L 11 KR 411/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 316/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 411/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die rückwirkende Beitragszahlung aus einer Betriebsrente streitig.

Die 1935 geborene Klägerin ist seit März 1977 Mitglied der Beklagten und seit April 1995 als Rentenbezieherin in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtversichert (Beitragsanteil 1/2000 bis 30.06.2000 57,24 DM, 7/2000 bis 30.06.2001 57,60 DM; 7/2001 bis 31.12.2001 58,71 DM; 1/2002 bis 30.06.2002 30,01 EUR; 7/2002 bis 7/2003 32,04 EUR; 7/2003 bis 04/2004 33,78 EUR und 4/2004 bis 31.12.2004 36,18 EUR). Neben ihrer Altersrente (zur Höhe vgl. Bl. 35 f. LSG-Akte) bezieht sie seit Dezember 1995 von der Zusatzversorgungskasse des kommunalen Versorgungsverbandes B.-W. (ZVK), der Beigeladenen, eine Zusatzrente (Betriebsrente), die sich zunächst nur auf 176,43 DM belief. Insoweit hatte die Beklagte die Klägerin bereits mit Schreiben vom 9. Juni 1995 darauf hingewiesen, die gezahlten Versorgungsbezüge lägen unterhalb der Freigrenze der beitragspflichtigen Einnahmen von 1/20 der monatlichen Bezugsgröße (zur Zeit 203,- DM). Krankenversicherungsbeträge seien deshalb zur Zeit nicht zu entrichten, es bestehe dennoch grundsätzlich Beitragspflicht.

Bereits ab März 1997 betrug der Versorgungsbezug 677,24 DM, welches die Beklagte anlässlich einer Prüfung bei der Beigeladenen im Januar 2004 erfuhr. Hinsichtlich der Entgelte bis einschließlich 2004 wird auf die Mitteilungen der Beigeladenen vom 19. und 21. Januar 2004 (Bl. 5 ff. der Verwaltungsakte) verwiesen.

Die Beklagte forderte hierauf die Beigeladene mit Schreiben vom 27. Januar 2004 auf, rückwirkend ab 1. März 1997 die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge im Rahmen des so genannten Zahlstellenverfahrens direkt an sie abzuführen. Mit Schreiben vom gleichen Tag wurde die Klägerin hierüber unterrichtet. Die Beigeladene teilte daraufhin mit Schreiben vom 18. Februar 2004 mit, ein rückwirkender Beitragseinbehalt sei nur möglich, wenn der Leistungsberechtigte durch die Aufrechnung der rückständigen Beträge bis zur Hälfte der laufenden Rente nicht hilfebedürftig im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes werde. Darüber hinaus müssten die gesetzlichen Verjährungsfristen beachtet werden. Es solle deswegen von Seiten der Beklagten geprüft werden, ob der Beitragseinzug für die Zeit bis 29. Februar 2004 nicht unmittelbar bei der Rentnerin vorgenommen werden könne.

Mit Bescheid vom 24. März 2004 forderte die Beklagte die Klägerin daraufhin auf, für die Zeit vom 1. März 1997 bis 29 Februar 2004 die rückständigen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 3.217,79 EUR zu entrichten.

Mit Schreiben vom 23. April 2004 unterrichtete die Beklagte die Klägerin davon, dass ab 01.01.2000 die Zahlstelle die Versorgungsbezüge direkt abführe.

Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch verwies die Klägerin auf eine mögliche Verjährung der Beitragsansprüche.

Hierauf erteilte die Beklagte unter ausdrücklicher Aufhebung des Bescheides vom 27. Januar 2004 einen neuen Beitragsbescheid vom 26. April 2004, mit dem sie insofern dem Widerspruch abhalf, als nur noch Beiträge ab 01.01.2000, soweit diese weder verjährt noch verwirkt seien, eingefordert würden. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen seien die rückständigen Beiträge durch die Zahlstelle aus dem weiterhin zu zahlenden Versorgungsbezug einzubehalten und an die Kasse abzuführen. Nachdem die Klägerin ihren Widerspruch unter Hinweis auf Vertrauensschutzgesichtspunkte aufrecht erhielt, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2004 den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Zahlstellen der Versorgungsbezüge müssten für Versicherungspflichtige, die eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung bezögen, die Beiträge an die zuständige Krankenkasse zahlen. Sei dies in der Vergangenheit unterblieben, müssten die rückständigen Beiträge aus den zu zahlenden Versorgungsbezügen einbehalten werden. Die Klägerin habe durch Erhöhung des Versorgungsbezuges ab 1. März 1997 die Geringfügigkeitsgrenze überschritten, so dass grundsätzlich Beitragspflicht bestehe. Bei dem unterbliebenen Beitragseinzug handle es sich somit um ein bloßes "Nichtstun", welches nach der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keinen Verwirkungstatbestand darstelle. Die geltend gemachte Beitragsnachforderung sei auch nicht verjährt.

Mit ihrer dagegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, aufgrund ihrer Unterrichtung im Jahre 1995 habe sie nicht davon ausgehen können, dass sie noch Beiträge zahlen müsse. Die Beklagte müsse sich zurechnen lassen, dass sie die Errechnung der Kranken- bzw. Pflegeversicherungsbeiträge selbst vorgenommen und der Beigeladenen mitgeteilt habe. Es widerspreche darum dem allgemein gültigen Grundsatz von Treu und Glauben, wenn falsch berechnete Beiträge geltend gemacht würden. Diese Forderungen unterlägen der Verwirkung.

Die Beklagte trat der Klage mit der Begründung entgegen, die Zahlstelle habe sich zwar geweigert, den nachträglichen Beitragseinbehalt vorzunehmen. Durch die zwischenzeitliche Änderung des § 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) habe sich aber das Problem der Prüfung zwischenzeitlich erledigt. Denn nunmehr könne der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweise, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) werde.

Mit Gerichtsbescheid vom 22. Dezember 2005, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 29.12.2005, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, die Beklagte als Krankenkasse dürfe hier, in Prozeßstandschaft für die Pflegekasse handelnd, auch über noch zu entrichtende Pflegeversicherungsbeiträge entscheiden, denn nach § 60 Abs. 3 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) seien diese Beiträge an die Krankenkasse, bei der die zuständige Pflegekasse errichtet sei, zugunsten der Pflegeversicherung zu zahlen. Deswegen bestünde ein rechtliches Interesse der Beklagten an der Entscheidung. Die Klägerin habe auch aus ihren Versorgungsbezügen, die schon seit März 1997 deutlich über der Geringfügigkeitsgrenze lägen, Beiträge zu entrichten. Diese Beiträge habe sie als versicherungspflichtige Rentnerin alleine zu tragen. Für den Zeitraum ab 1. Januar 2000 wären diese auch nicht verjährt gewesen. Ein besonderes Verwirkungsverhalten der Beklagten, das die nachträgliche Geltendmachung der Beiträge als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließe, sei nicht erkennbar. Insbesondere hätten die Schreiben der Beigeladenen vom 18. Juni 2002 und 10. Juni 2003 keine Bedeutung, da sie nicht von der Beklagten stammten. Soweit die Beklagte zum Ausdruck gebracht habe, es sei weithin Aufgabe der ZVK als zuständiger Zahlstelle, die rückständigen Beiträge aus den weiterhin zu zahlenden Versorgungsbezügen einzubehalten, sei auch dies nicht zu beanstanden. Die Prüfung, ob die Klägerin dadurch sozialhilfepflichtig würde, obliege allein der Zahlstelle.

Mit ihrer dagegen am 25. Januar 2006 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der im wesentlichen gleichen Argumentation weiter.

Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Dezember 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sich die Klägerin nicht auf Vertrauen berufen könne, denn es sei zu keinem Zeitpunkt ein Bescheid erlassen worden, nachdem keine Beiträge gefordert würden. Vielmehr sei die Klägerin mit Bescheid vom 9. September 1995 (muss heißen: Juni) ausdrücklich daraufhin gewiesen worden, dass der Versorgungsbezug der Zusatzversorgungskasse grundsätzlich beitragspflichtig sei.

Die mit Beschluss vom 9. Mai 2006 beigeladene ZVK hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da die Beitragsforderung von 1.995,72 EUR die erforderlichre Berufungssumme übersteigt. Die damit insgesamt zulässige Berufung der Klägerin ist indessen nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2004 (insofern musste über den bereits inzident (s. u.) aufgehobenen Bescheid vom 24. März 2004 nicht mehr entschieden werden) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG ergänzend auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des SG, denen sich der Senat anschließt.

Die von der Beigeladenen gezahlte Zusatzrente unterliegt nach § 229 Abs. 1 Nr. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als der Rente vergleichbare Einnahme (Versorgungsbezüge) der Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung. Dies hat zur Folge, dass für die vom 01.01.2000 bis 29. Februar 2004 rückständigen Beiträge aus den Versorgungsbezügen nach §§ 256 Abs. 1, 255 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V die Beigeladene die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung einzubehalten hat. Durch dieses Zahlstellenverfahren wird die Beigeladene aber nicht zur Beitragsschuldnerin (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. März 2004 - L 4 KR 4285/02, nv). Dass die Klägerin somit Beitragsschuldnerin bleibt, hat jedoch nicht zur Folge, dass ihr gegenüber die rückständigen Beiträge mit Verwaltungsakt angefordert werden können (vgl. Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 30.03.2004 - L 13 RA 3690/03 -). Die Beklagte hat deswegen inzident den Ausgangsbescheid vom 24. März 2004 aufgehoben (vgl. Schreiben vom 23. April 2004).

Das hat alles zur Folge, dass von den laufenden Versorgungsbezügen der Klägerin von der Beigeladenen unter Beachtung des § 51 Abs. 2 SGB I die rückständigen Beiträge einzubehalten sind, wobei die Klägerin gegenüber der Beigeladenen nach der maßgebenden Änderung des § 51 SGB I nachweisen muss, dass sie dadurch nicht hilfebedürftig wird.

Die Klägerin kann sich demgegenüber nicht auf Vertrauensschutz berufen. Ein Vertrauen des Beitragspflichtigen, nachträglich keine Beiträge mehr zahlen zu müssen, kann nur durch ein besonderes "Verwirkungsverhalten" des Versicherungsträgers begründet werden. Solche "besonderen Umstände", die die Verwirkung eines Rechts auslösen, das der Berechtigte während eines längeren Zeitraumes nicht ausgeübt hat, liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Wenn vorliegend eine Einzugsstelle rückständige Beiträge nachfordert, so kommt es für die Verwirkung allein auf das Verhalten der Einzugsstelle an und nicht auf das eines Versicherungsträgers, für den die Einzugsstelle die Forderung treuhänderisch geltend macht (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.1978 - 12 RK 6/76 -, SozR 2200 § 1399 Nr. 11). An einem solchen Verwirkungsverhalten der Beklagten fehlt es vorliegend. Diese hat vielmehr bereits mit Bescheid vom 9. Juni 1995 darauf hingewiesen, dass grundsätzlich eine Beitragspflicht aus den Versorgungsbezügen besteht. Auch aus den Schreiben der Beigeladenen an die Klägerin vom 18. Juni 2002 und 10. Juni 2003 ergibt sich nichts anderes, da die Klägerin hier nur über die Anpassung ihrer Betriebsrente unterrichtet wurde und die für sie zuständige Einzugsstelle, nämlich die Beklagte, nicht geregelt hat, dass von einer Beitragsforderung Abstand genommen wird. Der Beklagten war im Gegenteil zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, dass die Klägerin die Geringfügigkeitsgrenzen bereits seit 1997 überschritten hatte.

Nach alledem erweist sich deswegen die Berufung der Klägerin als unbegründet, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
Saved