L 10 U 3125/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2116/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3125/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Atemwegserkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der am 1951 geborene Kläger, der wegen einer als BK anerkannten Hauterkrankung Leistungen nach § 3 BKV erhielt und seit 1. Oktober 1991 eine Teilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. bezieht (Bescheid vom 28. Oktober 1992), arbeitete von Juni 1973 bis Mai 1974 in der Textilfabrik I., von Mai 1974 bis etwa Anfang 1985 in der Spinnerei Otto, von März 1986 bis Februar 1997 (nach anderen Angaben 1998) bei der Fa. T. Drehmaschinen GmbH, später T. Index (zunächst in der Absägerei mit Kontakt zu Kühlschmierstoffen, dann im Bereich Entgraten, schließlich in der Abteilung Großmaschinenfertigung, wo große Werkstücke ein- und ausgespannt werden mussten, bis 1991 noch samstägliche Maschinenreinigung, sowie ab November 1991 im innerbetrieblichen Transport als Staplerfahrer) und von Dezember 1998 bis September 2000 bei der Fa. R. Kunststofftechnik GmbH (in der Presserei). Während der Tätigkeit bei der Fa. T. , in der größtenteils niedrig legierter Stahl verarbeitet wurde, hatte der Kläger u.a. Kontakt mit den Kühlschmierstoffen Kocher F 17 S, der nicht mehr hergestellt wird und zum Zeitpunkt der von der Beklagten im Rahmen des nachfolgend dargestellten Verwaltungsverfahrens angestellten Gefährdungsanalyse im jetzt nicht mehr existierenden Betrieb auch nicht mehr vorhanden war, sowie (dem im Betrieb bis 1992 verwendeten) Mobilmet 446. Auch während der Tätigkeit als Staplerfahrer ab 1991 enthielt die allgemeine Hallenluft noch Dämpfe von wassergemischtem Kühlschmierstoff und Staub (wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 18. Dezember 2000 sowie die von der Beklagten beigezogenen Merkblätter für den Kühlschmierstoff Kocher F 17 S verwiesen). Bei der Fa. R. hatte der Kläger Kontakt zu glasmattenverstärkten Thermoplasten, Polypropylen, duroplastischem Kunststoff, Styrol und Formenwachs (wegen der Einzelheiten wird auf die Auskunft der Fa. R. vom 7. Dezember 2000 nebst vorgelegten Sicherheitsdatenblättern sowie die Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Holzberufsgenossenschaft vom 15. Januar 2001 und 7. Februar 2001 verwiesen).

Auf die Anzeige des Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde T. - Sch. vom 3. Mai 2000, der den Verdacht eines durch berufliche Einflüsse verschlimmerten Bronchialasthma äußerte, holte die Beklagte u.a. Berichte der behandelnden Ärzte Dr. Sch. , Allgemeinmediziner, und T. - Sch. ein, veranlasste Ermittlungen zu berufsbedingten Belastungen und holte ein Gutachten des Prof. Dr. N. mit einer ergänzenden Stellungnahme sowie gutachterliche Stellungnahmen des Prof. Dr. R. und eine Stellungnahme des Dr. T. ein.

Danach bestehen beim Kläger, der bei Untersuchungen 2001 einräumte, seit 20 Jahren täglich 15 (nach anderen Angaben 20) Zigaretten zu rauchen, eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung, ein geringgradig hyperreagibles Bronchialsystem, Folgen eines chronischen Nikotinabusus, eine polyvalente Typ-I-Sensibilisierung gegenüber Gräserpollen, Roggen und Weizenpollen, eine Kaliumdicromat-Sensibilisierung und eine Hypercholesterinämie (Gutachten Prof. Dr. N. ).

Prof. Dr. N. erachtete die chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung als nicht mit Wahrscheinlichkeit beruflich verursacht, u. a. weil der Kläger langjährig geraucht habe und - wenngleich auch zu berücksichtigen sei, dass sich die Zusammensetzung des Stoffes nach längerem Stehen ändere, die Rezepturen von Charge zu Charge wechselten und die Untersuchung nach vorheriger Medikation erfolgte - die Atemwegsobstruktion bei Exposition mit Mobilmet nicht reproduzierbar gewesen sei. Die bei Fortsetzung der Tätigkeit bei der Fa. ST. bestehende Gefährdung sei durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beseitigt. Prof. Dr. R. schloss sich im Wesentlichen der Beurteilung von Prof. Dr. N. an und kam gleichfalls zum Ergebnis, bei der Tätigkeit als Bediener habe die Gefahr einer Verschlimmerung der Erkrankung bestanden. Dr. T. sah am Arbeitsplatz eine das durchschnittliche Maß übersteigende bronchiale Belastung, die allerdings in ihrer Bedeutung hinter dem Nikotinkonsum und einem offenbar konstitutionell bedingten hyperreagiblen Bronchialsystem zurücktrete und auch nicht wesentliche Teilursache der Beschwerden sei.

Mit Bescheid vom 27. November 2002 und Widerspruchsbescheid vom 9. April 2003 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV ab. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Atemwegserkrankung und der Expositionen am Arbeitsplatz sei nicht wahrscheinlich. Leistungen nach § 3 BKV kämen mangels einer konkreten Gefährdung nicht in Betracht.

Deswegen hat der Kläger am 28. April 2003 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Dieses hat auf seinen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Sachverständigengutachten des Prof. Dr. St. eingeholt. Nachdem dessen Anregung, ihm gebrauchtes Kühlschmiermittel zur Testung zur Verfügung zu stellen, nicht hat nachgekommen werden können, weil gebrauchte Kühlschmierstoffe nicht mehr vorhanden gewesen sind, hat der Kläger auf der Begutachtung bestanden, wobei er erklärt hat, das Gutachten nach der Erstellung nicht mit dem "Argument des ungebrauchten Kühlschmiermittels" anzugreifen. Der Gutachter ist zum Ergebnis gelangt, ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und der Atemwegserkrankung sei nicht nachzuweisen. Es bestehe zwar eine Sensibilisierung gegenüber Phthalsäureanhydrid, doch sei nach der Auskunft der Produzentin des Kühlschmiermittels Mobilmet 446 dieses frei von diesem Stoff.

Mit Urteil vom 16. Juni 2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Die - näher dargelegten - Voraussetzungen für eine Anerkennung einer BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV seien nicht erfüllt. Die außerberuflichen Einflüsse würden als Ursache in der Erkrankung überwiegen. Auch sei die Ablehnung der Gewährung von Maßnahmen nach § 3 BKV nicht zu beanstanden.

Gegen das am 28. Juni 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. Juli 2005 Berufung eingelegt, mit welcher er die Anerkennung einer BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV und die sich aus dieser Anerkennung ergebenden Leistungen begehrt. Atemwegserkrankungen im Zusammenhang mit Kühlschmierstoffen seien keine Seltenheit. Es bestehe eine nachgewiesene Sensibilisierung auf Phthalsäureanhydrid, weswegen eine weitere Sachaufklärung hätte erfolgen müssen. Im Übrigen sei die Testung bei Prof. Dr. St. nicht mit gebrauchtem Schmiermittel erfolgt. Ohne eine solche könne weder ein Ursachenzusammenhang verbindlich festgestellt noch das Ausmaß der Krankheit bzw. Beschwerden aussagekräftig ermittelt werden.

Der Kläger beantragt, zum Teil sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Juni 2005 und den Bescheid vom 27. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2003 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt sowie die Beklagte zu verurteilen, die hieraus sich ergebenden Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Da die Beklagte jedwede Entschädigung ablehnt, weil kein Versicherungsfall eingetreten sei, kann der Kläger eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG erheben. Dies hat der Kläger bei sinnentsprechender Auslegung seines Vorbringens (BSG, Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 45/03 R- in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2) auch getan. Dem auf Entschädigung gerichteten Teil des schriftsätzlich gestellten Antrages kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (BSG a.a.O.).

Anderes gilt hinsichtlich der Ablehnung von Leistungen nach § 3 BKV. Insoweit lehnte die Beklagte auf Grund besonderer Umstände, nämlich einer von Prof. Dr. N. zur Sprache gebrachten möglichen Gefährdung am früheren Arbeitsplatz Leistungen ab. Dementsprechend hat das SG zu Recht über eine solchen Anspruch entschieden.

Eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i. V. m. Nr. 4302 der Anlage zur BKV sind durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass diese Voraussetzungen für den hier vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Feststellung einer BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV und Gewährung von Leistungen nach § 3 Abs. 2 der BKV nicht erfüllt sind. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen lediglich anzumerken, dass der Einwand des Klägers, bei den bisherigen Untersuchungen sei unberücksichtigt geblieben, dass eine Testung nur mit "gebrauchtem" Schmiermittel zu einer ausreichenden Klärung führen könne - ungeachtet dessen, dass er im Klageverfahren ausdrücklich über seinen Bevollmächtigten erklärt hat, er werde sich gegen das Gutachten des Prof. Dr. St. nicht mit dem Einwand wenden, es sei "ungebrauchtes" Kühlschmiermittel zur Testung verwandt worden - ist weder dargetan, noch ersichtlich, wie das nun aus Sicht des Klägers zu verwendende "gebrauchte" Kühlschmiermittel beschaffen, also verunreinigt, sein muss und wie bewiesen werden soll, dass das tatsächlich am Arbeitsplatz des Klägers verwandte Kühlschmiermittel eben diese Verunreinigung aufwies. Zum einen wurde dieses Kühlschmiermittel nur bis 1992 verwandt und sind Reste hiervon nicht mehr vorhanden, zum anderen existiert die Fa. T. nicht mehr. Auch kann es nicht weiterführen und die erforderliche Exposition nicht beweisen, wenn aus einem anderen Mitgliedsbetrieb gebrauchte Kühlschmierstoffe zur Testung verwendet würden, da - wie von der Beklagten plausibel dargetan - nach dem Ergebnis von Untersuchungen die bakterielle Keimbelastung vom Werkstoff, dem Verfahren, den Wartungs- und Pflegemaßnahmen sowie der Standzeit abhängig ist und insofern eine Vergleichbarkeit nicht besteht. Insoweit sieht der Senat weder Veranlassung noch die Möglichkeit für weitere sinnvolle Ermittlungen. Soweit der Kläger für sein Begehren geltend macht, er habe Kontakt zu Phthalsäureanhydrid gehabt, ist dies unbewiesen. Dieses Allergen war nicht in dem Kühlschmierstoff, mit dem der Kläger Kontakt hatte, enthalten, was sich aus dem Ergebnis der Ermittlungen der Dr. Deutsch, Präventionsdienst der Beklagten, ergibt, zu denen sich der Kläger zuletzt auch nicht mehr geäußert hat. Es ist weder dargetan, noch sonst ersichtlich oder gar bewiesen, dass der Kläger Phthalsäureanhydrid ausgesetzt gewesen ist. Im übrigen ergibt sich zur Überzeugung des Senats bereits aus dem Gutachten des Prof. Dr. N. , dass die chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung nicht mit Wahrscheinlichkeit auf berufliche Einwirkungen zurückzuführen ist, sondern im Wesentlichen auf außerberufliche Faktoren wie den jahrelangen erheblichen Nikotinabusus.

Nachdem das SG zu Recht die Klage abgewiesen hat, ist mithin die Berufung zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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