Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 807/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 120/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe in Gestalt medizinischer Leistungen zur Rehabilitation.
Der am 18.5.1962 geborene, zuletzt als Metallarbeiter ohne abgeschlossene Berufsausbildung beschäftigte und jetzt arbeitslose Kläger, der der deutschen Sprache nur unzureichend mächtig ist, führte 1996 eine Langzeittherapie zur Alkoholentwöhnung durch. Seit 1994 sind bei ihm asbestbedingte Veränderungen der Lunge und der Pleura mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 vH als Berufskrankheit anerkannt.
Der Kläger beantragte am 25.6.2001 die Gewährung medizinischer Leistungen zur Rehabilitation in Form einer stationären Heilbehandlung.
Nach Einholung eines Befundberichts des behandelnden Internisten Dr. B., der insbesondere auf eine chronifizierte depressive Entwicklung hinwies, und unter Berücksichtigung eines beigefügten Arztbriefes des Neurologen und Psychiaters K.r, wonach eine weitergehende psychotherapeutische Behandlung wegen einer relativ gering ausgeprägten Introspektionsfähigkeit und erheblicher Sprachschwierigkeiten wenig erfolgversprechend sei, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 24.7.2001 und der Begründung ab, eine ambulante ärztliche Behandlung werde für ausreichend erachtet.
Die im Widerspruchsverfahren durchgeführte nervenärztliche Begutachtung (Gutachten Dr. S. vom 17.10.2001), im Rahmen derer der Kläger angab, sich relativ selten in nervenärztliche Behandlung zu begeben, erbrachte eine Alkoholabhängigkeit (nach Entwöhnungsbehandlung 1996 derzeit nicht abstinent) ohne gravierende Alkoholfolgeschäden sowie eine inkarzerierte leicht bis mäßig ausgeprägte depressive Symptomatik mit Somatisierungen. Eine psychotherapeutische Behandlung habe nur eingeschränkte Erfolgsaussichten, da der Kläger wenig introspektions- und reflexionsfähig sei. Eine in erster Linie verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Reha-Maßnahme sei dagegen eher aussichtsreich und zu einer Therapie der depressiven Verhaltensmuster und der Regressionstendenzen geeignet. Es liege allerdings keine so erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit vor, dass stationäre Maßnahmen vorrangig wären. Die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausreichend genutzt. Eine Entwöhnungsbehandlung sei ebenfalls nicht vorrangig, da die Angaben des Klägers, er bemühe sich möglichst wenig zu trinken, glaubhaft wirkten.
Hierauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.1.2002 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht erheblich gefährdet oder gemindert sei.
Dagegen hat der Kläger am 18.2.2002 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat.
Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Der Neurologe und Psychiater K.r hat in seiner Antwort vom 9.8.2002 über drei Behandlungen im November und Dezember 2001 sowie über zwei weitere Behandlungen zuletzt im Januar 2002 wegen einer depressiven Episode in direktem Zusammenhang mit einem Arbeitsplatzkonflikt berichtet. Eine orthopädische Behandlung durch Dr. H. hat nach dessen Auskunft vom 28.8.2002 zuletzt im April 2000 stattgefunden. Der Hausarzt Dr. B. hat in seiner Stellungnahme vom 29.8.2002 vielfältige Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Magenbeschwerden und einer chronischen Lumbalgie angegeben und die Durchführung einer Reha-Maßnahme für erforderlich gehalten. Schließlich hat der Orthopäde Dr. F. in seinem Bericht vom 18.12.2002 über eine letztmalige Behandlung im April 2002 berichtet und ebenfalls - speziell vor dem Hintergrund der psychischen Veränderungen - die Durchführung einer stationären Heilbehandlung für angezeigt erachtet.
Hierzu hat sich auf Veranlassung der Beklagten Dr. G. in einer ärztlichen Stellungnahme vom 17.1.2003 geäußert und einerseits als offen bleibend beschrieben, ob ambulante Behandlungsmöglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft seien, festgestellt, dass offensichtlich die Beschwerden mit orthopädischen Maßnahmen allein nicht lösbar seien, in Frage gestellt, ob eine Verhaltenstherapie an der sprachlichen Kompetenz des Klägers scheitere, und insgesamt das Vorliegen einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit vor dem Hintergrund einer Tätigkeit als Metallarbeiter nicht als abwegig erachtet, andererseits aber die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Reha-Maßnahme als nicht genügend gesichert angesehen.
Im Hinblick auf die vom Kläger vorgetragenen Arbeitsunfähigkeitszeiten hat Dr. G. in seiner weiteren Stellungnahme vom 11.4.2003 das Vorliegen einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit angenommen. Es bestünden aber nach wie vor Bedenken an der Erfolgsaussicht einer stationären Reha-Maßnahme. Die Durchführung einer nervenärztlichen Begutachtung werde empfohlen.
Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des nervenärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. M. vom 27.6.2003. Diese hat darin eine rezidivierende Depression sowie ein chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom mit gegenseitiger Beeinflussung (bei adäquater Behandlung, allerdings bislang ohne Notwendigkeit einer intensiven Psychotherapie) erhoben, deswegen eine erheblich geminderte Erwerbsfähigkeit angenommen, ebenso eine Besserungsfähigkeit durch stationäre Maßnahmen und ambulante Maßnahmen als nicht ausreichend erachtet.
Hierzu hat sich in Dr. G. in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 5.8.2003 dahingehend eingelassen, dass zwar die Leistungsfähigkeit des Klägers durch seine psychische Minderbelastbarkeit definiert werde, sich allerdings aus dem Bericht des behandelnden Neurologen und Psychiaters K.r lediglich eine sporadische Behandlung ergebe und auch nach dem Sachverständigengutachten eine intensive Psychotherapie bislang nicht erforderlich gewesen sei. Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, warum jetzt plötzlich eine stationäre Reha-Maßnahme die Probleme lösen solle. Auch stelle sich die Frage, ob aus dem Umfang der Behandlung auf einen - geringeren - Schweregrad der Depression geschlossen werden müsse. Darüber hinaus bestünden vor dem Hintergrund der von Dr. M. beschriebenen sehr einfachen Persönlichkeitsstruktur mit Rigidität, die wenig Handlungsspielräume erlaube, und der jahrelangen Konditionierung durch zahlreiche Krankschreibungen Bedenken daran, ob mit erforderlicher Erfolgsaussicht durch psychotherapeutische Maßnahmen Verhaltensänderungen bewerkstelligt werden könnten. Möglicherweise habe vor diesem Hintergrund auch keine ambulante Psychotherapie stattgefunden.
Das SG hat die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid vom 9.12.2003 abgewiesen.
Es hat unter Darstellung der für die Gewährung der hier streitigen Leistungen erforderlichen Voraussetzungen und hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften entschieden, dass der Kläger schon nicht die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von medizinischen Leistungen zur Rehabilitation erfülle. Gefolgt werde dem Gutachten von Dr. S., wonach durch die depressive Symptomatik die Erwerbsfähigkeit nicht erheblich gefährdet oder gemindert sei. Dies ergebe sich auch aus der geringen Behandlungsdichte, wie sie vom behandelnden Nervenarzt bescheinigt worden sei. Auch die orthopädischen Befunde bedingten keine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit. Dafür sei die Behandlungsdichte ebenfalls zu gering. Im Übrigen könnten die hier im Vordergrund stehenden Rückenschmerzen und Depressionen nicht durch eine stationäre Reha-Behandlung gebessert werden. Insbesondere könne eine wiederkehrende Depression lediglich durch eine Änderung der Lebensumstände oder durch eine konsequente Medikation gebessert werden. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen den ihm am 11.12.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.1.2004 (Montag) Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt.
Der vom Senat als sachverständiger Zeuge befragte Neurologe und Psychiater K.r teilt in seiner Auskunft vom 10.12.2004 mit, dass der Kläger zuletzt im September 2002 mit ihm ein psychiatrisches Gespräch geführt habe. Die psychischen Beeinträchtigungen hätten vorherrschend im Zusammenhang mit äußeren Belastungen (Überlastungssituation am damaligen Arbeitsplatz) bestanden und eine weitergehende psychotherapeutische Bearbeitung nicht erforderlich gemacht. Lediglich eine psychopharmakologische Behandlung sei notwendig gewesen. Zwischenzeitlich habe sich der Kläger nicht mehr vorgestellt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2002 zu verurteilen, ihm Leistungen zur Teilhabe in Gestalt medizinischer Leistungen zur Rehabilitation zu gewähren, hilfsweise, seinen hierauf gerichteten Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu verbescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Reha-Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Der Kläger hat schon keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Reha-Antrags, weil er die hierfür erforderlichen persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.
Wegen der für die Gewährung der hier streitgegenständlichen Leistungen erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und die Begründung der streitgegenständlichen Bescheide Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehen im Vordergrund der das berufliche Leistungsvermögen des Klägers prägenden Befunde diejenigen auf psychischem Fachgebiet. Sie beeinflussen im Sinne einer Somatisierung bzw. gegenseitigen Verschränkung (Dr. S. bzw. Dr. M.) auch die orthopädisch bedingten Beschwerden und sind vorrangig anzugehen, weil - insoweit folgt der Senat der Einschätzung von Dr. G. - allein durch somatische Maßnahmen die Beschwerden ohnehin nicht erfolgreich behandelt werden können. Die beim Kläger vorliegende Asbesterkrankung, wegen der ihm von der zuständigen Berufsgenossenschaft eine stationäre Heilbehandlung gewährt worden war, hat - dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig - keinen Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers. Letzteres gilt auch für die internistischen Befunde.
Insgesamt steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen auf nervenfachärztlichem Gebiet seine Erwerbsfähigkeit zu keinem Zeitpunkt erheblich gefährdet oder gemindert haben.
Zwar hat Dr. G. im Laufe des Verfahrens eine solche erhebliche Gefährdung eingeräumt, hat diese Einschätzung allerdings vor dem Hintergrund von Art und Umfang der durchgeführten Behandlungen selbst sogleich wieder relativiert. Aus einer - wie hier - relativ geringfügigen Behandlungsdichte allein kann indes gerade bei einer Depression, wie sie auch hier zur Beurteilung ansteht, selbstverständlich nicht abgeleitet werden, dass eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht vorliegt. Vorliegend kommen allerdings zu der geringfügigen Behandlungsdichte weitere erhebliche Gesichtspunkte hinzu, die es insgesamt nicht als begründet erscheinen lassen, eine solche erhebliche Gefährdung oder Minderung anzunehmen.
So ergibt sich insbesondere aus der vom Senat zuletzt durchgeführten Anfrage bei dem behandelnden Neurologen und Psychiater, dass eine weitergehende psychotherapeutische Bearbeitung psychodynamischer Faktoren nicht erforderlich gewesen ist, sondern eine medikamentöse Behandlung ausreichend war. Die von Dr. G. geäußerte Vermutung hat sich damit im Ergebnis bestätigt. Dem Sachverständigengutachten von Dr. M. ist in diesem Zusammenhang zu entnehmen, dass diese Art der Behandlung adäquat gewesen und insbesondere eine intensive Psychotherapie nicht notwendig gewesen ist. Psychische Befunde, die ausschließlich medikamentös und in sehr losem Kontakt zum Nervenarzt adäquat behandelt werden können, können aber zur Überzeugung des Senats nach Art und Umfang die Annahme einer erheblichen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht bedingen.
Vorliegend kommt noch hinzu, dass es ganz offensichtlich ist, dass die beim Kläger aufgetretenen psychischen Probleme in engem Zusammenhang mit der konkreten Arbeitsplatzsituation (u. a. sehr staubig, keine adäquate Entlüftung, Ratten im Kantinenbereich, unhygienische Verhältnisse) aufgetreten sind. Gefährdung und Minderung der Erwerbsfähigkeit dürfen sich aber nicht nur unter den Besonderheiten des Arbeitsplatzes auswirken (KassKomm, Niesel, Rdnr. 7 zu § 10 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Damit sind hier letztlich die konkreten, aber nicht allgemein für den entsprechenden Beruf typischen Verhältnisse am Arbeitsplatz nicht zu berücksichtigen und hätten gegebenenfalls durch einen Arbeitsplatzwechsel verändert werden müssen.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob für die vom Kläger begehrte stationäre Behandlung eine günstige Prognose gestellt werden kann. Zu widersprechen ist in diesem Zusammenhang allerdings der vom SG - generell - geäußerten Ansicht, wonach einer Depression durch eine stationäre Behandlung nicht entgegengewirkt werden kann. Das Gegenteil ist der Fall und wurde so ausdrücklich z. B. von Dr. S. bestätigt. Vorliegend dürfte es allerdings vor dem Hintergrund der beschriebenen sehr einfachen Persönlichkeitsstruktur mit Rigidität, die wenig Handlungsspielräume erlaubt, und der jahrelangen Konditionierung durch zahlreiche Krankschreibungen sowie der relativ gering ausgeprägten Introspektionsfähigkeit und erheblicher Sprachschwierigkeiten in der Tat unwahrscheinlich sein, dass mit erforderlicher Erfolgsaussicht durch psychotherapeutische Maßnahmen Verhaltensänderungen bewerkstelligt werden können.
Mangels Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen hat der Kläger damit schon keinen Anspruch auf (erneute) ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Reha-Antrag und erst recht nicht - im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null - auf Gewährung einer konkreten Rehabilitationsleistung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe in Gestalt medizinischer Leistungen zur Rehabilitation.
Der am 18.5.1962 geborene, zuletzt als Metallarbeiter ohne abgeschlossene Berufsausbildung beschäftigte und jetzt arbeitslose Kläger, der der deutschen Sprache nur unzureichend mächtig ist, führte 1996 eine Langzeittherapie zur Alkoholentwöhnung durch. Seit 1994 sind bei ihm asbestbedingte Veränderungen der Lunge und der Pleura mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 vH als Berufskrankheit anerkannt.
Der Kläger beantragte am 25.6.2001 die Gewährung medizinischer Leistungen zur Rehabilitation in Form einer stationären Heilbehandlung.
Nach Einholung eines Befundberichts des behandelnden Internisten Dr. B., der insbesondere auf eine chronifizierte depressive Entwicklung hinwies, und unter Berücksichtigung eines beigefügten Arztbriefes des Neurologen und Psychiaters K.r, wonach eine weitergehende psychotherapeutische Behandlung wegen einer relativ gering ausgeprägten Introspektionsfähigkeit und erheblicher Sprachschwierigkeiten wenig erfolgversprechend sei, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 24.7.2001 und der Begründung ab, eine ambulante ärztliche Behandlung werde für ausreichend erachtet.
Die im Widerspruchsverfahren durchgeführte nervenärztliche Begutachtung (Gutachten Dr. S. vom 17.10.2001), im Rahmen derer der Kläger angab, sich relativ selten in nervenärztliche Behandlung zu begeben, erbrachte eine Alkoholabhängigkeit (nach Entwöhnungsbehandlung 1996 derzeit nicht abstinent) ohne gravierende Alkoholfolgeschäden sowie eine inkarzerierte leicht bis mäßig ausgeprägte depressive Symptomatik mit Somatisierungen. Eine psychotherapeutische Behandlung habe nur eingeschränkte Erfolgsaussichten, da der Kläger wenig introspektions- und reflexionsfähig sei. Eine in erster Linie verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Reha-Maßnahme sei dagegen eher aussichtsreich und zu einer Therapie der depressiven Verhaltensmuster und der Regressionstendenzen geeignet. Es liege allerdings keine so erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit vor, dass stationäre Maßnahmen vorrangig wären. Die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausreichend genutzt. Eine Entwöhnungsbehandlung sei ebenfalls nicht vorrangig, da die Angaben des Klägers, er bemühe sich möglichst wenig zu trinken, glaubhaft wirkten.
Hierauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.1.2002 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht erheblich gefährdet oder gemindert sei.
Dagegen hat der Kläger am 18.2.2002 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat.
Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Der Neurologe und Psychiater K.r hat in seiner Antwort vom 9.8.2002 über drei Behandlungen im November und Dezember 2001 sowie über zwei weitere Behandlungen zuletzt im Januar 2002 wegen einer depressiven Episode in direktem Zusammenhang mit einem Arbeitsplatzkonflikt berichtet. Eine orthopädische Behandlung durch Dr. H. hat nach dessen Auskunft vom 28.8.2002 zuletzt im April 2000 stattgefunden. Der Hausarzt Dr. B. hat in seiner Stellungnahme vom 29.8.2002 vielfältige Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Magenbeschwerden und einer chronischen Lumbalgie angegeben und die Durchführung einer Reha-Maßnahme für erforderlich gehalten. Schließlich hat der Orthopäde Dr. F. in seinem Bericht vom 18.12.2002 über eine letztmalige Behandlung im April 2002 berichtet und ebenfalls - speziell vor dem Hintergrund der psychischen Veränderungen - die Durchführung einer stationären Heilbehandlung für angezeigt erachtet.
Hierzu hat sich auf Veranlassung der Beklagten Dr. G. in einer ärztlichen Stellungnahme vom 17.1.2003 geäußert und einerseits als offen bleibend beschrieben, ob ambulante Behandlungsmöglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft seien, festgestellt, dass offensichtlich die Beschwerden mit orthopädischen Maßnahmen allein nicht lösbar seien, in Frage gestellt, ob eine Verhaltenstherapie an der sprachlichen Kompetenz des Klägers scheitere, und insgesamt das Vorliegen einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit vor dem Hintergrund einer Tätigkeit als Metallarbeiter nicht als abwegig erachtet, andererseits aber die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Reha-Maßnahme als nicht genügend gesichert angesehen.
Im Hinblick auf die vom Kläger vorgetragenen Arbeitsunfähigkeitszeiten hat Dr. G. in seiner weiteren Stellungnahme vom 11.4.2003 das Vorliegen einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit angenommen. Es bestünden aber nach wie vor Bedenken an der Erfolgsaussicht einer stationären Reha-Maßnahme. Die Durchführung einer nervenärztlichen Begutachtung werde empfohlen.
Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des nervenärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. M. vom 27.6.2003. Diese hat darin eine rezidivierende Depression sowie ein chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom mit gegenseitiger Beeinflussung (bei adäquater Behandlung, allerdings bislang ohne Notwendigkeit einer intensiven Psychotherapie) erhoben, deswegen eine erheblich geminderte Erwerbsfähigkeit angenommen, ebenso eine Besserungsfähigkeit durch stationäre Maßnahmen und ambulante Maßnahmen als nicht ausreichend erachtet.
Hierzu hat sich in Dr. G. in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 5.8.2003 dahingehend eingelassen, dass zwar die Leistungsfähigkeit des Klägers durch seine psychische Minderbelastbarkeit definiert werde, sich allerdings aus dem Bericht des behandelnden Neurologen und Psychiaters K.r lediglich eine sporadische Behandlung ergebe und auch nach dem Sachverständigengutachten eine intensive Psychotherapie bislang nicht erforderlich gewesen sei. Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, warum jetzt plötzlich eine stationäre Reha-Maßnahme die Probleme lösen solle. Auch stelle sich die Frage, ob aus dem Umfang der Behandlung auf einen - geringeren - Schweregrad der Depression geschlossen werden müsse. Darüber hinaus bestünden vor dem Hintergrund der von Dr. M. beschriebenen sehr einfachen Persönlichkeitsstruktur mit Rigidität, die wenig Handlungsspielräume erlaube, und der jahrelangen Konditionierung durch zahlreiche Krankschreibungen Bedenken daran, ob mit erforderlicher Erfolgsaussicht durch psychotherapeutische Maßnahmen Verhaltensänderungen bewerkstelligt werden könnten. Möglicherweise habe vor diesem Hintergrund auch keine ambulante Psychotherapie stattgefunden.
Das SG hat die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid vom 9.12.2003 abgewiesen.
Es hat unter Darstellung der für die Gewährung der hier streitigen Leistungen erforderlichen Voraussetzungen und hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften entschieden, dass der Kläger schon nicht die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von medizinischen Leistungen zur Rehabilitation erfülle. Gefolgt werde dem Gutachten von Dr. S., wonach durch die depressive Symptomatik die Erwerbsfähigkeit nicht erheblich gefährdet oder gemindert sei. Dies ergebe sich auch aus der geringen Behandlungsdichte, wie sie vom behandelnden Nervenarzt bescheinigt worden sei. Auch die orthopädischen Befunde bedingten keine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit. Dafür sei die Behandlungsdichte ebenfalls zu gering. Im Übrigen könnten die hier im Vordergrund stehenden Rückenschmerzen und Depressionen nicht durch eine stationäre Reha-Behandlung gebessert werden. Insbesondere könne eine wiederkehrende Depression lediglich durch eine Änderung der Lebensumstände oder durch eine konsequente Medikation gebessert werden. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen den ihm am 11.12.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.1.2004 (Montag) Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt.
Der vom Senat als sachverständiger Zeuge befragte Neurologe und Psychiater K.r teilt in seiner Auskunft vom 10.12.2004 mit, dass der Kläger zuletzt im September 2002 mit ihm ein psychiatrisches Gespräch geführt habe. Die psychischen Beeinträchtigungen hätten vorherrschend im Zusammenhang mit äußeren Belastungen (Überlastungssituation am damaligen Arbeitsplatz) bestanden und eine weitergehende psychotherapeutische Bearbeitung nicht erforderlich gemacht. Lediglich eine psychopharmakologische Behandlung sei notwendig gewesen. Zwischenzeitlich habe sich der Kläger nicht mehr vorgestellt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2002 zu verurteilen, ihm Leistungen zur Teilhabe in Gestalt medizinischer Leistungen zur Rehabilitation zu gewähren, hilfsweise, seinen hierauf gerichteten Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu verbescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Reha-Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Der Kläger hat schon keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Reha-Antrags, weil er die hierfür erforderlichen persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.
Wegen der für die Gewährung der hier streitgegenständlichen Leistungen erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und die Begründung der streitgegenständlichen Bescheide Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehen im Vordergrund der das berufliche Leistungsvermögen des Klägers prägenden Befunde diejenigen auf psychischem Fachgebiet. Sie beeinflussen im Sinne einer Somatisierung bzw. gegenseitigen Verschränkung (Dr. S. bzw. Dr. M.) auch die orthopädisch bedingten Beschwerden und sind vorrangig anzugehen, weil - insoweit folgt der Senat der Einschätzung von Dr. G. - allein durch somatische Maßnahmen die Beschwerden ohnehin nicht erfolgreich behandelt werden können. Die beim Kläger vorliegende Asbesterkrankung, wegen der ihm von der zuständigen Berufsgenossenschaft eine stationäre Heilbehandlung gewährt worden war, hat - dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig - keinen Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers. Letzteres gilt auch für die internistischen Befunde.
Insgesamt steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen auf nervenfachärztlichem Gebiet seine Erwerbsfähigkeit zu keinem Zeitpunkt erheblich gefährdet oder gemindert haben.
Zwar hat Dr. G. im Laufe des Verfahrens eine solche erhebliche Gefährdung eingeräumt, hat diese Einschätzung allerdings vor dem Hintergrund von Art und Umfang der durchgeführten Behandlungen selbst sogleich wieder relativiert. Aus einer - wie hier - relativ geringfügigen Behandlungsdichte allein kann indes gerade bei einer Depression, wie sie auch hier zur Beurteilung ansteht, selbstverständlich nicht abgeleitet werden, dass eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht vorliegt. Vorliegend kommen allerdings zu der geringfügigen Behandlungsdichte weitere erhebliche Gesichtspunkte hinzu, die es insgesamt nicht als begründet erscheinen lassen, eine solche erhebliche Gefährdung oder Minderung anzunehmen.
So ergibt sich insbesondere aus der vom Senat zuletzt durchgeführten Anfrage bei dem behandelnden Neurologen und Psychiater, dass eine weitergehende psychotherapeutische Bearbeitung psychodynamischer Faktoren nicht erforderlich gewesen ist, sondern eine medikamentöse Behandlung ausreichend war. Die von Dr. G. geäußerte Vermutung hat sich damit im Ergebnis bestätigt. Dem Sachverständigengutachten von Dr. M. ist in diesem Zusammenhang zu entnehmen, dass diese Art der Behandlung adäquat gewesen und insbesondere eine intensive Psychotherapie nicht notwendig gewesen ist. Psychische Befunde, die ausschließlich medikamentös und in sehr losem Kontakt zum Nervenarzt adäquat behandelt werden können, können aber zur Überzeugung des Senats nach Art und Umfang die Annahme einer erheblichen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht bedingen.
Vorliegend kommt noch hinzu, dass es ganz offensichtlich ist, dass die beim Kläger aufgetretenen psychischen Probleme in engem Zusammenhang mit der konkreten Arbeitsplatzsituation (u. a. sehr staubig, keine adäquate Entlüftung, Ratten im Kantinenbereich, unhygienische Verhältnisse) aufgetreten sind. Gefährdung und Minderung der Erwerbsfähigkeit dürfen sich aber nicht nur unter den Besonderheiten des Arbeitsplatzes auswirken (KassKomm, Niesel, Rdnr. 7 zu § 10 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Damit sind hier letztlich die konkreten, aber nicht allgemein für den entsprechenden Beruf typischen Verhältnisse am Arbeitsplatz nicht zu berücksichtigen und hätten gegebenenfalls durch einen Arbeitsplatzwechsel verändert werden müssen.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob für die vom Kläger begehrte stationäre Behandlung eine günstige Prognose gestellt werden kann. Zu widersprechen ist in diesem Zusammenhang allerdings der vom SG - generell - geäußerten Ansicht, wonach einer Depression durch eine stationäre Behandlung nicht entgegengewirkt werden kann. Das Gegenteil ist der Fall und wurde so ausdrücklich z. B. von Dr. S. bestätigt. Vorliegend dürfte es allerdings vor dem Hintergrund der beschriebenen sehr einfachen Persönlichkeitsstruktur mit Rigidität, die wenig Handlungsspielräume erlaubt, und der jahrelangen Konditionierung durch zahlreiche Krankschreibungen sowie der relativ gering ausgeprägten Introspektionsfähigkeit und erheblicher Sprachschwierigkeiten in der Tat unwahrscheinlich sein, dass mit erforderlicher Erfolgsaussicht durch psychotherapeutische Maßnahmen Verhaltensänderungen bewerkstelligt werden können.
Mangels Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen hat der Kläger damit schon keinen Anspruch auf (erneute) ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Reha-Antrag und erst recht nicht - im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null - auf Gewährung einer konkreten Rehabilitationsleistung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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