L 11 R 2622/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 3845/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2622/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Sind Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto bereits in einer Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit eines anderen Staates "enthalten", ist das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20.06.2002 nicht anwendbar.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. April 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Altersruhegeld (ARG) aufgrund von "Ghetto-Beitragszeiten" wegen einer Beschäftigung im Ghetto T. vom 03.08.1942 bis 01.02.1943 nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20.06.2002 (ZRBG; BGBl. I 2002 S. 2074).

Der im Dezember 1924 in Prag (Tschechien) geborene Kläger ist jüdischer Abstammung. Vom 03.08.1942 bis 01.02.1943 hielt er sich im Ghetto T. auf. Am 01.02.1943 wurde er in das Konzentrationslager A. und später nach B. deportiert. Nach dem Krieg studierte der Kläger in P. Medizin und war dort anschließend bis 1968 als Arzt beschäftigt. Im September 1968 zog er in die S. und arbeitete auch dort als Arzt bis März 1988. Im Jahre 1982 erwarb er die schweizerische Staatsbürgerschaft.

Am 24.04.2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von ARG unter Berufung auf die Vorschriften des ZRBG. In einem Fragebogen gab er an, er habe im Ghetto T. vom 03.08.1942 bis 01.02.1943 eine Beschäftigung ausgeübt (Sägen von Eisenbahnschwellen, Leichenbestattung). Auf dem Weg von und zur Arbeit und während der Arbeit sei er nicht bewacht worden. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung der Ghetto-Verwaltung zustande gekommen. Die Arbeitszeit habe zehn bis zwölf Stunden täglich betragen. Er habe für die Arbeit Ghetto-Kronen und zusätzliche Verpflegung erhalten. Die Höhe des Barlohns sei nicht erinnerlich. Er sei nicht als Verfolgter anerkannt. Zeugen wurden nicht benannt.

Der Kläger legte eine Fotokopie der Evidenzkarte aus der Kartei der deportierten Personen vor, wonach er am 03.08.1942 nach T. deportiert worden war und von dort am 01.02.1943 weiter nach A ...

. Die Beklagte holte über die zuständige Verbindungsstelle, die LVA N.-O., eine Auskunft des tschechischen Versicherungsträgers darüber ein, ob ein tschechischer Rentenanspruch bestehe, ob in der tschechischen Rente auch die Zeit des Aufenthalts im Ghetto berücksichtigt werde und ob diese Zeiten in der Rentenberechnung enthalten seien. Die tschechische Verwaltung der Sozialversicherung teilte am 28.01.2004 mit, dass dem Kläger ab 01.01.1996 eine Altersrente gemäß § 29 des Gesetzes Nr. 155/95 der Gesetzessammlung zuerkannt worden sei. Für die Höhe der Altersrente sei die Dauer der Widerstandstätigkeit vom 03.08.1942 bis 05.05.1945 als Ersatzzeit-Versicherungszeit bewertet und diese Dauer der Widerstandstätigkeit bei der Berechnung der Altersrente berücksichtigt worden. Es wurde eine Bestätigung tschechischer Versicherungszeiten nach dem Abkommen über soziale Sicherheit vom 27.07.2001 übersandt. Danach wurde der Zeitraum vom 03.08.1942 bis zum 05.05.1945 im Versicherungsverlauf als gleichgestellte Zeit anerkannt.

Der Kläger legte eine Kopie des tschechischen Rentenbescheides vom 26.01.1999 vor und verneinte den Erhalt von Fürsorge- bzw. Ergänzungsleistungen durch die schweizerische Alters- und Hinterbliebenenversicherung.

Mit Bescheid vom 26.02.2004 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Die vom Kläger geltend gemachte Beschäftigungszeit vom 03.08.1942 bis 01.02.1943 sei in vollem Umfang als gleichgestellte Zeit in dem ausländischen Versicherungsverlauf enthalten. Das ZRBG finde keine Anwendung, soweit für diese Zeiten bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werde. Damit solle eine Doppelleistung für denselben Sachverhalt vermieden werden. Eine Leistung nach dem ZRBG komme nicht in Betracht, wenn der Zeitraum der Beschäftigung im Ghetto im ausländischen Versicherungsverlauf enthalten sei und die ausländische Rente auch tatsächlich regelmäßig gezahlt werde. Es komme nicht darauf an, welchen Charakter diese Zeit nach dem ausländischen Recht habe, ob sich diese Zeit in der Berechnung der ausländischen Rente überhaupt auswirke und wie hoch diese Leistung sei. Es ergäben sich nach Aktenlage auch keine Anhaltpunkte dafür, dass eine Anrechnung des genannten Zeitraumes nach dem Fremdrentengesetz (FRG) oder sonstigen Vorschriften möglich wäre. Auf die Wartezeit von fünf Jahren für eine deutsche Regelaltersrente könnten somit keine Versicherungszeiten angerechnet werden.

Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs machte der Kläger geltend, die Ghetto-Arbeitstätigkeit sei vom tschechischen Versicherungsträger lediglich mit einer Ersatzzeit bewertet worden. Nach dem Sinn und Zweck des ZRBG sei jedoch erforderlich, dass die Zeit der Ghetto-Arbeitstätigkeit als Beitragszeit anerkannt werde. Weiterhin übersehe die Beklagte, dass die vom tschechischen Versicherungsträger pauschal anerkannte Widerstandszeit keine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit darstelle. Die Anerkennung einer Widerstandszeit stelle eine reine Ermessensentscheidung dar und werde zudem vom tschechischen Verteidigungsministerium vorgenommen.

Die LVA N.-O. übersandte der Beklagten eine Stellungnahme des tschechischen Versicherungsträgers zur Frage der tschechischen Rentenleistungen für Zeiten der Arbeitstätigkeit in einem Ghetto, die zu einer Anfrage der Verbindungsstelle vom 09.02.2004 abgegeben worden war. Darin wurde mitgeteilt, dass Zeiten der Tätigkeit in der Widerstandsbewegung gemäß dem Gesetz Nr. 255/1946 der Gesetzessammlung nach § 9 Abs. 1 Buchst. c) des Gesetzes Nr. 100/1988 der Gesetzessammlung als Ersatzzeit gelten würden. Sofern ein Versicherter eine Leistung aus der Rentenversicherung beantrage und nachweise, dass er Teilnehmer an der nationalen Widerstandsbewegung für die Befreiung nach dem Gesetz Nr. 255/1946 sei, werde ihm diese Zeit für seine Versicherungszeit als Ersatzzeit angerechnet, sofern die Beschäftigung mindestens ein Jahr bestanden habe. Bei Renten, auf die der Anspruch bis zum 30.06.1998 entstanden sei, würden alle Ersatzzeiten in die Versicherungszeit für den Anspruch und die Rentenhöhe in vollem Umfang angerechnet, sie seien somit alle gleichwertig, sofern die Voraussetzungen für ihre Anrechnung erfüllt seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück: Der Kläger erhalte seit 01.01.1996 von der tschechischen Verwaltung der Sozialversicherung (CSSZ) in P. eine Altersrente. Dabei sei u.a. die Zeit der Widerstandstätigkeit vom 03.08.1942 bis 05.05.1945 als Ersatzversicherungszeit bewertet und mit der gesamten Dauer bei der Berechnung der Altersrente zugrunde gelegt worden. Nach Auskunft des tschechischen Versicherungsträgers gelte die Zeit der Tätigkeit in der Widerstandsbewegung im tschechischen Rentenversicherungsrecht als Ersatzzeit. Bei Renten, auf die ein Anspruch bis zum 30.06.1998 entstanden sei, würden sämtliche Ersatzzeiten als Versicherungszeit bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt und bei der Berechnung der Rente in vollem Umfang angerechnet. Durch den Bezug einer regelmäßig gezahlten Leistung aus der tschechischen Sozialversicherung, bei der die vom Kläger geltend gemachte Zeit der Beschäftigung im Ghetto T. vom 03.08.1942 bis zum 01.02.1943 bereits voll umfänglich berücksichtigt sei, lägen die in § 1 Abs. 1 ZRBG gesetzlich festgelegten Voraussetzungen für eine Anwendung dieses Gesetzes nicht vor.

Deswegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) mit der Begründung, die vom tschechischen Versicherungsträger pauschal anerkannten Widerstandszeiten stellten keine Beitragszeiten, sondern lediglich Ersatzzeiten dar. Solche Ersatzzeiten könnten keinen Anspruch nach dem ZRBG ausschließen. Das ZRBG spreche in § 2 ausdrücklich von Ghetto-Beitragszeiten, so dass es erforderlich sei, dass die geltend gemachte Beschäftigungszeit auch tatsächlich als Beitragszeit in einem ausländischen System der sozialen Sicherheit bewertet werde. Die Beklagte übersehe auch, dass die vom tschechischen Versicherungsträger anerkannte Widerstandszeit keine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit darstelle. Die Anerkennung einer Widerstandszeit erfolge aufgrund einer reinen Ermessensentscheidung und werde zudem vom tschechischen Verteidigungsministerium vorgenommen. Ein Rechtsanspruch auf die Anerkennung der pauschalen Widerstandszeit und auch eine Leistung hieraus bestehe nicht. Dies ergebe sich aus einer Stellungnahme des tschechischen Ministeriums für Arbeit und Soziales vom 01.06.2004. Der Kläger fügte eine Stellungnahme des Ministeriums für Arbeit und Soziales, P., vom 01.06.2004 bei, wonach auf die Ausstellung eines Zeugnisses über die Widerstandstätigkeit gemäß § 8 des Gesetzes Nr. 255/1946 kein Rechtsanspruch oder ein gerichtlich einklagbarer Anspruch bestehe. Sämtliche Dokumente gemäß dem Gesetz 255/1946 Gesetzessammlung würden durch das Verteidigungsministerium der tschechischen Republik ausgestellt. In seiner ursprünglichen Fassung habe das Gesetz Nr. 255/1946 Gesetzessammlung eine Reihe von Vorteilen für die Beteiligten am nationalen Befreiungskampf enthalten. Diese Bestimmungen hätten jedoch nur eine zeitlich begrenzte Wirksamkeit gehabt. Die Rentenvorteile oder -abweichungen für die Beteiligten am nationalen Befreiungskampf hätten nicht den Charakter von Rentenansprüchen in einer "reinen" Gestalt, sondern in Form einer Anerkennung (für die "aktiven" Beteiligten), bzw. einer Entschädigung (für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung).

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Zeiten des Aufenthalts in einem Ghetto würden in der tschechischen Rentenversicherung als Ersatzzeit berücksichtigt, wenn nachgewiesen werden könne, dass der Versicherte nach dem Gesetz Nr. 255/1946 als Verfolgter anerkannt worden sei. Das Argument, die Anerkennung von Widerstandszeiten habe nicht den Charakter einer Rentenleistung, sondern stelle eine Entschädigung für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung dar, sei bei der Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG nicht relevant, weil dort auf den Charakter der Leistung nicht abgestellt werde. Erforderlich sei nur, dass der Zeitraum der Beschäftigung im Ghetto im ausländischen Versicherungsverlauf enthalten sei und die ausländische Rente tatsächlich regelmäßig gezahlt werde.

Mit Urteil vom 29.04.2005, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 10.06.2005, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, der Kläger habe im Laufe seines Erwerbslebens keine Rentenanwartschaften nach deutschem Recht erworben. Auch das ZRBG finde auf den Kläger keine Anwendung, da für den streitigen Zeitraum vom 03.08.1942 bis zum 01.02.1943 bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werde. Dies ergebe sich aus der Bestätigung der tschechischen Verwaltung der Sozialversicherung vom 28.01.2004, dem der Rentenberechnung der tschechischen Rentenversicherung zugrunde liegenden Versicherungsverlauf sowie aus dem Schreiben des tschechischen Rentenversicherungsträgers an die LVA N.-O. vom 22.03.2004. Danach seien im Falle des Klägers, der seine Rente seit dem 01.01.1996 und damit vor dem 30.06.1998 erhalte, sämtliche Ersatzzeiten in die Versicherungszeit für den Anspruch und die Rentenhöhe in vollem Umfang berücksichtigt worden. Bei der Altersrente, die der Kläger von der tschechischen gesetzlichen Rentenversicherung erhalte, handle es sich um eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit, denn wie die deutsche gesetzliche Rentenversicherung sei auch dies ein System, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen worden seien für die Absicherung gegen Invalidität, Alter und Tod. Die Rente werde dem Kläger auch tatsächlich ausgezahlt. Der Gesetzgeber habe mit Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 1 HS. 2 sowie S. 2 des ZRBG eine Doppelleistung für denselben Sachverhalt ausschließen wollen. Ob auf die Berücksichtigung der Zeiten ein Anspruch bestanden oder die Gewährung eine Ermessensentscheidung dargestellt habe, sei nicht erheblich. Entscheidend sei, dass die betreffenden Zeiten bei der Rentenberechnung tatsächlich Berücksichtigung gefunden hätten. Auch wenn die Ausstellung eines Zeugnisses über die Zeit der Widerstandstätigkeit eine Ermessensentscheidung sei, die vom tschechischen Verteidigungsministerium getroffen werde, sei im vorliegenden Fall letztlich eine Anerkennung des Zeitraums vom 03.08.1942 bis 05.05.1945 als Widerstandszeit erfolgt, was eine rentensteigernde Anerkennung des Zeitraums als Ersatzzeit durch den tschechischen Rentenversicherungsträger zur Folge gehabt habe. Die Kammer folge nicht der Auffassung des Klägers, dass nur Beitragszeiten in einem ausländischen System der Sozialversicherung geeignet seien, die Anwendung des ZRBG auszuschließen. Sowohl aus der Formulierung des Gesetzes als auch der Gesetzesbegründung sei zu schließen, dass eine Anerkennung als Beitragszeit durch den ausländischen Rentenversicherungsträger gerade nicht erforderlich sei. Ob die Beschäftigungszeit des Klägers vom 03.08.1942 bis 01.02.1943 im Ghetto T. als Beschäftigung im Sinne von § 16 Abs. 1 FRG anzusehen sei, könne offen bleiben, da weder vorgetragen noch ersichtlich sei, dass das Fremdrentengesetz auf den Kläger Anwendung finde.

Hiergegen richtet sich die am 28.06.2005 eingelegte Berufung des Klägers. Er verweist zur Begründung auf sein Vorbringen in der ersten Instanz und trägt ergänzend vor, entgegen der Ansicht des SG erhalte er für den streitigen Zeitraum vom 03.08.1942 bis zum 01.02.1943 keine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit. Das SG verkenne, dass der deutsche rentenversicherungsrechtliche Begriff "Ersatzzeit" nicht mit dem tschechischen rentenversicherungsrechtlichen Begriff "Widerstands- bzw. Ersatzzeit" vergleichbar sei. Es komme allein auf den Charakter dieser Zeit, nicht auf deren Begrifflichkeit an. Das tschechische Verteidigungsministerium sei bis heute zuständig für die Ausstellung von Bescheinigungen über die Teilnahme am Freiheitskampf. Das Gesetz Nr. 255 beinhalte eine Begünstigung bei der Einstellung in den Staatsdienst und bei Staatsbetrieben. Die Bescheinigung im Sinne des Gesetzes Nr. 255 sei auch Voraussetzung für den Erhalt weiterer Begünstigungen wie z.B. kostenlose innerstaatliche Zug- und Busfahrten, verbilligte Gebühren für Telefonanschlüsse, Zuschüsse für Kuraufenthalte, Zuschüsse für Rehabilitationsmaßnahmen, kostenlose Pflegedienste und Befreiung von Kurtaxen. Auch die Berücksichtigung von Widerstandszeiten in der tschechischen Sozialversicherung habe in diesen Gesetzen ihren Ursprung gehabt. Wie sich aus der Stellungnahme des tschechischen Ministeriums für Arbeit und Soziales vom 01.06.2004 ergebe, bestehe kein Rechtsanspruch auf die Anerkennung der Widerstandszeiten und auf eine Leistung hieraus. Demgemäß handle es sich nicht um eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass das tschechische Rentenversicherungssystem eine Höchstrente festlege. Sofern durch andere Beitragszeiten bereits diese Höchstrente erreicht werde, erfolge keine Aufstockung dieser Rente durch die Anerkennung von Widerstandszeiten. Insofern müsse eine Prüfung im Einzelfall erfolgen, ob aufgrund der Anerkennung von Widerstandszeiten überhaupt eine Erhöhung der Rente eingetreten sei. Es liege auch ein Verstoß gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz vor, dass durch die Einordnung in ein System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedsstaates keine Nachteile entstehen dürfen. Über das ZRBG würden die Ghetto-Beschäftigungszeiten als deutsche Beitragszeiten gelten. Bei der von der Beklagten vorgenommenen Auslegung des ZRBG werde der Kläger durch die Einordnung in das tschechische Rentenversicherungssystem gegenüber anderen europäischen Rentenempfängern benachteiligt. Auch seien vorliegend die Verdrängungsregeln (Art. 48 ff.) der europäischen Verordnung über soziale Sicherheit (VO (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72) anzuwenden. Bei dem ZRBG handle es sich nur um ein Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten in das Ausland. Das Gesetz ergänze insoweit andere rentenrechtliche Vorschriften wie z.B. das WGSVG. Dem Grunde nach sei bei ihm ein Anspruch auf Altersrente gegeben, lediglich die Zahlung ins Ausland hätte die Beklagte unter Hinweis auf die Nichtanwendbarkeit des Gesetzes ablehnen können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. April 2005 sowie den Bescheid vom 26. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Altersruhegeld unter Berücksichtigung von Beitragszeiten für eine Tätigkeit im Ghetto T. im Zeitraum vom 03. August 1942 bis 01. Februar 1943 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid vom 26.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Das SG hat ausführlich begründet dargelegt, dass der Kläger keinen Anspruch auf ARG nach Maßgabe des ZRBG hat. Der Senat verweist sowohl zur Darstellung der gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Altersrente und die Anwendung des ZRBG als auch bezüglich der Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Entscheidung.

Der Kläger hat zwar das 65. Lj. bereits im Dezember 1989 vollendet, er hat jedoch keine auf die Wartezeit (§ 35 SGB VI) anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt, aus denen sich - auch unter Berücksichtigung der zwischenstaatlich gebotenen Zusammenrechnung in Deutschland und in Tschechien zurückgelegter Versicherungszeiten (vgl. Art. 24 des deutsch-tschechischen Sozialversicherungsabkommens vom 27.07.2001, BGBl. II 2002 S. 1128; für die Zeit seit dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union vgl. Art. 45 der EG-Verordnung 1048/71) ein Zahlungsanspruch errechnen könnte. Damit können auch keine Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten berücksichtigt werden (§ 250 Abs. 1 SGB VI).

Eine Eingliederung des Klägers in das System der deutschen Rentenversicherung durch Tatbestände des FRG scheidet aus, da der Kläger nicht zu dem begünstigten Personenkreis gehört. Im Übrigen beschränkt § 113 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI - worauf das SG zu Recht hinweist - die Zahlung von Rentenleistungen an im Ausland lebende Berechtigte auf Rentenleistungen aufgrund von Entgeltpunkten von Bundesgebiets- Beitragszeiten, obwohl sie nach Bundesrecht angerechnet werden (vgl. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 113 SGB VI Rdnr. 2). Gleiches gilt für den Anwendungsbereich des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Der Kläger ist im Übrigen nicht als Verfolgter i.S.d. Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt (Bl. 23 Verwaltungsakte), auch ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörte.

Aber auch das ZRBG, das eine Rentenzahlung aus der deutschen Rentenversicherung auch dann vorsieht, wenn unter Anrechnung ausländischer Versicherungszeiten die erforderliche Wartezeit, nicht aber die nach zwischenstaatlichem Recht erforderliche Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten erreicht wird (sog. Minirente, vgl. § 1 Abs. 3 ZRBG), vermittelt dem Kläger keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten, weil die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Gesetzes gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG nicht erfüllt sind.

Der Anwendungsbereich des ZRBG ist vom Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 ZRBG folgendermaßen gefasst: Dieses Gesetz gilt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Diese für die Anwendung des ZRBG erforderliche Voraussetzung einer nicht erbrachten Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit liegt hier auch zur Überzeugung des Senats nicht vor.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren unter Hinweis auf den Charakter der tschechischen Widerstands- bzw. Ersatzzeit weiterhin die Auffassung vertritt, er erhalte für den streitigen Zeitraum vom 03.08.1942 bis zum 01.02.1943 keine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit, vermag der Senat dieser Interpretation nicht zu folgen, weil diese bereits mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht in Einklang zu bringen ist. Bei der Altersrente, die der Kläger von der tschechischen gesetzlichen Rentenversicherung erhält, handelt es sich um eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit, denn auch die tschechische Rentenversicherung ist wie die deutsche gesetzliche Rentenversicherung ein System, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen werden für die Absicherung gegen Invalidität, Alter und Tod. Der Kläger erhält die Rente seit 1996 auch tatsächlich ausgezahlt. In dem der Rentenberechnung zugrunde liegenden Versicherungsverlauf wurde der Zeitraum vom 03.08.1942 bis zum 05.05.1945 als Zeit der Widerstandszeit anerkannt (gleichgestellte Zeit). Dieser Zeitraum wurde als Ersatzzeit -Versicherungszeit bewertet und bei der Berechnung der Altersrente berücksichtigt. Dies ergibt sich aus der Bestätigung der tschechischen Verwaltung der Sozialversicherung vom 28.01.2004 gegenüber der Beklagten (Bl. 125 VA) und aufgrund des Schreibens des tschechischen Sozialversicherungsträgers an die LVA N.-O. vom März 2004 (Bl. 169 VA). Entscheidend ist danach, dass der Kläger seine Rente seit dem 01.01.1996 und damit vor dem 30.06.1998 erhält und die Widerstandszeit als Ersatzzeit in die Versicherungszeit für den Anspruch und die Rentenhöhe in vollem Umfang angerechnet wurde.

Auch der Senat vermag dem Kläger nicht zu folgen, dass nur Beitragszeiten in einem ausländischen System der Sozialversicherung geeignet sind, die Anwendung des ZRBG auszuschließen. Dieser Schluss kann insbesondere nicht aus der Fiktion der Beitragszahlung nach § 2 ZRBG gezogen werden. Denn Voraussetzung für diese Fiktion ist die Anwendbarkeit des Gesetzes, die in § 1 ZRBG geregelt ist. Die Formulierung in § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 des ZRBG stellt jedoch nur auf die Erbringung einer Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit für die Beschäftigungszeiten in einem Ghetto ab. Wie diese Zeiten berücksichtigt werden, ist nicht bestimmt. Auch die Gesetzesbegründung lässt es genügen, dass die Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto bereits in einer Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit eines anderen Staates "enthalten" sind. Damit soll eine Doppelleistung für denselben Sachverhalt ausgeschlossen werden (BT-Drucks. 14/8583, S. 6). Eine Anerkennung als Beitragszeit durch den ausländischen Rentenversicherungsträger ist damit nicht erforderlich.

Es kommt auch nicht darauf an, ob auf die Anerkennung der Widerstandszeit ein Anspruch besteht oder ob diese Entscheidung im Ermessen steht. Entscheidend ist, dass beim Kläger eine Widerstandszeit anerkannt wurde, nur für diese Vorfrage bestand Ermessen. Wenn aber eine Widerstandszeit anerkannt war, bestand nach der Auskunft des tschechischen Rentenversicherungsträgers ein Anspruch auf Anerkennung einer Ersatzzeit, wenn - wie hier - die Widerstandszeit über ein Jahr betrug. Damit wird für diese Zeit eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht. Wie das SG zutreffend dargelegt hat, ist die vorgelagerte Ermessensentscheidung des tschechischen Verteidigungsministeriums nicht geeignet, den Charakter der tschechischen gesetzlichen Altersrente, deren Höhe auch auf der Basis des streitigen Zeitraums ermittelt wurde, als Leistung der sozialen Sicherheit in Frage zu stellen.

Soweit der Kläger einen Verstoß gegen den gemeinschaftlichen Grundsatz, dass durch die Einordnung in ein System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedsstaates keine Nachteile entstehen dürfen, geltend macht, ist darauf hinzuweisen, dass das ZRBG nicht den Kreis der anspruchsberechtigten Verfolgten, der in den Bestimmungen des SGB VI, des WGSVG (§§ 1, 20 WGSVG) und des FRG (§§ 1, 16, 17 a FRG) festgelegt ist, ausweitet. Vielmehr beschränkt sich der Anwendungsbereich des ZRBG auf die Bewertung von Beschäftigungszeiten in einem Ghetto sowie deren Zahlbarmachung ins Ausland, die nach § 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI (Beitragszeiten nach RVO) oder den Bestimmungen des FRG den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt sind. Das ZRBG ändert oder ergänzt nicht die Bestimmungen des SGB VI über das Entstehen und den Bestand eines Stammrechts auf Rente, sondern es betrifft nur den sich aus dem Stammrecht ergebenden monatlichen Zahlungsanspruch. Denn durch die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 ZRBG wird die in § 113 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI vorgesehene "Zahlungssperre" für Leistungen an den besonderen Personenkreis der Verfolgten des Nationalsozialismus, die unter den Bedingungen eines Ghettos beschäftigt waren, beseitigt (vgl. Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13.01.2006 - L 4 RJ 113/04 -). Damit sollen die im Rentenversicherungsrecht durch nationalsozialistisches Unrecht eingetretenen Nachteile insoweit ausgeglichen werden, als der typischerweise im Ausland wohnende betroffene Personenkreis in Zukunft über die ihm zustehenden Leistungen auch verfügen können soll. Die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 und § 3 ZRBG betreffen die Bewertung der Beitragszeiten mit Entgeltpunkten, die Ermittlung des Zugangsfaktors sowie den Rentenbeginn und somit nicht das Entstehen des Rentenstammrechts. Es kommt nicht darauf an, in welchem vom deutschen Reich beherrschten Gebiet die Beitragszeiten zurückgelegt worden sind und in welchem Staat sich der Berechtigte aufhält. Ausnahmen hiervon können sich durch Abkommensrecht ergeben. Der Senat kann hier offenlassen, ob der Kläger durch die Einordnung der Ghettozeiten in das tschechische Rentenversicherungssystem gegenüber anderen europäischen Rentenempfängern benachteiligt wird, denn selbst wenn dem so wäre, wäre dies allein eine notwendige Folge der europarechtlichen Koordinierungen der verschiedenen sozialen Sicherungssysteme und damit schon aus diesem Grunde als mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar hinzunehmen.

Was die vom Kläger schließlich noch geltend gemachte Anwendung der Verdrängungsregelungen (Art. 48 ff.) der europäischen Verordnungen über soziale Sicherheit (VO (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72) angeht, hat der Kläger entgegen seiner Auffassung aufgrund des ZRBG keinen Anspruch auf Berücksichtigung der Beitragszeiten für die Zeit im Ghetto und einen Anspruch auf eine Rente dem Grunde nach, da das ZRBG im Falle des Klägers nicht anwendbar ist.

Die Berufung konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abgewichen wird.
Rechtskraft
Aus
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