L 11 R 2597/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 1909/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2597/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10. April 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Kraftfahrzeug (Kfz) -Hilfe.

Die 1944 geborene Klägerin, die seit 01.05.2003 in Ü. als Handlungsgehilfin teilzeitbeschäftigt ist (zwei bis drei Tage pro Woche), wohnt in M ... Ihren etwa 23 km entfernten Arbeitsplatz erreicht sie mit einem Pkw. Sie ist als Schwerbehinderte anerkannt bei einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 ohne Merkzeichen.

Am 16.12.2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Hilfe zu den Anschaffungskosten eines Kraftfahrzeuges und die Übernahme der Kosten von behinderungsbedingten Zusatzausstattungen. Wegen der ungünstigen und unregelmäßigen Arbeitszeiten bei schlechter Zugverbindung sei sie auf die Benutzung eines Kfz angewiesen. Ihr bisheriges Fahrzeug (VW Polo Baujahr 1998, 62.000 km) könne sie wegen außergewöhnlicher Reparaturen, Bedienungsvereinfachung und neuerer Technik für Armbehinderungen und Schulterproblematik nicht mehr benutzen. Öffentliche Verkehrsmittel stünden zur Verfügung, jedoch nicht zu den erforderlichen Arbeitszeiten. Die Klägerin legte u.a. Kostenvoranschläge für den VW Polo, den Schwerbehindertenbescheid vom August 2002 und den Angestellten-Vertrag vor.

Die Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. M. ein. Dieser beschrieb belastungs- und bewegungsabhängige Schmerzen im gesamten Schultergürtelbereich rechts mehr als links. Die Klägerin leide an chron. rezidivierenden Cerviko-Brachialgien bei sternosymphysaler Belastungshaltung und einer Omarthrose rechts bei Z.n. Verletzung im Kindesalter.

Mit Bescheid vom 09.02.2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf die Gewährung von Kfz-Hilfe mit der Begründung ab, dass die Klägerin nach den Feststellungen aus behinderungsbedingten Gründen nicht auf ein Kraftfahrzeug angewiesen sei, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Damit entfalle auch die Kostenübernahme für die Zusatzausstattung.

Zur Begründung ihres dagegen eingelegten Widerspruchs wies die Klägerin darauf hin, dass sie wegen der ungünstigen Arbeitszeiten und wegen der schlechten Zugverbindung einen Pkw benötige, der mit automatischem Getriebe, Drehknopf, Wählhebel und Servolenkung ausgestattet sei. Das bisherige Fahrzeug sei wegen veralteter Technik und erheblicher Reparaturbedürftigkeit nicht mehr verwendbar. Unter Berücksichtigung der von Dr. M. mitgeteilten Gesundheitsstörungen sei sie aus behinderungsbedingten Gründen auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen.

Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2005 zurück. Der Klägerin seien unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes die Fußwege zu den jeweiligen Verkehrsmitteln von 1,2 km bzw. 1,8 km sowie die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zumutbar. Da es allein auf die Art und Schwere der Behinderung ankomme, die es erforderlich mache, für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsort auf ein eigenes Kraftfahrzeug angewiesen zu sein, seien andere Umstände, z.B. ungünstige Arbeitszeiten oder ungünstige öffentliche Verkehrsanbindungen, die auch für einen Gesunden die Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges zweckmäßig erscheinen ließen, kein Grund, eine Kfz-Hilfe zu gewähren. Es könnten mithin auch keine Kosten für behinderungsbedingte Zusatzausstattungen übernommen werden.

Deswegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG). Zur Begründung verwies sie auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren und teilte ergänzend mit, dass sie ihren Arbeitsplatz derzeit mit ihrem behindertengerecht eingerichteten Auto erreiche. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei nicht möglich, da sie diese sowohl aus zeitlichen als auch aus behinderungsbedingten Gründen nicht nutzen könne. Die Klägerin legte eine Stellungnahme des Dr. M. vom Dezember 2005 vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei bei vorliegendem HWS-Syndrom uneingeschränkt zumutbar. Schwere Taschen oder Behältnisse nicht längerzeitig tragen zu können und Erleichterungen des täglichen Lebens, seien nicht Gegenstand der Leistung der Rentenversicherung.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.04.2006, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 19.04.2006, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, die Klägerin erfülle nicht die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Kfz-Hilfe. Gehbehinderungen seien auch dem Attest des Dr. M. vom Dezember 2005 nicht zu entnehmen. Die Erschwerung beim Transport von Taschen und dergleichen sei für das Gericht nicht von Entscheidungsrelevanz, da das Erreichen eines Arbeitsplatzes in der Regel nicht vom Transport schwerer Taschen abhängig sei. Eine Gefährdung der Klägerin beim Ein- und Aussteigen aus einem Bus sei nicht erkennbar.

Hiergegen richtet sich die am 18.05.2006 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Bei der Beurteilung der persönlichen Voraussetzungen nach § 3 Abs. 1 Ziffer 1 der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) komme es nicht ausschließlich auf die Bewertung der vorliegenden Behinderungen an. So könne ein Kraftfahrzeug auch dann gefördert werden, wenn nicht nur allein die Behinderung dazu zwinge, sondern auch, wenn z.B. öffentliche Verkehrsmittel fehlten. Erhebliche Defizite bei den öffentlichen Verkehrsverbindungen müssten berücksichtigt werden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10. April 2006 sowie den Bescheid vom 09. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Kfz-Hilfe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die Klägerin besitze zwar einen Schwerbehindertenausweis, jedoch ohne Merkzeichen "G" oder "aG".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kfz-Hilfe.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von Kfz-Hilfe, insbesondere die persönlichen Voraussetzungen gemäß § 10 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und § 3 KfzHV i.V.m. § 33 Abs. 8 Ziff. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sind im Widerspruchsbescheid der Beklagten und im Gerichtsbescheid des SG zutreffend dargestellt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

Nach Auffassung des Senats ist die Berufung bereits aus den vom SG dargestellten Gründen als unbegründet zurückzuweisen. Insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des SG und ergänzend auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug und verzichtet auf deren erneute Darstellung (§§ 153 Abs. 2 und Abs. 1 i.V.m. § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz SGG -).

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Entscheidung.

Die Entscheidung der Frage, ob der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von Kfz-Hilfe zu gewähren sind (Eingangsprüfung) steht nicht im Ermessen der Beklagten, sondern ist davon abhängig, ob neben den allgemeinen Leistungsvoraussetzungen vor allem die in der KfzHV genannten zusätzlichen persönlichen Voraussetzungen (§ 3 KfzHV) erfüllt sind. Erst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, besteht ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -).

Die Leistungen der Kfz-Hilfe setzen u.a. voraus, dass der Behinderte infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kfz angewiesen ist, um seinen Arbeits- oder Ausbildungsort zu erreichen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV). Die Klägerin ist zwar Behinderte im Sinne dieser Regelung, jedoch nicht gehbehindert. Ausweislich der Äußerungen von Dr. M. leidet die Klägerin vor allem an Beschwerden im Schultergürtelbereich rechts mehr als links. Hieraus lässt sich auch für den Senat eine Gefährdung der Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht nachvollziehbar ableiten. Eine solche wird selbst von Dr. M. nicht erwähnt. Er weist lediglich darauf hin, dass der Klägerin das Tragen schwererer Lasten nicht zumutbar ist. Diese Beeinträchtigung ist indes für die Frage der Kfz-Hilfe hier bereits deshalb irrelevant, da überhaupt nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht vorgetragen ist, dass ihre Tätigkeit den Transport schwererer Lasten auf dem Weg zwischen Arbeitsplatz und Wohnung erfordert.

Soweit die Klägerin ihr Begehren damit begründet, sie sei wegen der ungünstigen und unregelmäßigen Arbeitszeiten bei schlechter Zugverbindung auf die Benutzung eines Kfz angewiesen, kann der Senat offen lassen, ob tatsächlich keine öffentlichen Verkehrsmittel zu den Arbeitszeiten der Klägerin verkehren, denn dieser Umstand allein begründet keinen Anspruch auf Kfz-Hilfe, weil nicht die Behinderung Ursache für die Erforderlichkeit eines Kfz ist (vgl. Niesel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Anhang 1 § 16 SGB VI Rdnr. 7).

Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26.08.1992 - 9b Rar 14/91 = SozR 2-5765 § 3 Nr. 1 - berufen. Darin und auch im Urteil vom 21.03.2001 - B 5 RJ 8/00 - hat das BSG bei einem erheblich Gehbehinderten, dem das Merkzeichen "G" zuerkannt worden ist, d.h. der eine übliche Wegstrecke (von 2 km bei einer Gehdauer von etwa einer halben Stunde) nicht mehr bewältigen kann, das Angewiesensein auf ein Kfz zur Erreichung des Arbeitsplatzes ohne nähere Kausalitätsprüfung bejaht, da die nächste Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel mehr als 2 km vom Arbeitsplatz entfernt und vom Versicherten gesundheitlich nicht zumutbar zu Fuß erreicht werden konnte. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt indes bei der Klägerin nicht vor. Bei ihr ist das Merkzeichen "G" nicht anerkannt, sie ist nicht gehbehindert und auch nicht behinderungsbedingt auf die Benutzung eines Kfz angewiesen. Es wird zwar vom BSG nicht gefordert, dass der Versicherte allein wegen der Gehbehinderung und nicht zusätzlich auch aus anderen Gründen, z.B. Fehlen der Anbindung der Arbeitsstelle an öffentliche Verkehrsmittel bzw. ungünstige Fahrpläne, auf die Benutzung eines Kfz angewiesen ist; insbesondere ist nicht zu prüfen, ob solche auch für Nichtbehinderte geltenden Ursachen nicht die sich aus der Behinderung ergebende Notwendigkeit verdrängen, ein Kfz zu benutzen. Vielmehr ist entscheidend, dass der Versicherte schon wegen der bei ihm bestehenden körperlichen Behinderung und damit unabhängig von etwaigen weiteren Hindernissen zur Erreichung der Arbeitsstelle auf ein Kfz angewiesen ist. Dies ist bei der Klägerin aber gerade nicht der Fall. Sie ist gesundheitlich nicht gehindert, die Wege zwischen Wohnung bzw. Arbeitsstelle und Haltestelle der öffentlichen Verkehrsmittel (1,8 bzw. 1,2 km) zurückzulegen.

Es ist nicht Sinn und Zweck der Kfz-Hilfe, dem Versicherten bei ungünstiger Wohnlage und schlechter Verkehrsanbindung durch öffentliche Verkehrsmittel die Anschaffung eines Fahrzeugs mit modernerer Technik bzw. Zusatzausstattungen (mit)zu finanzieren, wenn keinerlei Einschränkung des Gehvermögens nachgewiesen ist. Erleichterungen des täglichen Lebens sind, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, nicht Gegenstand der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Berufung konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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