L 6 U 5043/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 00062/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 5043/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 7. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger eine oder mehrere Berufskrankheiten vorliegen und er deshalb Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Der 1954 geborene Kläger hat nach seinen Angaben von 1969 bis 1972 eine Lehre zum Kaminfeger absolviert und anschließend bis 1974 als Kaminfeger gearbeitet. Von 1975 bis 1987 war er als "freier Künstler" sowie u. a. als Croupier in Spielcasinos und als Türsteher tätig. Ab 1987 arbeitete er als Baublechner bei der Firma G. GmbH, S ... Unter dem 17.11.1998 zeigte die Innungskrankenkasse W. B. der Beklagten durch eine Unfallanzeige an, dass der Kläger nach einer Intoxikation durch giftige Dämpfe am 14./15.10.1998 seit 16.11.1998 (richtig: 16.10.1998) arbeitsunfähig sei. Es handle sich um die Folgen eines Arbeitsunfalls, weshalb ein Erstattungsanspruch angemeldet werde.

Im Rahmen der daraufhin von der Beklagten aufgenommenen Ermittlungen teilte die G. GmbH zunächst mit, dass ihr von einem Arbeitsunfall nichts bekannt sei. Der Kläger gab auf Nachfrage an, dass er während seiner Tätigkeit für die Firma G. am 14./15.10.1998 in den Aluminiumwerken S. (Alu S.) giftige Dämpfe eingeatmet habe. Seither leider er unter Kopfschmerz und Konzentrationsstörungen. Die Internistin Dr. T. teilte in ihrer Auskunft vom 13.12.1998 mit, dass der Kläger sie erstmals am 19.10.1998 aufgesucht und angegeben habe, seit einer Rauchgasinhalation vor einigen Tagen leide er unter starken Kopfschmerzen, nächtlichen Schlafstörungen, Husten, teils anfallsartig. Sie fügte den Arztbrief des Radiologen Dr. H. vom 13.11.1998 über eine Kernspintomographie des Gehirns vom selben Tag bei. Darin wurde eine leichtgradige vaskuläre Enzephalopathie mit einzelnen chronischen Entmarkungsherden beidseits fronto-parietal subkortikal beschrieben, wobei die fehlende Kontrastmittelaufnahme gegen eine subakute Entstehung vor ca. 3 Wochen spreche. Außerdem fügte sie den Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. W. vom 27.10.1998 bei, in dem als Diagnose rechts betonte Kopfschmerzen bei z. B. leichter Intoxikation durch giftige Aluminiumdämpfe genannt wurde. Inwieweit tatsächlich die Aluminiumdämpfe zu den geklagten Symptomen geführt hätten, könne nur spekuliert werden. In Anbetracht der Vorgeschichte und des gemessenen Blutdrucks (RR 160/100 mmHg) könnten sich auch Spannungskopfschmerzen festgesetzt haben. Außerdem holte die Beklagte von Dr. W. die Auskunft vom 09.12.1998 ein, zog den Auszug aus dem Leistungsverzeichnis der Innungskrankenkasse vom 27.01.1999 bei und ließ den Arbeitsplatz, an dem der Kläger am 14./15.10.1998 gearbeitet hatte, durch den Mitarbeiter beim Technischen Aufsichtsdienst (TAD), Herrn B. am 04.12.1998 besichtigen. Danach hatte der Kläger an den fraglichen Tagen auf dem Dach der Schmelzhalle der Firma Alu S. gearbeitet. Dort war an vier Giebeldachaufsätzen die Dachbedeckung auszuwechseln. In der Schmelzhalle befanden sich fünf Trommelöfen, in denen gebrauchtes Aluminium durch Einschmelzen aufbereitet wurde. Die auftretenden Dämpfe wurden einer Rauchwaschanlage zugeführt und auf Kohlenmonoxid (CO), Kohlendioxid (CO2), Stickoxide (Nox), Chlor (Cl), Fluor (F), Staub, Dioxine und Furane überwacht. Betriebsbedingt seien die Öfen immer wieder geöffnet worden, wobei diffuse Gase als Dampfwolke ausgetreten und an die Decke sowie in den Bereich der Giebeldächer aufgestiegen seien. Eine solche Dampfwolke sei im Schnitt etwa alle halbe Stunde aufgestiegen. Die Mitarbeiter der Firma G. seien nach Erkennen des Dampfes vom Montageplatz zurückgetreten und hätten die Arbeiten eingestellt, bis sich der Dampf verzogen habe. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Firma P.V., Gesellschaft für Umweltmanagement und Unternehmensethik mbH, unter dem 10.03.1999 mit, dass die bei dem Umschmelzvorgang in den Öfen anfallenden Emissionen soweit als möglich erfasst und einer Abgasreinigungsanlage zugeführt würden. Diffuse Emissionen seien jedoch unvermeidlich. Unter Emissionsgesichtspunkten maßgebliche Komponenten könnten Schwefeldioxid, anorganisch gasförmige Chlorverbindungen, anorganisch gasförmige Fluorverbindungen, Feinstaub, Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide, organische Kohlenstoffverbindungen sowie polychlorierte Dibenzodioxine und -furane sein. Hinsichtlich Feinstaub hätten Arbeitsplatzmessungen jeweils eine Unterschreitung des zulässigen Arbeitsplatzgrenzwertes ergeben, bei Kohlenmonoxid sei eine Konzentration entsprechend 17 v. H. des zulässigen Arbeitsplatzgrenzwertes ermittelt worden, wobei zum Messzeitpunkt eine Brennerstörung zu diffusen Emissionen geführt habe und die übliche Kohlenmonoxidkonzentration noch deutlich niedriger liegen könne. Messungen betreffend polychlorierte Dibenzodioxine und -furane seien im August 1992 vorgenommen worden und hätten ergeben, dass die mittlere Konzentration die Luftgrenzwerte nach dem Technische Richtkonzentrations(TRK)-Konzept wesentlich unterschritten habe. Schwefeldioxid könne im Bereich der Reizschwelle (5,3 bis 6,7 mg/m3) auftreten, anorganisch gasförmige Chloride - Chlorwasserstoff - könnten im Bereich des MAK(Maximale Arbeitsplatzkonzentration)-Wertes bzw. nur wenig darüber auftreten, anorganisch gasförmige Fluoride - Flurwasserstoff - seien in den Ofenabgasen üblicherweise nur in sehr untergeordneten Mengen enthalten. Die Ofenabgase wiesen eine mittlere Stickstoffoxid-Konzentration unterhalb 500 mg/Nm3 auf, organische Kohlenstoffverbindung seien in so geringem Umfang vorhanden, dass auf eine detaillierte Betrachtung verzichtet werde. P.V. fügte ihrer Auskunft den Technischen Bericht des TÜV P. e.V. vom 03.12.1992 (Arbeitsplatzmessungen auf polychlorierte Dibenzodioxine und -furane), den Bericht der DEKRA Umwelt GmbH S. vom 19.10.1998 über Arbeitsplatzmessungen im September 1998 auf Dieselrußemissionen und Feinstaub sowie den Prüfbericht des Instituts Dr. J., T., vom 19.05.1998 über Messungen von Kohlenmonoxid, Feinstaub und Dieselruße bei der Metallwarenfabrik S. GmbH (Alu S.) bei. Die G. GmbH teilte unter dem 12.01.1999 mit, dass der Kläger die Arbeit bislang noch nicht wieder aufgenommen habe.

Anschließend zog die Beklagte von den Kliniken S. den Entlassungsbericht vom 13.04.1999 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 09.03. bis 30.03.1999 bei (Diagnosen: Verdacht auf leichtgradige Enzephalopathie unklarer Genese, Verdacht auf labile arterielle Hypertonie. Hypercholesterinämie. Adipositas. Chronischer Nikotin- abusus. Chronischer Alkoholabusus im jugendlichen Alter) und holte von Prof. Dr. K., Arzt für Arbeitsmedizin, die gemeinsam mit der Internistin und Arbeitsmedizinerin Dr. W. und der Arbeitsmedizinerin Dr. S. erstellte Stellungnahme vom 11.05.1999 ein. Prof. Dr. K. vertrat die Auffassung, dass bei akuten Intoxikationsfällen die Arbeitsstoffe, denen der Kläger ausgesetzt gewesen sei, entsprechende Beschwerden, wie er sie geäußert habe (Kopfschmerzen, Leistungsminderung, Konzentrationsschwäche) hervorrufen könnten. Dass die Beschwerden jedoch noch Monate nach dem Unfall andauerten, spreche gegen eine berufliche Verursachung. Von Dioxinen und Furanen sei bekannt, dass toxische Spätsymptome auftreten könnten, jedoch stellten sich die ersten Symptome erst mit einer zeitlichen Latenz von 1 bis 2 Wochen ein, nicht wie beim Kläger schon nach 2 Tagen. Auch gehe eine Dioxinvergiftung stets mit der Ausbildung einer Chlorakne einher, was beim Kläger jedoch anscheinend nicht aufgetreten sei. Symptome einer Kohlenmonoxidvergiftung bildeten sich bei Wegfall der Exposition wieder zurück, das Einatmen von Chlor- oder Fluorverbindungen führe zu Reizerscheinungen an den Schleimhäuten der Atemwege, was vom Kläger nicht angegeben worden sei. Keiner der in Betracht kommenden Arbeitsstoffe sei nach dem derzeitigen Stand der arbeitsmedizinischen Wissenschaft grundsätzlich als geeignet anzusehen, ein solches über Monate andauerndes Krankheitsbild zu verursachen.

Nachdem auch der Staatliche Gewerbearzt Dr. K. in seiner Stellungnahme vom 15.07.1999 vorgeschlagen hatte, keine Berufskrankheit anzuerkennen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26.08.1999 die Gewährung von Leistungen ab. Da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem beim Kläger bestehenden Erkrankungsbild und seiner beruflichen Tätigkeit nicht wahrscheinlich gemacht werden könne, komme weder die Anerkennung einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 des 7. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) noch einer Krankheit, die gem. § 9 Abs. 2 SGB VII wie eine Berufskrankheit anzuerkennen wäre, in Betracht.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, dass in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Rauchgasexposition starker Hustenreiz sowie Übelkeit und mehrmaliges Erbrechen aufgetreten sei. Er sei körperlich nicht mehr belastbar, leide unter Atemnot, Schweißausbrüchen und Kreislaufstörungen. Außerdem träten Schwindelanfälle auf, wenn der Kopf in den Nacken gelegt bzw. die Augen nach oben gerichtet würden. Auch bestünden Merkstörungen. Es liege keine umfassende Analyse der auftretenden Rauchgase vor, die vorliegenden Untersuchungsberichte seien das Ergebnis einer gezielten Suche nach bestimmten Stoffen. Hieraus könne nicht geschlossen werden, dass der austretende Qualm nicht weitere Giftstoffe enthalten habe, die das bei ihm bestehende Krankheitsbild verursacht hätten. Im Übrigen gehe er vom Vorliegen eines Arbeitsunfalles aus.

Der von der Beklagten daraufhin um Amtshilfe gebetene TAD der Edel- und Unedelmetall-Berufsgenossenschaft, deren Mitgliedsbetrieb die Firma Alu S. war, übersandte den Bericht des TAD-Mitarbeiters Dr. H. vom 21.09.2000, in dem darauf hingewiesen wurde, dass über die schon vorliegenden Messungen an den Arbeitsplätzen hinaus keine weiteren Messungen vorlägen. Die Firma Alu S. befinde sich derzeit in Konkurs. Die von der Firma P.V. durchgeführten Abschätzungen und Beurteilungen diffuser Emissionen werde als realistisch eingestuft. Eine direkte, nachträgliche Messung der Schadstoffe erscheine problematisch bzw. nicht oder wenig aussagekräftig hinsichtlich der Belastung des Klägers an seinem damaligen Arbeitsplatz. Die Randbedingungen wie z. B. die Chargierung der Öfen könnten nur unzureichend eingehalten werden. Die Messunsicherheit falle somit mindestens in den Bereich der Abschätzung durch die Firma P.V ... Dass das verarbeitete Recyclingmaterial chemische Stoffe von erhöhter Giftigkeit enthalten hätte, sei nicht ersichtlich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2000 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück und wies ergänzend darauf hin, dass nur über das Vorliegen einer Berufskrankheit entschieden worden sei. Hinsichtlich der Anerkennung eines Arbeitsunfalles sei keine Entscheidung getroffen worden.

Dagegen erhob der Kläger am 04.12.2000 Klage vor dem Sozialgericht Konstanz, das die Klage mit Beschluss vom 04.01.2001 an das örtlich zuständige Sozialgericht Reutlingen (SG) verwies. Er machte u. a. geltend, dass er ungefähr seit dem streitgegenständlichen Vorgang unter einem Hautausschlag an beiden Oberarmen und am Rücken leide, den er bisher als bedeutungslos angesehen habe. Vor der Exposition habe er Symptome, wie sie jetzt bestünden, nicht gekannt und sei weitgehend gesund gewesen. Der zeitliche Zusammenhang sei damit signifikant. Eine umfassende Analyse der auftretenden Rauchgase fehle nach wie vor. Das SG holte sachverständige Zeugenauskünfte von Dr. W. (Auskunft vom 21.05.2002) und der Internistin T. (Auskunft vom 24.06.2002) und von der Firma G. die Auskunft vom 07.10.2002 ein. Dr. W. teilte mit, dass er den Kläger erstmals am 26.10.1998, zuletzt am 13.03.2000 behandelt habe. Im November 1998 habe er Hinweise auf eine Normabweichung im Sinne einer bestehenden Hirnleistungsstörung festgestellt. Der Kläger habe sich nicht mehr ausreichend leistungsfähig gefühlt und ein allgemein verändertes psychisches Verhalten gezeigt. Internistin T. teilte mit, sie habe den Kläger erstmals am 19.10.1998 untersucht. Zuletzt habe sie den Kläger am 03.07.2000 gesehen, er habe über schnelle Erschöpfbarkeit, reduzierten Allgemeinzustand, rezidivierende Schwindelzustände und vermehrte Schweißneigung berichtet. Die Firma G. teilte mit, dass der Kläger vor dem 14.10.2000 nicht auf der Baustelle der Aluwerke S. eingesetzt gewesen sei.

Mit Urteil vom 07.10.2002 wies das SG die Klage ab. Der Kläger leide nicht an einer Berufskrankheit, da es am ursächlichen Zusammenhang zwischen den beruflich gegeben gewesenen schädigenden Einwirkungen und den Erkrankungssymptomen fehle. Keine der schädlichen Substanzen, denen der Kläger ausgesetzt gewesen sei, sei geeignet, das über viele Monate anhaltende Krankheitsbild hervorzurufen und zu unterhalten.

Gegen das ihm am 28.11.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.12.2002 Berufung eingelegt. Das SG habe es zu Unrecht unterlassen, weitere Ermittlungen durchzuführen, um eingehendst zu ergründen, welche Schadstoffe Bestandteil der giftigen Dämpfe gewesen sein könnten. Auch habe es zu Unrecht eine weitere medizinische Aufklärung unterlassen. Es müsse die Frage geklärt werden, inwieweit die bereits bekannten Substanzen nicht doch in der Lage seien, jeweils einzeln oder in Kombination miteinander die bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen auszulösen. Entgegen der Auffassung des SG sei auch nicht nur die Frage des Vorliegens einer Berufskrankheit zu prüfen, sondern es liege nahe, von Arbeitsunfällen auszugehen, die er jeweils in einer Schicht am 14.10. und 15.10.1998 erlitten habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 07.10.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 26.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2000 aufzuheben und das Vorliegen einer oder mehrerer Berufskrankheiten festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden.

Im Erörterungstermin vom 30.06.2005 ist der Sachverhalt mit den Beteiligten ausführlich erörtert worden. Dabei sind alle Beteiligten übereinstimmend der Auffassung gewesen, dass es derzeit keine Ansatzpunkte für weitere Ermittlungsmöglichkeiten hinsichtlich der Schadstoffexposition gibt.

Der Senat hat sachverständige Zeugenauskünfte von Dr. W. (Auskunft vom 09.07.2005), der Internistin T. (Auskunft vom 18.07.2005 mit ergänzender Auskunft vom 05.11.2005) und Dr. H. (Auskunft vom 19.09.2005) und von dem Internisten und Arbeitsmediziner Priv.-Doz. Dr. S., Kommissarischer Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der J.-L.-Universität G., das Gutachten vom 10.05.2006 eingeholt. Dr. W. hat mitgeteilt, er habe den Kläger zuletzt am 13.03.2000 gesehen, so dass sich gegenüber seiner dem SG erteilten Auskunft nichts Neues ergeben habe. Internistin T. teilte mit, dass sie den Kläger zuletzt am 04.03.2003 untersucht habe. Im August 2002 habe er über einen ausgeprägten psychophysischen Erschöpfungszustand und Kribbelparästhesien geklagt. Später sei u. a. eine Rhinitis aufgetreten. Die seit August 2002 geklagten Beschwerden stelle der Kläger nicht in einen Zusammenhang mit der Rauchgasinhalation. Ergänzend hat Internistin T. eine Kopie der Krankenakte ihres Praxisvorgängers Dr. M. vorgelegt, der den Kläger erstmals im März 1988 und zuletzt im Dezember 1996 behandelt hatte. Dr. H. hat lediglich eine Abschrift seines Arztbriefes vom 13.11.1998 übersandt. Dr. S. hat als Diagnosen u. a. eine leichtgradige vaskuläre Enzephalopathie mit einzelnen chronischen Entmarkungsherden beidseits fronto-parietal subkortikal und eine hypertensive Herzkrankheit genannt. Eine Berufskrankheit liege beim Kläger nicht vor. Hinsichtlich der in Betracht kommenden Schadstoffe (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Asbest und Quarzstaub aus der Tätigkeit als Kaminkehrer sowie die von der Firma P.V. genannten Schadstoffe) hätten entweder nicht in ausreichender Konzentration vorgelegen oder seien nicht geeignet gewesen, das beim Kläger bestehende Krankheitsbild zu verursachen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des SG und des Senats sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer oder mehrerer Berufskrankheiten.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig.

Berufskrankheiten sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass beim Versicherten zum Einen die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d.h. dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BKV ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden herbeizuführen (haftungsbegründende Kausalität). Zum Anderen muss ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung bestehen. Es muss danach ein (mit Vollbeweis gesichertes) dieser Berufskrankheit entsprechendes Krankheitsbild vorliegen und dieses muss im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf die belastende Tätigkeit zurückgeführt werden können, wobei hinsichtlich des Kausalzusammenhangs eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend ist (haftungsausfüllende Kausalität). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286), d.h. es müssen die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112; BSG Urt. vom 28.03.2003 B 2 U 33/03 R).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger unter einer Berufskrankheit leidet. Hierfür stützt sich der Senat auf das ihn überzeugende Gutachten Dr. S.s sowie die urkundenbeweislich verwertete Stellungnahme Prof. Dr. K.s.

Dr. S. hat sich in seinem Gutachten ausführlich mit den in Frage kommenden Schadstoffen, deren Konzentration, den dazugehörenden Krankheitsbildern und - soweit erforderlich - mit der Frage des Zusammenhangs zwischen den beim Kläger vorhandenen Symptomen und der Schadstoffexposition auseinandergesetzt.

Er hat zunächst dargelegt, dass der Kläger während seiner Tätigkeit als Kaminkehrer - und während der Lehrzeit - der Einwirkung von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, von Quarzstäuben und von Asbestfaserstäuben exponiert war. Er hat deshalb die haftungsbegründende Kausalität für eine Berufskrankheit der Nrn. 4101 (Quarzstaublungenerkrankung - Silikose), 4102 (Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose), 4103 (Asbeststaublungenerkrankung [Asbestose] oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura), 2104 (Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung oder in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren) bzw. 4105 (durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards) als gegeben angesehen. Beim Kläger konnte jedoch weder eine Silikose noch eine Asbestose nachgewiesen werden, so dass eine entsprechende Berufskrankheit nicht vorliegt. Hinsichtlich der Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen hat Dr. S. darauf hingewiesen, dass der ärztliche Sachverständigenbeirat im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Sektion Berufskrankheiten, die Aufnahme von "Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe" in die Berufskrankheiten-Liste empfohlen habe, wenn die Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 BaB-Jahren nachgewiesen werden könne. Da beim Kläger kein Lungenkrebs vorliegt, stellt sich allerdings die Frage, ob eine entsprechende Berufskrankheit gem. § 9 Abs. 2 SGB VII (also wie eine Berufskrankheit) zu entschädigen ist, nicht.

Weiter hat Dr. S. die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Erkrankung an einer Berufskrankheit Nr. 1201 (Erkrankungen durch Kohlenmonoxid [CO]) bejaht. Das Kohlenmonoxid gelange ausschließlich über die Atemwege in den Blutkreislauf, wodurch es zu einer Sauerstoffverarmung im Organismus komme. Besonders betroffen seien die für Sauerstoff-Mangel empfindlichen Gewebe wie Herz, Leber und Nebennieren. Daneben komme es zu schweren Kreislaufstörungen wie vermehrter Durchlässigkeit der Gefäße, Gefäßlähmungen und Verlangsamung der Blutzirkulation. Bei akuten und subakuten Intoxikationen durch CO träten bei entsprechenden Konzentrationen Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit sowie ST-Strecken-Senkungen im EKG auf. Bei chronischen Intoxikationen durch geringe CO-Belastungen würden Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit sowie Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit beschrieben. Die vom Kläger berichteten Symptome wie zunehmende Vergesslichkeit sowie Cephalgien, die anfallsartig und rechtsseitig auftreten, seien nicht typisch für eine diesbezügliche CO-Intoxikation. Deshalb könne eine Berufskrankheit der Nr. 1201 nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden.

Diesen Ausführungen von Dr. S., die für den Senat nachvollziehbar und überzeugend sind, schließt sich der Senat an, zumal Prof. Dr. K. in seiner Stellungnahme vom 11.05.1999 darauf hingewiesen hat, dass sich die Symptome einer CO-Vergiftung bei Wegfall der Exposition zurückbilden. Das Persistieren der genannten Symptome beim Kläger spricht damit gegen eine CO-Vergiftung.

Auch eine Berufskrankheit nach Nr. 1308 der Anlage zur BKV (Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen) liegt beim Kläger nicht vor, obwohl er bei seiner Tätigkeit am 14./15.10.1998 gegenüber Fluorwasserstoffen exponiert war. Unabhängig davon, dass deren genaue Konzentration nicht festgestellt werden kann, hat der Kläger nach den Darlegungen von Dr. S. weder über typische Symptome, die für eine massive Einwirkung von Fluorwasserstoffdämpfen sprechen würden, berichtet, noch konnten chronische Folgeveränderungen an den Knochen, wie z. B. Osteosklerose und Osteoporose gesichert werden.

Dr. S. hat zwar dargelegt, dass Fluorwasserstoffe, ebenso wie anorganische Chlorverbindungen in Form von HCl, Stickoxiden und Schwefeldioxid, chemisch-irritative und toxische Wirkungen auf die Atemwege haben. Da beim Kläger jedoch keine obstruktive Ventilationsstörung nachweisbar ist, kommt auch die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV (durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung) nicht in Betracht.

Auch die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4106 (Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen) scheidet aus, obwohl der Kläger gegenüber Aluminiumstäuben exponiert war. Bei einer Berufskrankheit der Nr. 4106 handelt es sich nach den Darlegungen von Dr. S. um eine primäre Bronchopathie unter dem Bild des chronisch unspezifischen respiratorischen Syndroms, einer diffusen interstitiellen Lungenfibrose mit hochgradiger Schrumpfungsneigung. Anlässlich der Untersuchung des Klägers durch Dr. S. konnte jedoch weder eine fibrosierende Lungenerkrankung dokumentiert werden noch ergaben sich Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Restriktion.

Auch das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1310 der Anlage zur BKV (Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide) hat Dr. S. ausgeschlossen, insbesondere kann die beim Kläger vorliegende leichtgradige vaskuläre Enzephalopathie nicht auf die - sehr kurzzeitige - Exposition gegenüber polychlorierten Dibenzodioxinen und -furanen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zurückgeführt werden. Eine Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln oder deren Gemischen, die eine Enzephalopathie verursachen können (vgl. Nr. 1317 der Anlage zur BKV) hat beim Kläger nicht vorgelegen, so dass auch eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV nicht festgestellt werden kann, zumal Dr. H. in seinem Arztbrief vom 13.11.1998 dargelegt hat, dass die fehlende Kontrastmittelaufnahme gegen eine subakute Entstehung (der Enzephalopathie) vor ca. 3 Wochen (also bei dem angeschuldigten Ereignis) spreche. Im Übrigen kommt für die beim Kläger vorliegende Enzephalopathie als verursachender Faktor nach dem Gutachten von Dr. S. auch ein bislang nicht medikamentös eingestellter arterieller Hypertonus, ein seit 1969 betriebener exzessiver Nikotinabusus sowie eine Fettstoffwechselstörung mit Adipositas in Betracht.

Im Ergebnis kann damit weder nach dem Gutachten von Dr. S. noch nach der Stellungnahme von Prof. Dr. K. das Vorliegen einer Berufskrankheit - weder einer Listenerkrankung noch einer Erkrankung, die wie eine Berufskrankheit gem. § 9 Abs. 2 SGB VII zu entschädigen wäre - wahrscheinlich gemacht werden. Auch Dr. W. hat es als bloße Spekulation bezeichnet, ob ein Zusammenhang zwischen den vom Kläger geklagten Symptomen und der Inhalation der Rauchgase besteht. Der bloße zeitliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Beschwerden und der Rauchgasinhalation, auf den der Kläger für die Begründung des Ursachenzusammenhangs hingewiesen hat, vermag eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Annahme einer Berufskrankheit nicht zu begründen. Die Berufung konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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