L 2 U 3005/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 2187/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 3005/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist eine Verschlimmerung der Folgen des Unfalls vom 02.09.1946 und eine daraus resultierende Erhöhung der Verletztenrente.

Dem am 30.05.1937 geborenen Kläger wurde bei einem entschädigungspflichtigen Unfall im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern am 02.09.1946 der rechte Fuß abgerissen und in der Folgezeit prothetisch versorgt. Als Unfallfolgen sind anerkannt: Verlust des rechten Fußes, Muskelschwund am rechten Unterschenkel (Bescheid vom 18.03.1947). Nach Festsetzung der Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von zunächst 40 vH (Bescheid vom 29.11.1948), erklärte sich die Beklagte im Verfahren vor dem OVA Karlsruhe bereit, eine Dauerrente nach einer MdE um 50 vH zu gewähren. Nach Nachamputation am 11.08.1955 und endgültiger prothetischer Versorgung nach Abschluss der Wachstumsphase leistete die Beklagte eine Dauerrente nach einer MdE von - nun noch - 40 vH (Bescheid vom 10.07.1956).

Ein Erhöhungsantrag des Klägers im Jahr 1975 wegen Stumpfbeschwerden, Beschwerden im rechten Kniegelenk, Rückenschmerzen und Überlastungsbeschwerden des linken Beines blieb erfolglos (Bescheid vom 08.07.1975, Urteil des Sozialgerichts Mannheim (SG) vom 30.03.1977 - 3 U 1444/75 -, Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 19.08.1980 - L 10 Ub 1048/77 - und Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.01.1981 - 2 BU 147/80 -). Dem Verschlimmerungsbegehren wurde jedoch auf Grund des Gutachtens von Dr. Pippert vom 22.10.1980 in der Weise Rechnung getragen, dass unter Anerkennung häufiger und schlecht heilender Geschwürsbildungen am rechten Unterschenkelstumpf mit Minderung der arteriellen Durchblutung ab 01.10.1980 Rente nach einer MdE von 50 vH (Bescheid vom 10.04.1981) gewährt wurde.

Mit Schreiben vom 25.10.2001 beantragte der Kläger wegen Hüftgelenksbeschwerden links die Erhöhung seiner Rente. Die Beklagte holte das Gutachten vom 12.02.2002 bei Prof. Dr. C., Orthopädische Universitätsklinik H., ein. Unter Berücksichtigung zahlreicher Röntgenbilder (mindestens ab 1973) und Fotodokumentation des Klägers gelangte der Gutachter zu dem Ergebnis, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen nicht vorliege und die MdE weiterhin mit 50 vH zu beurteilen sei. Die Lendenwirbelsäule (LWS) sei in beiden Betrachtungsebenen physiologisch ausgerichtet und zeige keine Hinweise für eine statisch bedingte Fehlbelastung, weshalb die Rückenbeschwerden nicht als Unfallfolge, sondern als aus innerer Ursache entstanden angesehen werden müssten. Die deutlichen degenerativen Veränderungen in beiden Hüftgelenken, links stärker als rechts, seien bereits ab 1973 beginnend, vermutlich infolge einer Verknöcherungsstörung des Pfannendachs, erkennbar. Wegen fehlender asymmetrischer Belastung sei ein Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall nicht wahrscheinlich zu machen. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 26.02.2002 die Erhöhung der Rente ab. Im Laufe des Widerspruchsverfahrens berichtete der behandelnde Arzt für Orthopädie Dr. M. von der Implantation einer Totalendoprothese im linken Hüftgelenk am 21.02.2002 (Bericht vom 04.04.2002). Der Kläger legte das von ihm in Auftrag gegebene Gutachten des Prof. Dr. F., Ärztlicher Direktor der S. W.-Klinik, vom 22.07.2002 vor. Darin wird - gestützt auf die Angaben des Klägers - ausgeführt, dass bei einem Gliedmaßenverlust nach herrschender medizinischer Lehrmeinung regelmäßig Schäden durch Überlastung an der verbliebenen paarigen Gliedmaße nicht entstünden. Ausnahme sei die ausgeprägte Fehlbelastung bei Beinamputierten mit der Unmöglichkeit eine Prothese zu tragen, was beim Kläger, der seit 56 Jahren unterschenkelamputiert und zumindest im ersten Jahrzehnt nach erfolgter Amputation nicht adäquat prothesenversorgt gewesen sei und auch zu späterer Zeit auf Grund von Phantomschmerzen und Druckgeschwüren sein amputiertes Bein nicht regelhaft belastet bzw. keine Prothese getragen habe, anzunehmen sei. Die Fehlstellung des Schienbeinkopfes rechts erkläre sich zwanglos als Unfallfolge auf Grund einer prothesen- bzw. gangbildbedingten vermehrten innenseitigen Druckübernahme des Schienbeinkopfes des noch wachsenden Skeletts; die daraus resultierende Kniegelenksarthrose rechts sei somit als Unfallfolge anzuerkennen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.2002 mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Gutachten des Prof. Dr. F. ohne Kenntnis der seit Jahren dokumentierten Befunde nicht geeignet sei, das Gutachten des Prof. Dr. C. zu entkräften und eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen nachzuweisen.

Dagegen hat der Kläger am 17.09.2002 Klage zum SG erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich befragt und zwei orthopädische Gutachten eingeholt. Arzt für Orthopädie Dr. M. hat sich hinsichtlich der Unfallfolgen und der Schätzung der MdE dem Gutachten von Prof. Dr. C. angeschlossen (Auskunft vom 23.04.2003). Die Praktische Ärztin Dirks hat sich zum Zusammenhang der zunehmend vorgebrachten Beschwerden mit dem Unfall 1946 nicht geäußert (Auskunft vom 24.04.2003). Prof. Dr. S., Orthopädische Klinik des Klinikums M., hat den medizinischen Unterlagen in den Akten seit 1946 (mit entsprechenden Zitaten von Untersuchungsberichten) entnommen, dass der Kläger seit dem Unfall mit einer - meist auch mit zwei - Prothesen ausreichend versorgt gewesen ist und hat - gestützt durch das Ergebnis der klinischen Untersuchung - eine ausgeprägte einseitige Fehlbelastung weder der Wirbelsäule noch der erhaltenen bzw. amputierten unteren Extremität feststellen können. Die linksseitig führende arthrotische Degeneration des Hüftgelenks sei der seit 1973 bekannten dysplastischen Anlage zuzuschreiben. Die rechtsseitige Kniegelenksarthrose sei nicht als Unfallfolge anzuerkennen, da bei einer unterstellten ungleichmäßigen Belastung des Kniegelenks eher das laterale Kniegelenkskompartiment betroffen gewesen wäre. Letztendlich wiesen auch nicht amputierte Patienten in vergleichbarem Alter und mit vergleichbarer Konstitution ähnliche Veränderungen und Beschwerden an Gelenken der unteren Extremitäten auf. Eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustands gegenüber den maßgeblichen Vorbefunden wurde nicht festgestellt. Zwischen den degenerativen Veränderungen der Hüft- und Kniegelenke bestehe kein ursächlicher Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall von 1946. Die MdE sei nach wie vor mit 50 vH zu bewerten. Im nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachten vom 21.06.2005 ist Facharzt für Chirurgie Dr. W. - entgegen Prof. Dres. C. und S. - von keiner adäquaten Prothesenversorgung während der Wachstumsphase ausgegangen. Aus den seit 1975 bestehenden Wirbelsäulen- und Hüftgelenksbeschwerden bei hochgradiger Muskelminderung des rechten Oberschenkels und des Stumpfes ergebe sich zwingend, dass der Kläger überwiegend das linke Bein benutzt habe. Die zwar unfallunabhängige Hüftdysplasie sei dadurch richtunggebend verschlimmert worden. Auch die bereits seit 1975 beschriebene fortgeschrittene mediale Gonarthrose rechts sei als mittelbare Unfallfolge zu werten, da das jahrelange Tragen einer nicht passgerechten Prothese und rezidivierende Unterschenkelgeschwüre zur Fehlbelastung des Kniegelenks geführt hätten. Die Gesamt- MdE sei mit 60 vH zu bewerten. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 16.02.2006 gestützt auf die Gutachten von Prof. Dr. C. und Prof. Dr. S. abgewiesen. Eine wesentliche unfallbedingte Veränderung gegenüber den maßgeblichen Verhältnissen im Bescheid vom 10.04.1981 sei nicht eingetreten. Die Kausalität der Rücken-, Hüft- und Kniebeschwerden mit dem Arbeitsunfall vom 02.09.1946 sei nicht wahrscheinlich zu machen, da die von Prof. Dr. F. und Dr. W. unterstellte linksseitige Fehlbelastung - auf die es wesentlich ankomme - nicht dokumentiert und eine unzureichende prothetische Versorgung fälschlicherweise unterstellt worden sei. Zudem hätten bereits die medizinischen Gutachten im Zusammenhang mit dem Erhöhungsantrag des Klägers aus dem Jahr 1975 die Veränderungen der Lendenwirbelsäule sowie der Hüft- und Kniegelenke als mittelbare Unfallfolge abgelehnt.

Gegen das am 24.05.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.06.2006 Berufung eingelegt und zur Bestätigung der unfallbedingten Verschlechterung die Stellungnahme des Dr. W. vom 27.06.2006 und das Attest der Praktischen Ärztin Dirks vom 13.07.2006 sowie die Berichte eine CT-gesteuerte Nervenwurzelblockade L4 links vom 12.01. und 08.02.2006 vorgelegt. Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16. Februar 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. September 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalls vom 2. August 1946 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 60 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen angestellt.

Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin vom 18.09.2006 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände), die Akten des SG S 3 U 1444/75 und S 9 J 1564/80, des LSG L 2 J 1800/81 sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG über die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), frist- und formgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und somit insgesamt zulässige Berufung entscheiden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen, da der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE um 60 vH hat.

Das SG hat die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen in der angefochtenen Entscheidung zutreffend zitiert, den medizinischen Sachverhalt durch schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte sowie durch die Einholung zweier orthopädischer Gutachten erschöpfend geklärt und das Beweisergebnis rechtsfehlerfrei gewürdigt. Es hat zu Recht als wesentlich die Würdigung der Vorbefunde eingestuft, mit denen sich insbesondere Prof. Dr. S. ausführlich und zutreffend in seinem Gutachten auseinandergesetzt, seine Annahme einer mangelnden einseitigen Fehlbelastung mit entsprechenden Zitaten im zeitlichen Querschnitt der Behandlungsunterlagen belegt und sich damit auf objektive Gesichtspunkte gestützt hat, was die Gutachten von Prof. Dr. F. und Dr. W., die allein die Angaben des Klägers zu Grunde gelegt haben, vermissen lassen. So ist - entgegen der Darstellung des Klägers - besonders für das Jugendalter in allen entsprechenden Befundberichten (vom 16.09.1946, 15. 10.1947, 05.11.1948, 15.06.1949, 24.11.1955 und 31.05.1956) ein guter Sitz der Prothese, flotter und sicherer Gang ohne Hinken vermerkt und einen Entwicklungsrückstand des rechten Knies, auf den Prof. Dr. F. abgestellt hat, hat Prof. Dr. S. auf Grund der nur geringgradigen messbaren Unterschiede der Tibiagelenkfläche und der Femurcondylenbreite nachvollziehbar als unwesentlich eingestuft. Der Senat nimmt daher auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug, sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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