L 3 R 631/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 R 6084/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 631/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist noch der Beginn einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die am 20.1.1956 geborene Klägerin türkischer Staatsangehörigkeit hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt als Putzfrau beschäftigt. Vom 4. bis 25.3.2003 absolvierte sie eine stationäre Heilbehandlung in der Rheumaklinik Bad X., aus der sie mit den Diagnosen Mischkollagenose, eingeschränkte Handgelenksfunktion, rechts mehr als links, bei Zustand nach Ganglionoperationen beidseits, Ganzkörperschmerz z. B. Fibromyalgiesyndrom, Hypercholesterinämie und latente Hypothyreose als arbeitsunfähig, aber mit der Leistungsbeurteilung entlassen wurde, leichte Tätigkeiten könnten bei Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen mindestens sechs Stunden am Tag verrichtet werden.

Die Klägerin beantragte am 8.5.2003 die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Gestützt auf die Feststellungen im Heilbehandlungsentlassungsbericht lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 13.6.2003 ab.

Die im Widerspruchsverfahren veranlasste internistisch/sozialmedizinische Begutachtung (Gutachten Dr. H. vom 12.8.2003) erbrachte eine Mischkollagenose mit Manifestation überwiegend im Handgelenksbereich und Funktionsminderung, derzeit allerdings ohne wesentliche Aktivität, eine geringgradige Wirbelsäulenfehlhaltung mit Verspannung der paravertebralen Muskulatur sowie Fußdeformitäten mit einem weiterhin vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten.

Daraufhin wies sie die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2003 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 13.11.2003 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben, mit der sie ihr Rentenbegehren weiterverfolgt hat. Vorgelegt worden ist von ihr u. a. das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 6.5.2003, wonach zwar Arbeitsunfähigkeit bezüglich der zuletzt ausgeübten Tätigkeit besteht, leichte Tätigkeiten mit geringer Beanspruchung der Handfunktion in wechselnder Körperhaltung jedoch vollschichtig in Betracht kommen.

Das SG hat die Hausärztin Dr. K. als sachverständige Zeugin befragt, die die Klägerin in ihrer Auskunft vom 5.4.2004 im Wesentlichen wegen Bauchschmerzen sowie Schmerzen in beiden Händen und Armen für arbeitsunfähig erachtet hat.

Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des orthopädisch/rheumatologischen Sachverständigengutachtens von Dr. Z. vom 7.9.2004. Diagnostiziert worden ist ein Sharp-Syndrom mit rezidivierenden Gelenksschmerzen und Gelenksentzündungen insbesondere der Hand- und Schultergelenke, ein Schulter-Arm-Syndrom bei degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette beidseits, ein chronisches Brustwirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulensyndrom bei rechtskonvexer Skoliose sowie ein Zustand nach mehrfacher Handoperation. Die Klägerin könne selbst leichte Tätigkeiten nicht mehr mindestens sechs Stunden am Tag verrichten und dies mindestens seit Antragstellung.

Mit Schriftsatz vom 1.12.2004 hat die Beklagte anerkannt, dass die Klägerin seit dem 15.2.2004 (zeitliche Mitte zwischen der Begutachtung durch Dr. Z. und Dr. H.) voll erwerbsgemindert sei. Die Rente sei zeitlich zu befristen. Es werde Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1.9.2004 bis zum 31.7.2007 gewährt. Dieses Anerkenntnis hat die Klägerin als Teilanerkenntnis angenommen und im Übrigen ihren Anspruch auf Gewährung von Rente ab Antragstellung weiterverfolgt. Mit Rentenbescheid vom 20.1.2005 hat die Beklagte ihr Anerkenntnis ausgeführt (vgl. Blatt 93 der SG-Akte).

Das SG hat die über das Teilanerkenntnis hinausgehende Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.10.2005 durch Urteil vom selben Tag abgewiesen.

Es hat unter Darstellung der für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften sowie unter Darstellung der Grundsätze zum Berufsschutz entschieden, dass die als ungelernte Arbeiterin einzustufende und damit breit verweisbare Klägerin die ihr somit noch zumutbaren - unbenannten - leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bis zu dem von der Beklagten angenommenen Rentenbeginn mindestens sechs Stunden am Tag habe verrichten können. Hinsichtlich eines früheren Rentenbeginns werde dem Sachverständigengutachten von Dr. Z. nicht gefolgt. Dagegen sprächen u. a. das dem Zeitpunkt der Antragstellung zeitlich nächste Gutachten des MDK vom 6.5.2003, der Heilbehandlungsentlassungsbericht nach Abschluss der in Bad X. durchgeführten stationären Heilbehandlung sowie das im Rentenverfahren erstattete Gutachten der Internistin Dr. H ... Arbeitsunfähigkeit bezüglich der zuletzt ausgeübten Tätigkeit begründe den Rentenanspruch nicht. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 9.1.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9.2.2006 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Ziel einer früheren Rentengewährung weiterverfolgt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung bzw. Abänderung des Bescheides vom 13. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2003 und des Rentenbescheides vom 20. Januar 2005 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines zum Zeitpunkt der Antragstellung am 8. Mai 2003 eingetretenen Versicherungsfalls zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des (Klage-) Verfahrens ist auch der von der Beklagten erlassene Ausführungsbescheid vom 20.1.2005, über den der Senat ebenfalls auf Berufung entscheidet.

Die angegriffenen Bescheide sind jedenfalls nicht zu Ungunsten der Klägerin rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat zumindest keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vor dem von der Beklagten angesetzten Rentenbeginn.

Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung und der Begründung der streitgegenständlichen Bescheide folgend als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).

Das SG hat die gegen einen früheren Eintritt des Versicherungsfalls sprechenden ärztlichen Feststellungen dargestellt und auch nach Auffassung des Senats zutreffend (allenfalls) im Sinne des von der Beklagten festgelegten Rentenbeginns gewürdigt. Der Senat hat dem nichts hinzuzufügen.

Ohnehin bestehen gegen die von Dr. Z. abgegebene Leistungsbeurteilung bei kritischer Würdigung und Überprüfung auf Schlüssigkeit ganz erhebliche Bedenken.

Es ist nämlich unverkennbar, dass der Sachverständige insbesondere mit seinem Hinweis auf seine Interpretation von § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch SGB VI) nicht hinreichend gewürdigt hat, dass es vorliegend nicht um die Einsatzfähigkeit der Klägerin als Putzfrau geht, sondern um sonstige körperlich leichte bzw. körperlich überhaupt nicht belastende Tätigkeiten.

Es geht hier mangels Berufsschutz der Klägerin auch nicht um die Frage, ob es - sozial - geringerwertige Tätigkeiten als die einer Putzfrau gibt, sondern darum, ob es körperlich weit weniger belastende und vor allem die volle Gebrauchsfähigkeit der Hände nicht erfordernde Tätigkeiten gibt, die der Klägerin damit - auch in zeitlich ausreichendem Maße - noch zumutbar sein könnten. In Betracht käme hier nach Auffassung des Senats z. B. die Tätigkeit einer Pförtnerin, im Rahmen derer weitgehende Einschränkungen der Gebrauchsfähigkeit der oberen Extremitäten beachtet werden können.

Allein aus einer Verschlechterung von Funktionswerten und Bewegungsmaßen mehr als nur qualitative Leistungseinschränkungen abzuleiten, bedarf zumindest einer näheren Begründung, die weder das Sachverständigengutachten noch die hierzu abgegebene ärztliche Stellungnahme von Dr. Hielscher vom 17.11.2004 (Blatt 83 ff. der SG-Akte) erkennen lässt.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Sachverständige die bei der Klägerin neben den Funktionsbeeinträchtigungen leistungseinschränkend gesehene Schmerzproblematik nicht - wie sozialmedizinisch erforderlich - konkret in ihren Auswirkungen auf die Verrichtungen des täglichen Lebens festgestellt und gewürdigt hat.

Hinsichtlich der Auswirkungen von Schmerzen auf die Erwerbsfähigkeit ist nämlich zu beachten, dass je nach Ausprägung der Schmerzsymptomatik die Konzentration deutlich beeinträchtigt sein kann, es können auch kognitive Störungen auftreten. Antriebstörungen, Störungen der Vitalgefühle und weitere depressive Symptome sind häufig vorhanden, bei entsprechendem Schweregrad auch suizidale Tendenzen. Chronische Schmerzen können die Möglichkeit der Betroffenen, an Aktivitäten des täglichen Lebens teilzunehmen, beeinträchtigen. Es kann zu einem zunehmenden sozialen Rückzug kommen, da die Betroffenen gegebenenfalls ihre körperlichen Aktivitäten einschränken, gewissermaßen ihre gesamte Lebensgestaltung dem chronischen Schmerz unterordnen.

Für die Leistungsbeurteilung ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, dass der Gutachter die Entwicklung der Schmerzsymptomatik und ihre Auswirkungen insbesondere auf dem Bereich der sozialen Möglichkeiten und Aktivitäten bei dem Probanden differenziert erfragt. Eine exakte Erhebung und Darstellung der medikamentösen Therapie (unter Umständen einer vorhandenen Medikamentenabhängigkeit) ist ebenso erforderlich wie die Einsichtnahme in ein eventuell vorhandenes Schmerztagebuch. Erfragt werden muss differenziert der Tagesablauf des Probanden, weil sich hier unter Umständen Hinweise auf Partizipationsstörungen ergeben. Das Fehlen einer objektiven Messmethode zur Quantifizierung des Schmerzes erschwert die Leistungsbeurteilung dieser Probanden, auch die Verwendung entsprechender Schmerzskalen in der Leistungsbeurteilung ist nicht zielführend, sodass der Gutachter nur durch eine umfassende und auch zeitlich umfangreiche Befragung des Probanden eine nachvollziehbare und zutreffende Beurteilung abgeben kann. Zu beurteilen sind neben dem Ausmaß der psychopathologischen Auffälligkeiten und dem eventuell bestehenden Ausmaß einer schmerzbedingten Persönlichkeitsveränderung die Fragen nach einer eventuell stattgefundenen Adaption an die Symptomatik bzw. nach bisher vom Probanden eingeschlagenen Coping-Strategien (Empfehlung für die sozialmedizinische Beurteilung bei chronischen Schmerzsyndromen DRV-Schriften, Band 30, S. 51/52).

Insoweit unerlässliche Feststellungen insbesondere zum Tagesablauf der Klägerin fehlen hier völlig.

Die sich gegen die von Dr. Z. vorgenommene Leistungsbeurteilung richtenden Bedenken können sich infolge der von der Beklagten vorgenommenen Rentengewährung hier allerdings allenfalls insoweit auswirken, als - von den oben aufgeführten Gesichtspunkten einmal abgesehen - jedenfalls ein früherer Rentenbeginn bereits deshalb ausscheiden könnte, weil - wofür einiges spricht - überhaupt kein Rentenanspruch besteht.

Im Übrigen erscheint der von der Beklagten angenommene Rentenbeginn ebenfalls als bereits für die Klägerin günstig, zumal man angesichts der vorangegangenen ärztlichen Leistungsbeurteilungen durchaus die Auffassung vertreten kann, dass der Nachweis einer zeitlichen Leistungseinschränkung - wenn überhaupt - frühestens mit der Untersuchung durch Dr. Z. erbracht worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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