Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2945/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3485/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 14. Juni 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass der Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Konstanz S 4 An 382/87 durch Klagerücknahme vom 21. Oktober 1987 erledigt ist.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Rechtsstreit des Klägers durch Rücknahme erledigt worden ist.
Der am 1942 geborene Kläger erhob am 3. April 1987 Klage bei dem Sozialgericht Konstanz (S 4 An 382/87) gegen den Bescheid der Beklagten (damals: Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) vom 25. März 1987. Mit diesem war der Antrag des Klägers vom 29. Juli 1986 auf Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit abgelehnt worden, weil der Kläger nicht erwerbs- bzw. berufsunfähig sei. Bereits am 25. Februar 1987 hatte die Beklagte, worauf der Kläger in der Klageschrift hinwies, berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation abgelehnt; der Widerspruchsbescheid hierzu erging am 4. September 1987. Der Kammervorsitzende teilte dem Kläger (Schreiben vom 5. Oktober 1987) u. a. mit, dieser Widerspruchsbescheid sei bisher nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens.
Am 21. Oktober 1987 erklärte der Kläger in einem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Konstanz:
"Ich kann zwar meine frühere Tätigkeit als Konstrukteur nicht mehr ausüben, kann jedoch noch eine entsprechende Ingenieurtätigkeit, die kein anstrengendes Sehen erfordert, verrichten. Ich habe jedoch Schwierigkeiten eine entsprechende Arbeitsstelle zu finden, insbesondere auch wegen meiner langen Arbeitsunfähigkeit bzw. Arbeitslosigkeit. Mein ganzes Bestreben geht dahin, eine entsprechende berufliche Tätigkeit zu finden.
Ich habe mich heute nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage auch davon überzeugt, daß bei dieser Situation die Voraussetzungen für die Gewährung einer beruflichen Maßnahme seitens der BfA nicht gegeben sind und erkläre insofern den Rechtsstreit für erledigt.
Ich werde mich umgehend beim Arbeitsamt vorstellen und mich um die Gewährung entsprechender Maßnahmen bemühen."
Weiter erklärte der Kläger:
"Im Hinblick auf meine Verweisbarkeit für eine Ingenieurtätigkeit, die kein anstrengendes Sehen erfordert, sehe ich ein, daß mein Rentenantrag vom Juli 1986 zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussicht auf Erfolg verspricht und erkläre auch insofern den Rechtsstreit für erledigt."
Mit Schreiben vom 31. Oktober 2005, beim Sozialgericht eingegangen am 16. November 2005, hat der Kläger bei dem Sozialgericht Konstanz die "Wiederaufnahme des ruhenden Verfahrens" S 4 An 382/87 wegen seines Antrags auf Rente beantragt. Der Rechtsstreit sei nur insofern für erledigt erklärt worden als der Rentenantrag zum damaligen Zeitpunkt keine Aussicht auf Erfolg versprochen habe. Der damalige Vorsitzende der 4. Kammer des Sozialgerichts habe ihn ausdrücklich darauf hingewiesen, bei entsprechender Beweislage könne das ruhende Verfahren zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden. Die damals diktierte Niederschrift beruhe auf nachweislich falschen (rechtlichen und medizinischen) Voraussetzungen und sei somit gegenstandslos. Außerdem hat der Kläger umfangreiche Ausführungen zu seinem augenärztlichen Gesundheitszustand und den gutachtlichen Beurteilungen desselben gemacht.
Den Ablehnungsantrag des Klägers gegen den Vorsitzenden der zuständigen 6. Kammer des Sozialgerichts Konstanz hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Beschluss vom 13. Februar 2006 (L 10 R 260/06 A) abgelehnt.
Mit Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Verfahren sei unzulässig, da der Rechtsstreit S 4 An 382/87 durch Erledigungserklärung des Klägers beendet worden sei. Die Formulierungen "insofern würde der Rechtsstreit für erledigt erklärt" bezögen sich auf die beiden Begehren des Klägers auf Gewährung von berufsfördernden Maßnahme bzw. von Rente, die beide Gegenstand der Verhandlung gewesen seien.
Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid am 11. Juli 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine bisherigen Angaben. Ergänzend trägt er vor, der Niederschrift sei nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass sich die Erledigungserklärung auf die Begehren auf Gewährung von berufsfördernden Maßnahme bzw. von Rente beziehe. Letzteres sei auch nicht Gegenstand des Verfahrens S 4 An 382/87, sondern einer eigenständigen Klage vom 26. September 1987 (S 4 An 1115/87). Er sei vom damaligen Kammervorsitzenden der 4. Kammer auch nicht auf die Rechtsfolgen eines Ruhens des Verfahrens hingewiesen worden.
Der Kläger begehrt (sinngemäß),
das Verfahren S 4 An 1115/87 des Sozialgerichts Konstanz fortzusetzen, den Bescheid der Beklagten vom 25. März 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auf Grund seines Antrages vom 29. Juli 1986 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Eine bedingte Prozesserklärung sei der Niederschrift nicht zu entnehmen, jedenfalls unzulässig.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts - einschließlich der beigezogenen Akten und S 4 An 382/87 und S 4 An 1115/87 - sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.
Die am 3. April 1987 vor dem Sozialgericht Konstanz (S 4 An 1115/87) erhobene Klage mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 25. März 1987 und deren Verurteilung zur Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist durch Klagerücknahme erledigt. Ein Kläger kann die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 Sätze 1 und 2 SGG).
Der Kläger hat, was er auch nicht bestreitet, am 21. Oktober zur Niederschrift im Termin (§ 202 SGG i. V. m. § 269 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung [ZPO]) erklärt, er erkläre das Verfahren für erledigt. Diese Erklärung ist als Klagerücknahme aufzufassen. Bei der Auslegung einer Prozesserklärung ist nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden, der in der Äußerung erkennbar ist, festzustellen (Rechtsgedanke des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]; vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2002, B 11 AL 23/02 R; Beschluss vom 8. November 2005, B 1 KR 76/05 B in SozR 4-1500 § 158 Nr. 2). Sowohl nach Wortlaut wie nach Sinn und Zweck kann danach die damalige Erklärung des Klägers nur so verstanden werden, er betreibe das gerichtliche Verfahren nicht mehr weiter. Die Formulierung der (einseitigen) Erledigungserklärung ist dabei - jedenfalls bei Verfahren, die wie hier nicht § 197a SGG unterfallen - als Klagerücknahme anzusehen (Roller in: Lüdtke, SGG, 2. Aufl. 2006, § 102 Rdnr. 14; ders., NZS 2003, 357, 358 m.w.N.).
Die Formulierungen "insofern" bzw. "auch insofern" beziehen sich klar und eindeutig auf die beiden damals in den Verfahren S 4 An 382/87 und S 4 An 1115/87 geltend gemachten Ansprüche, nämlich die Gewährung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation und von Rente. Auch ersteres war, wie der vorherige Schriftwechsel des Klägers mit dem Sozialgericht zeigt (Klageschrift vom 3. April 1987, Schreiben des Gerichts vom 5. Oktober 1987), jedenfalls "Gesprächsgegenstand" in der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 1987. Streitgegenstand war der geltend gemachte Anspruch auf berufliche Rehabilitation nicht, denn die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG, wonach ein Verwaltungsakt, der einen streitgegenständlichen abändert oder ersetzt, Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens wird, lagen nicht vor. Der Anspruch auf berufliche Rehabilitation wurde demgemäß auch aktenmäßig eigenständig behandelt, nämlich im Verfahren S 4 An 1115/87. Die Niederschrift vom 21. Oktober 1987 wurde zu diesem gesonderten Verfahren beigezogen und dieses aufgrund der erklärten Klagerücknahme ausgetragen. Die rechtlich und aktenmäßig getrennte Behandlung der Streitgegenstände hinderte den Kläger jedoch nicht, innerhalb der mündlichen Verhandlung im Verfahren S 4 An 382/97 beide Klagen zurückzunehmen.
Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck ist die Klagerücknahme auch nicht bedingt (§ 158 BGB) erklärt, was nicht unbeachtlich wäre, wie die Beklagte meint, sondern deren Unwirksamkeit zur Folge hätte (Roller in: Lüdtke, a.a.O., Rdnr. 6). Die Formulierung "Im Hinblick auf meine Verweisbarkeit für eine Ingenieurtätigkeit, die kein anstrengendes Sehen erfordert, sehe ich ein, daß mein Rentenantrag vom Juli 1986 zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussicht auf Erfolg verspricht" bringt allein die inneren Erwägungen und Motive des Klägers zum Ausdruck und stellt die Klagerücknahme nicht unter die Bedingung einer bestimmten Rechts- (Verweisbarkeit auf Ingenieurtätigkeiten, die kein anstrengendes Sehen erfordern) oder Beweislage (augenärztliche Gutachten).
Der fehlende Vermerk, dass die Erklärung über die Klagerücknahme vorgelesen oder zur Niederschrift vorgelegt sowie genehmigt worden ist (§ 122 SGG i. V. m. § 160 Abs. 3 Nr. 8, § 162 Abs. 1 ZPO), macht diese nicht unwirksam (BSG, Urteil vom 12. März 1981, 11 RA 52/80 in SozR 1500 § 102 Nr. 4).
Der Senat kann offen lassen, ob im Vorbringen des Klägers eine Anfechtungs- oder Widerrufserklärung seiner Klagerücknahme zu sehen ist. Selbst wenn der Kläger hinsichtlich der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der in der Niederschrift dokumentierten Motive im Irrtum gewesen wäre, erlauben solche Motivirrtümer eine Anfechtung der Klagerücknahme nicht (vgl. nur Roller in: Lüdtke, a.a.O., Rdnr. 6, 11). Ein Widerruf der Klagerücknahme wird nur unter den Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des gerichtlichen Verfahrens (§§ 179 f SGG, §§ 578 ff ZPO) für zulässig erachtet (Roller, a.a.O., Rdnr. 11). Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor, insbesondere ist jedenfalls die Ausschussfrist von fünf Jahren (hier: seit Abgabe der Erklärung) abgelaufen (vgl. § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Im Übrigen ist die Behauptung des Klägers, der damalige Vorsitzende der 4. Kammer habe ihm seinerzeit darauf hingewiesen, das Verfahren könne bei Änderung der Beweislage wieder aufgenommen werden, soweit sich diese Äußerung überhaupt auf das gerichtliche Verfahren und nicht (im untechnischen Sinne) auf das vorrangig gegenüber der Beklagten zu verfolgende Rentenbegehren bezieht, nicht belegt. Gleiches gilt für den weiteren Vortrag des Klägers, der damalige Vorsitzende der 4. Kammer habe ihn nicht über die Folgen seiner Prozesserklärung aufgeklärt. Immerhin hat der Kläger dieses gerichtliche Verfahren über mehr als 18 Jahre nicht weiter betrieben, obwohl er ansonsten in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht untätig war. Weitere Ermittlungen des Senats sind weder angezeigt noch möglich, denn der damalige Vorsitzende der 4. Kammer ist mittlerweile verstorben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Rechtsstreit des Klägers durch Rücknahme erledigt worden ist.
Der am 1942 geborene Kläger erhob am 3. April 1987 Klage bei dem Sozialgericht Konstanz (S 4 An 382/87) gegen den Bescheid der Beklagten (damals: Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) vom 25. März 1987. Mit diesem war der Antrag des Klägers vom 29. Juli 1986 auf Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit abgelehnt worden, weil der Kläger nicht erwerbs- bzw. berufsunfähig sei. Bereits am 25. Februar 1987 hatte die Beklagte, worauf der Kläger in der Klageschrift hinwies, berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation abgelehnt; der Widerspruchsbescheid hierzu erging am 4. September 1987. Der Kammervorsitzende teilte dem Kläger (Schreiben vom 5. Oktober 1987) u. a. mit, dieser Widerspruchsbescheid sei bisher nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens.
Am 21. Oktober 1987 erklärte der Kläger in einem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Konstanz:
"Ich kann zwar meine frühere Tätigkeit als Konstrukteur nicht mehr ausüben, kann jedoch noch eine entsprechende Ingenieurtätigkeit, die kein anstrengendes Sehen erfordert, verrichten. Ich habe jedoch Schwierigkeiten eine entsprechende Arbeitsstelle zu finden, insbesondere auch wegen meiner langen Arbeitsunfähigkeit bzw. Arbeitslosigkeit. Mein ganzes Bestreben geht dahin, eine entsprechende berufliche Tätigkeit zu finden.
Ich habe mich heute nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage auch davon überzeugt, daß bei dieser Situation die Voraussetzungen für die Gewährung einer beruflichen Maßnahme seitens der BfA nicht gegeben sind und erkläre insofern den Rechtsstreit für erledigt.
Ich werde mich umgehend beim Arbeitsamt vorstellen und mich um die Gewährung entsprechender Maßnahmen bemühen."
Weiter erklärte der Kläger:
"Im Hinblick auf meine Verweisbarkeit für eine Ingenieurtätigkeit, die kein anstrengendes Sehen erfordert, sehe ich ein, daß mein Rentenantrag vom Juli 1986 zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussicht auf Erfolg verspricht und erkläre auch insofern den Rechtsstreit für erledigt."
Mit Schreiben vom 31. Oktober 2005, beim Sozialgericht eingegangen am 16. November 2005, hat der Kläger bei dem Sozialgericht Konstanz die "Wiederaufnahme des ruhenden Verfahrens" S 4 An 382/87 wegen seines Antrags auf Rente beantragt. Der Rechtsstreit sei nur insofern für erledigt erklärt worden als der Rentenantrag zum damaligen Zeitpunkt keine Aussicht auf Erfolg versprochen habe. Der damalige Vorsitzende der 4. Kammer des Sozialgerichts habe ihn ausdrücklich darauf hingewiesen, bei entsprechender Beweislage könne das ruhende Verfahren zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden. Die damals diktierte Niederschrift beruhe auf nachweislich falschen (rechtlichen und medizinischen) Voraussetzungen und sei somit gegenstandslos. Außerdem hat der Kläger umfangreiche Ausführungen zu seinem augenärztlichen Gesundheitszustand und den gutachtlichen Beurteilungen desselben gemacht.
Den Ablehnungsantrag des Klägers gegen den Vorsitzenden der zuständigen 6. Kammer des Sozialgerichts Konstanz hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Beschluss vom 13. Februar 2006 (L 10 R 260/06 A) abgelehnt.
Mit Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Verfahren sei unzulässig, da der Rechtsstreit S 4 An 382/87 durch Erledigungserklärung des Klägers beendet worden sei. Die Formulierungen "insofern würde der Rechtsstreit für erledigt erklärt" bezögen sich auf die beiden Begehren des Klägers auf Gewährung von berufsfördernden Maßnahme bzw. von Rente, die beide Gegenstand der Verhandlung gewesen seien.
Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid am 11. Juli 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine bisherigen Angaben. Ergänzend trägt er vor, der Niederschrift sei nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass sich die Erledigungserklärung auf die Begehren auf Gewährung von berufsfördernden Maßnahme bzw. von Rente beziehe. Letzteres sei auch nicht Gegenstand des Verfahrens S 4 An 382/87, sondern einer eigenständigen Klage vom 26. September 1987 (S 4 An 1115/87). Er sei vom damaligen Kammervorsitzenden der 4. Kammer auch nicht auf die Rechtsfolgen eines Ruhens des Verfahrens hingewiesen worden.
Der Kläger begehrt (sinngemäß),
das Verfahren S 4 An 1115/87 des Sozialgerichts Konstanz fortzusetzen, den Bescheid der Beklagten vom 25. März 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auf Grund seines Antrages vom 29. Juli 1986 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Eine bedingte Prozesserklärung sei der Niederschrift nicht zu entnehmen, jedenfalls unzulässig.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts - einschließlich der beigezogenen Akten und S 4 An 382/87 und S 4 An 1115/87 - sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.
Die am 3. April 1987 vor dem Sozialgericht Konstanz (S 4 An 1115/87) erhobene Klage mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 25. März 1987 und deren Verurteilung zur Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist durch Klagerücknahme erledigt. Ein Kläger kann die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 Sätze 1 und 2 SGG).
Der Kläger hat, was er auch nicht bestreitet, am 21. Oktober zur Niederschrift im Termin (§ 202 SGG i. V. m. § 269 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung [ZPO]) erklärt, er erkläre das Verfahren für erledigt. Diese Erklärung ist als Klagerücknahme aufzufassen. Bei der Auslegung einer Prozesserklärung ist nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden, der in der Äußerung erkennbar ist, festzustellen (Rechtsgedanke des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]; vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2002, B 11 AL 23/02 R; Beschluss vom 8. November 2005, B 1 KR 76/05 B in SozR 4-1500 § 158 Nr. 2). Sowohl nach Wortlaut wie nach Sinn und Zweck kann danach die damalige Erklärung des Klägers nur so verstanden werden, er betreibe das gerichtliche Verfahren nicht mehr weiter. Die Formulierung der (einseitigen) Erledigungserklärung ist dabei - jedenfalls bei Verfahren, die wie hier nicht § 197a SGG unterfallen - als Klagerücknahme anzusehen (Roller in: Lüdtke, SGG, 2. Aufl. 2006, § 102 Rdnr. 14; ders., NZS 2003, 357, 358 m.w.N.).
Die Formulierungen "insofern" bzw. "auch insofern" beziehen sich klar und eindeutig auf die beiden damals in den Verfahren S 4 An 382/87 und S 4 An 1115/87 geltend gemachten Ansprüche, nämlich die Gewährung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation und von Rente. Auch ersteres war, wie der vorherige Schriftwechsel des Klägers mit dem Sozialgericht zeigt (Klageschrift vom 3. April 1987, Schreiben des Gerichts vom 5. Oktober 1987), jedenfalls "Gesprächsgegenstand" in der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 1987. Streitgegenstand war der geltend gemachte Anspruch auf berufliche Rehabilitation nicht, denn die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG, wonach ein Verwaltungsakt, der einen streitgegenständlichen abändert oder ersetzt, Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens wird, lagen nicht vor. Der Anspruch auf berufliche Rehabilitation wurde demgemäß auch aktenmäßig eigenständig behandelt, nämlich im Verfahren S 4 An 1115/87. Die Niederschrift vom 21. Oktober 1987 wurde zu diesem gesonderten Verfahren beigezogen und dieses aufgrund der erklärten Klagerücknahme ausgetragen. Die rechtlich und aktenmäßig getrennte Behandlung der Streitgegenstände hinderte den Kläger jedoch nicht, innerhalb der mündlichen Verhandlung im Verfahren S 4 An 382/97 beide Klagen zurückzunehmen.
Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck ist die Klagerücknahme auch nicht bedingt (§ 158 BGB) erklärt, was nicht unbeachtlich wäre, wie die Beklagte meint, sondern deren Unwirksamkeit zur Folge hätte (Roller in: Lüdtke, a.a.O., Rdnr. 6). Die Formulierung "Im Hinblick auf meine Verweisbarkeit für eine Ingenieurtätigkeit, die kein anstrengendes Sehen erfordert, sehe ich ein, daß mein Rentenantrag vom Juli 1986 zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussicht auf Erfolg verspricht" bringt allein die inneren Erwägungen und Motive des Klägers zum Ausdruck und stellt die Klagerücknahme nicht unter die Bedingung einer bestimmten Rechts- (Verweisbarkeit auf Ingenieurtätigkeiten, die kein anstrengendes Sehen erfordern) oder Beweislage (augenärztliche Gutachten).
Der fehlende Vermerk, dass die Erklärung über die Klagerücknahme vorgelesen oder zur Niederschrift vorgelegt sowie genehmigt worden ist (§ 122 SGG i. V. m. § 160 Abs. 3 Nr. 8, § 162 Abs. 1 ZPO), macht diese nicht unwirksam (BSG, Urteil vom 12. März 1981, 11 RA 52/80 in SozR 1500 § 102 Nr. 4).
Der Senat kann offen lassen, ob im Vorbringen des Klägers eine Anfechtungs- oder Widerrufserklärung seiner Klagerücknahme zu sehen ist. Selbst wenn der Kläger hinsichtlich der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der in der Niederschrift dokumentierten Motive im Irrtum gewesen wäre, erlauben solche Motivirrtümer eine Anfechtung der Klagerücknahme nicht (vgl. nur Roller in: Lüdtke, a.a.O., Rdnr. 6, 11). Ein Widerruf der Klagerücknahme wird nur unter den Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des gerichtlichen Verfahrens (§§ 179 f SGG, §§ 578 ff ZPO) für zulässig erachtet (Roller, a.a.O., Rdnr. 11). Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor, insbesondere ist jedenfalls die Ausschussfrist von fünf Jahren (hier: seit Abgabe der Erklärung) abgelaufen (vgl. § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Im Übrigen ist die Behauptung des Klägers, der damalige Vorsitzende der 4. Kammer habe ihm seinerzeit darauf hingewiesen, das Verfahren könne bei Änderung der Beweislage wieder aufgenommen werden, soweit sich diese Äußerung überhaupt auf das gerichtliche Verfahren und nicht (im untechnischen Sinne) auf das vorrangig gegenüber der Beklagten zu verfolgende Rentenbegehren bezieht, nicht belegt. Gleiches gilt für den weiteren Vortrag des Klägers, der damalige Vorsitzende der 4. Kammer habe ihn nicht über die Folgen seiner Prozesserklärung aufgeklärt. Immerhin hat der Kläger dieses gerichtliche Verfahren über mehr als 18 Jahre nicht weiter betrieben, obwohl er ansonsten in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht untätig war. Weitere Ermittlungen des Senats sind weder angezeigt noch möglich, denn der damalige Vorsitzende der 4. Kammer ist mittlerweile verstorben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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