L 10 R 338/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 982/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 338/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgericht Freiburg vom 8. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von Witwenrente nach § 46 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).

Die am 1950 geborene Klägerin ist die Witwe des am 10. Juni 2000 aus der Ukraine zugezogenen, am 14. Januar 2002 verstorbenen V. S. (nachfolgend: Versicherter). Sie ist als Spätaussiedlerin nach § 4 des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt, der Versicherte war als Ehegatte eines Spätaussiedlers anerkannt worden. Das Versicherungskonto des Versicherten weist umfangreiche Pflichtbeiträge nach dem Fremdrentengesetz (FRG) aus, daneben sechs Monate sonstiger Pflichtbeitragszeiten (wegen der Einzelheiten wird auf den Versicherungsverlauf Aktenseiten 15/16 der Berufungsakte verwiesen).

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2002 und Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2003, der Klägerin am 10. März 2003 zugegangen, ab. Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 46 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 50 Abs. 1 SGB VI) sei nicht erfüllt. Insbesondere könnten bei Tod eines Ehegatten eines Spätaussiedlers, der nach dem 1. Januar 2002 eingetreten sei, Zeiten nach dem FRG nicht anerkannt werden (§ 14a FRG).

Die Klägerin hat hiergegen am 10. April 2003 Klage bei dem Sozialgericht Freiburg erhobenen und insbesondere einen Verstoß der Vorschrift des § 14a FRG gegen Art. 3, 6, 14 und 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gerügt. Das Sozialgericht ist dem nicht gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom 8. Dezember 2005 abgewiesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 16. Dezember 2005 zugestellte Urteil am 16. Januar 2006 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass es sich hier um eine rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsaktes handle. Eine rückwirkende Änderung eines Gesetzes, das in bereits realisierte Ansprüche eingreife, verstoße gegen Art. 14 GG und das Vertrauensschutzprinzip. Die Änderung des Verwaltungsaktes sei lediglich unter Beachtung der Vorschriften der §§ 48 ff Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) möglich, die hier nicht erfüllt seien.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Dezember 2005 und den Bescheid vom 9. August 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, die Ausführungen der Klägerin beträfen offenkundig nicht den vorliegenden Sachverhalt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente dargelegt (§ 46 SGB VI) und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil sie die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt, weil nach § 14a FRG bei ihr Zeiten nach dem FRG nicht angerechnet werden können und der Versicherte lediglich über sechs Monate an Pflichtbeitragszeiten verfügte. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

§ 14a SGB FRG ist nicht verfassungswidrig. Der Regelungszweck der Vorschrift wird aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/4595, S. 78 zu Nr. 14) deutlich. Dort heißt es:

"Die Regelung dient der Verdeutlichung der Unterhaltsersatzfunktion von Witwen- und Witwerrenten. Ausländische Ehegatten von Spätaussiedlern können zwar eingebürgert werden, erlangen seit 1993 dadurch aber nicht mehr die Stellung eines Spätaussiedlers. Sie haben damit auch keinen Anspruch auf eine Rente mit FRG-Zeiten. Ist ein solches Ehepaar in vorgerücktem Alter hierher gekommen, erhält nur der Ehegatte mit Spätaussiedlerstatus eine Rente mit FRG-Zeiten, der andere Ehegatte hingegen nicht. Beide Ehegatten haben damit für ihren Lebensunterhalt in der Regel nur eine Rente zur Verfügung. Verstirbt der Ehegatte ohne Spätaussiedlerstatus, so wächst dem deutschen Ehegatten nach derzeitiger Rechtspraxis jedoch zusätzlich eine Hinterbliebenenrente nach einer fiktiven FRG-Rente des Verstorbenen zu. Dies ist rechtssystematisch nicht gerechtfertigt und sozialpolitisch auch nicht vertretbar. Denn für die Unterhaltsersatzfunktion einer Hinterbliebenenrente ist in Fällen dieser Art kein Raum, weil der Verstorbene zu Lebzeiten selbst keinen Anspruch auf eine Rente mit FRG-Zeiten hatte und insoweit zu einer Unterhaltsleistung auch nicht in der Lage war. Ebenso gibt es sozialpolitisch keinen Sinn, den überlebenden Ehegatten, der nunmehr nur noch für sich allein zu sorgen hat, durch eine zusätzliche Hinterbliebenenrente besser zu stellen als zuvor beide Ehegatten zusammen. Die Regelung sieht demgemäß vor, dass in Fällen dieser Art FRG-Zeiten nicht mehr berücksichtigt werden. Von Ausnahmeregelungen für besondere Bedarfslagen wurde abgesehen. Denn die Betreffenden verfügen in der Regel über geschlossene Erwerbsbiographien im Herkunftsland, die durch die Zuordnung von FRG-Entgelten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung Berücksichtigung finden. Soweit der überlebende Ehegatte aus eigener Erwerbstätigkeit keinen oder einen nur unzureichenden Anspruch auf eine Rente hat oder selbst (noch) nicht rentenberechtigt ist, gibt es keinen Grund, ihn besser zu stellen als überlebende Ehegatten anderer Ausländer, die ihre Alterssicherung in einem Alterssicherungssystem eines Staates aufgebaut haben, aus dem ebenfalls keine Witwen- oder Witwerrenten nach Deutschland erbracht werden. Insoweit muss systemgerecht auf Leistungen der Sozialhilfe verwiesen werden, die durch die in diesem Gesetz enthaltenen Regelungen für über 65-jährige und für dauerhaft voll Erwerbsgeminderte dadurch entscheidend verbessert werden, dass auf den Unterhaltsrückgriff gegenüber Unterhaltsverpflichteten (z. B. die Kinder) verzichtet wird. § 14a gilt nur für Neuzugänge und betrifft im Allgemeinen nur Spätaussiedler, die nach 1993 zugezogen sind, weil die vor 1993 zugezogenen ausländischen Ehegatten von Spätaussiedlern noch Spätaussiedlerstatus haben und damit i. d. R. auch über Anwartschaften auf eine Rente mit FRG-Zeiten verfügen. Die Auswirkungen auf nach dem 6. Mai 1996 zugezogene Personen werden dadurch begrenzt, dass in diesen Fällen der Rentenanteil aus FRG-Zeiten bereits auf einen an der Eingliederungshilfe orientierten Betrag von 25 Entgeltpunkten für Alleinstehende beschränkt ist. Die Regelung wird aber auch hier dazu beitragen, unbillige Ergebnisse in Fällen zu vermeiden, in denen ein erheblicher Teil der Versichertenrente des überlebenden Ehegatten auf hiesigen Versicherungszeiten beruht, so dass diese 25 Entgeltpunkte ohne die vorliegende Regelung weitgehend mit FRG-Zeiten aus einer Hinterbliebenenrente aufgefüllt werden könnten. In Ansprüche, die bei Inkrafttreten der Regelung bereits bestehen, wird aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht eingegriffen."

Der damit beschriebene Regelungszweck ist auch nach Ansicht des Senats nicht als willkürlich anzusehen, so dass ein Verstoß gegen die von der Klägerin genannten Grundrechte nicht ersichtlich ist. Anwartschaften auf Hinterbliebenenrenten sind im Übrigen nicht durch Art. 14 GG geschützt (BVerfG, Beschluss vom 18. Februar1998, 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86, SozR 3-2940 § 58 Nr. 1). Da § 14a FRG nicht rückwirkend in Kraft getreten ist, liegt auch der weitergehende Vortrag in der Berufungsbegründung neben der Sache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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