L 2 U 2644/00

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 01119/97
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 2644/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Februar 2000 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung und Entschädigung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 und/oder 1310 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung streitig.

Die Klägerin ist die Ehefrau des im Dezember 1946 geborenen und am 22. Oktober 2004 verstorbenen Versicherten E. H. (im folgenden: V), mit dem sie bis zu dessen Tod in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat. V war vom 2. August 1965 bis 12. September 1969 als Papiermaschinengehilfe bei der Papierfabrik A. GmbH und Co beschäftigt; dabei oblagen ihm u. a Reinigungsarbeiten bei Maschinenstillständen sowie die Mithilfe bei Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten, bei denen nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsbeamten Dr.-Ing. B. zeitweise bis zu 200 Liter TRI pro Schicht, im Normalfall jedoch sehr viel weniger, manchmal nur 1 bis 2 Liter pro Mann und Woche verbraucht wurden. Ferner bestand während des gesamten Beschäftigungszeitraums eine Exposition gegenüber Pentachlorphenol (PCP), das täglich in pulverisierter Form aus 10 kg Säcken - nach späteren Angaben des V und der Zeugen P. und K. aus 25 kg Säcken - direkt in den Papiermaschinen-Wasserkreislauf gegeben wurde; der dabei entstehenden starken Staubentwicklung habe man durch "Kopf drehen" versucht zu entgehen. Von 1970 bis 1972 wurde V auf Kosten des Arbeitsamts L. - Dienststelle Bad S. - (AA) zum Großhandelskaufmann umgeschult und war danach 1973/1974 bei der Deutschen Bundesbahn im Schalterdienst und im Anschluss daran bis 2000 bei der Bundeszollverwaltung im Abfertigungsdienst tätig.

Die Anzeige des Arbeitgebers über eine BK erfolgte am 8. Dezember 1994, die ärztliche Anzeige von Dr. N. (wegen eines Nierenzellkarzinoms der rechten Niere) am 7. Juni 1994 und von der Chirurgischen Universitätsklinik F. (wegen Z. n. Nierentumorentfernung rechts und Depressionen), am 1. Juli 1994. Die Beklagte zog diverse ärztliche Unterlagen (Bericht der Praktischen Ärztin Dr. G. vom 29. Juni 1994; Computertomografien des Schädels vom 26. Februar 1992 und 6. Juli 1993; Bericht der Ärztin für Urologie Dr. Sch. - einschließlich Anlagen - vom 7. August 1994) sowie die Krankenakte des Klägers von der Universitätsklinik F. bei. Sodann holte sie bei Professor Dr. H., Institut für Toxikologie und Pharmakologie der Universität W., das Gutachten nach Aktenlage vom 8. September 1995 ein. Hierin gelangte dieser zu der Beurteilung, TRI sei generell geeignet, nach langfristiger und hoher Exposition am Arbeitsplatz Nierenzellkarzinome - wie bei V klinisch und histologisch gesichert - hervorzurufen. Vorliegend sei jedoch mit Blick auf die nur vierjährige Beschäftigungszeit des V eine lange und sehr intensive Exposition nicht belegt. Zu diskutieren sei ferner im Hinblick auf die von V angegebene starke Akne eine Promotor-Wirkung von chlorierten Benzodioxinen und Benzofuranen, wie sie als Verunreinigungen von PCP typisch gewesen seien. Da die behauptete Akneerkrankung aber nicht ärztlich dokumentiert sei, könne bei dieser insgesamt mangelnden Datenlage eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs nicht bejaht, aber auch nicht ausgeschlossen werden. Auf Grund der Stellungnahme der Staatlichen Gewerbeärztin Dr. G. leitete die Beklagte weitere Ermittlungen ein: sie holte erneut Behandlungsberichte von Dr. N., Dr. G. und der Universitätsklinik F. ein, die im Wesentlichen einen bisher rezidivfreien Verlauf bei zufrieden stellendem Gesundheitszustand des V ergaben. Auf Anfrage gab V im November 1995 an, bis auf eine Meniskus-Operation könne er sich an keine intensivere Behandlung im Zeitraum zwischen 1965 und 1969 erinnern. Ebenfalls auf Anfrage teilte das AA im Oktober 1995 mit, dass Unterlagen des V nicht mehr vorlägen. Nachdem Dr. G. in ihrer Stellungnahme vom 28. März 1996 die Anerkennung einer BK nach Nr. 1302 nicht vorschlug, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Juni 1996 die Feststellung und Entschädigung der Beschwerden des V als BK nach 1302/1310 der Anlage 1 zur BKV gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. H. ab. Den Widerspruch des V, mit dem er eine besonders intensive Belastung durch PCP und schon jahrelang bestehende Krankheiten wie Brennen an Gesicht und Armen, ständige Müdigkeit und Schlafstörungen geltend machte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 1997 zurück.

Deswegen hat der Kläger am 17. April 1997 Klage zum Sozialgericht F. (SG) erhoben. Das SG hat in der nichtöffentlichen Sitzung am 20. November 1997 V angehört und Wilfried R. als Zeugen vernommen. V hat angegeben, er sei täglich mit PCP, das in jeder Schicht angerührt und eingestreut worden sei, in Berührung gekommen. Es sei meistens mit bloßem Oberkörper - höchstens mit Unterhemd - und in kurzen Hosen gearbeitet worden; damals seien bei ihm Magenschmerzen sowie Akne, unter der er vorher nicht gelitten habe, aufgetreten. Der Zeuge R. hat ausgesagt, im Nassteil der Papiermacherei sei bei der sporadischen Reinigung der Metallsiebe (Größe 41 mal 4,5 Meter) TRI eingesetzt worden, jedoch keineswegs in jeder Schicht, sondern etwa zwei- bis dreimal pro Woche oder Monat. PCP sei täglich, seiner Erinnerung nach nur in der Frühschicht, angerührt und in das System gegeben worden. Sodann hat das SG Dr. J., Arzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Umweltmedizin, zum Sachverständigen bestellt. In seinem nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 28. Juni 1999 hat Dr. J. zusammenfassend unter Bezugnahme auf "Bestätigungen" von R. P. und K. Je. sowie ein Photo des V ausgeführt, durch die mehrjährigen erheblichen, teils massiven Belastungen mit TRI und PCP sei eine entsprechende Schädigung von Nierengewebe mit nachfolgender Krebserkrankung plausibel und wahrscheinlich, auch wenn die extremen Belastungen nur wenige Jahre betragen hätten. Hiergegen hat die Beklagte das nach Aktenlage erstattete Gutachten des Prof. Dr. H. vom 25. August 1999 vorgelegt, in dem er im Ergebnis an seiner bisherigen Beurteilung festgehalten hat. Mit Urteil vom 25. Februar 2000 hat das SG die Klage abgewiesen: Zwar sei V von 1965 bis 1969 in erheblichem Umfang TRI und PCP ausgesetzt gewesen, doch sei die Nierenkrebs erzeugende Wirkung von TRI bisher nicht erwiesen; auch ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition mit PCP und der Nierenkrebserkrankung sei nach dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten von Prof. Dr. H. allenfalls möglich, nicht aber wahrscheinlich.

Gegen das am 31. Mai 2000 zugesellte Urteil hat V am 27. Juni 2000 Berufung eingelegt und an seinem Begehren festgehalten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts F. vom 25. Februar 2000 sowie den Bescheid vom 19. Juni 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Nierenkrebserkrankung ihres verstorbenen Ehemannes E. H. als Berufskrankheit nach Nr. 1302 und/oder 1310 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung im Ergebnis für zutreffend.

Der Senat hat von Amts wegen ein internistisch-onkologisches Gutachten bei Prof. Dr. M., Universitätsklinik F. - Medizin I, Hämatologie/Onkologie -, eingeholt. Darin (Gutachten vom 2. Oktober 2000) hat der Sachverständige - im Ergebnis wie Prof. Dr. H. - ausgeführt, bei Bejahung der generellen Geeignetheit von TRI zur Hervorrufung von Nierenzelltumoren reiche im vorliegenden Fall die nicht exakt bestimmbare Exposition während der 4-jährigen Beschäftigungszeit nicht aus, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen Ursachenzusammenhang zu begründen. PCP sei nach der wissenschaftlichen Literatur viel weniger als TRI als verantwortliches Agens zur Entstehung eines Nierenzellkarzinoms anzusehen und lasse insgesamt auf Grund der fehlenden Datenlage die Anerkennung einer BK ebenfalls nicht zu. Hinsichtlich einer synergistischen Wirkung von TRI und PCP zur Tumorentstehung/-begünstigung lägen keine wissenschaftliche Literatur, Fallberichte oder gar systematische Studien vor, sodass ein Zusammenhang wissenschaftlich nicht belegt werden könne. Sodann hat der Senat auf Antrag des V gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten bei Prof. Dr. H. eingeholt; dabei hatte V dem Sachverständigen für die Beurteilung zwei Lichtbilder - eins vor und eins während bzw. nach seiner Tätigkeit in der Papierfabrik - sowie die Bestätigungen des R. P. vom 16. Oktober 1996 und des K. Je. vom 17. Oktober 1996 sowie weiterer Arztberichte (s. zu Blatt 67/89 = Anlage zum Gutachten von Prof. Dr. H.) vorgelegt. Nach ausführlicher Diskussion der neuen wissenschaftlichen Daten zur kanzerogenen Wirkung von TRI, Nachprüfung und Bewertung der vorgelegten Lichtbilder hinsichtlich des Bestehens einer Chlorakne und der möglichen Bedeutung einer Ko-Exposition gegenüber PCP und TRI hat der Sachverständige ausgeführt, er stimme in seinen - beiden - Gutachten in allen wesentlichen Punkten mit der Beurteilung von Prof. Dr. M. überein, dagegen weiche er von dem Gutachten des Dr. J. ab; dessen Beurteilung stütze sich auf nicht veröffentlichte Quellen, deren Solidität nicht überprüfbar sei und im Gegensatz zur herrschenden wissenschaftlichen Meinung stünden. Der Senat hat im weiteren Verlauf zunächst S. K. (Aussage vom 14. April 2004, Bl. 112 LSG-Akte) und Reinhold P. (Aussage vom 9. April 2004, Bl. 111 LSG-Akte) als sachverständige Zeugen schriftlich gehört und sodann Prof. Dr. B., Berufsgenossenschaftliches Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin, Institut der Ruhr-Universität B., sowie Prof. Dr. D., Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität H. zu Sachverständigen bestellt. Prof. Dr. B. hat in seinem molekularbiologischen Befund vom 3. Juni 2004 mitgeteilt, die bei der Operation im März 1993 entnommenen Gewebeproben hätten keinerlei Anhaltspunkte für eine somatische VHL-Mutation im Bereich des Tumormaterials ergeben. Prof. Dr. D. hat in seinem dermatologischen Gutachten vom 16. Januar 2006 - insbesondere nach Auswertung der Fotos des V - ausgeführt, es könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass bei V eine so genannte Chlorakne vorgelegen habe. Da dermatologische Behandlungen nicht dokumentiert seien, könne auch keine schwere Ausprägung angenommen werden. In seinem abschließenden arbeitsmedizinisch-toxikologischen Gutachten vom 16. Mai 2006 hat Prof. Dr. B. einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der TRI-Exposition des V und seiner Nierenkrebserkrankung wegen nicht erwiesener ausreichender Exposition, wegen des fehlenden Nachweises eines tubulären Nierenschadens in der verbliebenen Restniere bzw. der kontralateralen Niere und des fehlenden Nachweises einer somatischen Mutation im VHL-Gen als nicht wahrscheinlich beurteilt; das Vorliegen eines Nierenzellkarzinoms bei geforderter Latenzzeit könne allein keinesfalls als Beleg für einen ursächlichen Zusammenhang dienen. Im Hinblick auf eine mögliche synkanzerogene Wirkung von TRI und PCP hat der Sachverständige dargelegt, die Höhe der Wirkschwelle von TRI werde nicht durch eine Ko-Exposition gegenüber PCP beeinflusst, da PCP nicht um den Stoffwechselpfad konkurriere, dessen "Überlastung" durch TRI zu den nierenkanzerogen wirkenden TRI-Metaboliten führe. Unterstelle man darüber hinaus PCP eine tumorpromovierende Wirkung, so könnte diese generell erst dann zum Tragen kommen, wenn zuvor in hinreichendem Ausmaß eine Tumorinitiation durch die entsprechenden TRI-Metaboliten nach hinreichend hoher und langer TRI-Exposition stattgefunden hätte, was hier nicht belegt sei.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG zugestimmt.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Der Senat konnte mit Zustimmung der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

Die statthafte (§ 143, § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) sowie frist- und formgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat - als Sonderrechtsnachfolgerin im Sinne des § 56 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I ) - gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung (und Entschädigung) einer BK nach Nr. 1302 und/oder 1310 der Anlage 1 zur BKV. Auf den zutreffend im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) i.V.m. der Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) geltend gemachten Anspruch finden noch die Vorschriften der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Reichsversicherungsordnung (RVO) Anwendung, da der Versicherungsfall - dessen Vorliegen unterstellt - 1993 und damit bereits weit vor dem Inkrafttreten des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (vgl. Art. 36 Satz 1 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1254), §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII). Heranzuziehen sind ferner die Bestimmungen der bis 30. November 1997 geltenden BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl. I S. 721), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2343).

Nach der Vorschrift des § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der ihr folgenden Bestimmungen Leistungen, insbesondere bei Vorliegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um wenigstens ein Fünftel (20 v.H.) Verletztenrente in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe (§ 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (vgl. jetzt ausdrücklich § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Als Arbeitsunfall gilt nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine BK. BKen sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. BKen nach der hier in Rede stehenden Nr. 1302 und 1310 der Anlage 1 zur BKVO sind Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe bzw. Erkrankungen durch halogenierte Alkyl, Aryl- oder Alkylaryloxide. Die von V für seine Erkrankung an einem Nierenzellkarzinom angeschuldigten Stoffe TRI und PCP sind "Listenstoffe" im Sinne der Nr. 1302 bzw. 1310 der Anlage 1 zur BKVO (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - HVBG-INFO 2000, 2811; ferner Punkt I 1.1 des noch vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgebrachten "Merkblatts für die ärztliche Untersuchung" zu BK 1302 (BArbBl. 6/85); abgedruckt auch bei Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, M 1302; zu BK 1310 Mehrtens/Perlebach, aaO, M 1310). Ebenso ist die Tumorerkrankung ein von Wortlaut und Sinn der Nr. 1302 und 1310 der Anlage 1 zur BKVO umfasstes Krankheitsbild; denn durch die gewählte Formulierung des Verordnungstextes ("Erkrankungen durch ...") will der Verordnungsgeber - ohne weitere Einschränkungen - alle denkbaren Krankheiten zu BKen erklären, die nach den fortschreitenden Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft ursächlich auf die Einwirkungen durch den jeweiligen Listenstoff zurückzuführen sind (vgl. BSGE 7, 89, 97; BSG HVBG-INFO 2000, 2811).

Bei einer in einer BK-Nr. - wie hier - nur unbestimmt bezeichneten Erkrankung bedarf es zunächst der Feststellung, dass der schädigende Stoff generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild hervorzurufen oder zu verschlimmern (vgl. BSG HVBG-INFO 2000, 2811; Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Auflage, § 9 SGB VII Rdnr. 106; ferner LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. April 1993 - L 2 U 926/92 - HV-INFO 1993, 2640). Erst wenn die generelle Geeignetheit (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 16/01 R - HVBG Rdschr 89/2002 m.w.N.) einer bestimmten Einwirkung für das Entstehen oder die Verschlimmerung einer Erkrankung feststeht, sind sodann in weiteren Schritten die individuellen Verhältnisse zu klären, also die konkreten anspruchsbegründenden Tatsachen sowie der Kausalzusammenhang im Einzelfall. Die anspruchsbegründenden Tatsachen (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkungen, Krankheit) müssen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (ständige Rechtsprechung; vgl. BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr. 84). Hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Gesundheitsstörung (haftungsausfüllende Kausalität) genügt dagegen der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 58, 80, 83; 61, 127, 129); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSGE 45, 285, 286 = SozR 2200 § 548 Nr. 38; SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 S. 81 f.). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast nach Ausschöpfung aller Beweismittel zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet (vgl. BSGE 6, 70, 72; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11 S. 33). Fällen eines unverschuldeten Beweisnotstandes kann allerdings - unter den Gesichtspunkten des fairen Verfahrens sowie der Waffengleichheit - im Rahmen der Beweiswürdigung Rechnung getragen werden, wobei freilich der Beweismaßstab nicht verringert werden darf (vgl. BSGE 19, 52, 56; 24, 25 ff.; BSG SozR 3-1500 § 128 Nr. 11).

Vorliegend steht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zur Überzeugung des Senats fest, dass der Listenstoff TRI generell zur Verursachung von Nierenzellkarzinomen bei beruflicher Exposition geeignet ist. Das ergibt sich unzweifelhaft aus den Gutachten des Prof. Dr. H., Prof. Dr. M. sowie Prof. Dr. B. und wird auch von der Beklagten nicht (mehr) bestritten. Im Gegensatz dazu lässt sich nach Darlegung des Sachverständigen Prof. Dr. H. - bestätigt von Prof. Dr. B. - eine generelle Geeignetheit von PCP, diese Erkrankung hervorzurufen, an Hand der wissenschaftlichen Datenlage nicht belegen.

Im Rahmen der - individuellen - Prüfung der oben genannten anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale bedürfen die versicherte Tätigkeit und die Nierenkrebserkrankung, derentwegen Entschädigung begehrt wird, keiner vertieften Erörterung; als Papiermaschinenhelfer hat V von 1965 bis 1969 eine versicherte Tätigkeit ausgeübt und die Erkrankung an einem Nierenzellkarzinom 1993 ist durch die Krankenakte des Universitätsklinik F. nachgewiesen. Darüber hinaus ist V - unbestritten - auch gegenüber TRI und PCP exponiert gewesen. Der geltend gemachte Anspruch scheitert aber daran, dass ein wahrscheinlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen der von 1965 bis 1969 stattgehabten beruflichen Exposition gegenüber TRI und PCP und der Nierenkrebserkrankung des V nicht wahrscheinlich zu machen ist. Der Senat stützt seine Entscheidung auf die Gutachten der Prof. Dres. H., M. und B ... Insbesondere Letzterer hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass für die Anerkennung von Nierenzellkarzinomen als BK nach Nr. 1302 folgende Kriterien erfüllt sein müssen: (1) die regelmäßige - mehrfach wöchentlich über mindestens drei Jahre - Exposition mit gravierenden und lang anhaltenden expositionsbezogenen pränarkotischen Zuständen (z.B. Rausch- und Trunkenheitsgefühl, Benommenheit, Schwindel, Kopfschmerzen), (2) die Latenzzeit von in der Regel 20 , mindestens aber 10 Jahre, (3) der pathologisch-histologische Nachweis eines primären Nierenzellkarzinoms, (4) der Nachweis eines tubulären Nierenschadens in der verbliebenen Restniere bzw. der kontralateralen Niere nach Nephrektomie und (5) spricht für einen Kausalzusammenhang eine somatische Mutation im VHL-Gen des Tumorgewebes; hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein Ausschlusskriterium. Von diesen Kriterien können nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (1), (4) und (5) nicht bejaht werden. Eine Hochdosis-Exposition im zuvor genannten Sinn lässt sich weder nach Aktenlage noch unter Berücksichtigung der Angaben des V feststellen. Aus dem Bericht des TAD ergibt sich hierfür nichts, der Zeuge P. hat zu den 1- bis 2mal wöchentlich eingesetzten TRI- Mengen keine Angaben machen können, der Zeuge K. hat von "bis zu 200 ltr. gelegentlich" berichtet. Das Vorerkrankungsregister der BKK Papierfabrik Albbruck (Bl. 24 VA) weist für die Zeit von 1965 bis 1969 keine Arbeitsunfähigkeitszeiten auf, die auf oben beschriebene pränarkotische Symptome hindeuten könnten und schließlich hat V im Rahmen der Befragung im Parallelverfahren (BK 1317) bei seiner Beschwerdeschilderung im Fragebogen vom 12. Februar 2000 die für einen pränarkotischen Zustand typischen Beschwerden nicht erwähnt. Lediglich anlässlich der Begutachtung bei Prof. Dr. Gr. im Oktober 2000 hat V über Benommenheitsgefühle im Zusammenhang mit TRI-Tätigkeiten berichtet. Diese sind jedoch durch eine zeitnahe Dokumentation nicht belegt, sodass der Senat bei Abwägung der Gesamtumstände eine Hochdosis-Exposition nicht als nachgewiesen ansieht. Ein tubulärer Nierenschaden konnte - wie Prof. Dr. B. dargelegt hat - auf Grund der präoperativen Diagnostik durch Dr. Sch. und des pathologischen Befunds des Prof. Dr. Schäfer ebenfalls nicht festgestellt werden. Schließlich hat auch die molekularbiologische Untersuchung des Tumormaterials den stützenden Befund einer somatischen Mutation im VHL-Gen nicht erbracht. Das Vorliegen eines Nierenzellkarzinoms bei geforderter Latenzzeit reicht allein nicht aus, um einen wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zu begründen. Ein solcher ist auch nicht unter dem Aspekt einer Ko-Exposition von TRI und PCP bzw. einer - unterstellten - tumorpromovierenden Wirkung von PCP wahrscheinlich zu machen, wie Prof. Dr. B. auf S. 29/30 seines Gutachtens überzeugend dargelegt hat. Da die Sachverständigen Prof. Dres. H., M. und B. in ihrer Beurteilung übereinstimmen, hat der Senat keinen Zweifel an deren Richtigkeit.

Demgegenüber überzeugt das Gutachten von Dr. J. nicht. Prof. Dr. B. hat die Gründe hierfür auf S. 32/33 ausführlich dargelegt; dieser Argumentation schließt sich der Senat uneingeschränkt an.

Eine Anerkennung der Nierenkrebserkrankung des V als BK nach 1310 scheidet - wie oben dargelegt - bereits deshalb aus, weil nach derzeitigem Kenntnisstand PCP nicht als generell geeignet zur Hervorrufung von Nierenkrebs angesehen werden kann. Darüber hinaus kann die während der Beschäftigung von 1965 bis 1969 aufgetretene Akne nicht nach dieser Listen-Nr. anerkannt werden, weil nach der Beurteilung des dermatologischen Sachverständigen Prof. Dr. D. eine Chlorakne bei V nicht nachgewiesen ist. Sowohl dieser Sachverständige als auch die von Prof. Dr. H. befragte Dermatologin Prof. Dr. B. haben die auf den Fotos erkennbare Akne als juvenile Akne charakterisiert, die sich rund um Mund- und Kinnpartie manifestiert, während die Chlorakne an allen Stellen auftritt, die in Kontakt mit dem auslösenden Agens, hier also PCP-Staub, kommen. Da der Kläger angegeben hat- und die Zeugen haben das bestätigt -, wegen der Hitze sei meistens in Unterhemd und kurzer Hose gearbeitet worden, müsste die Akne auch am Hals, Brustkorb, Schultern und Armen aufgetreten sein. Das ist aber weder auf dem vorgelegten Foto in Bezug auf Hals und Übergang zur Brust zu erkennen noch hat V derartiges vorgetragen. Da ferner von 1965 bis 1969 keine dermatologische Behandlung dokumentiert ist und sich V auch an eine intensivere Behandlung in diesem Zeitraum nicht erinnern konnte, sieht der Senat in Übereinstimmung mit Prof. Dr. D. eine Chlorakne nicht als nachgewiesen an.

Nach alldem ist die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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