L 6 VG 2893/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 VG 2677/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 2893/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zustehen.

Die 1938 geborene Klägerin beantragte am 3. September 2002 beim Versorgungsamt Rottweil (VA) die Gewährung von Beschädigtenversorgung und führte zur Begründung aus, sie sei am 4. Mai 2002 von einem Dritten zweimal zu Boden geworfen worden.

Das VA zog die Akten der Staatsanwaltschaft Rottweil (Az.: 15 Js 7033/02) und des Amtsgerichts Rottweil (Az.: 3 Ds 15 Js 7033/2002 AK 255/03) bei.

Die Klägerin sagte bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 4. Mai 2002 aus, sie habe ihre Wohnung mit einem Einkaufskorb und einem großen Beutel verlassen und zu ihrem PKW gehen wollen. In der vor ihrer Wohnung befindlichen engen Einfahrt sei ein PKW gestanden, dessen Fahrzeugfront zu ihrer Wohnung gezeigt habe. Dieser PKW habe die komplette Einfahrt versperrt, sodass ein Vorbeigehen für sie nicht möglich gewesen sei. Als sie neben diesem Fahrzeug gestanden und nicht vorbeigekommen sei, habe sie in Richtung des Fahrers gesagt, "Ich würde möglichst ganz reinfahren, dann komme ich überhaupt nicht mehr vorbei". Sie habe dem Fahrer durch diese Aussage klarmachen wollen, dass es verboten sei, in der Einfahrt zu parken. Danach habe sie sich durch eine kleine Engstelle zwischen der Fahrerseite des PKW und der Hofeinfahrt hindurchgedrückt. Dabei habe sie ihre beiden Taschen hochheben müssen. Als sie das Auto passiert habe, habe sie gehört, wie der Fahrer zu ihr gesagt habe, "Du blöde Kuh". Ob der Fahrer dabei seine Seitenscheibe heruntergedreht habe oder nicht, wisse sie nicht. Danach habe sie ihre beiden Taschen bei ihrem ca. fünf Meter entfernten PKW abgestellt und sei zu dem geparkten Auto zurückgegangen. Dort habe sie die Fahrertüre des PKW aufgemacht. Gleich darauf sei der Fahrer aus seinem Auto gestiegen und habe sie sofort am Reißverschluss ihres Anoraks ergriffen. Sie habe dabei das Gleichgewicht verloren und sich noch am Arm des Mannes festhalten wollen, was ihr aber nicht mehr gelungen sei. Der Mann habe sie dann, immer noch am Reißverschluss ihres Anoraks haltend, auf den Boden gedrückt und ihr dort zweimal den Kopf auf den Fahrbahnbelag geschlagen. Danach habe er von ihr abgelassen, sodass sie habe aufstehen und zu ihrem PKW gehen können. Als sie dann bei ihrem Auto gewesen sei, sei der Fahrer zu ihr gelaufen. Nachdem sie ihm gesagt habe, sie würde hier wohnen, habe sich der Mann bei ihr entschuldigt und sie hätten sich die Hand gereicht. Als sie dann später nach Hause gekommen sei, habe sie den Vorfall ihrem Sohn geschildert, welcher der Meinung gewesen sei, es sei besser, den Mann bei der Polizei anzuzeigen.

T. L., in dessen am 4. Mai 2002 um 18.48 Uhr entnommenem Blut ein Blutalkoholgehalt von 1,04 Promille gemessen wurde, sagte bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 4. Mai 2002 aus, er sei zusammen mit seiner Freundin S. F. zu deren Oma gefahren. Er sei vielleicht etwas zu dicht an den Eingang gefahren, sodass man nur noch schlecht habe durchgehen können. Es sei noch ca. eine Personenbreite zwischen dem Auto und der Hecke Platz gewesen. Es sei eine Frau aus dem Haus gekommen, die zwei Tüten in der Hand gehalten habe. Als diese an seinem Auto vorbeigegangen sei, habe sie irgendetwas gerufen. Er habe dies nicht genau verstanden, aber es sei klar gewesen, dass sie ihn beleidigt habe. Er habe dann die Türe aufgemacht und "blöde Kuh" zu ihr gesagt. Dann habe er die Türe wieder zugemacht und sie sei dann wieder zu ihm gekommen. Sie habe die Türe geöffnet und dann "mit der rechten Hand so eine Schlagbewegung in Richtung Fahrzeuginnenraum" gemacht. Er habe dann "die linke Hand quasi als Block" hochgehalten. Danach sei er ausgestiegen und habe sie vorne an der Jacke, unterhalb des Kragens, gehalten, dass sie nicht wieder versuchen könne, ihn zu schlagen. Er habe dann zu ihr gesagt, "er lasse das nicht mit sich machen". Dann seien sie ca. vier Schritte zurückgegangen, wobei er sie immer noch an der Jacke festgehalten habe. Er könne nicht mehr genau sagen, wie es passiert sei, dass die Frau nach hinten gefallen sei. Aber er habe sie auf jeden Fall nicht gestoßen. Als sie dann hingefallen sei, habe ihm das natürlich Leid getan, obwohl er sie nicht geschubst oder gestoßen habe. Sie sei dann wieder aufgestanden und zu ihrem Auto gegangen, zu welchem sie vorher auch die beiden Tüten getragen habe. Er sei zu ihr gegangen und habe ihr gesagt, dass es ihm Leid tue. Nachdem sie dessen Kennzeichen notiert habe, habe sie zu ihm gesagt, dass sie vier Söhne mit starken Muskeln habe und dass sie jetzt einen von ihnen anrufen werde. Nachdem er sich nochmals bei ihr entschuldigt habe, habe sie ihm gesagt, sie würde die Entschuldigung annehmen. Als seine Freundin wieder aus dem Haus gekommen sei, seien sie zusammen weggefahren. Im Verlauf der Fahrt sei er von einem anderen Auto überholt worden, welches sich vor seinen Wagen gesetzt und ihn bis zum Anhalten heruntergebremst habe. Sodann sei ein Mann aus der Fahrerseite des PKW ausgestiegen und zu ihm hergekommen. Seine Freundin, welche wohl gesehen habe, dass der Mann eine Waffe in der Hand gehabt habe, habe geschrieen, die Beifahrertüre aufgemacht und sei aus dem Auto gegangen. Dann habe er ebenfalls gesehen, dass der Mann eine Waffe in der Hand gehalten habe. Er selbst habe rückwärts fahren und mit dem Auto flüchten wollen. Da seine Freundin aber schon ausgestiegen gewesen sei, habe sie die offene Beifahrertüre an den Beinen erwischt, sodass sie auf die Straße gestürzt sei. Daher habe er sofort gebremst. Dann sei auch schon der Mann mit der Waffe am Auto gewesen und habe sie durch die offene Scheibe ihm an den Kopf gehalten und gesagt, er solle aussteigen. Er habe dann zu dem Mann gesagt, dass es ihm Leid tue. Der Mann habe dann die Waffe heruntergenommen und gefragt, was das mit seiner Mutter sollte. Als er nochmals gesagt habe, dass es ihm Leid tue, habe sich der Mann umgedreht und sei zu seinem Auto zurückgegangen. Sodann hätten sie ihre Fahrt fortsetzen können. Auf die Frage, wie es zu dem bei ihm gemessenen Atemalkoholtest-Ergebnis von 0,68 mg/l gekommen sei, führte er aus, er habe bis 03.00 Uhr morgens bei einer Feier ca. vier Weizenbier getrunken.

S. F. sagte bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 13. Mai 2002 aus, T. L. habe sie und ihre Cousine M. K. zu ihrer Oma gefahren, während ihr Cousin M. K. im Wagen geblieben sei. T. L. habe das Auto recht nah vor dem Gebäude geparkt, da es sehr stark geregnet habe. Nachdem sie und ihre Cousine ausgestiegen seien, habe sie noch gesehen, wie eine ältere Frau entlang des PKW gegangen sei, während ihr Freund bereits am Rückwärtsfahren gewesen sei. Die Frau sei dann schräg vor dem Auto vorbeigegangen und habe angefangen rumzuschreien, was das soll. "Kann man nicht noch näher hinfahren?". Sie habe nicht weiter darauf geachtet und sei mit ihrer Cousine die Treppen hoch in Richtung der Wohnung der Oma gegangen. Von den Fenstern des Treppenhauses habe sie von oben herab sehen können, dass der PKW ihres Freundes immer noch stehe. In der nächsten Etage habe sie dann gesehen, dass die Fahrertüre des Wagens ihres Freundes offengestanden sei und die ältere Frau in den Fahrgastraum hineingeschlagen habe. Als sie zurückgekommen seien, hätten sie die ältere Frau nicht mehr gesehen. Sie habe dann ihre Cousine und ihren Cousin mit den bei ihrer Oma befindlichen Eltern nach Hause geschickt, da sie die Sache mit ihrem Freund habe besprechen wollen. In Bezug auf die Bedrohung mit der Waffe während der Weiterfahrt machte S. F. dieselben Angaben wie T. L ...

M. K. sagte bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 13. Juni 2002 aus, sie wisse nicht mehr, warum der Freund ihrer Cousine direkt vor der Türe gehalten habe. Die Frau, die ihnen entgegengekommen sei, habe zu ihm gesagt, "ich würde noch näher ranfahren". Vom Treppenhaus im zweiten oder dritten Stock aus habe sie gesehen, dass er und die Frau sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite neben einer Wiese gestritten hätten. Daraufhin sei ihre Cousine wieder hinunter gerannt. Als sie wieder aus dem Fenster geschaut habe, habe die Frau in der Wiese gesessen. Der Freund ihrer Cousine sei neben der Frau gestanden. Anschließend sei ihr Bruder aus dem Fahrzeug gestiegen und zu ihr hochgekommen. Ihre Cousine und deren Freund seien dann weggefahren.

M. K. sagte bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 13. Juni 2002 aus, der Freund seiner Cousine habe direkt vor der Haustüre angehalten, um seine Schwester und seine Cousine aussteigen zu lassen. Als er sich gerade auf den Beifahrersitz gesetzt habe, sei eine Frau auf den Freund seiner Cousine zugekommen und habe gesagt "ich würde noch weiter ranfahren". Anschließend sei die Frau zu ihrem Auto gelaufen und habe in den Kofferraum zwei Tüten eingeladen. Der Freund seiner Cousine habe zu der Frau "blöde Kuh" gesagt, worauf diese wieder zum Auto gekommen sei. Die Frau habe gefragt, wer hier eine blöde Kuh sei, wobei sie nach dem Freund seiner Cousine habe schlagen wollen. Darauf sei dieser ausgestiegen und habe zu der Frau gesagt, "Fang mit mir nicht an". Danach habe er die Frau an der Jacke gepackt und auf die Wiese geschuckt. Anschließend habe er sich bei der Frau entschuldigt, welche daraufhin geschrieen habe, sie werde ihren Sohn auf ihn hetzen, welcher sie alle erschießen würde. Danach sei die Frau aufgestanden und mit ihrem Auto weggefahren.

C. H. sagte bei seiner Anhörung vom 4. Mai 2002 aus, seine Mutter habe ihm erzählt, dass es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihr und einem jungen Mann gekommen sei. Der junge Mann habe sie auf den Boden geschmissen. Seine Mutter habe aber nicht erzählt, dass der junge Mann sie auch geschlagen habe. Er habe sodann diesen Mann suchen und ihm Angst einjagen wollen. Als er diesen gefunden habe, habe er die Waffe auf diesen Mann gerichtet.

In seiner am 30. Oktober 2003 vor dem Amtsgericht Rottweil erfolgten Anhörung führte T. L. aus, die Klägerin habe ihn beschimpft und sie sei gleich aggressiv gewesen. Sie habe die Autotür aufgemacht und habe hereingreifen wollen. Er sei dann ausgestiegen, habe sie an der Jacke angefasst und sie weggedrückt. Sie sei beim Nachhintenlaufen, ohne seine Schuld, auf den Boden gefallen. Er habe zu ihr dann "Du blöde Kuh" gesagt. Nachdem er sie wieder aufgehoben habe, sei er zum Auto zurückgegangen. Er habe sich mehrfach bei der Klägerin entschuldigt. Sie habe zu ihm jedoch gesagt, sie habe vier Söhne und er werde schon sehen.

C. H. führte in seiner am 30. Oktober 2003 vor dem Amtsgericht Rottweil erfolgten Anhörung aus, seine Mutter habe ihm wütend von dem Vorfall erzählt. Er habe dies als Aufforderung, etwas zu tun, verstanden. Seine Mutter habe ihm gesagt, sie sei hingeschuckt worden. Er habe ihr dann gesagt, er werde den Täter suchen, sie habe ihm dann gesagt, "dann fahr mal los". Sie habe ihm auch gesagt, sie sei von dem Mann geschlagen worden.

Mit Urteil vom 30. Oktober 2003 verurteilte das Amtsgericht Rottweil T. L. wegen Beleidigung und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen sowie einem Fahrverbot von einem Monat und C. H. wegen tateinheitlicher Nötigung, gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr sowie fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten auf Bewährung.

Mit Bescheid vom 28. Juli 2004 lehnte das VA den Antrag der Klägerin ab. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass das Verhalten der Klägerin annähernd gleichwertige Bedingung für den Eintritt der Schädigung gewesen sei, weil nach Beiziehung der Akte des Amtsgerichts Rottweil festgestellt worden sei, dass die Klägerin nach dem Beschuldigten im Auto habe schlagen wollen, weshalb durch dieses Verhalten die Leistungen nach § 2 Abs. 1 OEG zu versagen seien. Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 2. August 2004 Widerspruch. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2004 zurück.

Die Klägerin erhob hiergegen am 18. August 2004 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Ihrerseits seien keine Angriffe in Form von Schlägen erfolgt. Sie habe niemanden angegriffen, verletzt oder gar geschlagen. Die Klägerin legte die Atteste des Facharztes für Orthopädie Dr. C. vom 25. Februar 2004 und des Facharztes für innere Krankheiten Dr. B. vom 6. Juni 2004 vor. Die Klägerin trug vor, als sie noch drei Meter vom Auto entfernt gewesen sei, sei die Türe aufgegangen und T. L. sei herausgesprungen, habe sie auf die andere Seite geschleift und sie dreimal "runtergestoßen". Der Beklagte führte aus, die Klägerin habe durch ihr eigenes Verhalten die erlittene gesundheitliche Schädigung mitverursacht, weshalb es im Sinne des § 2 Abs. 1 OEG unbillig sei, ihr Leistungen nach dem OEG zu gewähren.

Das SG zog über Dr. B. den Notfall-/Vertretungsschein des Kreiskrankenhauses R. und die Akten des Amtsgerichts Rottweil bei. Mit Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2005 wies das SG die Klage ab. Ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem OEG scheitere jedenfalls daran, dass solche zu versagen seien, wenn der Geschädigte die Schädigung selbst wesentlich (mit-)verursacht habe oder wenn es aus sonstigen, insbesondere im eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Dies sei hier der Fall. Zum Einen habe die Klägerin das Gerangel mit dem Beschuldigten, in dessen Verlauf sie dann zu Boden gestürzt sei, im Wesentlichen selbst mit heraufbeschworen, indem sie diesen zunächst provoziert und danach die Fahrertür geöffnet und Anstalten gemacht habe, nach dem Beschuldigten zu schlagen. Obwohl dieser sich mehrfach bei ihr entschuldigt habe, habe es die Klägerin für angebracht gehalten, ihm mit ihren vier Söhnen zu drohen sowie ihrem mehrfach vorbestraften Sohn C. H. den Vorfall in drastischer Form zu schildern und dahingehend auszuschmücken, dass sie körperlich stark drangsaliert und mit dem Kopf auf den Boden geschlagen worden sei und damit veranlasst, dass ihr Sohn die Verfolgung aufgenommen und den Beschuldigten massiv bedroht habe.

Gegen den ihr am 29. Juni 2005 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 4. Juli 2005 Berufung eingelegt.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Juni 2005 und den Bescheid vom 28. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen des Ereignisses vom 4. Mai 2002 Beschädigtenversorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Der Senat hat die Akten des Amtsgerichts Rottweil beigezogen und die sachverständigen Zeugenauskünfte des Dr. C. vom 20. September und 12. Dezember 2005 sowie des Dr. B. vom 26. September 2005, welchen jeweils mehrere Arztbriefe beigefügt waren, eingeholt. Hierzu hat der Beklagte die vä Stellungnahme von Dr. R. vom 28. November 2005 vorgelegt. Aus der Akte des Amtsgerichts Rottweil geht hervor, dass die Klägerin am 15. Mai 2002 auf Nachfrage angegeben hat, sie habe die Tür des Wagens geöffnet, um mit dem Beschuldigten zu sprechen, sie habe nicht auf ihn eingeschlagen. Der Beschuldigte sei sofort aus dem Auto gesprungen, habe sie am Kragen gepackt, zu Boden gestoßen und dort definitiv zweimal mit dem Hinterkopf auf die Fahrbahn bzw. den Belag geschlagen. In ihrem an das Bundeskriminalamt gerichteten Schreiben vom 18. Mai 2002 gab die Klägerin an, nachdem sie von dem Beschuldigten mit den Worten "blöde Kuh" beschimpft worden sei, sei sie zu dem Auto des Beschuldigten gegangen und habe ihre Hand ausgestreckt, um das Auto zu öffnen. Da sei der Beschuldigte aus dem Auto gesprungen, habe sie an der Jacke gepackt und sie "wie ein Baby" geschüttelt. Er habe sie auf die Erde in eine Pfütze geworfen, sie nochmals gepackt und ihren Kopf auf die Steine geschlagen.

Die Beteiligten haben mit ihren Schriftsätzen vom 20. Januar und 16. Februar 2006 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten, der beigezogenen Akten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Das SG hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG). Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 OEG) oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 OEG).

Der Senat lässt es dahingestellt, ob das Verhalten des T. L. einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG darstellt. Denn jedenfalls hat die Klägerin die Schädigung durch ihr eigenes Verhalten im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 OEG verursacht.

Zum Bereich der Mitursächlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 OEG gehören alle unmittelbaren, nach natürlicher Betrachtungsweise mit dem eigentlichen schädigenden Tatgeschehen insbesondere auch zeitlich eng verbundenen Umstände. Ein Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 OEG kommt nur in Betracht, wenn das Verhalten des Opfers wesentlich mitursächlich im Sinne der im Versorgungs- und Opferentschädigungsrecht geltenden Kausalitätsnorm, d. h. in etwa gleichwertig mit dem Tatbeitrag des Schädigers gewesen ist (BSG, Urteil vom 18. April 2001 – B 9 VG 3/00 RBSGE 88, 96 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 10). Das ist anzunehmen, wenn sich das Opfer bei seinem Ursachenbeitrag in ähnlich schwerer Weise gegen die Rechtsordnung vergangen hat wie der vorsätzlich handelnde Gewalttäter. Dabei kann für die Bewertung beiderseitiger Tatbeiträge darauf abgestellt werden, welchen Strafrahmen die Vorschriften des Strafgesetzbuches für die begangenen Straftaten vorsehen (BSG, Urteil vom 15. August 1996 – 9 RVg 6/94BSGE 79, 87 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 5; BSG, Urteil vom 6. Dezember 1989 – 9 RVg 2/89BSGE 66, 115 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 7). Auch wenn das Opfer der Gewalttat nicht selbst einen Straftatbestand erfüllt hat, kann ein Leistungsausschluss wegen Mitverursachung in Betracht kommen, wenn sich der Geschädigte etwa durch Provokation entweder grob fahrlässig (leichtfertig) oder gar vorsätzlich (bewusst) der Gefahr einer Gewalttat ausgesetzt und dadurch selbst gefährdet hat (BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 – B 9 VG 6/97 RBSGE 83, 62 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 9). Gleiches gilt, wenn sich das Opfer einer konkret erkannten Gefahr leichtfertig nicht entzogen hat, obwohl es ihm zumutbar und möglich gewesen wäre (BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3; BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 - B 9 VG 6/97 R - BSGE 83, 62 = SozR 3-3800 § 2 Nr 9; BSG, Urteil vom 15. August 1996 - 9 RVg 6/94 - BSGE 79, 87 = SozR 3-3800 § 2 Nr 5; BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 - B 9 VG 2/97 R - SozR 3-1500 § 128 Nr. 12). Leichtfertigkeit setzt einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit im Sinne des Bürgerlichen Rechts entspricht, voraus. Allerdings gilt im Gegensatz zum Bürgerlichen Recht nicht der objektive Sorgfaltsmaßstab des § 276 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), sondern ein individueller, der auf die persönlichen Fähigkeiten des Opfers abstellt (BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 - B 9 VG 6/97 R - BSGE 83, 62 = SozR 3-3800 § 2 Nr 9). Zu prüfen ist danach, ob sich das Opfer auch anders hätte verhalten können oder müssen, weiter, ob es sich der erkannten oder grob fahrlässig nicht erkannten Gefahr nicht entzogen hat, obwohl ihm dies zumutbar gewesen wäre. Dafür ist die gesamte tatnahe Situation, wie sie sich nach natürlicher Betrachtungsweise darstellt, zu würdigen. Ergänzend sind die individuellen Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu berücksichtigen, etwa ob sie seit langem miteinander Umgang hatten und welcher Art der Umgang war, ferner das frühere Verhalten von Täter und Opfer in vergleichbaren Situationen. Zu prüfen ist also, ob das Opfer die Selbstgefährdung erkennen und vermeiden konnte und ob es – unter Berücksichtigung seiner persönlichen Erkenntnisfähigkeit – in besonders schwerem Maße Sorgfaltspflichten verletzt hat. In diesem Zusammenhang ist darauf abzustellen, ob der Geschädigte wegen seines provokativen Verhaltens mit einer so schwerwiegenden Gewalttat hätte rechnen müssen (BSG, Urteil vom 15. August 1996 – 9 RVg 6/94BSGE 79, 87 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 5; BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 – B 9 VG 2/97 RSozR 3-1500 § 128 Nr. 12).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin die Schädigung durch ihr eigenes Verhalten verursacht hat. Die Klägerin hat den Beschuldigten - nach ihren eigenen Angaben - mit den Worten "Ich würde möglichst ganz reinfahren, dann komme ich überhaupt nicht mehr vorbei", und dadurch, dass sie, nachdem sie von ihm als "blöde Kuh" tituliert wurde, zu seinem Wagen ging und die Fahrertüre öffnete, provoziert. Durch diese Provokation hat sich die Klägerin grob fahrlässig der Gefahr einer Schädigung ausgesetzt und sich dadurch selbst gefährdet. Die Klägerin hätte ihre Schädigung durch ein anderes ihr zumutbares Verhalten verhindern können. So hätte es genügt, den Beschuldigten höflich zu bitten, seinen Wagen etwas von der Hauswand zu entfernen, um mit ihrem Einkaufskorb und ihrem Beutel vorbeilaufen zu können, zumal für den Senat das Parkverhalten des Beschuldigten angesichts des regnerischen Wetters nachvollziehbar war. Auch, nachdem die Klägerin vom Beschuldigten als "blöde Kuh" tituliert worden war, war es weder notwendig noch angemessen, sich nochmals zum Wagen des Beschuldigten zu begeben und die Fahrertüre zu öffnen. Die Klägerin hat den Wagen des Beschuldigten - wenn auch mit Schwierigkeiten - passieren können. Die Situation war damit abgeschlossen. Weitere Diskussionen waren trotz der Beleidigung durch den Beschuldigten nicht angemessen. Im Übrigen hat sich die Klägerin selbst auf die Seite des Unrechts begeben, indem sie die Fahrertüre des Wagens des Beschuldigten öffnete. Durch diese Verhalten hat sich die Klägerin einer konkret für sie erkennbaren Gefahr leichtfertig nicht entzogen. Sie hätte bedenken müssen, dass eine Person, die sie mit den Worten "Du blöde Kuh" beschimpft, aggressiv reagiert, wenn die von ihr beschimpfte Person auch noch deren Fahrertür öffnet.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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