L 13 AS 1709/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 241/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 1709/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Absenkung von bereits bewilligtem Arbeitslosengeld II fällt unter § 39 Nr. 1 SGB II.
2. Zur Interessenabwägung bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage wegen einer Absenkung.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 9. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage wegen der im Bescheid der Agentur für Arbeit R. vom 17. Januar 2006 (Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2006) für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 30. April 2006 verfügten Absenkung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Gestalt der Regelleistung um 30 v.H., also monatlich 104 EUR anzuordnen.

Zutreffend hat das Sozialgericht das Begehren als nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und zulässig angesehen. Denn die Klage des Antragstellers wegen der Absenkung der Regelleistung, die mit Bescheid vom 15. Dezember 2005 vom 1. Januar bis 30. Juni 2006 in Höhe von 345 EUR monatlich bewilligt war, hat abweichend von § 86 a Abs. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. Bei der Absenkung handelt es sich nämlich um einen mit Widerspruch und Anfechtungsklage anzugreifenden Verwaltungsakt im Sinne von § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II), der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet. Dies gilt unabhängig davon, ob - was offenbar die Antragsgegnerin meint - die Absenkung verfahrensrechtlich eine Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erfordert oder ob die Absenkung nach § 31 SGB II die §§ 45 ff. SGB X verdrängt. Denn in jedem Fall liegt bei - wie hier - zuvor ausgesprochener Bewilligung ein mit der Anfechtungsklage zu beseitigender Eingriff in eine durch Verwaltungsakt zuerkannte Rechtsposition vor (vgl. Senatsbeschluss vom 26. August 2005 - L 13 AS 3390/05 ER-B).

Für die Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) verwirklichende Entscheidung über die Anordnung der von Gesetzes wegen entfallenen aufschiebenden Wirkung bedarf es einer (vgl. zum Folgenden Senatsbeschluss vom 9. Januar 2003 - L 13 AL 4260/02 ER-B in Juris) Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und das Aussetzungsinteresse des Betroffenen gegeneinander abzuwägen sind; dabei sind vorrangig die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs in den Blick zu nehmen. Danach kann (vgl. zum Folgenden Senatsbeschluss vom 27. Juni 2006 - L 13 AS 2298/06 ER-B) die aufschiebende Wirkung angeordnet werden, wenn der Hauptsacherechtsbehelf - hier also die Anfechtungsklage - offensichtlich begründet ist. Auch wenn wegen § 39 Nr. 1 SGB II im Regelfall der durch den Verwaltungsakt Betroffene das Vollzugsrisiko zu tragen hat, besteht in einem derartigen Fall grundsätzlich kein öffentliches Interesse am Sofortvollzug eines aller Voraussicht nach aufzuhebenden Verwaltungsaktes. Dies gilt (vgl. § 86 a Abs. 3 Satz 1 SGG) auch bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, wenn also der Erfolg lediglich wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Abzulehnen ist hingegen der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich keinen Erfolg hat. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist das vom Gesetzgeber generell angenommene Sofortvollzugsinteresse und das individuelle Suspensivinteresse gegeneinander abzuwägen. Überwiegt das Suspensivinteresse, was in entsprechender Anwendung von § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG auch der Fall ist, wenn der Sofortvollzug für den Betroffenen eine unbillige nicht durch überwiegende öffentliche Interesse gebotene Härte zur Folge hätte, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Übersteigt das Suspensivinteresse das öffentliche Vollzugsinteresse nicht, hat es bei der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes zu verbleiben (vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. April 2005 - 4 VR 1005/04 - in Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 69).

Das Sozialgericht hat angenommen, dass die zulässige Anfechtungsklage wahrscheinlich keine Aussicht auf Erfolg hat, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides über die Absenkung vom 17. Januar 2006 also nicht bestehen. Der Senat hält die insoweit von der Vorinstanz angestellte Prüfung mit Subsumtion des Sachverhalts unter die den Prüfungsgegenstand bildenden Normen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe d und Satz 2 sowie Abs. 6 SGB II, § 10 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 SGB II sowie § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II für zutreffend. Dies gilt - sofern es einer Aufhebung der Bewilligung bedarf - auch für die Auffassung, dass die nach der Bewilligung wirksam gewordene Absenkung eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen darstellen würde. Sofern eine Aufhebung nicht verfügt zu werden braucht, kann der Bescheid ohne Weiteres als die Absenkung selbst, deren Dauer und Umfang verfügender Bescheid ausgelegt bzw. in einen solchen umgedeutet werden. Selbst wenn wegen einzelner der vom 7. Senat in seinem Beschluss vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - in rechtlicher Hinsicht für klärungsbedürftig erachteter Fragen der Ausgang des Klageverfahrens als offen angesehen werden müsste, führt die Interessenabwägung zu keinem anderen Ergebnis. Das Suspensivinteresse des Antragstellers besteht darin, dass er für drei Monate die volle das soziokulturelle Existenzminimum gewährleistende Regelleistung in Höhe von 345 EUR monatlich erhält, einer Kürzung um monatlich 104 EUR, insgesamt also 312 EUR nicht ausgesetzt ist. Im öffentlichen Interesse wiederum liegt, bei Verwirklichung des eine Absenkung rechtfertigenden gesetzlichen Tatbestandes, welcher lediglich noch einzelne den Streitfall nicht unbedingt beeinflussende rechtliche Zweifelsfragen aufwirft, nicht die volle Leistung erbringen und sich bei Weiterzahlung der vollen Leistung und späteren Abweisung der Klage mit einem praktisch nicht durchsetzbaren Erstattungsanspruch begnügen zu müssen. Daneben geht es aber, ebenfalls im öffentlichen Interesse liegend, auch darum, nicht den über § 31 SGB II sanktionierten in § 2 SGB II enthaltenen und zu den Kernelementen des SGB II zählenden Grundsatz des Forderns zu unterlaufen, dessen Ziel der Einsatz der Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts ist und der (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB II), sofern sich dies in absehbarer Zeit nicht verwirklichen lässt, die Übernahme einer zumutbaren Arbeitsgelegenheit (Ein-Euro-Job) vorsieht, mit der ein der Arbeit entwöhnter Hilfeempfänger wieder an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt werden soll. Angesichts dessen, dass das Gesetz Absenkungen der Regelleistung generell für sofort vollziehbar erklärt und die gesetzliche Regelung auf einer typisierenden Abwägung der Individualinteressen mit den öffentlichen Interessen beruht, hat das vom Gesetzgeber bereits in den Blick genommene regelhafte Aussetzungsinteresse im Abwägungsprozess gegenüber dem öffentlichen Interesse kein überragendes Gewicht. Vorliegend ist auch nicht erkennbar, dass die Vollziehbarkeit der Absenkung für den Antragsteller eine unbillige nicht durch überragende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Dass die Absenkung im verfügten Umfang für drei Monate den Antragsteller in eine existenzielle Notlage bringen würde, hat er selbst nicht vorgebracht. Damit hat es bei der gesetzlich angeordneten Vollziehbarkeit der Absenkung zu bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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