L 13 R 3312/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 3312/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 13 R 2536/06 durch Berufungsrücknahme erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob das Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 13 R 2536/06 durch die einseitige Erledigungserklärung des Klägers in der nichtöffentlichen Sitzung am 27. Juni 2006 erledigt ist.

Der 1940 geborene Kläger bezog seit 1. November 1995 Rente wegen Berufsunfähigkeit (Rentenbescheid vom 2. Mai 1996). Sein Widerspruch gegen den Rentenbescheid, mit dem er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit begehrt hatte, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1996 zurückgewiesen. Seine hiergegen beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage blieb erfolglos (Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2000 - S 5 RJ 2708/96). Durch den das anschließende Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG; L 9 RJ 3591/00) beendenden gerichtlichen Vergleich vom 31. Juli 2001 verpflichtete sich die Beklagte, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juli 1998 bis 30. September 2000 zu gewähren. Diesen Vergleich führte die Beklagte mit Rentenbescheid vom 19. Oktober 2001 aus.

Mit Bescheid vom 26. September 2000 hatte die Beklagte dem Kläger zuvor bereits Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige ab 1. Oktober 2000 bewilligt. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 27. Oktober 2000 Widerspruch und begehrte die Gewährung höherer Rente unter Berücksichtigung weiterer Zeiten. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens wurde mit Bescheiden vom 25. Oktober 2001, vom 7. November 2001 und vom 20. Dezember 2001 die Altersrente, mit Bescheid vom 19. Dezember 2001 die Rente wegen Berufsunfähigkeit und mit (weiterem) Bescheid vom 20. Dezember 2001 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit neu festgestellt. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Mit der am 13. November 2002 beim SG erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er sei in der öffentlichen Sitzung des LSG am 31. Juli 2001 nicht zutreffend beraten worden; ihm stehe Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab 1. November 1995 zu. Mit Gerichtsbescheid vom 5. April 2006 hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen den ihm gemäß Zustellungsurkunde am 13. April 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11. Mai 2006 beim SG Berufung eingelegt. In der nichtöffentlichen Sitzung am 27. Juni 2006 hat der Berichterstatter die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Ausweislich der Niederschrift vom 27. Juni 2006 hat der Kläger daraufhin die Berufung für erledigt erklärt; das Protokoll trägt den Zusatz: "- vorgespielt und genehmigt -".

Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2006, eingegangen am 29. Juni 2006, hat der Kläger sinngemäß die Fortsetzung des Verfahrens beantragt. Er sei überredet worden, die Berufung zurückzunehmen, ziehe deshalb die Zusage zur Berufungsrücknahme zurück und bitte um ein Urteil.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Fortsetzung des Verfahrens den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 5. April 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide 19. Oktober 2001, vom 19. Dezember 2001 und vom 20. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Oktober 2002 zu verpflichten, den Bescheid vom 2. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1996 teilweise zurückzunehmen und zu verurteilen, ihm höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab 1. November 1995 zu gewähren sowie die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 25. Oktober 2001, vom 7. November 2001 und vom 20. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Oktober 2002 zu verurteilen, ihm höhere Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige ab 1. Oktober 2000 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass das Berufungsverfahren durch die einseitige Erledigungserklärung des Klägers vom 27. Juni 2006 erledigt ist.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (23 200940 R 020), die Klageakten des SG (S 3 R2989/02), die Vorakten des LSG (L 9 RJ 3591/00) und die Berufungsakten des Senats (L 13 R 2536/06 und L 13 R 3312/06) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Begehren des Klägers hat keinen Erfolg. Der Rechtsstreit L 13 R 2536/06 ist aufgrund der formwirksamen, ohne Einschränkungen erfolgten und den Streitgegenstand vollständig erfassenden (einseitigen) Erledigungserklärung des Klägers erledigt.

Über die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme war in Fortsetzung des Berufungsverfahrens zu entscheiden, in dem diese erklärt wurde (Bundessozialgericht (BSG) SozR 1500 § 73 Nr.6). Gemäß § 156 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann die Berufung bis zur Rechtskraft des Urteils oder eines nach § 153 Abs. 4 oder § 158 Satz 2 SGG ergangenen Beschlusses zurückgenommen werden. Die Rücknahme bewirkt den Verlust des Rechtsmittels (§ 156 Abs. 2 Satz 1 SGG). Diese Rechtswirkung ist vorliegend eingetreten. Der prozessfähige Kläger hat in der nichtöffentlichen Sitzung am 27. Juni 2006 die Hauptsache für erledigt erklärt. Dies ergibt sich bereits aus der Niederschrift über diesen Termin, der insofern Beweiskraft zukommt (vgl. § 122 SGG i. V. m. § 165 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die maßgeblichen Protokollierungsvorschriften des § 122 SGG i. V. m. §§ 160 Abs. 3 Nr. 8, 162 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO sind gewahrt worden. Der Berichterstatter hat die seitens des Klägers erklärte Berufungsrücknahme protokolliert und anschließend vermerkt, dass die vorläufige Aufzeichnung vorgespielt und genehmigt wurde. Ob bei - wie hier - fehlendem Streit über die Rücknahme die Einhaltung dieser Vorschriften für die Wirksamkeit der protokollierten Prozesshandlung erforderlich ist (verneinend BSG SozR 1500 §102 Nr.4; bejahend LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1974, 906ff und 993ff; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 156 Rdnr. 2, Bley in Peters-Sautters-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 156 Rdnr. 18), brauchte der Senat deshalb nicht zu entscheiden. Denn der Kläger hat mit Schriftsatz vom 28. Juni 2006 selbst sinngemäß erklärt, in der nichtöffentlichen Sitzung am 27. Juni 2006 die Berufung zurückgenommen zu haben. Die einseitige Erledigungserklärung führt im Sozialrechtsstreit - anders als in anderen Verfahrensordnungen - bereits allein zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Die Erledigungserklärung hat hier (anders als nach § 91a ZPO oder § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung) keine eigenständige, insbesondere kostenrechtliche Bedeutung; sie stellt sich deshalb je nach prozessualer Konstellation entweder als Klage- bzw. - wie hier - Berufungsrücknahme oder als Annahme eines von der Beklagten abgegebenen Anerkenntnisses dar (BSG, Urteil vom 20. Dezember 1995 - 6 RKa 18/95 - veröffentlicht in Juris).

Als den Rechtsstreit beendende Prozesserklärung kann die hier als Berufungsrücknahme auszulegende Erledigungserklärung weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums (§ 119 BGB) angefochten werden (vgl. BSG, Beschluss vom 24. April 2003 - B 11 AL 33/03 B m.w.N., veröffentlicht in Juris; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 156 Rdnr. 2a). Zwar können auch Prozesshandlungen grundsätzlich im Verlauf des weiteren Verfahrens widerrufen, ergänzt, geändert oder berichtigt werden, dies gilt jedoch nur solange der Rechtsstreit anhängig ist (Putzo in Thomas/Putzo, ZPO, Einleitung III, Rdnr. 21). Unwiderruflich und nicht abänderungsfähig sind jedoch solche Prozesshandlungen, durch die der Prozessgegner eine Rechtsstellung erlangt oder aufgrund derer er seine Rechtsstellung eingerichtet hat (Bundesfinanzhof (BFH) BFH/NV 1992, 49; Bayerisches LSG, Urteil vom 16. Oktober 2001 - L 15 V 37/01- veröffentlicht in juris). Dies ist bei der Berufungsrücknahme der Fall (vgl. auch § 156 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Auch ein Widerruf der Erledigungserklärung entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahmeklage (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 1980 - 9 RV 16/79- veröffentlicht in Juris) kommt nicht in Betracht, da ein gesetzlicher Restitutionsgrund im Sinne des § 179 Abs. 1 SGG i. V. m. § 580 ZPO (insbesondere: falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, strafbares falsches Zeugnis oder Gutachten, Urteilserschleichung, Amtspflichtverletzung eines Richters, Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde) weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich ist. Ob ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 579 ZPO ebenfalls einen Widerruf rechtfertigen könnte, kann dahingestellt bleiben, denn die in § 579 Abs. 1 ZPO aufgeführten Nichtigkeitsgründe (unvorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts, Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen oder wegen Befangenheit abgelehnten Richters, den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechende Vertretung eines Beteiligten) liegen offensichtlich ebenfalls nicht vor.

Letztlich finden auch die Regeln der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) keine Anwendung. Dieses Rechtsinstitut ist auf die Zulassung versäumter und verspätet nachgeholter Prozesshandlungen gerichtet (vgl. Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 67 Rdnr. 1 ff.), es dient hingegen nicht dem Widerruf bereits wirksam abgegebener Prozesserklärungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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