Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 2286/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3976/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Juli 2006 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für die Antragstellerin vorläufig, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, die im Rahmen des einjährigen Berufskollegs an der N. S. ab 18. September 2006 entstehenden Internatskosten sowie die weiteren behinderungsbedingten Betreuungskosten zu übernehmen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
Die rechtzeitig schriftlich erhobene Beschwerde (§ 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), der das Sozialgericht Heilbronn (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Die Antragstellerin bedarf zur Verwirklichung ihrer Rechte gerichtlichen Eilrechtsschutzes.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Auflage, § 86b Rdnrn. 25 ff.; Funke-Kaiser in Bader u.a., Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 3. Auflage, § 123 Rdnrn. 7, 11). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz 421.21 Hochschulzulassungsrecht Nr. 37; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 123 Rdnrn. 64, 73 ff., 80 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO § 123 Rdnrn. 78 ff.). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927 ff.); Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnr. 58; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnrn. 95, 99 ff.). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggf. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, a.a.O.; NVwZ 2005, a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B -(juris), 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B -, FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B -, FEVS 57, 164 (jeweils m.w.N. aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung); Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. Rdnrn. 165 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnr. 79; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O. Rdnr. 62).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Antragstellerin hat nach der im einstweiligen Anordnungsverfahren möglichen und zulässigen summarischen Prüfung der Sachlage Anspruch auf Eingliederungshilfe für den Besuch des einjährigen Berufskollegs an der N. in S. zum Erwerb der Fachhochschulreife. Dieser Anspruch folgt aus § 53 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Zur Vermeidung erheblicher Nachteile ist dieser Anspruch vorläufig zu regeln.
Die Antragstellerin ist behindert im Sinne des auch im Rahmen des SGB XII anwendbaren § 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Dies folgt ohne Zweifel aus der Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Antragsgegners vom 21. Juli 2005 (Dr. Löwel-Wittkamp). Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII gehört zu den Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere auch die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. § 12 der auf der Grundlage des § 60 SGB XII ergangenen Eingliederungshilfe-Verordnung vom 1. Februar 1975 (BGBl I 433, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Dezember 2003, BGBl I 3022) bestimmt hierzu unter der Nr. 3, dass die Hilfe zur angemessenen Schuldbildung auch den Besuch eines Gymnasiums, einer Fachoberschule oder einer gleichgestellten Ausbildungsstätte umfasst, wenn nach den Fähigkeiten und den Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, dass er das Bildungsziel erreichen wird.
Nach dem Inhalt der Stellungnahme der N. vom 8. Juni 2005 erfüllt die Antragstellerin nicht nur die formalen Voraussetzungen für den Besuch des Berufskollegs, sondern es ist aufgrund ihrer bisher in der Berufschule erbrachten Leistungen zu erwarten, dass sie das Bildungsziel erreichen wird. Sie hat deshalb nach § 53 Abs. 1 SGB XII Anspruch auf Kostenübernahme im Rahmen der Eingliederungshilfe, wenn deren Zweck noch erfüllt werden kann. Zu Unrecht meint das SG, dass dieser Zweck deshalb nicht mehr erfüllt werden könne, weil die Antragstellerin bereits eine angemessene Berufsausbildung habe. Eine solche Einschränkung ergibt sich aus § 53 Abs. 1 SGB XII nicht. Auch Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe, welche das SG hier einschränkend herangezogen hat, führen im konkreten Fall nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Antragstellerin ist aufgrund ihrer besonderen persönlichen Umstände bislang daran gehindert worden, eine angestrebte angemessene (höhere) Schulbildung zu erreichen. Ihre Lebens- und Leidensgeschichte ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass sie während einer ersten Ausbildung im Bereich des Gesundheitswesens als sechzehnjähriges Mädchen von einer schwerwiegenden Krankheit erfasst wurde, die sie für drei Jahre aus Ausbildungs- und Erwerbsleben völlig herausgenommen und in Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen gezwungen hat. Folge der schwerwiegenden Erkrankung war letztlich die jetzt noch bestehende Schwerbehinderung und die Notwendigkeit einer Umorientierung.
Es ist nahe liegend und glaubhaft, dass die Antragstellerin durch die lange und persönlich schwierige Unterbrechung ihrer ursprünglichen Ausbildungspläne nach Abschluss der medizinischen Rehabilitation nicht in der Lage war, sofort die eigentlich gewünschte, weitere allgemeine Schulausbildung fortzusetzen. Es ist für den Senat deshalb nachvollziehbar, dass die im unmittelbaren Anschluss an die Rehabilitation begonnene Ausbildung zur Bürokauffrau für die Antragstellerin nicht die Verwirklichung eines (endgültigen) Berufs- und Eingliederungszieles darstellte, sondern auch dazu diente, durch eine abgeschlossene Berufsausbildung die Voraussetzungen für einen weiteren Schulbesuch zu schaffen. Das bedeutet aber, dass aufgrund ihres besonderen Lebensweges entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des SG nicht davon ausgegangen werden kann, mit dem Abschluss der Ausbildung zur Bürokauffrau sei - unabhängig davon, von wem diese finanziert worden ist - ein Eingliederungserfolg erzielt, auf den sich die Antragstellerin verweisen lassen müsse. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII macht keine Einschränkungen dahingehend, dass eine angemessene Schulbildung nur geradlinig gefördert werden kann. Der Besuch von weiterführenden Schulen mit dem Ziel eines höheren Bildungsabschlusses ist nach dem Schulsystem in Baden-Württemberg auch nach Durchlaufen einer Berufsausbildung möglich. Es handelt sich dabei um einen normalen Schulbesuch, auf den § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII anwendbar bleibt.
Die angestrebte Ausbildung ist auch angemessen im Sinne der genannten Vorschrift. Dies richtet sich zunächst danach, ob nach den Fähigkeiten und Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, dass das Bildungsziel erreicht wird (vgl. § 12 Nr. 3 Eingliederungshilfe-Verordnung). Ob etwas anders gelten kann, wenn ein behinderter Mensch bereits einen weiterführenden Schulabschluss und eine Berufsausbildung durchlaufen hat (so der Sachverhalt in dem vom Verwaltungsgericht Münster entschiedenen Fall; Urteil vom 4. Februar 2003 - 5 K 1845/99 - (juris)), braucht hier nicht entschieden zu werden, da sich die Situation der Antragstellerin anders darstellt. Sie ist durch ihre Krankheit am Erreichen eines Wunschberufes gehindert worden und sieht sich nach dem Abschluss von Behandlung und erster Berufsausbildung erstmals in der Lage, eine weiterführende Schule zu besuchen. Aus dem Katalog des § 54 SGB XII i.V.m. § 12 der Eingliederungshilfe-Verordnung ergibt sich jedenfalls, dass im Falle der leistungsmäßigen Fähigkeit hierzu der Besuch einer (ersten) weiterführenden Schule in der Regel als angemessener Ausbildungswunsch anzusehen ist. Das gilt unabhängig davon, ob vorher eine Berufsausbildung durchlaufen wurde oder nicht.
Soweit sich der Antragsgegner auf eine vermeintlich bestehende vorrangige Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit beruft, bestehen daran schon aus materiellen Gründen Zweifel, da zu den im Rahmen der berufsfördernden Leistungen nach dem hier wohl einschlägigen Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vorgesehenen Maßnahmen die Förderung des Erreichens eines allgemeinen Bildungsabschlusses eher nicht gehört (vgl. den Leistungskatalog in § 3 Abs. 1 SGB II). Vor allem aber verkennt diese Argumentation die Regelung des § 14 SGB IX, die einen angegangenen Rehabilitationsträger verpflichtet, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages festzustellen, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. § 14 Abs. 2 SGB IX bestimmt in Satz 1, dass im Falle der Nichtweiterleitung des Antrages an einen anderen Träger der angegangene Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen hat. Diese Regelung führt im konkreten Fall dazu, dass mangels Abgabe im Außenverhältnis gegenüber dem behinderten Menschen jedenfalls der Antragsgegner zuständiger Rehabilitationsträger bleibt, wenn die Voraussetzung für eine Eingliederungsmaßnahme vorliegen, wie es hier der Fall ist.
Dass ein Anordnungsgrundes besteht, ist schon deshalb nicht zweifelhaft, weil die Antragstellerin nach Abschluss der Berufsausbildung bislang in dem erlernten Beruf nicht Fuß fassen konnte und wegen der längeren Bearbeitungsdauer bereits ein Schuljahr und damit die Möglichkeit des Abschlusses der Schule innerhalb des einen Schuljahres versäumt hat. Ein weiteres Zuwarten, welches nach Beginn des Schuljahres wieder ein Jahr dauern würde, ist ihr angesichts ihrer persönlichen Situation nicht zumutbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
Die rechtzeitig schriftlich erhobene Beschwerde (§ 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), der das Sozialgericht Heilbronn (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Die Antragstellerin bedarf zur Verwirklichung ihrer Rechte gerichtlichen Eilrechtsschutzes.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Auflage, § 86b Rdnrn. 25 ff.; Funke-Kaiser in Bader u.a., Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 3. Auflage, § 123 Rdnrn. 7, 11). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz 421.21 Hochschulzulassungsrecht Nr. 37; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 123 Rdnrn. 64, 73 ff., 80 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO § 123 Rdnrn. 78 ff.). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927 ff.); Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnr. 58; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnrn. 95, 99 ff.). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggf. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, a.a.O.; NVwZ 2005, a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B -(juris), 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B -, FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B -, FEVS 57, 164 (jeweils m.w.N. aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung); Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. Rdnrn. 165 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnr. 79; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O. Rdnr. 62).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Antragstellerin hat nach der im einstweiligen Anordnungsverfahren möglichen und zulässigen summarischen Prüfung der Sachlage Anspruch auf Eingliederungshilfe für den Besuch des einjährigen Berufskollegs an der N. in S. zum Erwerb der Fachhochschulreife. Dieser Anspruch folgt aus § 53 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Zur Vermeidung erheblicher Nachteile ist dieser Anspruch vorläufig zu regeln.
Die Antragstellerin ist behindert im Sinne des auch im Rahmen des SGB XII anwendbaren § 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Dies folgt ohne Zweifel aus der Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Antragsgegners vom 21. Juli 2005 (Dr. Löwel-Wittkamp). Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII gehört zu den Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere auch die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. § 12 der auf der Grundlage des § 60 SGB XII ergangenen Eingliederungshilfe-Verordnung vom 1. Februar 1975 (BGBl I 433, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Dezember 2003, BGBl I 3022) bestimmt hierzu unter der Nr. 3, dass die Hilfe zur angemessenen Schuldbildung auch den Besuch eines Gymnasiums, einer Fachoberschule oder einer gleichgestellten Ausbildungsstätte umfasst, wenn nach den Fähigkeiten und den Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, dass er das Bildungsziel erreichen wird.
Nach dem Inhalt der Stellungnahme der N. vom 8. Juni 2005 erfüllt die Antragstellerin nicht nur die formalen Voraussetzungen für den Besuch des Berufskollegs, sondern es ist aufgrund ihrer bisher in der Berufschule erbrachten Leistungen zu erwarten, dass sie das Bildungsziel erreichen wird. Sie hat deshalb nach § 53 Abs. 1 SGB XII Anspruch auf Kostenübernahme im Rahmen der Eingliederungshilfe, wenn deren Zweck noch erfüllt werden kann. Zu Unrecht meint das SG, dass dieser Zweck deshalb nicht mehr erfüllt werden könne, weil die Antragstellerin bereits eine angemessene Berufsausbildung habe. Eine solche Einschränkung ergibt sich aus § 53 Abs. 1 SGB XII nicht. Auch Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe, welche das SG hier einschränkend herangezogen hat, führen im konkreten Fall nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Antragstellerin ist aufgrund ihrer besonderen persönlichen Umstände bislang daran gehindert worden, eine angestrebte angemessene (höhere) Schulbildung zu erreichen. Ihre Lebens- und Leidensgeschichte ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass sie während einer ersten Ausbildung im Bereich des Gesundheitswesens als sechzehnjähriges Mädchen von einer schwerwiegenden Krankheit erfasst wurde, die sie für drei Jahre aus Ausbildungs- und Erwerbsleben völlig herausgenommen und in Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen gezwungen hat. Folge der schwerwiegenden Erkrankung war letztlich die jetzt noch bestehende Schwerbehinderung und die Notwendigkeit einer Umorientierung.
Es ist nahe liegend und glaubhaft, dass die Antragstellerin durch die lange und persönlich schwierige Unterbrechung ihrer ursprünglichen Ausbildungspläne nach Abschluss der medizinischen Rehabilitation nicht in der Lage war, sofort die eigentlich gewünschte, weitere allgemeine Schulausbildung fortzusetzen. Es ist für den Senat deshalb nachvollziehbar, dass die im unmittelbaren Anschluss an die Rehabilitation begonnene Ausbildung zur Bürokauffrau für die Antragstellerin nicht die Verwirklichung eines (endgültigen) Berufs- und Eingliederungszieles darstellte, sondern auch dazu diente, durch eine abgeschlossene Berufsausbildung die Voraussetzungen für einen weiteren Schulbesuch zu schaffen. Das bedeutet aber, dass aufgrund ihres besonderen Lebensweges entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des SG nicht davon ausgegangen werden kann, mit dem Abschluss der Ausbildung zur Bürokauffrau sei - unabhängig davon, von wem diese finanziert worden ist - ein Eingliederungserfolg erzielt, auf den sich die Antragstellerin verweisen lassen müsse. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII macht keine Einschränkungen dahingehend, dass eine angemessene Schulbildung nur geradlinig gefördert werden kann. Der Besuch von weiterführenden Schulen mit dem Ziel eines höheren Bildungsabschlusses ist nach dem Schulsystem in Baden-Württemberg auch nach Durchlaufen einer Berufsausbildung möglich. Es handelt sich dabei um einen normalen Schulbesuch, auf den § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII anwendbar bleibt.
Die angestrebte Ausbildung ist auch angemessen im Sinne der genannten Vorschrift. Dies richtet sich zunächst danach, ob nach den Fähigkeiten und Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, dass das Bildungsziel erreicht wird (vgl. § 12 Nr. 3 Eingliederungshilfe-Verordnung). Ob etwas anders gelten kann, wenn ein behinderter Mensch bereits einen weiterführenden Schulabschluss und eine Berufsausbildung durchlaufen hat (so der Sachverhalt in dem vom Verwaltungsgericht Münster entschiedenen Fall; Urteil vom 4. Februar 2003 - 5 K 1845/99 - (juris)), braucht hier nicht entschieden zu werden, da sich die Situation der Antragstellerin anders darstellt. Sie ist durch ihre Krankheit am Erreichen eines Wunschberufes gehindert worden und sieht sich nach dem Abschluss von Behandlung und erster Berufsausbildung erstmals in der Lage, eine weiterführende Schule zu besuchen. Aus dem Katalog des § 54 SGB XII i.V.m. § 12 der Eingliederungshilfe-Verordnung ergibt sich jedenfalls, dass im Falle der leistungsmäßigen Fähigkeit hierzu der Besuch einer (ersten) weiterführenden Schule in der Regel als angemessener Ausbildungswunsch anzusehen ist. Das gilt unabhängig davon, ob vorher eine Berufsausbildung durchlaufen wurde oder nicht.
Soweit sich der Antragsgegner auf eine vermeintlich bestehende vorrangige Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit beruft, bestehen daran schon aus materiellen Gründen Zweifel, da zu den im Rahmen der berufsfördernden Leistungen nach dem hier wohl einschlägigen Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vorgesehenen Maßnahmen die Förderung des Erreichens eines allgemeinen Bildungsabschlusses eher nicht gehört (vgl. den Leistungskatalog in § 3 Abs. 1 SGB II). Vor allem aber verkennt diese Argumentation die Regelung des § 14 SGB IX, die einen angegangenen Rehabilitationsträger verpflichtet, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages festzustellen, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. § 14 Abs. 2 SGB IX bestimmt in Satz 1, dass im Falle der Nichtweiterleitung des Antrages an einen anderen Träger der angegangene Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen hat. Diese Regelung führt im konkreten Fall dazu, dass mangels Abgabe im Außenverhältnis gegenüber dem behinderten Menschen jedenfalls der Antragsgegner zuständiger Rehabilitationsträger bleibt, wenn die Voraussetzung für eine Eingliederungsmaßnahme vorliegen, wie es hier der Fall ist.
Dass ein Anordnungsgrundes besteht, ist schon deshalb nicht zweifelhaft, weil die Antragstellerin nach Abschluss der Berufsausbildung bislang in dem erlernten Beruf nicht Fuß fassen konnte und wegen der längeren Bearbeitungsdauer bereits ein Schuljahr und damit die Möglichkeit des Abschlusses der Schule innerhalb des einen Schuljahres versäumt hat. Ein weiteres Zuwarten, welches nach Beginn des Schuljahres wieder ein Jahr dauern würde, ist ihr angesichts ihrer persönlichen Situation nicht zumutbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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