L 11 KR 3814/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 5351/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3814/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 247 Abs. 1 S. 1 SGB V, wonach bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus ihren Renten der gesetzlichen Rentenversicherung der allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse gilt, ist auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die pflichtversicherten Rentner keinen Anspruch auf Krankengeld haben, verfassungsgemäß.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bemessung der Beiträge nach dem allgemeinen Beitragssatz streitig.

Der 1937 geborene Kläger ist seit 04.03.1990, mittlerweile als Regelaltersrentenbezieher bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Seine Rente betrug vom 01.01.2003 bis 30.06.2003 1.445,57 EUR (KV-Beitrag 209,61 EUR), vom 01.07.2003 bis lfd. 1.460,57 EUR, wobei der KV-Beitrag vom 01.07.2003 bis 31.03.2004 bei 222,01 EUR, vom 01.04.2004 bis 30.06.2005 bei 214,70 EUR und seit dem 01.07.2005 bei 214,71 EUR lag.

Mit Schreiben vom 19.05.2005, bei der Beklagten eingegangen am 23.05.2005, beantragte er die Beitragserhebung nach dem ermäßigten Beitragssatz von 13,8 % anstelle des allgemeinen Beitragssatzes von 14,7 % mit der Begründung, ihm stehe kein Anspruch auf Zahlung von Krankengeld zu. Die Beklagte verlange daher einen überhöhten Beitragssatz ohne Gegenleistung. Dies verstoße nicht nur gegen das Allgemeine Gleichheitsgesetz, sondern auch gegen die Verfassung und Europäisches Recht.

Mit Bescheid vom 30.05.2005 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, die Beiträge auf die Rente seien trotz des fehlenden Krankengeldanspruchs seit Rentenbeginn nach dem allgemeinen und nicht nach dem ermäßigten Beitragssatz zu erheben. Ein Anspruch auf Beitragserstattung bestehe nicht, weil Beiträge nicht zu Unrecht entrichtet worden wären.

Mit seinem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dadurch, dass er keinen Anspruch auf Krankengeldzahlung habe, stelle er ein erheblich geringeres Risiko für die Versicherung dar, das mit mindestens 1,8 % zu beziffern sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger unterläge als Rentner der Krankenversicherungspflicht. Bei Versicherungspflichtigen gelte für die Bemessung der Beiträge aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung der allgemeine Beitragssatz der Krankenkassen. Dieser Beitragssatz sei zwar zu ermäßigen, wenn kein Anspruch auf Krankengeld bestehe, jedoch handle es sich hierbei um die allgemeine Vorschrift zur Erhebung von Beiträgen. Diese Regelung sei immer dann anzuwenden, wenn keine spezielle Rechtsvorschrift bestehe. Da jedoch der Beitragssatz aus der Rente in § 247 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) normiert sei, gelte § 243 SGB V für den Beitragssatz aus der Rente nicht. Dies habe das BSG bereits mit Urteil vom 11.04.1984 - 12 RK 55/82 - festgestellt und einen Verstoß gegen das Grundgesetz nicht gesehen. Auch aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 (BVL 1/98) zu den Einmalzahlungen ergäbe sich nichts anderes, da eine Parallele zum anzuwendenden Beitragssatz nicht vorliege.

Seine dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage begründete der Kläger nicht.

Mit Urteil vom 26.06.2006, dem Kläger zugestellt am 05.07.2006, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, die Beklagte habe die Bemessung der Beiträge zutreffend vorgenommen, da § 243 Abs. 1 SGB V aufgrund der spezielleren Ausnahmevorschrift des § 247 Abs. 1 Satz 1 SGB V keine Anwendung fände. Die Vorschrift sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere liege kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. Rentner würden schon deswegen nicht ungleich behandelt werden, weil sie einen Rentenanspruch hätten. Der Ausschluss vom Anspruch auf Krankengeld bzw. die fehlende Kompensierung durch einen ermäßigten Beitragssatz sei auch legitimiert, weil der Gesetzgeber damit das Ziel verfolge, alle Versicherten in angemessenem Umfang an der Finanzierung der Leistungsaufwendungen zu beteiligen und dadurch das solidarisch finanzierte Krankenversicherungssystem zu erhalten. Dabei sei vor allem zu berücksichtigen, dass bei der Ordnung von Massenerscheinungen typisierende und generalisierende Regelungen getroffen werden könnten. Dadurch entstehende Härten und Unregelmäßigkeiten müssten hingenommen werden. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass der Kläger in der Vergangenheit das gesetzliche Krankenversicherungssystem mitgetragen habe. Hierdurch habe er lediglich die Berechtigung erworben, nach seinem Eintritt in die Rente vom System finanziell unterstützt zu werden. Einen Anspruch auf gleichbleibende Bedingungen gebe es in der gesetzlichen Krankenversicherung ebenso wenig wie einen Transfer von beitragsrechtlichen Positionen in die Zukunft. Auch die Eigentumsgarantie des Artikel (Art.) 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) werde durch die Erhebung des vollen Beitragssatzes nicht verletzt. Das Vermögen als solches sei grundsätzlich nicht gegen die Auferlegung von öffentlich-rechtlichen Geldleistungen geschützt. Sonstige Verletzungen von verfassungsrechtlichen oder europarechtlichen Normen seien nicht ersichtlich.

Seine dagegen am 10.07.2006 eingelegte Berufung hat der Kläger ebenfalls nicht begründet.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Juni 2006 sowie den Bescheid vom 30. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Beiträge nach dem ermäßigten Beitragssatz zu erheben und ihm überzahlte Beiträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft, da der Kläger auch eine Beitragserstattung für mehr als ein Jahr geltend macht (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) und ist damit insgesamt zulässig.

Die zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, weswegen der Senat ergänzend auf die Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SSG Bezug nimmt. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 30.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat zutreffend der Beitragsbemessung den allgemeinen Beitragssatz nach § 247 Abs. 1 Satz 1 SGB V zugrunde gelegt. Der Kläger hat danach weder einen Anspruch auf Beitragsreduzierung nach dem ermäßigten Beitragssatz noch auf Erstattung von überzahlten Krankenversicherungsbeiträgen.

Rechtsgrundlage hierfür ist § 247 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus ihren Renten der gesetzlichen Rentenversicherung der allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse gilt. Zwar trifft der Einwand des Klägers zu, dass bei Bezug einer Vollrente wegen Alters ein Anspruch auf Krankengeld ausgeschlossen ist. Die Regelung des § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V selbst, die eine Doppelversorgung mit Leistungen gleicher Zweckbestimmung verhindern soll, ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (so zuletzt BSG, Urteil vom 30.05.2006 - B 1 KR 14/05 R, SGb 2006, 417). Bei Versicherten, bei denen - wie bei dem Kläger - kein Anspruch auf Krankengeld besteht, ist nach der Vorschrift des § 243 Abs. 1 SGB V zwar ein ermäßigter Beitragssatz vorgesehen, aber nicht generell, sondern nur für einzelne Mitgliedergruppen, für die ein Anspruch nach § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SGB V ausgeschlossen ist (vgl. Peters, in: Kasseler Kommentar, § 243 SGB V RdNr. 4). Diese Voraussetzungen liegen bei der Mitgliedergruppe der pflichtversicherten Rentner nicht vor, wie sich auch aus der Gesetzessystematik ergibt, wonach § 247 SGB V die speziellere Vorschrift ist, § 243 SGB V nur allgemeine Vorschrift für die Beitragserhebung ist. Das folgt bereits aus der systematischen Folge der Vorschriften.

Der Senat ist auch zu der Überzeugung gelangt, dass die Beitragsbemessung nicht gegen die Verfassung verstößt. Denn der abgabenrechtliche Grundsatz, dass zu Beiträgen nur herangezogen werden kann, wer auch in den Genuss der damit verbundenen Vorteile kommen kann, gilt im Bereich der sozialen Sicherung nicht (vgl. zum Folgenden BSG 11.04.1984, 12 RK 55/82, SozR 2200 § 385 Nr. 7). Hier gilt vielmehr das Solidaritätsprinzip und der Grundsatz des sozialen Ausgleichs zwischen wirtschaftlich stärkeren und schwächeren Versicherten. Deswegen ist für den Umfang der Beitragsbelastung grundsätzlich nicht der Leistungsbedarf des einzelnen oder seiner Gruppe maßgebend, sondern die wirtschaftliche Lage der Beitragspflichtigen. Die Erhebung des vollen Beitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung überschreitet daher nicht den Rahmen des Solidaritätsprinzips (bestätigt durch BVerfG 26.04.1985, 1 BvR 1414/84).

Das BSG hat in seiner neueren Entscheidung vom 24.08.2005 (B 12 KR 29/04 R, SozR 4 - 2500 § 248 Nr. 1) zu der Bemessung von Beiträgen aus Versorgungsbezügen nach dem vollen allgemeinen Beitragssatz daran festgehalten. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sowohl § 247 SGB V als auch § 248 SGB V, wonach für Versicherungspflichtige für diese Einnahmen der allgemeine Beitragssatz gelte, keine gleichheitswidrige Abweichung von den in den §§ 241 bis 243 SGB V vorgegebenen Regelungen, die eine Differenzierung des Beitragssatzes gerade nach dem Risiko der Inanspruchnahme von Krankengeld vorsehen, darstellen. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat ausdrücklich an. Denn die Festlegung des allgemeinen Beitragssatzes fügt sich ein in die Rechtsentwicklung der letzten Jahrzehnte, die von dem Grundgedanken bestimmt ist, jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwandes für Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen (vgl. hierzu BVerfG 13.12.2002 - 1 BvR 1660/96 - SozR 3 - 2500 § 248 Nr. 6). Das Bestreben einer Entlastung der jüngeren versicherten Generation ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Urteil vom 16.07.1985 - 1 BvL 5/85 - SozR 2200 § 165 Nr. 81). Denn die Beitragsdeckungsquote von den Leistungen in der KVdR ist von ca. 70 v.H. im Jahre 1973 stetig gesunken auf eine Quote von deutlich unter 50 v.H. im Jahre 2003 (BT-Drucks. 15/1525 S. 140). Es ist daher sogar verfassungsrechtsrechtlich geboten, die Rentner beitragsmässig stärker zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung heranzuziehen.

Der Senat hat deswegen die Berufung zurückgewiesen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen angesichts der gefestigten Rechtsprechung des BSG und Bundesverfassungsgerichts nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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