L 11 KR 2575/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 2110/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2575/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Alters- sowie Kranken- und Pflegevorsorgeunterhaltsleistungen gehören zum gesamten Lebensbedarf und sind deshalb bei freiwilligen Mitgliedern der Beitragsbemessung in der Kranken- und Pflegeversicherung zu Grunde zu legen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung streitig, das heißt insbesondere, ob der Vorsorgeunterhalt als Einnahme zum Lebensunterhalt zu werten ist.

Die 1966 geborene Klägerin ist seit dem 25.10.1999 freiwilliges Mitglied der Beklagten. Durch gerichtlichen Vergleich vom 23.11.2000 beim Oberlandesgericht Stuttgart (Az.: 16 UF 316/00) verpflichtete sich ihr geschiedener Ehemann u.a., der Klägerin ab dem 01.11.2001 monatlich 2.500,- DM Elementarunterhalt, 670,- DM Altersvorsorgeunterhalt und 430,- DM Kranken- und Pflegevorsorgeunterhalt zu gewähren.

Nachdem die Klägerin ihre Unterhaltsbezüge mitgeteilt hatte, berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 10.12.2004 ihren Beitrag rückwirkend zum 01.06.2004 für die Kranken- und Pflegeversicherung neu, wobei als Berechnungsgrundlage 1.743,75 EUR angenommen wurden. Hieraus resultiere eine Beitragsforderung von 266,79 EUR (237,15 EUR Kranken- und 29,64 EUR Pflegeversicherung). Aus der Rückrechnung ergebe sich eine Nachzahlung von 456,85 EUR.

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, für die Berechnung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge dürfe ausschließlich der Elementarunterhalt herangezogen werden. Die Beklagte sei an die unterhaltsrechtliche Ermittlung des Kranken- und Pflegeversicherungsbedarfs bei ihrer Beitragsfestsetzung gebunden. Sie könne daher die Beiträge nicht entgegen der unterhaltsrechtlichen Vorgaben anders ermitteln. Der Vorsorgeunterhalt sei mit den Versicherungsbeiträgen eines Nichtselbständigen gleichzusetzen, wobei die fiktiven Arbeitgeberbeiträge mit enthalten seien.

Mit Bescheid vom 10.05.2005 korrigierte die Beklagte die Berechnungsgrundlage basierend auf dem eingereichten Scheidungsvergleich auf eine Berechnungsgrundlage von 1.840,65 EUR, woraus ein monatlicher Beitrag ab April 2005 in Höhe von 276,10 EUR resultiere (244,81 EUR Kranken- und 31,29 EUR Pflegeversicherung). Der höhere Betrag müsse normalerweise rückwirkend ab dem 01.06.2004 berechnet werden. Die zu niedrige Beitragsbelastung resultiere aber aus einem Fehler im Berechnungsprogramm, so dass die laufenden Beiträge erst ab dem Fälligkeitsmonat April 2005 korrekt abgebucht würden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2005 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bei der Beitragsbemessung werde die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds zugrunde gelegt. Die Klägerin beziehe Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 1.840,65 EUR (Elementarunterhalt 1.278,29 EUR, Altersvorsorgeunterhalt 342,57 EUR und Kranken- und Pflegevorsorgeunterhalt 219,86 EUR). Hierbei werde der Kinderunterhalt nicht berücksichtigt. Die Vorsorgebeiträge seien ebenfalls beitragspflichtig. Dies habe das Bundessozialgericht (BSG) für die Übernahme der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung durch das zuständige Sozialamt eines Sozialhilfeempfängers entschieden. Auch ein Arbeitnehmer (Nichtselbständiger) müsse zu allen Zweigen der Sozialversicherung aus seinem Bruttolohn Beiträge zur Sozialversicherung zahlen, wobei sich eventuelle steuerliche Abzüge nicht als Vergünstigung auswirkten. Die einzige Besonderheit bei der Klägerin bestehe darin, dass sie, da sie keinen Arbeitgeber besitze, keinen Anspruch auf den halben Beitrag (Arbeitgeberzuschuss) habe.

Mit ihrer dagegen beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, es könne nicht sein, dass im Sozialrecht die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge anders berechnet würden als im Unterhaltsrecht. Außerdem sei der Vorsorgeunterhalt Teil des allgemeinen Lebensbedarfs und damit keine beitragspflichtige Einnahme.

Mit Urteil vom 22.03.2006, der klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 24.04.2006, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, die Beklagte habe zu Recht den Altersvorsorgeunterhalt der Klägerin zusätzlich zu dem Elementarunterhalt als beitragspflichtig berücksichtigt. Selbst wenn ein Vorsorgeunterhalt zweckbestimmt geleistet werde, stehe er nämlich der Klägerin zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes zur Verfügung. Deswegen habe das BSG auch die Übernahme der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung durch den Sozialhilfeträger ebenfalls als beitragspflichtige Einnahmen zum Lebensunterhalt gewertet. Dass die Beitragspflicht aus Vorsorgeunterhalt rechtmäßig sei, werde auch dadurch bestätigt, dass bei nichtselbständigen Arbeitnehmern die Beiträge aus dem gesamten Bruttoeinkommen bemessen würden und nicht aus dem um die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge reduzierten Gehalt. Dafür spreche schließlich auch, dass die Beitragsbemessung, wenn nicht der gesamte Unterhaltsbetrag berücksichtigt werde, ein Verhandlungsposten bei Vergleichsverhandlungen wäre und die bloße Erhöhung des Vorsorgeunterhalts die Beitragshöhe modifizieren könne. Dass die (erhöhte) Beitragsforderung der Beklagten sich möglicherweise auf die Höhe des Unterhaltsanspruchs der Klägerin auswirke und ggfs. zu dessen Neuberechnung führen könne, rechtfertige auch nicht die Nichtberücksichtigung des Vorsorgeunterhalts bei der Beitragsbemessung.

Mit ihrer dagegen am 18.05.2006 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, die Satzungsvorschrift der Beklagten verstoße gegen höherrangiges Recht, nämlich das Unterhaltsrecht. Im Rahmen des Unterhaltsrechts stelle nämlich der Kranken- und Altersvorsorgeunterhalt keinen Teil des allgemeinen Lebensbedarfes dar. Dementsprechend könne die Beklagte auch nicht durch Satzung bestimmen, dass dieser Unterhalt dem allgemeinen Lebensbedarf zuzuordnen sei. Der Kranken- und Pflegevorsorgeunterhalt sei auch nach dem Unterhaltsrecht zweckgebunden, d.h. müsse in dieser Höhe für Krankenvorsorge verwendet werden. Gleiches gelte für den sogenannten Altersvorsorgeunterhalt. Bei einer Beitragsbemessung aus diesen Unterhaltsbestandteilen würde dies im Ergebnis dazu führen, dass sich immer wieder ein höherer Krankenvorsorgeunterhalt ergeben würde.

Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22. März 2006 aufzuheben und den Bescheid vom 10. Dezember 2004 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 10. Mai 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 08. Juli 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihre Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf der Berechnungsgrundlage des Elementarunterhalts ohne Berücksichtigung des Alters- und des Kranken- und Pflegevorsorgeunterhalts zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das ihre Satzungsregelung keine abschließende Aufzählung beinhalte, welche Einnahmen für die Beitragseinstufung heranzuziehen seien. Durch das Wort "insbesondere" werde eindeutig klargestellt, dass nur eine beispielhafte Aufzählung von verschiedenen Einkunftsarten erfolge. Auch könne der von der Klägerin angeführte Vergleich mit Brutto- und Nettolohn eines Arbeitnehmers nicht nachvollzogen werden. Elementarunterhalt sei, wenn überhaupt, mit dem Nettolohn des Arbeitnehmers zu vergleichen, da dies dem Einkommen entspreche, über das der Versicherte nach Abzug der gesetzlich zu zahlenden Abgaben frei verfügen könne.

Die Beteiligten wurden darauf hingewiesen, dass der Senat erwäge, nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

II.

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten nach § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, ist statthaft, da die Berufung einen Zeitraum von mehr als einem Jahr umfasst (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) und damit insgesamt zulässig ist. Sie ist jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die angefochtenen Bescheide vom 10.12.2004 und 10.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2005 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch darauf, dass ihre Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf der Berechnungsgrundlage des Elementarunterhalts ohne Berücksichtigung des Altersvorsorge- und des Kranken- und Pflegevorsorgeunterhalts berechnet werden. Die Beklagte hat zu Recht ihrer Beitragsbemessung den gesamten Unterhalt der Klägerin in Höhe von 1.840,65 EUR zugrunde gelegt, woraus ein monatlicher Beitrag von 276,10 EUR resultiert, der lediglich deswegen erst ab April 2005 eingezogen wird, weil die ursprüngliche Beitragsberechnung von 266,79 EUR ab Juni 2004 auf einem EDV-Fehler der Beklagten beruhte.

Die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder wird nach § 240 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch die Satzung geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds berücksichtigt (Abs. 1 Satz 2). Die Satzung der Krankenkasse muss mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind (Abs. 2 Satz 1). Nach § 57 Abs. 4 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) gelten diese Vorschriften auch für die Beitragsbemessung in der Pflegeversicherung. Das Gesetz überlässt danach für freiwillige Mitglieder der Krankenversicherung die Bestimmung der in der Kranken- und Pflegeversicherung beitragspflichtigen Einnahmen grundsätzlich den Satzungen der Kassen.

Die Beklagte hat von dieser Satzungsautonomie in rechtskonformer Weise Gebrauch gemacht und insbesondere auch zur Überzeugung des Senats nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Beklagten wird geregelt, dass sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch alle Einnahmen und Geldmittel, die das Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte bis zum Betrag der Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung bestimmt. Diese Formulierung wiederholt, worauf das SG zu Recht hinweist, die Begründung des Gesetzesentwurfs zu § 240 Abs. 1 SGB V (BT-Drs. 11/2237 S. 225) und ist deswegen auch nicht zu beanstanden.

Zu den sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt gehören nach der ständigen Rechtsprechung alle Einnahmen, die dem Versicherten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung stehen (BSG SozR 3 - 2500 § 240 Nr. 31). Dies sind auch die monatlichen Unterhaltszahlungen des geschiedenen Ehemannes der Klägerin in Höhe von 1.840,65 EUR. Dass diese Zuordnung nicht dem Unterhaltsrecht widerspricht, folgt zur Überzeugung des Senats aus § 1578 Abs. 2 und 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach umfasst der Unterhaltsanspruch auch die Kosten einer angemessenen Versicherung für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit sowie einer angemessenen Versicherung für den Fall des Alters und der verminderten Erwerbsfähigkeit. Der Vorsorgeunterhalt soll die Nachteile, die dem Unterhaltsberechtigten aus der ehebedingten Behinderung seiner Erwerbstätigkeit erwachsen, ausgleichen (BGH NJW 1981, 1556), orientiert sich deswegen an den tatsächlich entstandenen Kosten, unterliegt aber auch einer Angemessenheitskontrolle (vgl. Palandt, Kommentar zum BGB, 65. Aufl. 2006, § 1578 Rdnr. 63 ff.). Das hat zur Folge, dass im Einzelfall ein geringerer Vorsorgeunterhalt gezahlt werden muss, als er dem Unterhaltsberechtigten tatsächlich entsteht oder dieser ihn auch zweckwidrig verwenden kann, soweit er nicht mutwillig im Sinne des § 1579 Nr. 3 BGB handelt (Palandt a.a.O. Rdnr. 74). Deswegen ist es unerheblich, dass der vom Oberlandesgericht Stuttgart dem unterhaltsrechtlichen Vergleich zugrunde gelegte Betrag für die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 219,86 EUR den streitigen Beitrag von 276, 10 EUR unterschreitet. Daraus folgt, dass sowohl der Vorsorge- wie Kranken- und Pflegevorsorgeunterhalt zum gesamten Lebensbedarf zählt (so auch Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22.10.1996 - L 1 KR 45/96) und daher zu den Einnahmen zu rechnen ist, die der Klägerin zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung stehen.

Insofern geht die Einwendung der Klägerin, der Vorsorgeunterhalt sei zweckgebunden und könne deswegen der Beitragsbemessung nicht zugrunde gelegt werden, fehl. Denn die Zweckgebundenheit besteht, worauf die Beklagte mit ihrem Widerspruchsbescheid zutreffend hingewiesen hat, in gleichem Umfang für die Übernahme der freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge eines Sozialhilfeempfängers, die rechtlich ebenfalls als Leistung zum Lebensunterhalt zu werten sind (BSG SozR 3 - 2500 § 240 Nr. 34 - Parallelentscheidung zu B 12 KR 36/00 R). Dessen ungeachtet wird der Vorsorgeunterhalt auch nicht zweckwidrig, sondern gerade für die Bezahlung der anstehenden Beiträge verwendet.

Der Vorsorgeunterhalt gehört weiter auch nicht zu den Zuwendungen, die aus sozialpolitischen Gründen gewährt werden, um einen besonderen schädigungsbedingten Mehraufwand (z.B. Beschädigten-Grundrente), besondere Belastungen (z.B. Kindergeld, Wohngeld) oder einen Bedarf unter besonderen Verhältnissen auszugleichen.

Ob die nach alledem zutreffend berechnete Beitragsforderung der Beklagten sich im nachhinein auf die Höhe des Unterhaltsanspruchs der Klägerin auswirkt, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Eine solche Rechtsfolge rechtfertigt es auch nicht, den Vorsorgeunterhalt bei der Beitragsberechnung unberücksichtigt zu lassen (so auch Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht a.a.O.).

Nach alledem ist daher die Berufung als unbegründet zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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