L 12 U 4432/06 KO-A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 U 4432/06 KO-A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Vergütung des Antragstellers für das Gutachten vom 03.08.2006 wird auf 2.941,89 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

In dem beim Landessozialgericht anhängigen Berufungsverfahren L 1 U 1014/04 geht es um die Anerkennung und Entschädigung von Unfallfolgen. Im Oktober 2005 wurde der Antragsteller zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und um die Erstattung eines Gutachtens auf Grund ambulanter Untersuchung des Klägers gebeten. Die hierbei zu berücksichtigenden Verwaltungs- und Gerichtsakten hatten zu diesem Zeitpunkt einen Umfang von 905 Blatt. Mit Beschluss vom 24.01.2006 (L 12 U 266/06 KO-A) ist das Gutachten - vorbehaltlich der späteren abschließenden Prüfung und Beurteilung - der Honorargruppe M 3 zugeordnet worden. Unter dem Datum des 03.08.2006 wurde das 36-seitige nervenfachärztliche Zusammenhangsgutachten vorgelegt (davon 1 Seite Deckblatt, 5 Seiten Aktenlage, 8 Seiten Anamnese, 6 Seiten Befunde und 16 Seiten Zusammenfassung und Beantwortung der Beweisfragen), welches 59.171 Zeichen enthält. Der Antragsteller verlangte mit seiner Rechnung eine Vergütung in Höhe von 4.008,- EUR. Hierbei hat er 34 Stunden Arbeitszeit nach einem Stundensatz von 85 EUR (7 Stunden Aktenstudium, 2 Stunden Untersuchung, 3 Stunden biographische Anamnese, 3 Stunden Auswertung von 6 Tests, 1 Stunde Doppler/TCD/Duplex, 14 Stunden Ausarbeitung, 4 Stunden Diktat und Korrektur), besondere Verrichtungen einschließlich der zweimaligen GOÄ-Nr. 829 in Höhe von insgesamt 512,42 EUR, Schreibgebühren mit Kopien von 89,38 EUR und 9 EUR Porto sowie die gesetzliche Umsatzsteuer zugrunde gelegt. Der Kostenbeamte hat lediglich 23,5 Stunden Arbeitszeit nach der Honorargruppe M 3 anerkannt, die GOÄ-Nr. 829 nur mit den Sachkosten berücksichtigt und die Schreibauslagen auf 76 EUR gekürzt, weshalb er die Entschädigung auf 2.947,69 EUR herabgesetzt hat. In dem Antrag auf richterliche Festsetzung hat sich der Antragsteller gegen die vorgenommenen Kürzungen. Er ist der Auffassung, dass die angesetzte Stundenzahl dem tatsächlichen Aufwand für die außerordentlich schwierige und umfangreiche Begutachtung nicht gerecht werde. So sei eine Auseinandersetzung mit acht Vorgutachten erforderlich gewesen. Hinsichtlich der abgerechneten Tests sei die Abrechnung dahingehend zu korrigieren, dass vier Tests 3 Stunden Zeitaufwand erfordert hätten. Die zweimal angefallene GOÄ-Nr. 829 dürfe zudem nicht nur im Rahmen von Sachkosten berücksichtigt werden. Die Schreibkosten hätten allerdings tatsächlich nur 71 EUR betragen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.

II.

Im vorliegenden Fall finden die Regelungen des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, JVEG) Anwendung, weil der Gutachtensauftrag dem Antragsteller nach dem 30.6.2004 erteilt worden ist (§ 25 Satz 1 JVEG). Der Senat entscheidet nach § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG durch den hierzu bestimmten Einzelrichter. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG erhält der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen bemessen ist. Dementsprechend wird es gem. § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt, wobei die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet wird, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrages. Für die Ermittlung der Anzahl der zu vergütenden Stunden kommt es - wie im bisherigen Recht, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) - nicht auf die vom Sachverständigen tatsächlich aufgewandten Stunden an. Dabei hängt die Zeit, die erforderlich ist, nicht von der individuellen Arbeitsweise des jeweiligen Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen (Meyer/Höver/Bach, JVEG, 23. Aufl., § 8 Rdnr. 8.48).

Medizinische Sachverständige erhalten nach § 9 Abs. 1 für jede Stunde ein Honorar in Höhe von 50, 60 oder 85 EUR, je nachdem, welcher Honorargruppe (M 1 bis M 3) das von ihnen erstattete Gutachten nach der Anlage 1 JVEG zuzuordnen ist. Die Zuordnung zur Honorargruppe M 2 ist vorliegend richtigerweise nicht umstritten.

Aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG ergibt sich, dass sich die Anzahl der zu vergütenden Stunden nicht daran orientiert, wie viele Stunden der Sachverständige zur Erstattung des Gutachtens aufgewandte, sondern daran, wie viele Stunden für die Erstattung des Gutachtens erforderlich, also notwendig waren. Insoweit ist keine Änderung der Rechtslage gegenüber dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) eingetreten. Für die Ermittlung der Anzahl der zu vergütenden Stunden kommt es - wie im bisherigen Recht, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 ZSEG - nicht auf die vom Sachverständigen tatsächlich aufgewandten Stunden an. Auch hängt die Zeit, die erforderlich ist, nicht von der individuellen Arbeitsweise des jeweiligen Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen (Meyer/Höver/Bach, ZSEG, 22. Aufl., § 3 Rdnr. 21).

Wie bisher schon kann auch unter der Geltung des JVEG allerdings davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich aufgewandte Zeit richtig sind und dass die vom Sachverständigen zur Vergütung verlangten Stunden für die Erstellung des Gutachtens auch notwendig waren. Dementsprechend findet regelmäßig nur eine Plausibilitätsprüfung der Kostenrechnung anhand allgemeiner Erfahrungswerte statt. Voraussetzung ist allerdings, dass der Sachverständige eine Kostenrechnung vorlegt, anhand derer eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen werden kann. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn der Sachverständige die Kostenrechnung entsprechend der Vorgaben verfasst, wie sie ihm im Merkblatt, das er zusammen mit dem Gutachtensauftrag erhält, mitgeteilt werden. Sofern der Sachverständige innerhalb des durch die Plausibilitätsprüfung gezogenen Rahmens bleibt oder diesen Rahmen nur geringfügig überschreitet, wird er antragsgemäß entschädigt. Verlangt er erheblich mehr als die sich nach der Plausibilitätsprüfung ergebenden Stunden vergütet, muss diese Überschreitung nachvollziehbar sein, entweder aufgrund ohne weiteres erkennbarer oder auf Grund vom Sachverständigen vorgetragener besonderer, eine Abweichung von den allgemeinen Erfahrungswerten rechtfertigender Umstände. Lässt sich die (erhebliche) Überschreitung nicht nachvollziehen, können nur die auf Grund der Plausibilitätsprüfung ermittelten Stunden vergütet werden.

Beim Zeitaufwand für die Aktendurchsicht einschließlich Diktat des für das Gutachten erforderlichen Akteninhalts ist auch das Ausmaß der gutachtensrelevanten Aktenteile (einschlägige Befundberichte der behandelnden Ärzte, Vorgutachten, Rehabilitationsberichte, Beschwerdeschilderungen beispielsweise in der Widerspruchs-, Klage- und Berufungsbegründung) zu berücksichtigen. Dabei legt der Senat seine eigenen Erfahrungswerte aus dem richterlichen Bereich zu Grunde. Danach ist - bei Gutachten auf Grund ambulanter Untersuchung - für bis zu 200 Aktenseiten mit bis zu 50% gutachtensrelevantem Anteil bei der Plausibilitätsprüfung eine Stunde für Durchsicht und erforderliches Diktat anzusetzen.

Zu differenzieren ist auch im Bereich des zeitlichen Aufwandes für das Diktat der Anamnese und der Befunde gegenüber der Beurteilung. Denn anders als das Diktat von Anamnese und Befunden stellt die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen die eigentliche Gedankenarbeit mit der Auswertung der Befunde und deren Würdigung im Hinblick auf die Beweisfragen dar. Dementsprechend ist der zeitliche Aufwand für die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen einschließlich Diktat wesentlich höher anzunehmen, als die Wiedergabe von Anamnese und den erhobenen Befunden. Auch insoweit verfügt der Senat über Erfahrungswerte und hält beim außerhalb der Untersuchung erfolgtem Diktat von Anamnese und Befunden einen zeitlichen Aufwand von einer Stunde für acht Seiten im Falle der Darstellung standardisiert erhobener Anamnese und Befunde (häufig in orthopädischen Gutachten) bzw. einen zeitlichen Aufwand von einer Stunde für sechs Seiten bei ausführlicher und komplizierterer Darstellung (beispielsweise in psychiatrischen Gutachten) für akzeptabel. Für die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen (ohne deren Wiedergabe) dagegen ist in erster Linie der Inhalt des Gutachtens, in dem der Grad der Intensität und die Gewissenhaftigkeit der Arbeitsweise des Sachverständigen zum Ausdruck kommt, maßgeblich. Bei durchschnittlich komplizierten Ausführungen ohne Wiederholungen ist - auch dies entspricht Erfahrungswerten aus der (auch kosten-) richterlichen Praxis - ein Zeitaufwand von einer Stunde für zweieinhalb Seiten nicht zu beanstanden. Für die Korrektur einschließlich abschließender Durchsicht sieht der Senat einen Zeitaufwand von einer Stunde für zwölf Seiten als angemessen an.

Zusammengefasst gestaltet sich die kostenrechtliche Prüfung demnach so (Beschluss vom 05.04.2005, L 12 SB 795/05 KO-A), dass in einem ersten Schritt im Rahmen der Plausibilitätsprüfung das Gutachten und seine einzelnen Teile auf sogenannte Standardseiten mit 2700 Anschlägen je Seite umgerechnet wird und anhand von Erfahrungswerten (Blätter je Stunde im Falle der Aktendurchsicht bzw. Seiten je Stunde) für die jeweilige Tätigkeit (Aktendurchsicht, Diktat von Anamnese und Befunden, Beurteilung einschließlich Beantwortung der Beweisfragen, Korrektur) ein Zeitaufwand ermittelt wird, der im Falle eines "Routinegutachtens" zu erwarten ist. Überschreitet der Sachverständige mit seinem geltend gemachten Zeitaufwand das Ergebnis dieser Plausibilitätsprüfung, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob sich - insbesondere aus dem Gutachten selbst unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zeitaufwandes und ggf. vom Sachverständigen dargelegter Umstände - Hinweise ergeben, die eine Abweichung vom Ergebnis der Plausibilitätsprüfung rechtfertigen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Sachverständige eine Kostenrechnung vorlegt, anhand derer eine solche Prüfung vorgenommen werden kann. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn der Sachverständige die Kostenrechnung unter Mitteilung seines tatsächlichen Zeitaufwandes entsprechend der Vorgaben verfasst, wie sie ihm im Hinweisblatt mitgeteilt worden sind.

Soweit sich der Antragsteller - sinngemäß - gegen die Umrechnung des Gutachtens in sogenannte Standardseiten mit 2700 Anschlägen wendet, übersieht er, dass diese Standardseite lediglich eine Rechengröße ist und in untrennbarem Verhältnis zur leistbaren Seitenzahl je Stunde steht. Dementsprechend führt eine Diskussion über die Anschläge pro Seite nicht weiter (s. Beschluss vom 05.04.2005, L 12 SB 795/05 KO-A). Auch wenn eine Standardseite mit weniger Anschlägen berechnet würde, würde sich am Ergebnis der Plausibilitätsprüfung deshalb nichts ändern, weil dann entsprechend den Erfahrungswerten des Senats die leistbare Seitenzahl je Stunde anzuheben wäre. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist nochmals darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige nicht gehalten ist, sein Gutachten in derartigen Standardseiten zu erstatten. Vielmehr steht die Seitengestaltung weiterhin in seinem Ermessen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt dazu, dass in einem ersten Rechenschritt die Seiten des Gutachtens in Standardseiten mit 2.700 Zeichen umzurechnen sind. Hieraus ergibt sich ein Umrechnungsfaktor von x 0,6 je Seite (59.171 Zeichen: 2.700 Anschläge = 21,9 Standardseiten für das vorliegende Gutachten; 21,9 Standardseiten: 36 tatsächlich vorgelegte Seiten = Umrechnungsfaktor 0,6 für die einzelne Seite).

Danach ergibt sich vorliegend im Rahmen der Plausibilitätsprüfung ein Stundenaufwand von 18,7 Stunden (4,5 Stunden Aktenstudium, 6 Stunden Untersuchung und Anamnese, 1,4 Stunden Diktat von Anamnese und Befunden, 1 Stunde Auswertung von Tests, 4 Stunden Zusammenfassung und Beantwortung der Beweisfragen, 1,8 Stunden Korrektur), der auf 19 Stunden zu runden ist.

Das Ergebnis der Plausibilitätsprüfung ist jedoch kritisch zu hinterfragen, da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Sachverständige seine aufgewendeten Stunden zutreffend angibt.

Daher ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob der Gutachter den durch die Plausibilitätsprüfung gezogenen Rahmen nur geringfügig überschreitet (maximal um 10 %); liegt eine nur geringfügige Überschreitung vor, wird er antragsgemäß entschädigt. Vorliegend macht der Antragsteller allerdings eine um mehr als 10 % von der Plausibilitätsprüfung abweichende Stundenzahl geltend, weswegen aus diesem Gesichtspunkt eine Erhöhung der Stundenzahl nicht erfolgen kann.

Liegen darüber hinaus Anhaltspunkte oder Angaben des Gutachters vor, die einen höheren Stundensatz rechtfertigen, so sind die höheren Stunden zugrunde zu legen (vgl. Beschluss des Senats vom 09.05.2005, L 12 U 1512/05 KO-A). Der Kostenbeamte hat insoweit bereits berücksichtigt, dass eine besonders umfangreiche und schwierige Begutachtungssituation vorlag, der nicht allein durch die Anwendung der Honorargruppe M 3 Rechnung getragen wird, indem er 4,5 weitere Stunden als vergütungsfähig angesehen hat. Dieser Zuschlag erscheint angemessen, aber auch ausreichend, um den besonderen Anforderungen der vorliegenden Begutachtung gerecht zu werden. Darauf, dass der Antragsteller vorliegend gegebenenfalls mehr Arbeitszeit aufgewendet hat, kommt es nach der Gesetzeslage nicht an.

Demnach sind 23,5 Stunden nach der Honorargruppe M 3 zu entschädigen (1.997,50 EUR). Den Aufwand für Schreibauslagen hat der Antragsteller inzwischen selbst mit lediglich 71 EUR angegeben. Die GOÄ-Nr. 829 war entsprechend den Ausführungen des Kostenbeamten zu kürzen, weil der Zeitaufwand hierfür bereits in der Entschädigung für die Untersuchungszeit berücksichtigt worden ist. Damit ergibt sich eine Kostenforderung von insgesamt 2.941,89 EUR.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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