L 1 U 179/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2865/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 179/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin noch Folgen eines versicherten Unfalls vom 01.10.1999 vorliegen und sie deshalb Anspruch auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. hat.

Die 1952 geborene Klägerin befand sich im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme des Rentenversicherungsträgers unter den Diagnosen Fibromyalgie-Syndrom, Borreliose bis 26.10.1999 in der B.-Klinik, als sie am 01.10.1999 bei der Blutentnahme im Schwesternzimmer über einen Hocker stolperte, zu Boden stürzte und dabei das rechte Sprunggelenk umknickte. Der Röntgenbefund am Unfalltag ergab keinen Anhalt für frische knöcherne Verletzungen. Es wurde eine Distorsion des rechten Sprunggelenks diagnostiziert (Durchgangsarztbericht - DAB - von Dr. F., Chefarzt der Orthopädischen Klinik der B. Klinik, vom 01.10.1999). Am 05.11.1999 ergab der von Dr. M. erhobene Befund eine distale Tibiafraktur mit Gelenkbeteiligung ohne wesentliche Dislokation rechts sowie eine Knieprellung rechts (H-Arztbericht vom 05.11.1999). Wegen auftretender Schmerzen wurde der angelegte Gipsverband entfernt und von Dr. M. eine Unterschenkelvenenthrombose diagnostiziert (Zwischenbericht vom 25.11.1999). Die Klägerin befand sich vom 26.11. bis 16.12.1999 zur stationären Behandlung im städtischen Krankenhaus H., wo neben der Unterschenkelvenenthrombose rechts bei Zustand nach Fraktur des hinteren Volkmann’schen Dreiecks auch eine sympathische Reflexdystrophie des rechten Ober- und Unterschenkels diagnostiziert worden war (Entlassungsbericht des Städtischen Krankenhauses Herbolzheim vom 16.12.1999). Bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit wurde die Klägerin ambulant behandelt. Bei der Untersuchung der Klägerin in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. am 07.02.2000 wegen persistierender belastungsabhängiger Schmerzen im Bereich des rechten oberen Sprunggelenks wurde eine deutlich eingeschränkte Beweglichkeit des Sprunggelenks bei normalem Hautkoloid ohne klinische Zeichen einer sympatogenen Reflexdystrophie erhoben. Aus der Röntgenaufnahme des rechten Sprunggelenks ließ sich eine Fraktur nicht mehr nachvollziehen (Krankheitsbericht von Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor, vom 15.02.2000). Nach einer stationären Behandlung vom 28.02. bis 12.04.2000 in der M.-klinik wurde die Klägerin bei subjektiv gleicher Schmerzsymptomatik und objektiv deutlichem Rückgang der Schwellung am Fuß und am Sprunggelenk sowie gesteigerter Beweglichkeit in die weitere ambulante Behandlung entlassen (Entlassungsbericht der M.-klinik vom 12.04.2000). Bei der nervenärztlichen Behandlung durch Dr. S. ging dieser bei neurologischem Normalbefund zuletzt von einem Restzustand nach Reflexdystrophie sowie von zwei zu vermutenden isolierten Kompressionssyndromen, einmal des Nervus Peronaeus im Kniegelenksbereich und zum anderen von einem hinteren Tarsaltunnelyndrom rechts, aus (Arztbrief vom 23.10.2000). Die Ärztin für psychotherapeutische Medizin Dr. L. bejahte eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit mittelgradiger depressiver Episode mit somatischem Syndrom. Es sei eine Aktualisierung ihrer früheren posttraumatischen Belastungsstörung wegen des schweren Verkehrsunfalls ihres damals 16-jährigen Sohnes, der schwere Schädelhirnverletzungen erlitten habe, aufgetreten (Arztbrief vom März 2001). Eine damit übereinstimmende Diagnose wurde bei der stationären Behandlung ab 16.01.2001 in der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik der Universität F. erstellt (Arztbrief vom 26.02.2001).

Die Beklagte gewährte Verletztengeld bis 29.04.2001. Sie zog u. a. das Vorerkrankungsverzeichnis der K. Krankenkasse vom 12.12.2000 bei, in dem u. a. eine Arbeitsunfähigkeit vom 19.12.1996 bis 08.01.1997 wegen eines schweren Erschöpfungssyndroms und Konfliktsituation mit Somatisierung verzeichnet war.

Außerdem holte sie das Gutachten von Dr. B. vom 23.03.2001 ein, in dem eine posttraumatische Belastungsstörung mangels typischer Symptomatik verneint wurde. Die komplexe Somatisierungsstörung sei unfallunabhängig, denn die vorbestehende Krankheitssymptomatik unter dem Bild einer Fibromyalgie überrage das primär nicht traumatisierend erlebte Unfallereignis. Unter Berücksichtigung der Restausfälle der durchgemachten Reflexdystrophie betrage die unfallbedingte MdE auf neurologischem Gebiet 20 v.H. Im orthopädischen Gutachten von Prof. Dr. H. vom 27.03. 2001 wurden unfallbedingte, objektivierbare Gesundheitsstörungen auf unfallchirurgischem-orthopädischem Fachgebiet als nicht mehr nachweisbar angesehen. Während der Ausheilung der Thrombose sei die Knochenfissur am Schienbein völlig ausgeheilt. Eine Reflexdystrophie habe nicht vorgelegen, denn das Krankheitsbild einer Sudeck schen-Distrophie sei den Arztdokumentationen nicht zu entnehmen. Die bei der Untersuchung demonstrierten Bewegungseinschränkungen seien nicht erklärbar, selbst wenn sie vorlägen, bedingten sie keine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß. In der beratungsärztlichen-nervenärztlichen Stellungnahme vom 28.04.2001 stimmte Privatdozent (PD) Dr. R. der Beurteilung von Prof. Dr. H. zu. Entgegen der Auffassung von Dr. B. fehle es an einem zeitlichen wie auch topografischen Zusammenhang der diskutierten Peronaeusläsion mit dem Unfall. Auch sei das Tarsaltunnelsyndrom rechts ohne Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit, aber auch hier spreche das Argument des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs gegen die Annahme einer Unfallfolge, was jedoch auch nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Mit Bescheid vom 13.06.2001 stellte die Beklagte als Unfallfolge einen Zustand nach folgenlos ausgeheilter Fissur am unteren hinteren Schienbeinende und nach folgenlos ausgeheilter Unterschenkelvenenthrombose am rechten Bein fest, lehnte die Gewährung einer Verletztenrente und Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sowie die Gewährung von Hilfsmittel oder Körperersatzstücken ab.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2001 zurückgewiesen wurde.

Die Klägerin hat beim Sozialgericht Freiburg (SG) am 16.10.2001 Klage erhoben und das im Rechtsstreit mit der B.-Klinik vor dem Landgericht Saarbrücken eingeholte unfallchirurgische Gutachten von Prof. Dr. S.-N. vom 06.12.2001 sowie dessen Ergänzungsgutachten vom 08.01.2003 vorgelegt. Danach seien die körperliche Behinderung und schmerzhafte Minderbelastbarkeit des rechten Fußes ausschließlich Folgen des Unfalls vom 01.10.1999 und der Fehler und Sorgfaltspflichtverletzungen in Diagnostik und Therapie.

In dem vom SG eingeholten orthopädischen Gutachtens vom 08.08.2002 hat Prof. Dr. L. zum Untersuchungszeitpunkt keine Gesundheitsstörungen auf orthopädischem-traumatologischem Fachgebiet diagnostizieren können. Die von der Klägerin geklagten Schmerzen seien zweifelhaft. Eine psychoreaktive Fehlentwicklung sei nicht unfall- sondern persönlichkeitsbedingt. Das Sozialgericht hat das neurophysiologische Zusatzgutachten vom 11.08.2003 und das neurologische Zusatzgutachten vom 26.08.2003, beide von Prof. Dr. M., eingeholt. Darin ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, dass ein neurophysiologischer Normalbefund vorliege und objektivierbare Gesundheitsstörungen auf neurologischem Fachgebiet nicht vorhanden seien. Prof. Dr. F. hat in seinem psychiatrischen Gutachten vom 03.03.2004 eine bei der Klägerin vorliegende anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine rezidivierende depressive, derzeit mittelgradig ausgeprägte Episode beschrieben, die nicht im Unfallzusammenhang stünden. Die Erkrankungen seien schon vor dem Unfall vorhanden gewesen und hätten zu verschiedenen Behandlungsmaßnahmen geführt. Der Unfall habe nur zu einer Zuspitzung der schon vorher bestehenden Symptomatik geführt. Eine psychosomatische-psychotherapeutische Behandlungsbedürftigkeit habe schon vor dem Unfall vorgelegen, die nach dem Unfall gegebene Behandlungsbedürftigkeit sei nicht auf dem Unfall zurückzuführen.

Mit Urteil vom 26.10.2004 hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 24.12.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.12.2004 beim SG Berufung eingelegt. Sie hat im Wesentlichen ihr Vorbringen wiederholt. Dr. B. habe eine unfallbedingte Teil-MdE von 20 v.H. angenommen. Dieses Gutachten sei weder vom SG noch von der Beklagten hinreichend gewürdigt worden. Auch Prof. Dr. S.-N. komme zu unfallbedingten Gesundheitsstörungen, die er mit einem Grad der Behinderung von 35 einschätze.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26.10.2004 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 13.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.09.2001 abzuändern sowie die Beklagte zu verurteilen, sämtliche orthopädischen und neurologischen Beschwerden im Bereich des rechten Unterschenkels und Fußes sowie ein Schmerzsyndrom und eine chronische Somatisierungsstörung als Folgen des Arbeitsunfalls vom 01.10.1999 festzustellen und ihr eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Verwaltungsakt und angefochtenen Urteil des SG.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat das neurologische Gutachten vom 02.05.2006 eingeholt. Darin hat der Sachverständige PD Dr. B. ausgeführt, neurologisch liege derzeit keine Gesundheitsstörung vor. Psychiatrischerseits bestehe eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie der Verdacht einer rezidivierenden depressiven Episode. Diese Symptome seien unfallunabhängig, da bereits in den Jahren vor dem Unfallereignis die Klägerin wegen der unterschiedlichsten Schmerzsyndrome ärztliche und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen habe, was sich auch in der Diagnose einer Fibromyalgie ausdrücke. Den Beurteilungen der sich gutachterlich äußernden Ärzte PD Dr. R., Prof. Dr. M. und Prof. Dr. F. stimme er in vollem Umfang zu. Soweit Dr. B. auf Grund eines chronisch-regionalen Schmerzsyndroms (Morbus Sudeck) eine unfallbedingte MdE von 20 v.H. angenommen habe, könne dies retrospektiv nicht mehr beurteilt werden. Nach den international geltenden Diagnosekriterien liege derzeit eine solche Erkrankung nicht vor. Eine MdE-Einschätzung entfalle.

Die Klägerin hat zum Gutachten vorgetragen, vor dem Oberlandesgericht des Saarlandes sei derzeit noch der Zivilprozess anhängig, in dem weitere Gutachten eingeholt würden. Sie rege das Ruhen des Verfahrens an.

Mit richterlicher Verfügung vom 28.06.2006 sind die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen worden.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des SG beigezogen. Auf diese Akten und die beim Senat angefallene Akte wird im Übrigen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig.

Gem. § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG mit Verfügung des Berichterstatters vom 28.6.2006 hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Die Berufung ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Folgen des Arbeitsunfall und auf Gewährung einer Verletztenrente.

Die Klägerin war als Rehabilitantin zum Zeitpunkt des Unfalls gem. § 2 Abs. 1 Nr. 15 a) des Sozialgesetzbuchs (SGB) VII (Personen, die auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zum medizinischen Rehabilitation erhalten) versichert. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 SGB VII). Mit der Formulierung "infolge eines Versicherungsfalls" bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass die Leistungen nur gewährt werden können, wenn Gesundheitsstörungen durch den Arbeitsunfall rechtlich wesentlich verursacht worden sind. Verletztenrente wird von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII).

Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht. Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286). Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten.

Welcher Umstand entweder für den Eintritt eines Arbeitsunfalls oder - worauf es hier bei der Feststellung der so genannten haftungsausfüllenden Kausalität entscheidend ankommt - für den Eintritt des Gesundheitsschadens als wesentlich angesehen werden muss, ist durch eine wertende Betrachtung aller in Frage kommenden Umstände zu ermitteln. Die einzelnen Bedingungen müssen gegeneinander abgewogen werden; ob eine von ihnen wesentlich den Erfolg mitbewirkt hat, ist anhand ihrer Qualität zu entscheiden. Auf eine zeitliche Reihenfolge oder die Quantität kommt es nicht an. Zur Bewertung der Qualität einer bestimmten Bedingung hat die Rechtsprechung (s etwa BSGE 59, 193 , 195 = SozR 2200 § 548 Nr 77 mwN) vielfach auf die Auffassung des "täglichen" oder "praktischen" Lebens abgestellt. Anders als bei der für das Zivilrecht maßgebenden Adäquanztheorie (stellvertretend BGHZ 137, 11 , 19 ff mwN) folgt daraus keine abstrakt-generalisierende Betrachtungsweise; vielmehr ist die Kausalitätsbewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung vom ex-post-Standpunkt aus anhand individualisierender und konkretisierender Merkmale des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen. Daher kommt es bei der Wertung im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität vor allem darauf an, welche Auswirkungen das Unfallgeschehen gerade bei der betreffenden Einzelperson mit ihrer jeweiligen Struktureigenheit im körperlich-seelischen Bereich hervorgerufen hat (vgl BSGE 66, 156 , 158 = SozR 3-2200 § 553 Nr 1 mwN). Gleichzeitig ist im Rahmen der gegenseitigen Abwägung mehrerer, zu einem bestimmten "Erfolg" führender Umstände der Schutzzweck sowohl der gesetzlichen Unfallversicherung im Allgemeinen als auch der jeweils anzuwendenden Norm - hier des § 56 SGB VII - zu berücksichtigen. Dies führt zu der Wertbestimmung, bis zu welcher Grenze der Versicherungs-schutz im Einzelfall reicht (vgl insgesamt zum Vorstehenden BSG SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m.w.N.; SozR 2200 § 548 Nr. 96).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind über die bestandskräftige Feststellung einer folgenlos ausgeheilten Fissur am unteren hinteren Schienbeinende und einer folgenlos ausgeheilten Unterschenkelvenenthrombose am rechten Bein im angefochtenen Bescheid der Beklagten hinaus keine weiteren Unfallfolgen festzustellen.

Auf orthopädischem Fachgebiet haben dies übereinstimmend Prof. Dr. H. und Prof. Dr. L. in ihren Gutachten vom 27.03.2001 bzw. 08.08.2002 für den Senat nachvollziehbar dargelegt. Sie haben keine auffälligen Befunde von Krankheitswert mehr objektivieren können. Dieser Bewertung entspricht auch der Befund der Chirurgischen Universitätsklinik F. vom 19.02.2001, die ebenso bei der Untersuchung der Klägerin keine krankhaften Veränderungen des oberen Sprunggelenks rechts mehr diagnostizieren konnte.

Auch auf neurologischem Gebiet liegen nach den überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. M. und PD Dr. B. keine objektivierbaren Gesundheitsstörungen vor. Die apparativen und klinischen Untersuchungen der Klägerin haben durchgehend einen unauffälligen Befund ergeben. Die ursprünglich angenommen Reflexdystrophie hat bereits PD Dr. R. in Übereinstimmung mit Prof. Dr. H. verneint, da das krankheitstypische Beschwerdebild den Arztunterlagen nicht zu entnehmen ist. Der Nachweis einer solchen Gesundheitsstörung ist damit nicht geführt - auch nicht unter den von Prof. Dr. M. aufgeführten synonymen Krankheitsbezeichnungen, der ebenfalls in Übereinstimmung PD Dr. R. in der von den behandelnden Ärzten dokumentierten Symptomatik keine Hinweise für eine diesbezügliche sichere Diagnose fand. Die von Dr. B. angenommene Läsion des Nervus peronaeus und das Tarsaltunnelsyndrom konnten nicht verifiziert werden. Nach PD Dr. R. wäre der unfallbedingte Zusammenhang dieser Nervenstörungen auch nicht wahrscheinlich zu machen, da hinsichtlich der Peronaeusläsion ein zeitlicher und topografischer Zusammenhang und für die andere Läsion ein zeitlicher Zusammenhang nicht gegeben ist. Dieser Bewertung hat auch Prof. Dr. M. ausdrücklich zugestimmt.

Auf psychiatrischem Gebiet haben Prof. Dr. F. und in Übereinstimmung damit auch Dr. B. ausgeführt, dass bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung nicht vorliegt, da die dafür notwendigen Kriterien nicht erfüllt sind. Der Diagnose der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik der Universität F. (Prof. Dr. W.) im Hinblick auf eine unfallbedingte somatoforme Schmerzstörung wird sowohl von Prof. Dr. F. als auch von Dr. B. überzeugend widersprochen. Dem hat auch der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige PD Dr. B. zugestimmt. Bei einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sind emotionale Konflikte oder psychosoziale Probleme als Ursachen anzusehen, die psychodynamisch vom seelischen Schmerz in körperlichen Schmerz umgewandelt werden. Aus der Anamnese der Klägerin wird nach Prof. Dr. F. deutlich, dass die eingeschränkte psychische Belastbarkeit mit begleitender Somatisierungsstörung seit vielen Jahren vor dem Unfall bestand und in diesem Zusammenhang auch mehrerer stationäre Behandlungen wie zuletzt in dem B.-Klinikum unter der Diagnose einer Fibromyalgie durchgeführt worden sind. Von daher ist für den Senat überzeugend, dass das Unfallgeschehen Teil des von Dr. B. bereits beschriebenen komplexen Ursachengefüges der unfallvorbestehenden Somatisierungsstörung wurde, ohne als zumindest gleichwertige Bedingung neben die verschiedenen, persönlichkeitsbedingten unfallvorbestehenden Bedingungen zu treten. Die Beurteilung von Dr. B., die vorbestehende Krankheitssymptomatik überrage das nicht traumatisierend erlebte Unfallgeschehen, ist für den Senat nachvollziehbar. Dem entspricht auch die Beurteilung von Prof. Dr. F., der dem Unfall allenfalls eine - im Ergebnis nicht wesentlich ursächliche - Zuspitzung für die unfallvorbestehende Somatisierungsstörung zuspricht. Eine nur von ihm angenommene Verschlimmerung wird daher nachvollziehbar als unfallunabhängig gewertet. Abgesehen davon würde es sich nach Einschätzung des Senats auf Grund der Darlegungen der Sachverständigen allenfalls um eine vorübergehende Verschlimmerung handeln, der die Beklagte mit der Gewährung des Verletztengelds Rechnung getragen hat und die aber nach dem Unfall aufgrund der Eigendynamik der Somatisierungsstörung wieder wesentlich auf die unfallvorbestehenden persönlichkeitsbedingten Zusammenhänge zurückzuführen ist. Die von Prof. Dr. F., wie auch von anderen sich gutachtlich äußernden Ärzten angenommene depressive Störung ist Teil der unfallunabhängigen Schmerzstörung und damit ebenfalls nicht unfallbedingt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus dem vorgelegten Gutachten von Dr. S.-N. nichts anderes. Dem für den Rechtsstreit in Zivilverfahren erstatteten Gutachten liegt eine andere Kausalitätsbewertung zu Grunde, die auf den im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung maßgebenden Gesichtspunkt der wesentlichen Bedingung nicht übertragen werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Senat auch keinen Anlass gesehen, das Verfahren, wie von der Klägerin beantragt, zum Ruhen zu bringen, abgesehen davon dass die Beklagte einen entsprechenden Antrag nicht gestellt hat. Auch die Einräumung einer weiteren Äußerungsfrist war rechtlich nicht geboten. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat außer ihrem pauschalen Hinweis auf weitere Gutachten aus dem Zivilverfahren trotz des Hinweises des Berichterstatters auf die unterschiedlichen Kausalitätsgrundsätze (richterliche Verfügung vom 28.06.2006) nicht dargelegt, welche weiteren, für das sozialgerichtliche Verfahren verwertbaren Erkenntnisse zu erwarten sind.

Eine unfallbedingte MdE von mindestens 20 v.H. lag daher zum Zeitpunkt des Rentenbeginns ab Ende der Verletztengeldzahlung zum 30.04.2001 nicht vor. Die von der Beklagten anerkannten Unfallfolgen haben zu diesem Zeitpunkt keine funktionelle Beeinträchtigung mehr bewirkt. Weitergehende Unfallfolgen sind nicht nachgewiesen bzw. ein unfallbedingter Zusammenhang von Gesundheitsstörungen ist nicht wahrscheinlich. Der MdE-Einschätzung von Dr. B. kann deshalb nicht gefolgt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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