noch nicht bestandskräftig, sei darauf hinzuweisen, dass nach § 26 SGB III der Krankengeldbezug nur versicherungspflichtig sei, wenn unmittelbar davor Alg oder Alhi bezogen worden sei oder ein beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Dies sei jedoch nicht der Fall, da der Kläger nach der Entscheidung des SG vom 12. Dezember 2002 keinen Anspruch auf Alhi über den 6. Februar 2001 hinaus habe. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Bewilligungsbescheids für die Zukunft bestehe nicht. Die Interessen des Klägers müssten gegenüber denen der Versichertengemeinschaft zurücktreten. Soweit er sich darauf berufe, im Falle der Aufhebung der Bewilligung sozialhilfebedürftig zu werden, sei darauf hinzuweisen, dass eine solche Sozialhilfebedürftigkeit bei richtiger Entscheidung schon früher eingetreten wäre. Die Rücknahme der Bewilligungsentscheidung von Alg mit Wirkung für die Zukunft ab dem 1. März 2003 (Zugang des Rücknahmebescheids vom 26. Februar 2003) sei daher nicht zu beanstanden. Hilfsweise sei zu erwähnen, dass selbst im Falle der Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen der Alhi, also auch der Anwartschaftszeit, ab dem 1. März 2003 kein Anspruch bestünde, weil sich der Kläger nicht in dem vom amtsärztlichen Gutachten vom 8. Dezember 2000 festgestellten Leistungsvermögen zur Verfügung stelle.

Am 23. Januar 2004 stellte der Kläger den Antrag auf Überprüfung der Leistungen des Arbeitsamtes nach § 44 SGB X ab dem 4. September 2000. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 18. Juni 2004 ab mit der Begründung, im Falle des Klägers sei weder das Recht unrichtig angewendet noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 16. August 2004 zurückgewiesen.

Am 16. September 2004 hat der Kläger beim SG Klage erhoben; die Klage ist durch Urteil vom 28. Oktober 2004 (S 7 AL 3924/04), welches am selben Tag verkündet worden ist, abgewiesen worden. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte bei den den Zeitraum ab dem 4. September 2000 betreffenden Bescheiden das Recht unrichtig angewendet habe oder von einem nicht gegebenen Sachverhalt ausgegangen sei. Aus welchem Grund dem Kläger in der Sitzung des 13. Senats des LSG (angeblich) geraten worden sei, einen Überprüfungsantrag zu stellen, ergebe sich weder aus dessen Vorbringen noch aus der Sitzungsniederschrift vom 21. Oktober 2003.

Ausweislich der Akte des SG ist dessen Urteil zwei Mal per Übergabe-Einschreiben an die bekannte Anschrift des Klägers übermittelt und nach Ablauf der Lagerfrist jeweils an das SG zurückgesandt worden. Daraufhin hat das SG durch Beschluss vom 2. Februar 2005 die öffentliche Zustellung des Urteils angeordnet und die entsprechende Benachrichtigung vom 2. Februar bis zum 2. März 2005 an der Gerichtstafel ausgehängt.

Am 25. Oktober 2005 hat der Kläger beim SG Berufung eingelegt und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt mit der Begründung, er habe erst am heutigen Tag aufgrund einer Sachstandsnachfrage vom Urteil des SG Kenntnis erhalten. Eine Nachricht über eine Zustellung an seine Adresse habe er nie erhalten.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Oktober 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Rücknahme der Bescheide vom 26. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2003 vom 7. Februar 2001 bis 3. Oktober 2002 sowie erneut ab dem 1. März 2003 Arbeitslosenhilfe im gesetzlichen Umfang zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

II.

Der Senat kann die Zulässigkeit der gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaften Berufung dahinstehen lassen. Da sich eine wirksame Zustellung des angegriffenen Urteils des SG an den Kläger nicht sicher feststellen lässt - die Übersendung durch Übergabeeinschreiben genügt nicht den Anforderungen des § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 175 der Zivilprozessordnung (ZPO) und die öffentliche Zustellung setzt voraus, dass der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist (§ 185 ZPO) -, wurde zwar keine Berufungsfrist in Gang gesetzt. Das Recht zur Einlegung der Berufung kann allerdings verwirkt sein, wenn ein Betroffener ein Jahr seit Kenntnis, etwa seit Verkündung oder fehlerhafter Zustellung des Urteils, unter Umständen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung der Rechte unternommen zu werden pflegt (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig u.a., SGG 8. Aufl., § 151 Randnr. 8). Ob diese Konstellation vorliegend einschlägig sein könnte mit Blick darauf, dass das Urteil des SG in der Sitzung vom 28. Oktober 2004 in Anwesenheit des Klägers verkündet wurde, dieser aber - offenbar ohne zwischenzeitliche Nachfragen - erst am 25. Oktober 2005 nach einer Sachstandsnachfrage beim SG Berufung eingelegt hat, braucht nicht entschieden zu werden.

Denn der Senat konnte die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Das SG hat die Klage gegen die genannten Bescheide zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger hatte keinen Anspruch auf Gewährung von Alhi in den begehrten Zeiträumen (7. Februar 2001 bis 3. Oktober 2002 sowie ab dem 1. März 2003). Die Beklagte hat den Überprüfungsantrag zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (Abs. 2 Satz 1). Er kann nach Satz 2 auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Das SG hat im angefochtenen Urteil zu Recht festgestellt, dass das Recht im Zusammenhang mit der (Nicht-) Bewilligung von Alg und Alhi in den streitigen Zeiträumen nicht unrichtig angewandt worden ist, weshalb der ablehnende Überprüfungsbescheid vom 18. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. August 2004 den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Alhi setzt nach § 190 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB III (in der Fassung, die § 190 durch das 3. SGB III-Änderungsgesetz vom 22. Dezember 1999 - BGBl. I 2624 - erhalten hat) insbesondere voraus, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung gesucht wird (§ 198 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III (i.d.F., die § 198 durch das 3. und § 118 durch das 1. SGB III-ÄndG erhalten hat)). Eine Beschäftigung sucht, wer alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ) und den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (Verfügbarkeit, vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III ), also arbeitsfähig und seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit ist ( § 119 Abs. 2 SGB III ). Gemäß § 119 Abs. 3 Nr. 1 SGB III ist ein Arbeitsloser arbeitsfähig, der eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes aufnehmen und ausüben kann. Der Kläger war in der hier streitigen Zeit in diesem Sinne arbeitsfähig, wie sich dem Gutachten des MDK Baden-Württemberg vom 4. September 2000 und dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 8. Dezember 2000 unzweifelhaft entnehmen lässt. Der Senat hat keinerlei Veranlassung, an der Richtigkeit dieser medizinischen Feststellungen zu zweifeln, zumal da der Kläger für seine - auch im Verfahren vor dem Senat geäußerte - Aussage, seit dem 6. August 2000 arbeitsunfähig gewesen zu sein, keinerlei Nachweis erbracht hat, der geeignet wäre, die vorliegenden fundierten Befunde zu erschüttern. Ausgehend hiervon fehlt es aber an der Verfügbarkeit des Klägers i. S. v. § 119 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB III, der trotz bestehender Arbeitsfähigkeit nicht bereit ist, seine Arbeitskraft entsprechend einzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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