L 7 SO 3704/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 SO 4956/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3704/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. Juli 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Stuttgart (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht den Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Sozialhilfeleistungen nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) ab dem 1. Juli 2006 im Wege der einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b Rdnrn. 25 ff.; Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnrn. 7, 11.). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz 421.21 Hochschulzulassungsrecht Nr. 37; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 123 Rdnrn. 64, 73 ff., 80 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO § 123 Rdnrn. 78 ff.). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927 ff.); Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnr. 58; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnrn. 95, 99 ff.). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggf. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, a.a.O.; NVwZ 2005, a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris), 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B -, FEVS 57, 72 - und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B -, FEVS 57, 164 (jeweils m.w.N. aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung); Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. Rdnrn. 165 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnr. 79; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O. Rdnr. 62).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn bereits der Anordnungsanspruch ist - wie das SG zutreffend erkannt hat - nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

Nach § 21 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) leistungsberechtigt sind, - vom Ausnahmefall des § 34 SGB XII abgesehen - keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII; eine entsprechende Ausschlussregelung ist in § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II vorgesehen. Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Personen, die u. a. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind. Nach der gesetzlichen Definition in § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbsfähig zu sein. Hiervon ist - bis auf Weiteres - beim Antragsteller auszugehen, der bis zur endgültigen Feststellung seiner Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger gemäß § 45 SGB XII oder durch die Agentur für Arbeit gemäß § 44a SGB II Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach SGB II (Arbeitslosengeld II (Alg II)) hat. Bei ungeklärter Erwerbsfähigkeit gilt dies gemäß § 44a Satz 3 SGB II so lange, bis eine verbindliche Feststellung erfolgt ist. Diese Rangfolge ergibt sich eindeutig aus dem Gesetz und entspricht der Systematik der Hilfen zum Lebensunterhalt nach SGB II und SGB XII (vgl. zum Vorrang der Leistungen nach SGB II Beschlüsse des Senats vom 1. Juni 2005 - L 7 SO 1840/06 ER-B -, FEVS 57, 170 und vom 14. Juli 2006 - L 7 SO 3419/06 ER-B -).

Zu den Leistungen nach dem SGB II, welche der Antragsteller bis 30. Juni 2006 bezogen hat, gehört das Alg II, mithin die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung (vgl. § 19 SGB II); im Rahmen des Leistungsbezugs besteht im Übrigen grundsätzlich Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch). Dass das Job-Center Stuttgart die Gewährung dieser Leistungen aufgrund des Bescheids vom 8. Juni 2006 zum genannten Zeitpunkt eingestellt hat, vermag am Nachrang der Leistungen der Sozialhilfe gemäß § 2 SGB XII ebenso wenig etwas zu ändern wie der vom Antragsteller am 11. Mai 2006 gestellte Antrag auf aufstockende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII. Die Einstellung der Leistungen nach dem SGB II erfolgte offenbar deswegen, weil der Antragsteller seinen Mitwirkungsobliegenheiten in Bezug auf die Wahrnehmungen von Terminen beim Jobcenter bzw. zur Durchführung amtsärztlicher Untersuchungen nachhaltig nicht nachgekommen war. Dass er dies nicht getan hat, begründet indes keine Zuständigkeit der Antragsgegnerin (vgl. nochmals § 21 Satz 1 SGB XII). Wie der Senat bereits entschieden hat, liegt es nicht in der Hand des Hilfebedürftigen, durch Verweigerung der Mitwirkung (vgl. hierzu § 60 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) das Eintreten des Trägers der Sozialhilfe zu erzwingen (Beschluss vom 1. Juni 2005, a.a.O.).

Aus demselben Grund fehlt es am Vorliegen eines Anordnungsgrunds. Auch wenn der Antragsteller seit dem 1. Juli 2006 keine Leistungen nach dem SGB II mehr erhält und damit offenbar derzeit ohne staatliche Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums auskommen muss, vermag der Senat eine die Dringlichkeit einstweiligen Rechtsschutzes gebietende Notlage aktuell nicht zu erkennen. Denn der Antragsteller ist zur Vermeidung eigener Rechtsnachteile prinzipiell gehalten, seinen aus dem sozialrechtlichen Leistungsverhältnis folgenden Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen; es kann nicht Aufgabe der Gerichte sein, das auszugleichen, wozu der Leistungsberechtigte aus eigenem Zutun trotz Zumutbarkeit nicht bereit ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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