L 1 U 1612/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 486/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1612/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente aus der Unfallversicherung wegen der Folgen eines Unfallereignisses vom 25. Februar 2003.

Die 1960 geborene Klägerin war als Reinemachefrau im B. S. beschäftigt. Der Chirurg Prof. Dr. S. führte im Durchgangsarztbericht vom 25. Februar 2003 aus, die Klägerin sei heute bei der Arbeit auf Grund von Schwindel auf die linke Körperseite (linke Schulter, linkes Kniegelenk, Schädel) gestürzt. Sie sei kurzfristig bewusstlos gewesen und könne sich nicht mehr vollständig an das genaue Geschehen erinnern. Er diagnostizierte eine Schädelprellung, eine Gehirnerschütterung sowie eine Prellung der linken Schulter und des linken Kniegelenks. Er ging von einem kreislaufbedingten Kollaps/Sturz aus. Eine konsularische neurologische Untersuchung am 26. Februar 2003 ergab einen unauffälligen neurologischen Untersuchungsbefund. Prof. Dr. W. sah die noch geschilderten und spezifischen Beschwerden am ehesten als ein leichtes postcommotionelles Syndrom an. Da sich Hinweise für ein epileptisches Geschehen nicht ergaben, ging er anhand der Anamnese am ehesten von einem synkopalen Bewusstseinsverlust mit konsekutiver Schädelprellung aus (Befundbericht vom 7. März 2003). Aus der stationären Behandlung, die zur neurologischen Überwachung erfolgte, wurde die Klägerin am 26. Februar 2003 entlassen (Entlassungsbericht des Prof. Dr. S. vom 7. März 2003).

Die Verwaltung des Klinikums S. erstattete am 19. Mai 2003 eine Unfallanzeige und gab zum Unfallhergang an, die Klägerin sei über eine Deichsel eines Sprudelwagens gestolpert, zu Boden gefallen und habe sich den Kopf an einer der Sprudelkisten angestoßen. Auf Anfrage der Beklagten gab sie weiter an, die vollständigen Informationen über den Unfallhergang seien am 19. Mai 2003 gemeldet worden. Wie in der Unfallanzeige angegeben, gebe es für den Unfall keine Augenzeugen (Schreiben vom 21. Juli 2003).

Auf Anfrage der Beklagten teilte die Krankenkasse der Klägerin Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von Juli 1982 bis Juli 2003 mit, u.a. wegen Halswirbelsäulen-Syndrom, Migräne, Kollaps, Depression, Kollapsneigung, Hypotonie, Kreislaufbeschwerden. Eine Computertomographie des Schädels am 13. Mai 2003 ergab einen Normalbefund und keinen Nachweis einer frischen oder alten intracraniellen Blutung (Bericht der Radiologen Dr. S. vom 14. Mai 2003). Der Chirurg Dr. M. teilte der Beklagten auf Anfrage weiter mit, ab 5. Juli 2003 sei seine Behandlung wegen Halswirbelsäulen-Lendenwirbelsäulen-Syndroms und Depression kassenärztlich weitergeführt worden (Bericht vom 8. September 2003).

Die Klägerin, die nach ihren Angaben auf Grund eines Antrags vom 25. September 2003 seit dem 1. Juli 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung erhält, beantragte im September 2004, ihr eine Verletztenrente zu zahlen. Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 25. Februar 2003 ab (Bescheid vom 26. Oktober 2004). Der Sachverhalt habe nicht abschließend geklärt werden können. Für das Auftreten eines Kreislaufkollaps als Sturzursache spreche, dass die Klägerin nach einem zeitnahen ärztlichen Bericht des Prof. Dr. W. vom 7. März 2004 plötzlich Sehstörungen und Schwindel mit plötzlichem Bewusstseinsverlust gehabt habe. Prellmarken und Schürfwunden zum Beispiel an den Schienbeinen, die auf einen Sturz über die Deichsel des Wagens hingedeutet hätten, hätten sich dagegen nicht gefunden. Auch aus den Unterlagen der Krankenkasse sei ersichtlich, dass die Klägerin bereits früher Kreislaufkollapse erlitten habe. Den (von der Klägerin nicht begründeten) Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten aus den Gründen des angefochtenen Bescheids zurück (Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2005).

Die Klägerin hat am 26. Januar 2005 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben und die Zahlung einer Rente begehrt. Der Sturz sei nicht auf einen Kreislaufkollaps zurückzuführen, sondern sie sei über die Deichsel eines Wagens gestolpert.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat Prof. Dr. Z. das internistische Gutachten vom 26. September 2005 erstattet. Der Unfall habe keine strukturellen Schädigungen hinterlassen, weder im Bereich des Gehirns noch im Bereich der Schulter. Auch wenn nach Angaben der Klägerin und ihres Ehemanns Beschwerden erst seit dem Unfallereignis aufgetreten seien, sei wahrscheinlicher, dass es sich bei der Symptomatik um somatoforme Störungen im Rahmen der vorbekannten Depression handele. Von funktioneller Seite bestehe keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. März 2006). Das Sozialgericht kam gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. Z. zur Überzeugung, dass die versicherte Tätigkeit nicht die rechtlich wesentliche Ursache für das Unfallereignis gewesen sei. Eine rechtlich wesentliche äußere Einwirkung in Form des Stolperns über die Deichsel eines Sprudelwagens sei nicht hinreichend nachgewiesen. Der Unfall habe sich infolge der Neigung zu Kreislaufbeschwerden mit Halswirbelsäulensyndromen, Migräne und Depressionen und somit durch innere Ursachen ereignet.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 27. März 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31. März 2006 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, zu dem Ereignis vom 25. Februar 2003 habe keine anlagebedingte Erkrankung beigetragen. Sie sei über die Deichsel eines Getränkewagens gestolpert. Das Unfallereignis habe zu einer entsprechenden Gesundheitsstörung geführt, die eine MdE von mehr als 20 vH bedinge. Der Unfall sei als ursprünglich psychischer Auslöser für einen Prozess anzusehen, der sich mittlerweile im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung mit begleitenden depressiven Syndromen verselbstständigt habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. März 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung eine Rente nach einer MdE von 20 vH zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ein Sturz über die Deichsel des Sprudelwagens sei nicht bewiesen.

Der Senat hat die die Klägerin betreffenden Akten der D. R. B.-W. beigezogen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des Sozialgerichts sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte und auch nach § 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Da der Senat die Berufung der Klägerin einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, entscheidet er gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach § 56 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII). Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Die Klägerin übte am 25. Februar 2003 eine versicherte Tätigkeit aus. Denn sie war im Rahmen des damals bestehenden Beschäftigungsverhältnisses als Reinemachefrau tätig, als sie stürzte. Streitig ist die Ursache des Sturzes, nach Behauptung der Klägerin sei sie über die Deichsel eines Sprudelwagens gestolpert und daraufhin gestürzt, nach Auffassung der Beklagten sei die Klägerin auf Grund eines Kreislaufkollaps zu Sturz gekommen. Selbst wenn der Vortrag der Klägerin unterstellt wird, sie sei über die Deichsel eines Sprudelwagens gestolpert und daraufhin gestürzt, besteht kein Anspruch auf Rente. Denn Unfallfolgen, die eine MdE von wenigstens 20 vH bedingen, liegen nicht vor.

Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der eingetretenen bzw. bestehenden Gesundheitsstörung (haftungsausfüllende Kausalität). Für die Beurteilung der haftungsausfüllenden Kausalität gilt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, die Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach genügt abweichend von einer naturwissenschaftlich-philosophischen Kausalitätsbetrachtung nach der Bedingungs- oder Äquivalenztheorie ("conditio sine qua non") nicht jedes Glied in einer Ursachenkette, um die Verursachung zu bejahen, weil dies zu einem unendlichen Ursachenzusammenhang führt. Als kausal und im Sozialrecht erheblich werden vielmehr nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Gesundheitsschaden zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Haben mehrere Bedingungen zu einem Erfolg beigetragen, so sind nur solche Bedingungen wesentlich, die gegenüber anderen von überragender Bedeutung sind (ständige Rechtsprechung, vgl. zum Ganzen: z.B. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 22/03 R -; Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03 R - m.w.N.). Was den anzuwendenden Beweismaßstab anbelangt, gelten für das Vorliegen des Ursachenzusammenhangs verminderte Anforderungen. Während die Grundlagen der Ursachenbeurteilung - versicherte Tätigkeit, Einwirkung, Erkrankung - mit einem der Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein müssen, genügt für den Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung aufgrund der mit der zumeist medizinischen Beurteilung dieses Zusammenhangs bestehenden tatsächlichen Schwierigkeiten eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände, die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernste Zweifel ausscheiden. Die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht (BSG, Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03 R - m.w.N.).

Die Klägerin erlitt bei dem Sturz eine Schädelprellung, eine Gehirnerschütterung sowie Prellungen an der linken Schulter und am linken Kniegelenk. Die am Unfalltag (25. Februar 2003) durchgeführten Röntgenuntersuchungen ergaben keine Hinweise auf frische knöcherne Verletzungen. Die am folgenden Tag (26. Februar 2003) durchgeführten neurologischen Untersuchungen zeigten keine Auffälligkeiten. Auch die am 13. Mai 2003 erfolgte Computertomographie des Schädels ergab einen Normalbefund und keine Hinweise auf Frakturen. Unter Berücksichtigung dieser Befunde ist es überzeugend, wenn Prof. Dr. Z. die von der Klägerin geschilderten Beschwerden nicht auf das von ihr behauptete Unfallereignis zurückgeführt. Hinzukommt, dass bei der Klägerin bereits vor dem Unfallereignis Arbeitsunfähigkeit wegen einer Depression bestand, wie sich aus dem von der Krankenkasse übersandten Vorerkrankungsverzeichnis (Blatt 31 der Verwaltungsakte) ergibt. Des Weiteren zeigt der Entlassungsbericht des Dr. H. vom 23. Dezember 2003 über das teilstationäre Rehabilitationsverfahren vom 18. November 2003 bis 16. Dezember 2003, dass zahlreiche nicht mit dem von der Klägerin behaupteten Unfallereignis zusammenhängenden Lebensumstände bestehen, die für die von der Klägerin geklagten Beschwerden verantwortlich sind. Dies bestätigt die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. Z ...

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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