L 13 AL 1501/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 782/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 1501/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. März 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit wird darüber geführt, ob die Beklagte die Bewilligungsentscheidung über Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 28. August bis 2. Dezember 2001 sowie vom 13. Dezember 2001 bis 27. August 2002 aufheben und die gezahlten Leistungen (EUR 3.841,01) zuzüglich Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung, insgesamt EUR 4.648,81 zur Erstattung fordern darf.

Die 1947 geborene in zweiter Ehe geschiedene Klägerin bezieht aufgrund des Unfalltodes ihres ersten Ehemannes von 1970 sowohl Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel - BG) als auch aus der gesetzlichen Rentenversicherung (frühere Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - BfA); auf die BfA-Rente wird die BG-Rente nach den gesetzlichen Bestimmungen angerechnet. Vom 1. Oktober 1999 bis 31. Oktober 2000 war sie in Teilzeitarbeit zu einem durchgängigen Bruttomonatsentgelt von DM 1514,19 beim Montagebau-Unternehmen ihres Sohnes beschäftigt.

Am 18. Oktober 2000 meldete sich die Klägerin beim damaligen Arbeitsamt (ArbA) N. arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Die Frage nach anderweitigem Leistungsbezug beantwortete sie dahingehend, sie beziehe seit 1970 Witwenrente von "Bundesvers.anstalt/Berufsgen. f. Angestellte". Das ArbA bewilligte durch Bescheid vom 30. November 2000 Alg ab 1. November 2000 für 180 Kalendertage (wöchentliches Bemessungsentgelt DM 380, Leistungssatz A/0 DM 180,95, ab 1. Januar 2001 - Änderungsbescheid vom 15. Januar 2001 - DM 181,44). Der Bezug dieser Leistung endete mit 18. Februar 2001, da die Klägerin anschließend bis 30. April 2001 eine Bildungsmaßnahme CAD Bau/Architektur/Neue Medien besuchte und (deutlich höheres) Unterhaltsgeld bezog. Sodann nahm sie vom 1. Mai bis 9. Juli 2001 den Restanspruch auf Alg (zuvor genannte Daten) in Anspruch.

Beim Antrag auf Alhi vom 9. Juli 2001 gab die Klägerin an, sie beziehe Witwenrente von der BfA; Kopie liege bei. Zu den Akten gelangte die Fotokopie der ersten Seite des Neuberechnungsbescheids vom 15. Mai 2001 mit einem monatlichen Zahlbetrag ab Juli 2001 von DM 274,37. Ein Anrechnungsbetrag ergab sich hieraus nicht. Durch Bescheid vom 12. Juli 2001 (Widerspruchsbescheid vom 13. September 2001, nicht angegriffen) lehnte das ArbA eine Leistung bis 27. August 2001 wegen eines zumutbar zu verwertenden Sparguthabens ab. Die Bewilligung der Alhi vom 28. August 2001 bis 27. August 1002 erfolgte durch Bescheid vom 18. Juli 2001 (wöchentliches Bemessungsentgelt DM 350, Leistungssatz DM 147,56); dies ergab in den Monaten mit 31 Tagen DM 653,48, mit 30 Tagen DM 632,40. Vom 3. bis 12. Dezember 2001 war der Leistungsbezug wegen einer Beschäftigung als Inventurhilfe unterbrochen (bestandskräftiger Aufhebungsbescheid vom 14. Dezember 2001).

Am 13. Dezember 2001 (unterschriftlich 2. Januar 2002) beantragte die Klägerin Fortzahlung. Bei der Frage nach anderweitigen Erwerbsersatzleistungen wurde seitens des Antragsannehmers in grüner Schrift vermerkt "Witwenrente Vorakte". Zu den Akten gelangte nur die Mitteilung der BfA über die Umstellung der Rente zum 1. Januar 2002 auf EUR 140,27 mit der handschriftlichen Angabe der Klägerin "letztes Schreiben der Rentenanstalt". Die Bewilligung für die Zeit vom 13. Dezember 2001 bis 27. August 2002 erfolgte durch Bescheide vom 10. und 14. Januar 2002. Vom 13. bis 31. Dezember 2001 wurden DM 400,52, umgerechnet EUR 204,78 geleistet. Vom 1. Januar bis 27. August 2002 (Ende des einjährigen Bewilligungsabschnitts) belief sich der wöchentliche Leistungssatz bei einem Bemessungsentgelt von EUR 180 auf EUR 75,88; dies waren in den Monaten mit 31 Tagen EUR 336,04, mit 30 Tagen EUR 325,20.

Beim Fortzahlungsantrag vom 26. August 2002 gab die Klägerin eigenhändig an, sie beziehe Witwenrente von der BfA; Bescheid liege bei. Zusätzlich zur jetzt vollständigen Fotokopie des Rentenbescheids vom 15. Mai 2001, der auf Seite 1 der Anlage 7 auf eine Leistung aus der Unfallversicherung in Höhe von (brutto) DM 1.695,36 hinwies, legte die Klägerin auf Rückfrage (Schreiben des ArbA vom 3. September 2002) Fotokopie ihres Kontoauszugs vor, der für August 2002 eine Witwenrente aus der Unfallversicherung von monatlich (netto) EUR 738,98 auswies. Durch bestandskräftigen Bescheid vom 17. September 2002 lehnte das ArbA eine Fortzahlung der Alhi ab, da das Einkommen den Leistungssatz übersteige. Mit Schreiben vom 16. September 2002 hörte das ArbA die Klägerin zur beabsichtigten Aufhebung und Erstattungsforderung bezüglich der Alhi sowie der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt EUR 4.648,81 an. Die Klägerin äußerte sich unter dem 6. Oktober 2002, sie sei sich keiner Schuld bewusst, sie habe nie verschwiegen, dass sie eine Witwenrente bekomme und immer den gesamten Rentenbescheid abgegeben. Durch Bescheid vom 10. Dezember 2002 hob das ArbA die Bewilligungsentscheidung über Alhi für die Zeit vom 28. August bis 2. Dezember 2001 und vom 13. Dezember 2001 bis 27. August 2002 auf und forderte den Gesamtbetrag von EUR 4.648,81 zur Erstattung. Mit dem Widerspruch verblieb die Klägerin dabei, sie habe beim im November 2000 eingereichten Antrag auf Alg beide Leistungsträger angegeben, später den vollständigen Rentenbescheid der BfA vorgelegt - wobei alles kopiert worden sei - und stets den "Überbegriff" Witwenrente verwendet. Es erging der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 12. März 2003. Vertrauen könne nicht beansprucht werden, nachdem die Klägerin in den Anträgen unvollständige Angaben gemacht habe und es sich ihr auch hätte aufdrängen müssen, dass die hohe Rente aus der Unfallversicherung auf die Alhi anzurechnen sei. - Ein Strafverfahren wegen Verdachts des Betruges wurde von der Staatsanwaltschaft R. durch Verfügung vom 26. September 2003 eingestellt, weil betrügerische Absicht nicht nachzuweisen sei.

Mit der Klage zum Sozialgericht Reutlingen ist die Klägerin dabei verblieben, sie habe im November 2000 die Berufsgenossenschaft als Leistungsträger genannt, sodann den "Überbegriff" Witwenrente gebraucht und stets den kompletten Bescheid jedenfalls der BfA abgegeben. Einen Betrug habe sie nie begehen wollen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Klägerin habe in beiden Anträgen auf Alhi nur die Witwenrente (Einzahl) von der BfA angegeben und lediglich Seite 1 des Bescheids der BfA in Fotokopie vorgelegt. Dies erschließe sich daraus, dass die Klägerin eigenhändig hinzugefügt habe, "Kopie liegt bei". Durch Urteil vom 10. März 2005 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es dargelegt, es könne nicht widerlegt werden, dass die Klägerin den vollständigen Bescheid der BfA vorgelegt habe, aus dem auch die Leistung aus der Unfallversicherung zu ersehen gewesen sei. Immerhin habe die Klägerin dann im August 2002 auf die Unfallrente hingewiesen. Auch habe sie selbst bei einem gesamten Renteneinkommen von DM 1.969,73 (Stand Juli 2001) - dabei war freilich die BG-Rente im Bruttobetrag angesetzt - nicht ohne weiteres davon ausgehen müssen, dass sie keinen Anspruch auf Alhi haben würde.

Gegen das am 23. März 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. April 2005 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie verbleibt dabei, die Klägerin könne nach den Gesamtumständen beim Antrag vom Juli 2001 nicht den vollständigen Rentenbescheid der BfA abgegeben haben. Auch dem Antrag vom Dezember 2001/Januar 2002 sei lediglich die Mitteilung der BfA mit dem handschriftlichen Zusatz "letztes Schreiben der Rentenanstalt" beigefügt gewesen. Selbst wenn bei genauer Prüfung der Hinweis auf die Berufsgenossenschaft vom November 2000 hätte bemerkt werden können, unterbreche dies nicht den Ursachenzusammenhang zwischen den unvollständigen Angaben und der rechtswidrigen Bewilligung. Schließlich hätte unabhängig hiervon ins Auge springen müssen, dass bei Renten in Höhe von zusammen über DM 1.600 und einem zuvor bezogenen Alg von etwa DM 780 die niedrigere und bedürftigkeitsabhängige Alhi nicht zustehen könne. Die Bewilligungen hätten nicht einmal einen Anrechnungsbetrag ausgewiesen. Jedenfalls eine Rückfrage habe sich aufgedrängt. Hierfür werde kein Nachprüfen komplizierter Berechnungen verlangt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. März 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht sich die Begründung des angefochtenen Urteils zu Eigen. Selbst wenn nur das Deckblatt des Bescheids der BfA vorgelegt worden sei, hätte das ArbA nachfragen müssen, dass der komplette Bescheid vorgelegt werde. Bei sorgfältiger Prüfung hätte auch die Angabe der Berufsgenossenschaft im Antrag auf Alg erkannt und beachtet werden müssen.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Leistungsakten des ArbA Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts durfte die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden des ArbA die Bewilligungsentscheidung über Alhi für die Zeit vom 28. August bis 2. Dezember 2001 und vom 13. Dezember 2001 bis 27. August 2002 zurücknehmen und den Betrag in Höhe von EUR 4.648,81 zur Erstattung fordern.

Verfahrensrechtliche Grundlage für die Rücknahme eines Verwaltungsakts ist § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Soweit ein begünstigender Verwaltungsakt rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 der Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (vgl. Abs. 1 Satz 1). Auf Vertrauensschutz und Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme (vgl. Abs. 2 Satz 1 und 2) kann sich gemäß Abs. 2 Satz 3 der Begünstigte nicht berufen, soweit u.a. (2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder (3.) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Eine Ermessensausübung ist unter diesen Voraussetzungen im Bereich des Arbeitsförderungsrechts entbehrlich (vgl. § 330 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - SGB III -).

Grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ist dahingehend zu verstehen, dass die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. Bundessozialgericht - BSG - BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 62, 32, 35 = SozR 4100 § 71 Nr. 2). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff, BSGE 35, 108, 112; BSGE 44, 264, 273 = SozR 5800 § 13 Nr. 2; SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Das Außerachtlassen von Hinweisen in einem Merkblatt ist im allgemeinen grob fahrlässig, es sei denn, dass der Betroffene nach seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand die Erläuterungen nicht verstanden hat (BSGE 64, 274, 273).

Die Klägerin hat in den streitigen Zeiträumen Alhi in einer Höhe bezogen (in den Monaten mit 31 Tagen 2001 DM 653,48, 2002 EUR 336,04), die vom Gesamtbetrag der beiden Witwenrenten (Stand Juli 2002 BG-Rente EUR 738,98, BfA-Rente EUR 140,27) um mehr als das Doppelte übertroffen wurde. Damit war aufgrund anzurechnenden Unterhaltsersatzeinkommens offensichtlich die Anspruchsvoraussetzung der Bedürftigkeit (vgl. § 190 Abs. 1 Nr. 5, §§ 193 f. SGB III damaliger Fassung) nicht erfüllt. Eine Differenzierung und Berechnung im Einzelnen ist angesichts der genannten Beträge entbehrlich.

Bei den Anträgen auf Alhi vom Juli 2001 und Dezember 2001 hat die Klägerin jedenfalls grob fahrlässig (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) den Bezug von Rente nur seitens der BfA, nicht jedoch seitens der BG angegeben. Der Antrag vom Juli 2001 ist sorgfältig ausgefüllt, insbesondere was die zugunsten des Anspruchs geltend zu machenden Beträge (Versicherungsbeiträge usw.) betrifft. Dennoch ist als Leistungsträger von Witwenrente nur die BfA genannt. Das Nebeneinander der Leistungsträger BfA und BG war der Klägerin seit dem Unfalltod des ersten Ehemannes 1970, also seit über 30 Jahren geläufig. Bei den Akten befindet sich aber nur das Deckblatt des Rentenbescheids vom 15. Mai 2001 in Fotokopie, auf welche die Klägerin im Antrag hingewiesen hat. Selbst wenn die Klägerin - was der Senat ebenso wie die Beklagte entgegen der Meinung des Sozialgerichts nicht ernstlich glaubt - so wie später beim Antrag vom August 2002 den gesamten Rentenbescheid mitgeführt haben sollte, würde dies nicht ausreichen. Für die Prüfung von Bedürftigkeit und etwaiger Anrechnung genügt der aus dem Deckblatt ersichtliche Zahlbetrag. Den Bediensteten der Beklagten war nicht zuzumuten, ohne Anlass den gesamten Rentenbescheid durchzusehen, um - wie im August 2002 als Anlage 7 vorgelegt - den etwaigen Bezug von Leistungen aus der Unfallversicherung zu ermitteln. Offensichtlich hat die Klägerin, nochmals die Mitführung des vollständigen Bescheids unterstellt, jedenfalls weder schriftlich noch mündlich auf den Bezug der Rente seitens der BG hingewiesen, obwohl der Antrag ansonsten eingehend mündlich durchbesprochen wurde, wie die zahlreich in grüner Farbe angebrachten Eintragungen des Antragsannehmers belegen.

Unter diesen Umständen haben auch die Angaben im weiteren Antrag vom Dezember 2001, eingegangen per Post beim ArbA am 7. Januar 2002, nicht genügt. Die Klägerin war ausdrücklich aufgefordert worden, den Bescheid über die von ihr angegebene Witwenrente vorzulegen. Eingereicht hat sie nur Fotokopie der Änderungsmitteilung der BfA anlässlich der Währungsumstellung zum 1. Januar 2002. Der - offenbar bei der mündlichen Antragstellung am 13. Dezember 2001 festgehaltene - Vermerk "Witwenrente Vorakte" musste unter diesen Umständen ins Leere gehen. Die Vorlage nur der Änderungsmitteilung der BfA musste zwingend den Eindruck erwecken, nur von diesem Leistungsträger werde Rente bezogen. Allein die verstümmelte Angabe im Antrag auf Alg vom Oktober 2000, eine Rente werde auch seitens der "Berufsgen. f. Angestellte" bezogen, vermag die hier gerügten Versäumnisse nicht zu rechtfertigen. Den Bediensteten der Beklagten war es auch insoweit nicht zuzumuten, angesichts fehlender aktueller Angaben auf den Antrag vom Oktober 2000 zurückzublättern und aus dem schlichten verstümmelten Stichwort Schlüsse zu ziehen; wie die Beklagte richtig vorträgt, unterbricht die Nichtbeachtung eines solchen Hinweises nicht den ursächlichen Zusammenhang zwischen fehlerhaften Angaben und rechtswidriger Bewilligung, zumal Ermessenserwägungen selbst bei schwerem behördlichen Mitverschulden nicht anzustellen sind (vgl. § 330 Abs. 2 SGB III). Die Klägerin hat in den beiden maßgeblichen Anträgen den Bezug der Rente seitens der BG jedenfalls grob fahrlässig nicht angegeben.

Ebenso ist der Tatbestand grob fahrlässiger Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bewilligung (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X) erfüllt. Die Klägerin hat (Stand Juli 2002) Alhi in Höhe monatlich bis zu EUR 336,04 bezogen, ohne dass irgend ein Anrechnungsbetrag ausgewiesen war. Demgegenüber haben die beiden Witwenrenten zusammen (EUR 738,98 + 140,27) EUR 879,25 betragen. Alhi ist, was allgemein bekannt ist und sich der Klägerin jedenfalls spätestens beim erkennbar sorgfältigen Ausfüllen des Erstantrags auf Alhi aufdrängen musste, eine bedürftigkeitsabhängige Leistung. Dann aber konnte es offensichtlich nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn der Bezug zweier Renten mit einem über doppelt so hohen Gesamtbetrag unschädlich, ja sogar völlig anrechnungsfrei bleiben sollte. Dies musste sich ihr bei der Lektüre der Bescheide ohne weiteres aufdrängen.

Einschränkungen der Urteils- und Kritikfähigkeit der Klägerin, die über viele Jahre als Gastwirtin tätig gewesen war, sind nicht ersichtlich. Insbesondere war sie, um dies nochmals zu betonen, zu sorgfältiger Ausfüllung ihrer Anträge in der Lage. Sie vermag auch nicht damit durchzudringen, der überschlägigen Prüfung der wesentlichen Faktoren der Leistung im Bescheid enthoben gewesen zu sein. Damit war sie auch nicht überfordert. Letztlich musste sie im Termin zur mündlichen Verhandlung auch einräumen, entgegen ihrer Verpflichtung das ausgehändigte umfangreiche Ausführungen zur Anrechnung von Einkommen, insbesondere von Renten auf die Alhi enthaltende Merkblatt nicht gelesen zu haben. Allein dies würde, wenn sie die Rechtswidrigkeit deshalb nicht erkannt hätte, grob fahrlässige Unkenntnis begründen.

Der Senat weicht auch nicht von der Entscheidung des BSG in SozR 3-1300 § 45 Nr. 45 ab, auf die sich die Klägerin offenbar im Termin zur mündlichen Verhandlung bezogen hat. Dieses Urteil betraf die Rechtmäßigkeit der Zurücknahme einer Bewilligung von Alg wegen einer von der Beklagten unzutreffend zugrundegelegten Steuerklasse und Leistungsgruppe, obwohl der dortige Kläger keine falschen Angaben zur Steuerklasse gemacht hatte und sich die Zuordnung von Tatsachen (Steuerklasse) zu gesetzlichen Merkmalen (Leistungsgruppe) nicht aus der in einer Bescheidbegründung dargestellten Subsumtion ergab. Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Denn der Klägerin, die die Höhe ihrer Witwenrenten kannte, musste sich bei der Lektüre der Bewilligungen ohne weiteres aufdrängen, dass die Bewilligung von Alhi unmöglich rechtens sein kann, weil die Witwenrenten die Alhi um mehr als das Doppelte übertrafen und die Alhi nur geringfügig unter dem Leistungssatz für das Alg lag, beide Witwenrenten also unmöglich angerechnet sein konnten.

Der gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstattende Betrag der Alhi von EUR 3.841,01 ist zutreffend errechnet (vgl. Zahlungsnachweise der Beklagten). Auf Verbrauch der Leistung oder Fähigkeit zur Erstattung kommt es vorliegend nicht an; über letzterer Modalitäten ist hier nicht zu entscheiden (ständige Rechtsprechung und Praxis).

Gemäß § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der bis 2004 geltenden Fassung gilt: Wurden von der Bundesagentur für einen Bezieher von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt, so hat der Bezieher dieser Leistungen der Bundesagentur die Beiträge zu ersetzen, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist. Dies gilt (vgl. Abs. 5) entsprechend für die soziale Pflegeversicherung. Bezieher von Alhi waren versicherungspflichtig in der Krankenversicherung (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V). Als beitragspflichtige Einnahmen galten 58 vom Hundert des Bemessungsentgelts (vgl. § 232a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V damaliger Fassung). Von diesem ausgehend hat das ArbA unter Berücksichtigung des Beitragssatzes der DAK von 13,8 v.H. (2001) und 14,5 v.H. (2002) Beiträge von insgesamt EUR 742,50 errechnet; die Berechnung Bl. 82 Rückseite der Leistungsakte, die sich der Senat zu Eigen macht, lässt keinen Fehler erkennen. Ähnlich zu berechnen sind (zur Versicherungspflicht § 20 Abs. 1 Nr. 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch - SGB XI -) die Beiträge zur Pflegeversicherung, wobei als beitragspflichtige Einnahme die gezahlte Arbeitslosenhilfe galt (vgl. § 57 Abs. 1 SGB XI); beim Beitragssatz von 1,7 v.H. (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) ist der Gesamtbetrag von EUR 65,30 zutreffend errechnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
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