L 7 R 5593/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 3010/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 5593/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21. Oktober 2004 wird zurückgewiesen, soweit sie über das Anerkenntnis der Beklagten vom 23. Oktober 2006 hinausgeht.

Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2001.

Der am 1964 geborene Kläger hat eine Lehre als Schreiner gemacht; eine Tätigkeit nach der Ausbildung in diesem Beruf hat er nicht ausgeübt. Er war Chauffeur bei den kanadischen Stationierungsstreitkräften. Seit 1992 war er als Paketzusteller und zuletzt als Briefträger bei der Deutschen Post AG beschäftigt, wo er am 19. September 1995 und am 23. November 1999 Arbeitsunfälle erlitt. Die Deutsche Post AG kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30. November 2001.

Am 10. Dezember 2001 stellte der Kläger bei der Landesversicherungsanstalt Baden (LVA) einen Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit. Zur Begründung führte er Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, Rücken- und Hüftschmerzen seit einem Treppensturz am 23. November 1999 an. Die LVA zog die im Zusammenhang mit einem familienrechtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Stuttgart erstatteten Gutachten von Dr. S. und Dr. N. , beide Zentrum für Sozialmedizin in S. vom 4. März 2002 und vom 6. März 2002 bei. Dr. S. stellte zusammenfassend die Diagnosen leichte Aufbraucherscheinungen der mittleren/unteren HWS sowie der oberen BWS ohne aktuelle belangvolle Wurzelreizsymptomatik, Bewegungseinschränkung oder Belastungsminderung. Eine belangvolle internistische Erkrankung schloss er aus. Abschließend führte Dr. S. aus, aus ärztlicher Sicht sei der Kläger in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit ganz nachzugehen. Die vorgebrachten bzw. bestehenden Leiden hinderten ihn nicht an einer vollschichtigen Tätigkeit. Als qualitative Einschränkungen seien zu berücksichtigen, dass keine häufigen Überkopfarbeiten gemacht, keine Zwangshaltungen der Wirbelsäule eingenommen und mittelschwere Arbeiten nur stundenweise ausgeübt werden könnten. Vollschichtige Tätigkeiten könnten in den Berufsfeldern Verkauf, Montage, Fahrer ausgeübt werden. Zu den beiden Gutachten führte Dr. F. , Facharzt für Chirurgie und Sozialmedizin, vom ärztlichen Dienst der LVA in seiner Beurteilung vom 11. März 2002 aus, die beiden genannten Gutachten seien aktuell und umfassend, so dass das dort beschriebene Leistungsbild übernommen werden könne.

Mit Bescheid vom 20. März 2002 lehnte die LVA den Antrag des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung ab. Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein.

Im Widerspruchsverfahren beauftragte die LVA Dr. G. , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens. Dr. G. führte in seinem Gutachten vom 1. August 2002 aus, der allgemeine und klinische neurologische Untersuchungsbefund habe abgesehen von einer diffusen Druckschmerzangabe im Nacken-Hinterkopf-Bereich mit Ausnahme der Nervenaustrittspunkte keine weiteren schwerwiegenden und richtungweisenden Auffälligkeiten ergeben. Aus psychiatrischer Sicht hätten sich aufgrund der "typischen" Symptomatik, der Beschwerdedarstellung, dem bisherigen Verlauf und der auffälligen Diskrepanz zwischen objektiven Befunden und subjektiven Beschwerden deutliche Merkmale einer somatoformen Störung ergeben, die sich auf der Grundlage realer leichtgradiger Verletzungen sowie einer unverkennbaren Persönlichkeitsakzentuierung entwickelt habe. Dr. G. kam zu der Einschätzung, dem Kläger seien mittelschwere körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes weiterhin vollschichtig zumutbar. In einem weiteren Rentengutachten vom 6. August 2002 stellte Dr. F. die Diagnosen rezidivierendes Cervikalsyndrom bei beginnenden Verschleißleiden der HWS ohne wesentliche funktionelle Einschränkungen sowie somatoforme Störung. Er kam ebenfalls zu der Annahme, dass der Kläger mittelschwere Arbeiten noch sechs Stunden und mehr ausüben könne. Die LVA wies daraufhin den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2002 unter Hinweis auf die genannten ärztlichen Gutachten als unbegründet zurück.

Am 17. Oktober 2002 hat der Kläger beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Das SG hat Befundberichte von Dr. H. , Betriebsarzt bei der Deutschen Post AG und Dr. Ho. , Arzt für Allgemeinmedizin, sowie der Diplompsychologin L. eingeholt und Dr. B. , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dr. B. geht in seinem Gutachten vom 11. August 2004 davon aus, dass beim Kläger eine schwer ausgeprägte Beeinträchtigung der seelischen und sozialen Fertigkeiten vorliege. Diese Gesundheitsstörung beeinträchtige das psycho-somato-soziale Wohlbefinden des Klägers und zeige sich im körperlichen Bereich in Form nicht organmedizinisch begründbarer körperlicher Beschwerden bzw. einer verstärkten Wahrnehmung körperlich begründeter Beeinträchtigungen ("Schmerzen"), im vegetativen Bereich z.B. durch unspezifische Schlafstörungen, im seelischen Bereich als Ängste und Verstimung (Dysthymie) mit reduzierter Lebensfreude und im sozialen Bereich durch Schwierigkeiten in seinen sozialen Bezügen, u.a. durch einen Rückzug aus dem Erwerbsleben, sowie in seiner allgemeinen Lebensbewältigung. Unter dem Gesichtspunkt der retrospektiven Beurteilung führt Dr. B. aus, bei der krankheitswertigen, mehrdimensionalen "seelischen Störung" des Klägers handele es sich um eine Fehlentwicklung mit allmählicher Chronifizierung und Fixierung und einer allmählichen Zunahme der Auswirkung der Störung. Inzwischen sei die Störung weitgehend chronifiziert und fixiert sowie schwer ausgeprägt. Ein genaues Datum könne nicht benannt werden, vor dem die Zumutbarkeit der Willensanspannung für die Überwindung der Auswirkungen dieser seelischen Störung (sowie der körperlich begründeten Gesundheitsstörung) auf die regelmäßige Ausübung einer Erwerbstätigkeit noch zu bejahen und nach dem sie zu verneinen gewesen sei. Er empfehle anzuerkennen, dass seine Beurteilung ab Mitte 2003 gelte. Hierfür spreche auch die Beurteilung von Diplompsychologin L. vom 6. September 2003. Es sei nicht wahrscheinlich und es bestehe insofern auch keine begründete Aussicht, dass sich die Gesundheit des Klägers bzw. seine Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben in überschaubarer Zeit wesentlich bessern werde. Es sei eher mit einer weiteren Chronifizierung der nervenärztlich zu beurteilenden Symptomatik zu rechnen als mit einer relevanten Besserung und einer Wiedereingliederung in das Erwerbsleben. Jedoch verbleibe grundsätzlich die Möglichkeit einer wesentlichen Besserung des Leistungsvermögens des Klägers im Erwerbsleben, da seelische Störungen der bei dem Kläger nachweisbaren Art grundsätzlich teilweise rückbildungsfähig seien. Insofern sei eine Nachuntersuchung etwa in zwei Jahren vertretbar.

Der von der Beklagten danach unterbreitete Vergleichsvorschlag, dem Kläger, ausgehend von einem am 1. Juli 2003 eingetretenen Leistungsfall, Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Februar 2004 bis zum 31. März 2006 nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren, wurde vom Kläger nicht angenommen.

Mit Urteil vom 21. Oktober 2004 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2002 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger - ausgehend vom Eintritt des Leistungsfalls am 1. Juli 2003 - Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Februar 2004 an bis zum 31. März 2006 zu gewähren. Zur Begründung hat sich das SG auf das Gutachten von Dr. B. sowie auf die Stellungnahme der Diplompsychologin L. vom 6. September 2003 gestützt. Zustellungsnachweise sind in den SG-Akten nicht vorhanden. Ausfertigungen des Urteils gingen an die Beteiligten jeweils mit Schreiben vom 3. Dezember 2004.

Am 17. November 2004 hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er macht geltend, der Eintritt der Erwerbsminderung sei viel früher. Er sei seit November 1999 krank geschrieben. Im Januar 2000 sei er in der Reha gewesen.

Aufgrund des Urteils des SG Freiburg hat die Beklagte dem Kläger mit Ausführungsbescheid vom 6. September 2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Im Bescheid heißt es, die Rente werde - wegen Berücksichtigung der individuellen Hinzuverdienstgrenzen - ab 1. Februar 2004 (Rentenbeginn) nicht gezahlt. Sie sei befristet und falle mit dem 31. März 2006 weg. Die Rente sei wegen der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens nicht zu zahlen.

Mit Bescheid vom 30. September 2005 ist die Rente des Klägers neu berechnet worden. Für die Zeit ab dem 1. November 2005 sind monatlich 822,27 EUR gezahlt worden. Für die Zeit vom 1. Februar 2004 bis zum 31. Oktober 2005 ist eine Nachzahlung von 17.352,45 EUR festgesetzt worden mit der Maßgabe, dass die monatliche Zahlung auf das angegebene Konto überwiesen werde; die Nachzahlung werde vorläufig einbehalten. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Ansprüche anderer Stellen, die im Nachzahlungszeitraum bereits Zahlungen geleistet hätten, seien abschließend zu klären. Sobald die genaue Höhe der Ansprüche bekannt sei, werde die Nachzahlung abgerechnet.

Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2006 hat der Senat die Diplom-Psychologin L. erneut als sachverständige Zeugin gehört (Stellungnahme vom 14. April 2006) und Dr. B. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens beauftragt.

Dr. B. führt in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 10. Oktober 2006 aus, beim Kläger liege eine schwer ausgeprägte Beeinträchtigung der seelischen und sozialen Fertigkeiten vor, die der bewussten Steuerung und Kontrolle nicht direkt zugänglich und insofern krankheitswertig sei. Außerdem liege eine reaktive (sekundäre) seelische bzw. mehrdimensionale psychosomatische (neurotische) Störung vor, d.h. dass auch die reaktive psychogene (ängstlich-dysthym-somatoforme) Symptomatik in den wesentlichen Anteilen der bewussten Kontrolle und Steuerung nicht zugänglich sei und insofern eine krankheitswertige seelische (psychosomatische/neurotische) Störung vorliege. Diese mehrdimensionale Gesundheitsstörung auf nervenärztlichem Fachgebiet beeinträchtige das psycho-somato-soziale Wohlbefinden des Klägers und zeige sich im körperlichen Bereich in Form nicht organmedizinisch begründbarer körperlicher Beschwerden bzw. einer verstärkten Wahrnehmung körperlich begründeter Beeinträchtigungen (v.a. "Schmerzen"), im vegetativen Bereich z.B. durch unspezifische Schlafstörungen, im seelischen Bereich als Neigung zu Ängsten und zur Verstimmung (Dysthymie) mit reduzierter Lebensfreude und im sozialen Bereich durch Schwierigkeiten in seinen sozialen Bezügen, u.a. durch einen Rückzug aus dem Erwerbsleben, sowie in seiner allgemeinen Lebensbewältigung und Lebensgestaltung. Es sei nach seiner Überzeugung auszuschließen, dass die genannte Gesundheitsstörung auf nervenärztlichem Fachgebiet simuliert werde, nur gelegentlich zu beobachten, sonst aber nicht vorhanden sei und bei aller zumutbaren Willensanspannung aus eigener Kraft (durch eigene Willensentschlüsse, ggf. mit ärztlicher Hilfe) vollständig oder in den wesentlichen Anteilen überwunden werden könne. Nach eigener Untersuchung und sorgfältigem Abwägen des Für und Wider sei davon auszugehen, dass es dem Kläger derzeit nicht möglich sei, durch eine (zumutbare) Willensanspannung die Auswirkungen der nervenärztlich zu beurteilenden Symptomatik auf die Wiederaufnahme und regelmäßige Ausübung einer Erwerbstätigkeit während mindestens drei Stunden pro Arbeitstag zu überwinden. Er empfehle anzuerkennen, dass sich die mehrdimensionale Gesundheitsstörung seit Mitte (1. Juli) 2003 nicht wesentlich geändert habe. Hierfür spreche auch die Beurteilung von Diplompsychologin L. vom 6. September 2003. Es sei möglich, dass die genannten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit bereits einige Zeit vorher bestanden hätten, aber da diesbezüglich hinreichend eindeutige nervenärztliche Befundberichte nicht vorlägen, verblieben Unsicherheiten, die retrospektiv nicht auszuräumen seien. Es sei nicht wahrscheinlich und es bestehe insofern auch keine begründete Aussicht, dass sich die Gesundheit des Klägers bzw. seine Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben in überschaubarer Zeit wesentlich (entscheidend) bessern werde. Dem Kläger sei zu einer weiteren konsequenten nervenärztlichen und auch psychotherapeutisch orientierten Behandlung zu raten, um einer weiteren Chronifizierung, Fixierung und Akzentuierung der nervenärztlich zu beurteilenden Symptomatik entgegen zu wirken. Allerdings seien die Aussichten auf eine wesentliche Veränderung des Bedingungsgefüges durch psychotherapeutische Maßnahmen gering. Sollte eine stationäre Maßnahme, z. B. ein psychosomatisch orientiertes Heilverfahren initiiert werden, wäre mit einer Behandlungsdauer von mindestens vier bis sechs Wochen zu rechnen. Daran anschließend wäre die Frage der zumutbaren Willensanspannung hinsichtlich der Wiederaufnahme und regelmäßigen Ausübung einer Erwerbstätigkeit während mindestens drei Stunden pro Arbeitstag erneut zu prüfen. Es sei eher mit einer weiteren Chronifizierung als mit einer relevanten Besserung der nervenärztlich zu beurteilenden Symptomatik zu rechnen. Jedoch bestehe weiterhin grundsätzlich die Möglichkeit (sehr geringe Wahrscheinlichkeit) einer wesentlichen Besserung des Leistungsvermögens des Klägers im Erwerbsleben, da Gesundheitsstörungen dieser Art grundsätzlich teilweise rückführbar seien. Insofern wäre eine Nachuntersuchung in etwa drei bis vier Jahren vertretbar.

Aufgrund des Gutachtens vom 10. Oktober 2006 hat sich die Beklagte bereit erklärt, dem Kläger über den 31. März 2006 hinaus bis zum 30. September 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren mit der Begründung, da nach Auffassung des Sachverständigen eine wesentliche Besserung des Leistungsvermögens bzw. eine (zumindest teilweise) Rückbildung der Gesundheitsstörungen grundsätzlich möglich erschienen, sei die Rente nach § 102 Abs. 2 SGB VI zeitlich auf längstens drei Jahre zu befristen. Dieses Anerkenntnis hat der Kläger nicht angenommen und - stattdessen - ausgeführt, es bestehe bei ihm eine negative Gesundheitsprognose. Entsprechend ihrem Anerkenntnis hat die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 25. Oktober 2006 eine Rente auf Zeit bis zum 30. September 2009 bewilligt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21. Oktober 2004 abzuändern und den Bescheid der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg vom 20. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm bereits ab dem 1. Dezember 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Gericht liegen die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände) und die Gerichtsakten des Sozialgerichts Freiburg vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 des SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufung wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet, soweit sie über das Anerkenntnis der Beklagten vom 23. Oktober 2006 und den hierauf ergangenen Bescheid vom 25. Oktober 2006 hinausgeht, nach welchem dem Kläger - im Anschluss an die Rentenbewilligung vom 1. Februar 2004 bis 31. März 2006 - eine Rente auf Zeit bis zum 30. September 2009 bewilligt wurde.

Maßgeblich ist vorliegend das ab 1. Januar 2001 für die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geltende Recht (eingeführt durch Gesetz vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827)), denn im Streit steht ein Anspruch des Klägers erst ab 1. Dezember 2001 (vgl. § 300 Abs. 1 und 2 SGB VI). Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie (1.) voll erwerbsgemindert sind, (2.) in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (versicherungsrechtliche Voraussetzungen) und (3.) vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2 a.a.O.). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. hierzu allgemein BSG - Großer Senat - BSGE 80, 24 ff. = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).

Der Kläger erfüllt die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI) ebenso wie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Renten wegen Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 SGBVI). Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat der Kläger aber keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den Zeitraum 1. Februar 2004 bis 30. September 2009 hinaus. Dies gilt sowohl für den Rentenbeginn als auch für die Befristung der Rente

Diese Überzeugung hat der Senat aufgrund der Würdigung der vorliegenden Sachverständigengutachten und schriftlichen Aussagen der sachverständigen Zeugen gewonnen, die eine umfassende Einschätzung des positiven und negativen Leistungsbildes des Klägers ermöglichen. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers berühren insbesondere das neurologisch-psychiatrische, orthopädische und internistische Gebiet; sie führen jedoch - weder für sich noch in einer Gesamtschau - zu den die begehrten Renten begründenden Leistungseinschränkungen über den Zeitraum der erfolgten Rentenbewilligung hinaus.

Im Vordergrund steht beim Kläger die neurologisch-psychiatrische Problematik, die im Laufe des Rentenverfahrens mehrfach und umfassend begutachtet wurde; zunächst im Verwaltungsverfahren durch Dr. G. , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, dessen Beurteilung urkundsbeweislich zu verwerten ist, über die als sachverständige Zeugin gehörte Diplom-Psychologin L. , die den Kläger zwischen März 2003 und Juni 2005 behandelt hat, bis hin zum Sachverständigen Dr. B. , der den Kläger mehrfach begutachtet hat (Gutachten vom 11. August 2004 bis 10. Oktober 2006). Danach wird die Auffassung des Klägers, der Leistungsfall sei nicht erst zum 1. Juli 2003, sondern schon früher eingetreten, durch die vorliegenden fachkundigen Stellungnahmen nicht gestützt. Dr. B. hält es im Gutachten vom 10. Oktober 2006 zwar für möglich, dass die genannten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit bereits einige Zeit vorher bestanden haben, aber da diesbezüglich hinreichend eindeutige nervenärztliche Befundberichte fehlen, verblieben Unsicherheiten, die retrospektiv nicht auszuräumen seien. Diese schlüssig begründete Auffassung, der sich der Senat anschließt, wird auch dadurch gestützt, dass selbst der Hausarzt des Klägers Dr. Ho. , bei dem der Kläger seit 1988 in Behandlung ist, unter Würdigung sämtlicher Erkrankungen des Klägers in seiner Stellungnahme gegenüber dem SG vom 8. Juni 2003 noch davon ausgegangen ist, der Kläger könne leichte körperliche Arbeiten bis zu sechs Stunden bewältigen. Qualifizierte Befunde, die unter neurologisch-psychiatrischen Gesichtspunkten einen früheren Rentenbeginn belegen könnten, fehlen.

Dies gilt auch für die orthopädische und internistische Beschwerdesymptomatik, die nicht nur im Laufe des Rentenverfahrens mehrfach begutachtet wurde, sondern bereits zuvor im Zusammenhang mit einem familienrechtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Stuttgart. Danach stimmen der Internist Dr. S. (Gutachten vom 4. März 2002) und Dr. F. vom ärztlichen Dienst der Beklagten (Stellungnahmen vom 11. März 2002 und 6. August 2002), dessen Beurteilungen urkundsbeweislich zu verwerten sind, darin überein, dass die internistischen und orthopädischen Befunde eine vollschichtige Tätigkeit nicht hindern. Dafür, dass - entgegen diesen schlüssigen und nachvollziehbaren Stellungnahmen - schon ab der Rentenantragstellung relevante quantitative Leistungseinschränkungen vorlagen, ist nichts Substantielles ersichtlich.

Der Kläger kann (derzeit) auch nicht beanspruchen, dass ihm die Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht zeitlich begrenzt, sondern auf Dauer gewährt wird. Eine solche unbefristete Bewilligung kommt nach § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI nur in Betracht, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. "Unwahrscheinlich" i.S. des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt (vgl. Jörg in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl. 2003, § 102 Rdnr. 5). Von einer solchen dauerhaften Erwerbsminderung ist indessen derzeit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auszugehen. Zwar ist unter Zugrundelegung der von Dr. B. gegebenen Prognose beim Kläger eher mit einer weiteren Chronifizierung der nervenärztlich zu beurteilenden Symptomatik zu rechnen als mit einer relevanten Besserung und einer Wiedereingliederung in das Erwerbsleben. Der Gutachter äußert sich auch skeptisch dazu, ob durch eine ambulante oder stationäre (Psycho) Therapie (z. B. ein psychosomatisch orientiertes Heilverfahren) eine wesentliche Besserung erreicht werden kann. Gleichwohl hält er eine weitere konsequente Behandlung bzw. Betreuung für angezeigt, da grundsätzlich die Möglichkeit einer wesentlichen Besserung des Leistungsvermögens des Klägers im Erwerbsleben bestehe, weil seelische Störungen der beim Kläger nachweisbaren Art grundsätzlich teilweise rückbildungsfähig seien; der Gutachter hält insofern eine Nachuntersuchung in etwa drei bis vier Jahren für vertretbar. Ausgehend von dieser schlüssig begründeten Einschätzung lässt sich die gebotene Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Erwerbsminderung derzeit nicht feststellen.

Hinzu kommt, dass die Behebung einer rentenberechtigenden Leistungsminderung nicht unwahrscheinlich ist, solange nicht alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Hierzu zählen alle anerkannten Behandlungsmethoden, die zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit führen können, soweit nicht aus dem Gesundheitszustand des Versicherten abzuleitende spezifische Kontraindikationen entgegenstehen (BSG, Urteil vom 29. März 2006 - B 13 RJ 31/05 R -, SozR 4-0000 = Breithaupt 2006, 938-943). Von einer Ausschöpfung aller therapeutischen Möglichkeiten kann vorliegend nicht ansatzweise die Rede sein. Insoweit fällt auf, dass der Kläger sich erstmals am 19. März 2003 in psychotherapeutische Behandlung bei der Diplompsychologin L. begeben hat; die letzte Behandlung fand am 30. Juni 2005 statt (vgl. Stellungnahmen von Frau L. vom 6. September 2003 und vom 14. April 2006). Dann brach der Kläger die Behandlung ab (so seine Äußerung gegenüber Dr. B. , vgl. Bl. 11 des Gutachtens vom 10. Oktober 2006) und nimmt derzeit keine regelmäßige allgemein- oder fachärztliche Behandlung in Anspruch, was er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat; auch Medikamente nimmt er aktuell - soweit ersichtlich - nicht ein. Der Kläger hat diese Verweigerungshaltung mit dem umfassenden Vertrauensverlust gegenüber allen Therapeuten und Medizinern begründet, was aber nichts daran zu ändern vermag, dass damit nicht alle ernstlich in Betracht kommenden, therapeutisch nicht von Vornherein sinnlosen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, die eine Verbesserung des qualitativen oder quantitativen Leistungsvermögens erbringen könnten. Die Bewilligung einer Dauerrente scheidet unter diesen Umständen aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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