L 11 KR 804/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4435/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 804/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Beitragspflicht der Kapitalzahlung aus einer Lebensversicherung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung zur Kranken- und Pflegeversicherung auch dann, wenn der Lebensversicherungsvertrag zwar noch vor dem 01.01.2004 gekündigt, jedoch erst danach ausbezahlt wurde. Revision zugelassen. Fortführung der Entscheidungen des Senats vom 15.11.2005 - L 11 KR 3216/05 - und vom 13.12.2005 - L 11 KR 4346/05.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlruhe vom 3. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (Beitragspflicht für eine Kapitalzahlung aus einer Lebensversicherung) streitig.

Der 1941 geborene Kläger ist seit dem 1. September 2001 als Rentner freiwillig kranken- und pflegeversichertes Mitglied der Beklagten. Er war als Dipl.-Chemiker bis zum 31.03.1997 bei der Firma S. in F. a. M. beschäftigt. Seit 01.04.1997 ist er krankheitsbedingt im vorzeitigen Ruhestand. Die Firma S. hatte für den Kläger im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung eine Kapitallebensversicherung bei der A. L. AG abgeschlossen. Nach seinem Ausscheiden aus der Firma S. finanzierte er die Versicherung selbst. Am 18.12.2003 kündigte er die Lebensversicherung und erhielt am 01.01.2004 eine Auszahlung in Höhe von 191.735,62 EUR.

Die Beklagte setzte daraufhin mit Bescheid vom 29. März 2004 den Beitrag des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung neu fest. Zur Begründung führte sie aus, bei der Kapitalzahlung der A. L. AG zum 01.01.2004 handele es sich um eine betriebliche Altersversorgung. Derartige Kapitalzahlungen seien 10 Jahre lang beitragspflichtig, wobei 1/120 der Summe zu berücksichtigen sei. Die beitragspflichtigen Einnahmen des Klägers erhöhten sich daher um 1.597,80 EUR. Aus diesen Bezügen resultiere deswegen ein Monatsbeitrag von 372,83 EUR zur gesetzlichen Krankenversicherung und von 46,26 EUR zur Pflegeversicherung, d. h. insgesamt 419,09 EUR.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, sein Anteil an der Beitragssumme der Lebensversicherung betrage ca. 30 Prozent, da er die Versicherung am 01.04.1997 privat übernommen habe. Von seiner gesetzlichen Rente allein könne er nicht leben, die Kapitalzahlung der A. L. AG diene ihm als zweites Standbein der Altersversorgung. Er sei für ihn nicht nachvollziehbar, dass diese Zusatzvorsorge beitragspflichtig sei und überdies noch sein privat getragener Anteil berücksichtigt werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2004 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bei freiwilligen Mitgliedern würden zum Zwecke der Gleichbehandlung mit versicherungspflichtigen Beschäftigten auch Versorgungsbezüge berücksichtigt, d. h. auch Renten der betrieblichen Altersversorgung, soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung erzielt würden und unmittelbar oder mittelbar aus Anlass eines früheren Beschäftigungsverhältnisses zuflössen. Die Beitragspflicht bestehe unabhängig davon, wer die Beiträge dafür gezahlt habe. Bei der zum 01.01.2004 ausgezahlten Kapitalleistung in Höhe von 191.735,62 EUR handele es sich um eine solche einmalige Leistung der betrieblichen Altersversorgung, die deswegen längstens bis zum 31.01.2014 der Beitragspflicht mit 1/120 des Auszahlungsbetrages unterliege.

Mit seiner dagegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat der Kläger ergänzend geltend gemacht, regulärer Fälligkeitstermin sei erst der 01.01.2006 gewesen. Die Kapitalzahlung habe allein dazu gedient, eine am 23.12.2003 erworbene Eigentumswohnung zu finanzieren. Seine gesetzliche Rente betrage lediglich 1.123,56 EUR. Nach Abzug der Wohnkosten und des früheren Beitrags zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 173,03 EUR sei ihm ein Einkommen verblieben, das gerade soeben gereicht habe. Die Erhöhung des monatlichen Beitrags um 246,06 EUR auf 419,09 EUR stelle deswegen eine unbillige Härte für ihn da, mit der er bei Kündigung des Lebensversicherungsvertrages und Kauf der Eigentumswohnung nicht gerechnet habe. Durch die Gesetzesänderung seien seine Vermögens- und Altersdispositionen zunichte gemacht. Das Fehlen einer Übergangsregelung halte er für verfassungswidrig.

Mit Gerichtsbescheid vom 3. Februar 2006, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 8. Februar 2006, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, die Beitragserhebung sei weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Die Direktversicherung sei der betrieblichen Altersversorgung zuzurechnen, da sie die Versorgung des Arbeitnehmers oder seiner Hinterbliebenen im Alter, bei Invalidität oder Tod bezwecke, also der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben dienen solle. Sie werde durch die Art des Versicherungsvertrages - Arbeitgeber als Versicherungsnehmer und Arbeitnehmer als Versicherter - charakterisiert. Ohne die Beschäftigung des Klägers bei der Firma S. wäre die Direktversicherung nicht zustande gekommen. Die Kapitalzahlung aus der Lebensversicherung verliere ihren Charakter als Versorgungsbezug auch nicht dadurch, dass sie teilweise durch eine Eigenleistung des Klägers finanziert worden sei. Würden Versorgungsbezüge aus einer Direktversicherung gezahlt, sei es unerheblich, ob sie auf Leistungen des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers bzw. des Bezugsberechtigten beruhten. Die Beklagte habe auch zutreffend 1/120 der Kapitalzahlung in Höhe von 191.735,62 EUR, also 1.597,80 EUR, als monatlichen Zahlbetrag angesetzt. Dagegen bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Änderung zum 01.01.2004 entfalte zwar eine unechte Rückwirkung, da bis zum 31.12.2003 solche Versorgungsbezüge keinerlei Beitragspflicht unterlegen hätten. Die mit der Änderung verfolgten öffentlichen Belange überwögen aber das Interesse des Einzelnen am Fortbestand des bisherigen Rechts. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hätten Versicherte die Möglichkeit gehabt, die Beitragspflicht der Versorgungsbezüge durch eine entsprechende vertragliche Gestaltung zu umgehen. Die auf diese Weise eröffnete Lücke habe der Gesetzgeber aus Gründen der gleichmäßigen Behandlung aller Betroffenen schließen wollen. Dieser Zweck sei von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Sie entspreche materiell eher dem allgemeinen Gleichheitssatz als die frühere Regelung. Durch eine Übergangsvorschrift, etwa für alle Versicherten, die eine Kapitalabfindung noch vor Verkündung des Gesetzes am 14.11.2003 vereinbart hätten, wäre die Vorschrift auf Jahre hinaus entwertet worden.

Zur Begründung seiner am 17. Februar 2006 eingelegten Berufung trägt der Kläger ergänzend vor, von einer gleichmäßigen Behandlung aller Betroffenen könne keine Rede sein. Das sei schon deshalb nicht der Fall, weil Immobilien krankenversicherungsbeitragsrechtlich anders bewertet würden als Lebensversicherungsverträge. Er dürfe deswegen durch den Erwerb der Immobilie erst Ende 2003 nicht schlechter gestellt werden. Auch habe er die Lebensversicherung bereits am 18.12.2003 gekündigt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. Februar 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Oktober 2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die erstinstanzliche Entscheidung zu Recht ergangen sei. Die Ausführungen zu unterschiedlichen Behandlung gegenüber Immobilieneigentum könnten nicht nachvollzogen werden.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 151 Abs. 1, 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist insbesondere statthaft, da die Berufung eine Beitragsforderung von mehr als einem Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die angefochtenen Einstufungsbescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat aus der Kapitalzahlung der Lebensversicherung Beiträge in der von der Beklagten festgestellten Höhe zu entrichten (vgl. auch Urteile des Senates vom 15.11.2005 L 11 KR 3216/05 und vom 13.12.2005 L 11 KR 4346/05).

Die Beklagte als Einzugsstelle hat nach § 28 h Abs. 2 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) sachlich zuständig über die Versicherungspflicht sowie über die Heranziehung der hier streitigen Zahlung entschieden. In der Kranken- und Pflegeversicherung (insofern § 57 Abs. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung -) darf die Kapitalleistung der Beitragserhebung zugrunde gelegt werden, weil sie eine der Rente vergleichbare Einnahme (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V) im Sinne des § 229 SGB V darstellt. In § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V werden die wiederkehrenden Leistungen aufgeführt, die als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten. Nach Nr. 5 sind dies Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hütten-knappschaftlichen Zusatzversorgung.

Darunter fällt, wie das SG zutreffend festgestellt hat, auch die dem Kläger ausgezahlte Lebensversicherung. Hierbei handelt es sich um eine betriebliche Altersversorgung in diesem Sinne, denn sie wird im Wege einer Gruppenversicherung auf den Todes- oder Erlebensfall des Arbeitnehmers als Begünstigten abgeschlossen, der Arbeitgeber ist aber als Versicherungsnehmer zur Zahlung der Prämien verpflichtet. Die zusätzlich zum Lohn gezahlten Direktversicherungsbeiträge werden pauschal besteuert, wobei der Satz der Pauschalbesteuerung von ursprünglich 10 % schrittweise auf 20 % angehoben wurde (§ 40 b Einkommenssteuergesetz - EStG). Dass eine solche Konstellation bei dem Kläger vorlag, ergibt sich aus den Angaben der A. L.-AG in der Anzeige an die Beklagte vom 25.2.2004. Insofern besteht ein hinreichender Zusammenhang zwischen dem Erwerb der Leistungen aus der Lebensversicherung und der Berufstätigkeit des Klägers.

Dieser hinreichende Zusammenhang bestand auch nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis mit der Folge, dass er ab 01.04.1997 die restlichen Beiträge selbst finanziert hat. Denn es ist ohne rechtliche Bedeutung, ob der Arbeitnehmer eigene Prämienzahlungen erbracht hat. Wer die Auszahlung der Versorgungsbezüge finanziert hat, ist nämlich grundsätzlich unerheblich (BSG, Urteil vom 21.08.1997 - 12 RK 35/96 - und vom 11.10.2001 - B 12 KR 4/00 R -), maßgebend ist allein der - hier vorliegende - erforderliche Zusammenhang mit der früheren Berufstätigkeit des Versicherten.

Da die Kapitalleistung erst nach dem 01.01.2004 fällig wurde, insofern kommt es auf die zeitlich vorgelagerte Kündigung vom 18.12.2003 nicht an, liegt auch keine Verfassungswidrigkeit der Vorschrift vor, da es sich nur um eine unechte Rückwirkung handelt. Regelungen, die nur mit Wirkung für die Zukunft in bestehende Rechtspositionen eingreifen, sind in aller Regel verfassungsrechtlich zulässig und genügen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip. Eine solche unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (BVerfGE 35, 64, 86 - ständige Rechtssprechung). Von unechter Rückwirkung oder auch tatbestandlicher Rückanknüpfung wird auch gesprochen, wenn eine Norm künftige Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig macht (BVerfGE 72, 200, 242; 79, 29, 45 ff.). Bei einer unechten Rückwirkung bzw. einer tatbestandlichen Rückanknüpfung wird somit ein Tatbestand geregelt, der zwar vor Gesetzesverkündung begonnen hat, aber noch nicht vollständig abgeschlossen oder - mit anderen Worten - bereits vor Verkündung "in Kraft gesetzt" worden ist (BVerfGE 97, 67, 79).

Eine echte Rückwirkung liegt dagegen vor, wenn ein Gesetz nachträglich in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (BVerfGE 57, 361, 391) bzw. wenn die Rechtsfolgen für einen vor der Verkündung liegenden Zeitpunkt eintreten sollen und nicht für einen nach oder mit der Verkündung beginnenden Zeitraum (BVerfGE 72, 200, 242).

Während die unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung regelmäßig zulässig ist, weil das vom Gesetzgeber verfolgte Gemeinwohlinteresse in der Regel das Vertrauen des Bürgers auf Fortbestand einer ihn begünstigenden Rechtslage überwiegt, ist die echte Rückwirkung bzw. die Rückbewirkung von Rechtsfolgen durch das Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich verboten (BVerfGE 13, 261, 227) oder bedarf jedenfalls einer besonderen Rechtfertigung (BVerfGE 72, 200, 257).

Vorliegend ist die Lebensversicherung zum 01.01.2004, d. h. nach dem Stichtag der Änderung des § 229 SGB V durch das GMG, zur Auszahlung gelangt. Deswegen handelt es sich um einen Fall der unechten Rückwirkung, so dass der Kläger grundsätzlich in seinem Vertrauen nicht geschützt wird.

Der Senat erachtet deswegen die Vorschrift für verfassungskonform, zumal dadurch gerade Umgehungsmöglichkeiten bei der Beitragspflicht für Versorgungsbezüge beseitigt werden sollten (BT-Drucks. 15/1525 S. 139) und die Neuregelung demnach zu einer gleichmäßigen Behandlung aller Betroffenen führen sollte (vgl. Peters, in: Kasseler Kommentar, § 229 SGB V Rdnr. 16). Deswegen verstößt die Neuregelung auch nicht gegen Art. 3 Grundgesetz, sondern dient gerade der Gleichbehandlung aller Versicherten.

Der Regelung steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Kläger aus der Direktversicherung bereits Sozialversicherungsbeiträge abführen musste. Sofern deswegen eine doppelte Verbeitragung stattfindet, so hat das BSG in ständiger Rechtsprechung dies mit der Verfassung für vereinbar erklärt (vgl. zuletzt Urteil vom 09.02.1993 12 RK 58/92 SozR 3-2500 § 228 Nr. 1), da sich die Beiträge ausschließlich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten richten und Rente wie auch Versorgungsbezüge eine Unterhaltsersatzfunktion haben.

Die Berufung erweist sich damit insgesamt als unbegründet, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG beimisst.
Rechtskraft
Aus
Saved