L 6 VS 5105/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 VS 1994/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VS 5105/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 25. Oktober 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG).

Der Kläger ist 1954 geboren und war von Juli 1973 bis August 1985 Soldat.

Unter dem 19. September 1977 erstattete Stabsarzt Dr. H. eine erste ärztliche Mitteilung über eine mögliche Wehrdienstbeschädigung (WDB). Darin führte er aus, beim Kläger liege eine starke Hochtoneinschränkung beidseits ab 200 Hz mit maximal 70 db(A) vor, der Hörverlust liege bei 4.000 - 6.000 Hz. Mit Schreiben vom 19. Oktober 1977 wurde dem Kläger durch das Wehrbereichsgebührnisamt III (WBGA) formlos mitgeteilt, dass keine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei dem angegebenen Hörverlust vorliege und deshalb von der Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheids abgesehen werde.

Oberstabsarzt und Fliegerarzt Dr. B. teilte unter dem 31. Mai 1985 mit, dass sich das Hörvermögen des Klägers verschlechtert habe. Das WBGA zog daraufhin den vom Kläger ausgefüllten Fragebogen zur gesundheitlichen Vorgeschichte bei Eintritt in die Bundeswehr (darin war u.a. Mittelohrentzündung angegeben) vom 28. März 1973, die truppenärztlichen Unterlagen mit dem Eintrag vom 24. April 1974, wonach Ohrenschützer wegen eines Trommelfellrisses vor Jahren verordnet worden seien, sowie den Bericht über die Hörprüfung vom 29. April 1985, bei.

Mit Bescheid vom 18. November 1985 lehnte das WBGA, gestützt auf den ärztlichen Prüfvermerk vom 6. November 1985, die Gewährung eines Ausgleiches nach dem SVG ab, da eine rentenberechtigende MdE um 25 v.H. nicht vorliege. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch.

Am 27. August 1985 hatte der Kläger bei dem Versorgungsamt Rottweil (VA) Versorgung beantragt, weil er mit Wirkung vom 31. August 1985 aus der Bundeswehr ausscheide. Dieses holte bei Prof. Dr. P. das hals-nasen-ohrenärztliche Gutachten vom dem 25. Juli 1986 ein. Darin führte er aus, beim Kläger liege eine Hochtonschwerhörigkeit links größer als rechts vor, die auf Lärmeinwirkungen während der Zeit als Soldat zurückzuführen sei. Nach den Vorschlägen von B. und R. in Feldmann ergebe sich ein prozentualer Hörverlust von rechts 30%, links 50%. Nach den Vorschlägen von R. 1973 ergebe sich ein prozentualer Hörverlust von rechts 30% und links 40%. Daher sei von einer geringgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts und einer gering- bis mittelgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit links auszugehen. Die MdE belaufe sich auf 20 v.H. In der Anamnese wurde unter "jetzige Beschwerden" angegeben, dass der Kläger über eine Schwerhörigkeit beidseits zu klagen habe mit beidseits schwankendem Pfeifton; zeitweise habe er ein Drehgefühl nach oben mit momentan anhaltenden Schwindelattacken.

Mit Bescheid vom 25. August 1986 anerkannte das VA als Folgen einer WDB eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits und Tinnitus, ohne dass eine MdE um 25 v.H. erreicht sei. Dieser Bescheid wurde bindend.

Den gegen den Bescheid des WBGA vom 18. November 1985 gerichteten Widerspruch wies die Wehrbereichsverwaltung III mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1987 zurück.

Am 1. September 1998 beantragte der Kläger beim VA die Neufeststellung seines Versorgungsanspruchs. Im Fragebogen trug er unter dem 30. September 1998 unter anderem vor, auch der erlittene Bandscheibenvorfall sei auf die Belastungen während der Bundeswehrzeit zurückzuführen. Mit Versagungsbescheid vom 15. November 1999 lehnte das VA die Neufeststellung mangels Mitwirkung ab. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2000). Das sich anschließende Klageverfahren (Sozialgericht Konstanz [SG], Az: S 3 Vs 2377/00) blieb in der Sache ohne Erfolg (Gerichtsbescheid vom 14. August 2001). Das VA wurde allerdings zur Prüfung aufgefordert, ob bezüglich des anerkannten Versorgungsleidens Tinnitus tatsächlich eine Verschlimmerung eingetreten sei.

Daraufhin zog es beim behandelnden Arzt Dr. S. Befundunterlagen bei, die dieser unter dem 29. Oktober 2001 übersandte. Beigezogen wurde des weiteren das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse.

In der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 15. Januar 2002 wurde ausgeführt, dass die Tinnitus-Stärke objektiv nicht messbar sei. Maßstab seien vielmehr die psychischen Begleiterscheinungen. Beim Kläger bestehe jedoch kein erheblicher Leidensdruck, da er keine therapeutischen Maßnahmen ergriffen habe.

Mit Bescheid vom 23. Januar 2002 lehnte das VA daraufhin die Neufeststellung ab, da keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2002 wies der Beklagte den dagegen erhobenen Widerspruch zurück.

Dagegen erhob der Kläger am 21. Oktober 2002 Klage zum SG und führte aus, es habe eine ständige Verschlechterung sowohl bezüglich des Tinnitus als auch der damit verbundenen psychischen Beeinträchtigungen stattgefunden. Der als sachverständiger Zeuge befragte Dr. S. führte unter dem 3. Juni 2003 aus, anhand der von ihm erfolgten Beobachtung sei nicht von einer wesentlichen Veränderung der objektivierbaren Befunde, verglichen mit dem Zustand 1995, auszugehen. Der subjektive Leidensdruck wegen Diskriminationsstörungen und Störungen in der Kommunikationsfähigkeit habe aber deutlich zugenommen. Er schätze die MdE auf 10 - 15 v.H.

Dr. H. erstellte unter dem 26. August 2004 auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein hals-nasen-ohrenärztliches Gutachten. Darin führte er aus, nach B./R. 1973 sei eine MdE um 20 v.H. anzunehmen. Eine MdE um 30 v.H. komme nach R. 1980 unter Berücksichtigung des Tonschwellenaudiogramms jetzt in Betracht. Allerdings sei die seit 1986 eingetretene Verschlechterung nicht mehr auf die Lärmeinwirkung während der Bundeswehrzeit zurückzuführen. Wegen der Hörminderung schlug er eine MdE um 20 v.H. vor. Bezüglich des Tinnitus führte er aus, dass dieser derzeit eine mittelgradige Belastung darstelle und eine MdE um 10 v.H. rechtfertige. Im Vergleich zu 1986 sei es zu einer beiderseitigen Hörverschlechterung insbesondere im tief- und mittelfrequenten Bereich und somit zu weiteren Einbußen im Sprachverständnis beidseits gekommen. Der bereits auch damals aufgeführte Tinnitus sei jetzt begleitet von zeitweiligen Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen, die möglicherweise auch auf die Hörverschlechterung zurückzuführen seien. Ein genauer Zeitpunkt dieser Änderungen könne aus seiner Sicht nicht bestimmt werden. Der Tinnitus könne glaubhaft auch durch die vermehrte Anstrengung durch die beidseitige Schwerhörigkeit zu zunehmenden Beschwerden wie Konzentrations- und Schlafstörungen führen. Dies scheine beim Kläger jetzt der Fall zu sein, so dass zum jetzigen Zeitpunkt eine andere Einschätzung des Tinnitus, verglichen mit 1986, erfolgen müsse. Dieser sei mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten. Die Gesamt-MdE schlug Dr. Hesse mit 25 v.H. vor.

Von Amts wegen wurde daraufhin Prof. Dr. Z. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 29. August 2005 kam er zusammenfassend und in der Begründung übereinstimmend mit Dr. H. zum Schluss, beim Kläger liege eine MdE um 20 v.H. bezüglich des Hörvermögens, von 5-10 v.H. für den Tinnitus vor. Er führte aus, es sei in den letzten Jahren zu einer Verschlechterung des Hörvermögens gekommen. Der Kläger habe auch insbesondere in den letzten neun Monaten über eine Verstärkung des Ohrgeräuschs geklagt. Da der Kläger im Jahr 1986 aber aus dem Bundeswehrdienst ausgeschieden sei, seien die genannten Verschlechterungen, die in der jüngeren Vergangenheit aufgetreten seien, nicht mehr der Wehrdienstbeschädigung zuzuschreiben, sondern als wehrdienstunabhängig zu werten. Wie 1986 in der gutachterlichen Praxis üblich, sei das Ohrgeräusch nicht mit einer zusätzlichen MdE bewertet worden, sondern habe mit der schwerhörigkeitsbedingten MdE bereits als berücksichtigt gegolten. Aus heutiger Sicht würde die Schwerhörigkeit Stand 1986 weiter mit einer MdE um 20 v.H. bewertet, die Ohrgeräusche jedoch mit einer zusätzlichen MdE um 5-10 v.H, wie es Prof. Dr. H. auch in seinem Gutachten vorgeschlagen habe. Es sei - zusammenfassend - zwar zu keiner wehrdienstabhängigen Verschlechterung gekommen. Der 1986 erhobene Befund würde aus heutiger Sicht allerdings mit einer MdE um 25-30 v.H. bewertet.

Durch Urteil vom 25. Oktober 2005 verurteilte das SG den Beklagten, ab Antragstellung Beschädigtenversorgung nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren. Zur Begründung führte es aus, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei eingetreten. Die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AP), Ausgabe 1983, hätten keine gesonderten Bewertungsvorschriften für den Tinnitus vorgesehen. Dem gegenüber sähen die AP 1996 bzw. 2004 eine nach Schweregraden differenzierte Bewertung des erstmals erwähnten Tinnitus vor.

Gegen das am 4. November 2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 29. November 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die AP hätten sich bezüglich der Bewertung der Ohrgeräusche nicht geändert. Die abweichende Formulierung in den AP 1983 sei unerheblich, da schon damals die psychischen Auswirkungen maßgeblich gewesen seien. Beim Kläger liege jedoch nur eine geringfügige psychische Begleiterscheinung vor, so dass ohnehin nicht von einer MdE um 25 bis 30 v.H. ausgegangen werden könne.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 25. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er beruft sich zur Begründung auf die Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist begründet. In den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 25. August 1986 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 1987 zugrunde gelegen haben, ist keine wesentliche Veränderung eingetreten.

Verfahrensrechtlich beurteilt sich der streitbefangene Anspruch nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt, soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden (§ 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X).

Als wesentliche Änderung der Verhältnisse kommt dabei u.a. eine Verschlimmerung der als Schädigungsfolgen anerkannten oder das Hinzutreten neuer Gesundheitsstörungen in Frage. Die anspruchsbegründenden Tatsachen der Verschlechterung bzw. Besserung des Gesundheitszustandes müssen erwiesen sein (vgl. u.a. BSGE 32, 203, 207, 209; 45, 1, 9/10). Weitere Voraussetzung für eine Neufeststellung ist, dass die Verschlimmerung der anerkannten oder das Hinzutreten neuer Gesundheitsstörungen eine Schädigungsfolge ist und nicht etwa andere, von schädigungsbedingten Einflüssen unabhängige Umstände dafür verantwortlich sind (vgl. BSGE 6, 87, 90; 11, 161, 163; 21, 75, 76). Hierfür ist die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs erforderlich, aber auch ausreichend (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt, d. h. wenn unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSGE 32, 203, 209; 45, 1, 9; 60, 58, 59). Der ursächliche Zusammenhang ist vor allem nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Ob eine wesentliche Änderung der schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen vorliegt, ist durch einen Vergleich der für die letzte bindend gewordene Entscheidung maßgebenden Verhältnisse mit denjenigen zu ermitteln, die bei der Prüfung der Neufeststellung vorliegen (vgl. BSG in SozR 3100, Nr. 21 zu § 62 BVG; BSGE 27, 244). Ist ein Sachverhalt nicht erweisbar, so hat nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast der Beteiligte die Folgen zu tragen, der aus dem nicht festgestellten Sachverhalt Rechte für sich herleitet (vgl. BSGE 19, 52; 30, 121; 43, 110).

Vergleichsbescheid ist der Bescheid vom 25. August 1986, durch welchen das VA als Folgen einer WDB eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits und Tinnitus anerkannte, ohne dass eine MdE um 25 v.H. erreicht sei.

Der Senat konnte für seine Entscheidung offen lassen, ob bereits die Änderung der Anhaltspunkte - verglichen mit den dem Bescheid vom 25. August 1986 zugrundeliegenden AP 1983 - als rechtlich wesentliche Änderung der Verhältnisse zu bewerten ist (vgl. z.B. BSG SozR 3-3870 § 3 Nr. 5; BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 57; BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 2). Denn jedenfalls ist - insoweit eine Änderung unterstellt - diese nicht schädigungsbedingt eingetreten, weil sich die Folgen des wehrdienstbedingten Tinnitus nicht verschlimmert haben, sondern eine mögliche Verschlimmerung auf wehrdienstunabhängige Faktoren zurückzuführen ist.

Prof. Dr. Z. und Prof. Dr. H. haben übereinstimmend die wehrdienstbedingte Hörminderung mit einer Teil-MdE um 20 v.H. bewertet. Zweifel an diesen Beurteilungen hat der Senat nicht, da sie sich im Rahmen der nach den Anhaltspunkten maßgeblichen Bewertungskriterien halten. Die von Prof. Dr. H. mitgeteilten Hörverluste aus den Werten der sprachaudiometrischen Untersuchung nach B. und R. von 1973 von rechts 30% und links 50% entsprechen nach den AP 2004 Nr. 26.5 Tabelle D einer geringgradigen Schwerhörigkeit, die mit einer MdE um 20 v.H. zu bewerten ist. Nach der Tabelle nach Röser von 1980 ergibt sich unter Berücksichtigung des Tonschwellenaudiogramms rechts ein prozentualer Hörverlust von 60%, links von 50%, was einer mittelgradigen Schwerhörigkeit entspricht, die mit einer MdE um 30 v.H. zu bewerten wäre. Entsprechende Werte hat auch Prof. Dr. H. bei seinen Untersuchungen festgestellt.

Beide Gutachter haben aber zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits 1986 aus dem Bundeswehrdienst ausgeschieden ist, so dass die seitdem eingetretene Verschlechterung des Hörvermögens nicht mehr auf die Wehrdienstbeschädigung zurückgeführt werden kann. Beide Gutachter haben daher übereinstimmend, ausgehend von den im Jahr 1986 durchgeführten Untersuchungen, eine Teil-MdE um 20 v.H. für die anerkannte Schädigungsfolge "Schallempfindungsschwerhörigkeit" vorgeschlagen. Dieser Beurteilung schließt sich der Senat unter Berücksichtigung der aktenkundigen Untersuchungsergebnisse und ärztlichen Stellungnahmen an.

Soweit die Bewertung des ebenfalls als Schädigungsfolge anerkannten Tinnitus im Streit steht, kann offen bleiben, ob sich dieser seit 1986 verschlimmert hat. Denn jedenfalls ist eine Verschlimmerung nicht mehr auf die Wehrdienstfolgen zurückzuführen, so dass sie auch bei der Bewertung der MdE außer Betracht zu bleiben hat. Aber auch dann, wenn der Tinnitus schon 1986 mit einer Teil-MdE um 5-10 v.H. zu bewerten gewesen wäre, führt dies nicht zu einer höheren Gesamt-MdE als 20.

Nach den AP 2004 sind Ohrgeräusche ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen mit einer Teil-MdE um 0-10 und erst solche mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen mit einer Teil-MdE um 20 zu bewerten. Ausgehend von den Ausführungen der genannten Gutachter geht der Senat seit 1986 von einer Erkrankung ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen aus, die eine Teil-MdE um 5 bis 10 v.H. rechtfertigen kann. Dafür spricht, dass im Gutachten Dr. P. eine bloße anamnestische Beschreibung des Ohrgeräuschs aufgeführt ist, ohne Hinweise auf wesentliche psychische Begleiterscheinungen. Dafür spricht weiter, das Prof. Dr. H. in seinem Gutachten ausgeführt hat, dass der Kläger über eine Verstärkung der Ohrgeräusche erst in den letzten 9 Monaten berichtet habe. Entsprechendes hat der Kläger auch gegenüber Prof. Dr. Z. geäußert. Er hat ausgeführt, dass gerade in Besprechungssituationen das Ohrgeräusch zunehmend als störend empfunden werde und die Konzentration wie auch den Nachtschlaf beeinträchtigt sei. Des weiteren fühlt sich der Kläger in Gesprächssituationen durch die Hörstörung sowie den gerade in diesen Situationen als besonders belastend empfundenen Tinnitus in seiner Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit eingeschränkt, ohne dass er solche Situationen allerdings meidet bzw. meiden kann. Prof. Dr. Z. hat weiter eine Testdiagnostik zur Bestimmung der Belastung durch den Tinnitus durchgeführt, in welchem ein mittelgradiger, aber kompensierter Tinnitus festgestellt werden konnte. Die weiter durchgeführte psychologische Konsiliaruntersuchung hat keine wesentlichen, schädigungsbedingten Begleitbefunde ergeben. Sowohl Prof. Dr. H. wie auch Prof. Dr. Z. haben deshalb - jedenfalls in Bezug auf die im jeweiligen Untersuchungszeitpunkt erhobenen Befunde - nur eine leichtgradige psychische Beeinträchtigung angenommen. Anhaltspunkte dafür, dass 1986 stärkere Beeinträchtigungen bestanden haben, liegen nicht vor.

Beide Gutachter haben allerdings auch ausgeführt, dass die Verstärkung des Tinnitus nicht mehr auf die Folgen der Wehrdienstbeschädigung zurückgeführt werden kann, sondern - so jedenfalls Prof. Dr. Z. - Folge der zunehmenden, allerdings schädigungsunabhängigen Hörverschlechterung sein kann.

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass seit 1986, wie letztlich auch im Vergleichsbescheid aufgeführt, ein schädigungsbedingter Tinnitus bestanden hat, dieser allerdings nur leichtgradig ausgeprägt war. Mögliche Verschlechterungen bis zum Untersuchungszeitpunkt durch Prof. Dr. H. und Prof. Dr. Z. sind nicht mehr auf die Wehrdienstbeschädigung zurückzuführen.

Nach Auffassung des Senats ist auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die AP seit 1996 die Möglichkeit der Bildung einer eigenen Teil-MdE für den Tinnitus vorsehen, vorliegend keine Änderung der Gesamt-MdE gerechtfertigt, da sich auch eine getrennte Bewertung der Hörstörung mit einer Teil-MdE um 20 v.H. und des Tinnitus mit einer Teil-MdE um 5 bis 10 v.H. nicht erhöhend auf die Gesamt-MdE um 20 v.H. auswirkt. Der Senat folgt insoweit nicht der Beurteilung durch Prof. Dr. H. und Prof. Dr. Z ...

Bei der Bildung der Gesamt-MdE ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung der Gesamt-MdE die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur eine MdE um 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einer MdE von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung der Gesamt-MdE ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die die höchste Einzel-MdE verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb der höchsten Einzel-MdE ein Teilwert von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen MdE-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).

Aus Sicht des Senats ist zu beachten, dass beide Erkrankungen das Hörvermögen betreffen und insoweit von einer Überschneidung der Hörstörung mit dem Tinnitus auszugehen ist. Andererseits wird durch die AP deutlich, dass der Schwerpunkt der gesundheitlichen Einschränkungen bzw. die Auswirkungen der Erkrankung beim Tinnitus auf psychischem Fachgebiet liegen und daher durchaus eine für die MdE-Bewertung erhebliche und von der Beurteilung der Hörstörung zu trennende Funktion besitzen können, wenn die psychischen Begleiterscheinungen wesentlich sind. Für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist anerkannt, dass Ohrgeräusche nicht zu den beherrschenden regelmäßig anzutreffenden Symptomen einer Lärmschwerhörigkeit gehören; sie können jedoch zusammen mit ihr auftreten und ein Symptom des lärmgeschädigten Innenohres sein. Werden Hochtongeräusche glaubhaft als belästigend geschildert und lassen sie sich durch audiometrische Verdeckungstests objektivieren, so ist in Einzelfällen ein MdE-Zuschlag gerechtfertigt (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. November 1997 - L 7 U 29/96 unter Verweis auf Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 5. Auflage S. 375 [so auch 7. Auflage 2003 S. 441 ff, insbesondere 443]; Mehrtens/Perlebach, Berufskrankheitenverordnung, M 2301 S. 27).

Ein solcher Einzelfall, der eine Höherbewertung rechtfertigen könnte, liegt jedoch zur Überzeugung des Senats nicht vor. Beim Kläger liegen keine wesentlichen psychischen Begleiterscheinungen vor, die auf den wehrdienstbedingten Tinnitus zurückgeführt werden können. Vielmehr ergeben sich aus den amamnestischen Angaben des Klägers selbst Hinweise für eine Verschlimmerung des Tinnitus erst innerhalb etwa eines Jahres vor der Untersuchung durch Prof. Dr. Z. im Juni 2005 und aus der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Arztes Dr. Stiegler vom 3. Juni 2003 seit Behandlungsbeginn im August 1998 ebenfalls Hinweise auf eine Verstärkung des subjektiven Leidensdrucks. Beide Zeitpunkte liegen jedoch so weit von der Schädigung im Jahr 1984 entfernt, dass - wie letztlich Prof. Dr. Z. auch für den Senat überzeugend analysiert hat - das Ansteigen der psychischen Begleiterscheinungen des Tinnitus nicht mehr auf schädigungsbedingte Faktoren zurückgeführt werden kann, sondern der - schädigungsunabhängigen - Zunahme der Hörstörung mitsamt den damit verbundenen Diskriminationsschwierigkeiten zuzuschreiben ist. Der Auffassung des Beklagten, von einer Verstärkung des Leidensdrucks könne nicht ausgegangen werden, da sich der Kläger nicht in spezieller psychotherapeutischer Behandlung deswegen befinde, kann der Senat zwar nicht unbedingt näher treten, da beim Kläger ohnehin nur ein geringradiger Tinnitus ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen vorliegt, so dass die Indikation einer psychotherapeutischen Behandlung schon deshalb zweifelhaft sein könnte und zum anderen der Tinnitus selbst - soweit organisch bedingt - nicht durch spezielle Behandlungsmethoden verbessert werden kann. Deshalb erschließt sich dem Senat unter diesem Gesichtspunkt die Notwendigkeit einer spezifischen Behandlung nicht zwingend. Andererseits kann dies für die Entscheidung im vorliegenden Fall auch offen bleiben, da eine mögliche Verschlechterung nicht mehr auf die Folgen der Wehrdienstbeschädigung zurückgeführt werden kann und damit bei der Bemessung der MdE außer Betracht zu bleiben hat.

Berücksichtigt man die vom Kläger im September 1998 aufgenommene ohrenärztliche Behandlung bei Dr. S., den von diesem berichteten verstärkten Leidensdruck sowie den Zeitpunkt der Antragstellung bezüglich einer Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen im September 1998, erscheint es nachvollziehbar, dass auch erst ab Antragstellung von einer Verschlimmerung auszugehen ist, die jedoch für den vorliegenden Fall nicht als wesentliche Verschlechterung im Sinne des § 48 SGB X zu bewerten ist, da sie nicht auf die Wehrdienstbeschädigung zurückgeführt werden kann.

Daher war auf die Berufung des Beklagten die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
Saved