L 10 U 3447/06 A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3447/06 A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Befangenheitsgesuch des Klägers gegen den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. T. wird hinsichtlich der aus der Stellungnahme vom 10.04.2006 hergeleiteten Ablehnungsgründe für unbegründet und im Übrigen für unzulässig erklärt.

Gründe:

Nach § 60 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 42 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter - für Sachverständige gilt Gleiches (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 406 ZPO) - wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist nicht erst dann der Fall, wenn der Richter oder Sachverständige tatsächlich befangen ist, sondern schon dann, wenn ein Beteiligter bei Würdigung aller Umstände und bei vernünftigen Erwägungen Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und der objektiven Einstellung des Richters bzw. Sachverständigen zu zweifeln. Ein im Rahmen gebotener Verfahrensweise liegendes Verhalten kann keinen Ablehnungsgrund begründen.

Der Ablehnungsantrag ist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO vor der Vernehmung des Sachverständigen zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach seiner Ernennung. Nach Satz 2 der Regelung ist die Ablehnung zu einem späteren Zeitpunkt nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen.

Soweit der Kläger sein Ablehnungsgesuch mit Äußerungen des Sachverständigen in dessen Stellungnahme vom 10.04.2006 begründet, ist das Gesuch vom 04.07.2006 im Hinblick auf gestellte Fristverlängerungsanträge fristgerecht erhoben und damit zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Senat kann insoweit ohne Einholung einer Äußerung des Sachverständigen zum Ablehnungsgesuch entscheiden, weil sich die Ablehnungsgründe unmittelbar anhand der Stellungnahme des Sachverständigen beurteilen lassen.

Zutreffend geht der Kläger davon aus, dass der Sachverständige die Wertungen der behandelnden Nervenärztin Dr. O., wonach Nachhallerinnerungen und ein Vermeidungsverhalten bestanden hätten, in Zweifel zieht. Allerdings begründet dies nicht die Besorgnis der Befangenheit. Denn gerade auch die Überprüfung von dritter Seite gestellter Diagnosen gehört zu den zentralen Aufgaben des Sachverständigen. Dies gilt im vorliegenden Fall im Besonderen. Denn für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen Unfall und Gesundheitsstörung ist von ausschlaggebender Bedeutung, ob eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt. Daher hat Prof. Dr. T. völlig zu Recht die Diagnosestellung der behandelnden Ärztin überprüft. Ob seiner Beurteilung dann auch inhaltlich gefolgt werden kann, bleibt der Prüfung des Senats in der Hauptsache vorbehalten. In diesem Zusammenhang steht auch die zwischenzeitlich erfolgte Nachfrage bei Dr. O ...

Vergleichbares gilt für die als widersprüchlich gerügte Textpassage, wonach - so die Wertung des Klägers - Vermeidungsverhalten in Frage gestellt, zugleich aber für die Diagnose als nicht wesentlich eingestuft werde. Unabhängig davon, dass eine widersprüchliche Beurteilung regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit begründet, sondern die Überzeugungskraft des Gutachtens betrifft, sind die Ausführungen des Sachverständigen eindeutig und nachvollziehbar. Die Relevanz des Vorliegens eines Vermeidungsverhaltens wird in der Stellungnahme erkennbar aus dem Umstand hergeleitet, dass im Falle einer posttraumatischen Belastungsstörung ein derartiges Verhalten "häufig zu beobachten" sei. Dass das Vorliegen solchen Verhaltens "letztlich für eine Diagnose aber nicht wesentlich" sei, steht hiermit nicht in Widerspruch. Denn damit unterscheidet Prof. Dr. T. zwischen für eine Diagnose zwingend erforderlicher Symptome und solchen, die zwar häufig bei der fraglichen Gesundheitsstörung vorkommen, jedoch nicht immer, dann also auch nicht für die Diagnose zwingend sind.

Nicht anders zu würdigen ist die Rüge des Klägers, Prof. Dr. T. habe die Aussage seiner Vertrauten vom 10.03.2006 inhaltlich nicht gewürdigt. Wie aus der Darstellung des Sachverständigen zur Aktenlage zu ersehen, hat er die Äußerung zur Kenntnis genommen und damit in seine Beurteilung einbezogen. Ausdrückliche Ausführungen im Rahmen der Beurteilung sind schon deshalb nicht veranlasst gewesen, weil die Vertraute des Klägers über keine medizinische Sachkunde verfügt, sich der Sachverständige für die hier fragliche Diagnose aber maßgeblich auf medizinische Befunde stützen muss. Solche sind in der Äußerung der Vertrauten des Klägers nicht enthalten.

Die übrigen Ablehnungsgründe sind verspätet vorgebracht. Sie beruhen allesamt auf Verhalten des Sachverständigen anlässlich der Untersuchung im Jahre 2002 oder behauptetem Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Abfassung früherer ergänzender Stellungnahmen. Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er unverschuldet an einer früheren Geltendmachung dieser Ablehnungsgründe gehindert gewesen ist.

Auch insoweit ist eine Äußerung des Sachverständigen zum Ablehnungsgesuch nicht erforderlich, weil der Senat keine inhaltliche Prüfung dieser Ablehnungsgründe vorzunehmen hat.

Nicht zu folgen vermag der Senat der Argumentation des Klägers, er habe das Ablehnungsgesuch deshalb erst jetzt angebracht, weil er zunächst versucht habe, das Gutachten inhaltlich anzugreifen. Eine solche Möglichkeit steht dem Kläger nicht offen. Es ist ihm insbesondere verwehrt, bekannt Ablehnungsgründe zurückzustellen, um zunächst eine ihm günstige Wertung des Sachverständigen zu erreichen, bei Fehlschlagen dieser Strategie dann aber auf die Ablehnungsgründe zurückzukommen. Dies folgt unmittelbar aus den Fristbestimmungen des Gesetzes.

Ebenfalls nicht zu folgen vermag der Senat der Behauptung des Klägers, der Ablehnungsgrund habe sich erst stufenweise entwickelt. Eine derartige Wertung lassen die vorgebrachten Ablehnungsgründe nicht zu. Sollte der Sachverständige tatsächlich die ihm vom Kläger zugesprochenen Äußerungen anlässlich der Untersuchung in dieser Form und ohne Bezug zum Beweisthema getan haben, kann sich insoweit im weiteren Prozessverlauf nichts mehr entwickelt haben. Gleiches gilt für die vom Kläger kritisierten Wertungen des Sachverständigen zum Unfallhergang und zu einem früheren Schreiben der Vertrauten des Klägers. All dies war dem Kläger bereits vor der letzten Stellungnahme des Sachverständigen bekannt. Dementsprechend hat er sich im Rahmen des Ablehnungsgesuches auch ausdrücklich dahin geäußert, dass er den Sachverständigen "nach wie vor" ablehne. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dies "formaljuristisch" als schon früher vorhandener Ablehnungswille anzusehen ist, sondern allein darauf, dass der Kläger den Sachverständigen tatsächlich schon früher als ihm gegenüber nicht unvoreingenommen und damit befangen angesehen hat. Er hätte deshalb diese Ablehnungsgründe schon früher vorbringen können.
Rechtskraft
Aus
Saved