L 6 V 3067/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 9 V 18/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 V 3067/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 SF 4/06 S
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Beschluss eines Landessozialgerichts, sich wegen eines Wohnsitzwechsels des Klägers für örtlich unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zu verweisen, in dessen Gerichtsbezirk der Kläger jetzt wohnt, entbehrt jeder Rechtsgrundlage und ist daher willkürlich.

In einem solchen Fall ist der Rechtsstreit auszusetzen und gem. § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG dem Bundessozialgericht als dem gemeinsam nächsthöheren Gericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorzulegen.

Wegen Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit beim BSG anhängig unter:Az.: B 12 SF 4/06 S
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg erklärt sich für örtlich unzuständig. Der Rechtsstreit wird ausgesetzt und dem Bundessozialgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Erhöhung seiner Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und die Gewährung von Berufsschadensausgleich (vgl. § 30 Bundesversorgungsgesetz (BVG)). Gegen die ablehnenden Bescheide des Amtes für Versorgung und Familienförderung (AVF) Landshut vom 23.04. und 24.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayrischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 30.07.2001 erhob der Kläger am 06.08.2001 Klage vor dem Sozialgericht Landshut (SG), die dort unter dem Aktenzeichen S 9 V 18/01 geführt wurde. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war der Kläger in T. wohnhaft. Mit Schreiben vom 23.09.2003 teilten die Klägervertreter im Parallelverfahren S 9 V 6/99 dem SG mit, dass der Kläger verzogen sei und nunmehr unter der Anschrift "J." wohnhaft sei. Das SG nahm diese Änderungsmitteilung offensichtlich auch im Verfahren S 9 V 18/01 zur Kenntnis, da der erste nach der Änderungsmitteilung ergangene Schriftsatz vom 19.04.2004 bereits die neue Adresse des Klägers in J. enthielt. Darüber hinaus teilte das AVF Landshut mit Schreiben vom 13.04.2005 mit, dass die Akte des Klägers wegen Wohnortwechsels am 21.10.2003 an das Versorgungsamt Freiburg abgegeben worden sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.12.2005 (dessen Rubrum die Adresse des Klägers in J. enthält) wies das SG die Klage ab.

Dagegen legte der Kläger am 13.01.2006 beim Bayerischen Landessozialgericht (Bay. LSG) Berufung ein. Mit Schreiben vom 24.02.2006 teilte das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) mit, dass die Akten des Klägers wegen Wegzugs an das Landratsamt Waldshut (ehemals Versorgungsamt Freiburg) abgegeben worden seien. Beklagter sei seines Erachtens nunmehr das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regierungspräsidium Stuttgart, Landesversorgungsamt.

Das Bay. LSG informierte daraufhin mit Schreiben vom 09.03.2006 die Beteiligten, dass nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) der Wechsel eines Beteiligten als Klageänderung anzusehen sei. Im Übrigen sei beabsichtigt, den Rechtsstreit an das zuständige Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg) zu verweisen. Unter dem 17.05.2006 teilte das Bay. LSG dem ZBFS außerdem mit, dass dieses aus dem Rechtsstreit entlassen worden sei.

Mit Beschluss vom 18.05.2006 erklärte sich das Bay. LSG für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das LSG Baden-Württemberg. Dabei ging es davon aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung noch in L. wohnhaft gewesen sei (unter dieser Adresse hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt gewohnt; es handelt sich um die Anschrift der Klägervertreter) und zwischenzeitlich - also nach Berufungseinlegung - nach J. verzogen sei. Dies habe nicht nur zur Folge, dass - gem. § 3 Abs. 1 KOVVfG - auf Beklagtenseite ein Wechsel eingetreten sei. Der Beklagtenwechsel habe auch Auswirkungen auf die örtliche Zuständigkeit des befassten Sozialgerichts. Das Bay. LSG bezog sich zur Begründung seiner Auffassung auf den Beschluss des BSG vom 25.10.2004 - B 7 SF 20/04 S -, in dem das BSG die Auffassung vertreten hat, es erscheine nicht willkürlich, sondern sei durchaus nachvollziehbar und rechtlich begründet, dass die bisherige Rechtsauffassung des BSG, dass sich die Zuständigkeit (des Sozialgerichts) bei einem Wohnsitzwechsel grundsätzlich nicht ändern solle, nach der Neufassung des § 3 KOVVfG nicht mehr aufrechterhalten werden könne. In Fortführung dieser Entscheidung sei der vorliegende Rechtsstreit an das LSG Baden-Württemberg zu verweisen. Denn der Personenkreis der Versorgungsberechtigten sei als besonders schutzwürdig anzusehen. Ein ortsnaher Rechtsschutz gereiche ihnen regelmäßig zum Vorteil, da weite (und beschwerliche) Anreisewege vermieden würden.

II.

Das LSG Baden-Württemberg hält sich für den verwiesenen Rechtsstreit nicht für zuständig, da es sich um die Berufung gegen die Entscheidung eines bayerischen Sozialgerichts handelt und damit das Bay. LSG zuständig ist.

Die örtliche Zuständigkeit des LSG ist eine abgeleitete und folgt ohne weiteres aus der örtlichen Zuständigkeit der ersten Instanz. Es entscheidet das LSG, das dem Sozialgericht, das den Rechtsstreit in erster Instanz entschieden hat, übergeordnet ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, RndNr. 1a zu § 57).

Die Zuständigkeit des LSG Baden-Württemberg ergibt sich auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Bay. LSG vom 18.05.2006.

§ 98 Satz 1 SGG ordnet für die sachliche und örtliche Zuständigkeit die Geltung der §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) an. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 GVG sind unanfechtbar (§ 98 Satz 2 SGG). Gem. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG spricht das Gericht, das den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig hält, dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit sogleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Der Beschluss ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges (und wegen § 98 Satz 1 SGG somit auch hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit) bindend. Die Bindungswirkung dieses (Verweisungs-)Beschlusses tritt jedoch dann nicht ein, wenn die Verweisung willkürlich ist oder auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze beruht (vgl. BSG SozR 3-1720 § 17a Nr. 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, RndNr. 9 zu § 98).

Der erkennende Senat hält den Verweisungsbeschluss des Bay. LSG nicht für bindend, da er jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt und damit willkürlich ist. Für Überlegungen hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit des LSG nach einem Beteiligten- und Wohnsitzwechsel nach Erlass der angefochtenen Entscheidung ist, da es sich, wie bereits oben dargelegt, um eine abgeleitete Zuständigkeit handelt, von vornherein kein Raum. Dies gilt auch dann, wenn man in dem auf § 3 KOVVfG in der ab 01.07.2001 geltenden Fassung beruhenden Beteiligtenwechsel eine Klageänderung im Sinne von § 99 SGG sieht mit der Folge, dass nach dem Beteiligtenwechsel alle Sachurteilsvoraussetzungen, zu denen auch die örtliche Zuständigkeit gehört, neu zu prüfen sind. Da sich die örtliche Zuständigkeit des LSG nicht nach dem Wohnsitz des Klägers, sondern nach dem Sozialgericht, das die angefochtene Entscheidung getroffen hat, richtet, bleibt das für das entscheidende Sozialgericht zuständige LSG auch im Falle eines Wohnsitz- und Beklagtenwechsels zuständig. Die vom Bay. LSG angestellten Erwägungen zur Zweckdienlichkeit eines Zuständigkeitswechsels wegen der Schutzbedürftigkeit des Personenkreises der Versorgungsberechtigten findet im Gesetz - jedenfalls soweit es die Zuständigkeit des Landessozialgerichtes betrifft - keine Grundlage. Damit wäre selbst dann, wenn das Bay. LSG von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wäre - Beteiligtenwechsel erst nach Einlegung der Berufung - der Verweisungsbeschluss nach Auffassung des Senats willkürlich.

Tatsächlich ist der Kläger jedoch lange vor Erlass des angefochtenen Gerichtsbescheides umgezogen. Das SG hat sich hierdurch jedoch nicht veranlasst gesehen, seine örtliche Zuständigkeit in Zweifel zu ziehen. Die örtliche Zuständigkeit des SG ist auch zu keinem Zeitpunkt von einem der Verfahrensbeteiligten gerügt worden. Das SG hat, nachdem es in der Sache entschieden hat, seine örtliche Zuständigkeit - nach Auffassung des Senats zu Recht - konkludent bejaht. Damit hat für das Bay. LSG - wie dargelegt - nicht nur kein Anlass bestanden, sich über seine örtliche Zuständigkeit Gedanken zu machen. Es war vielmehr nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 17a Abs. 5 GVG überhaupt nicht befugt zu prüfen, ob das SG örtlich zuständig war oder nicht. Das Bay. LSG hat damit nicht nur ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage, sondern entgegen einer anders lautenden rechtlichen Regelung seine örtliche Zuständigkeit geprüft und verneint. Die Entscheidung ist deshalb nach Auffassung des erkennenden Senats willkürlich und daher nicht bindend.

Da das Bay. LSG seine Zuständigkeit rechtskräftig verneint hat und sich das LSG Baden-Württemberg nicht für örtlich zuständig hält, war der Rechtsstreit gem. § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG dem Bundessozialgericht als dem gemeinsam nächsthöheren Gericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes vorzulegen.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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