L 6 U 1112/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 00644/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1112/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Januar 2003 aufgehoben. Der Bescheid vom 26. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2000 wird abgeändert. Als weitere Unfallfolge wird eine posttraumatische Belastungsstörung mit anhaltender Persönlichkeitsänderung festgestellt. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 18. März 1999 Verletztenrente nach einer MdE um 70 v. H. zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der dem Kläger zu gewährenden Verletztenrente streitig.

Der 1949 geborene Kläger kollidierte am 15. März 1997 auf dem Weg von der Arbeit nach Hause mit einem entgegenkommenden Fahrzeug. Bei diesem Verkehrsunfall starben der Unfallverursacher und dessen Mitfahrer. Er selbst zog sich mehrere Verletzungen in Form von Unterschenkel- und Fußfrakturen sowie einer Schlüsselbeinfraktur rechts zu.

Stationäre Behandlungen erfolgten in der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses T. vom 15. März bis zum 26. Juni 1997 (Zwischenbericht vom 23. April 1997), in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 26. Juni bis zum 15. August 1997 (Entlassbericht vom 11. September 1997), vom 15. Oktober bis zum 23. Dezember 1997 (Zwischenbericht vom 1. Dezember 1997), vom 10. Februar bis zum 3. März 1998 (Zwischenbericht vom 12. März 1998), vom 4. bis zum 24. Juni 1998 (Zwischenbericht vom 30. Juni 1998) und vom 9. Dezember 1998 bis zum 15. Januar 1999 (Zwischenbericht vom 21. Januar 1999). Ambulant wurde der Kläger in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (Zwischenberichte vom 18. September, 13. Oktober 1997, 21. Januar, 19. März, 2. April, 14. Mai, 24. Juli, 27. August, 11. September, 2. und 16. Oktober sowie 4. und 25. November 1998), durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. (neurologische Befundberichte vom 13. Oktober 1997 und 21. September 1998), in der Neurologischen Klinik der E.-K.-Universität T. (neurologischer Befundbericht vom 28. Dezember 1998) und durch den Praktischen Arzt und Facharzt für Chirurgie Dr. B. (Attest vom 29. Oktober 1998) behandelt.

Die Beklagte zog das im Auftrag der HUK Coburg erstattete nervenärztliche Gutachten von Dr. M. vom 2. Februar 1999 bei. Der Gutachter bewertete die neurologisch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 15 vom Hundert (v. H.). Am 3. März 1999 nahm die Beklagte u. a. im Beisein des Klägers einen Betriebsbesuch vor. Weitere ambulante Vorstellungen des Klägers erfolgten in der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses T. (Nachschaubericht vom 1. März 1999 und Zwischenbericht vom 28. April 1999), beim Orthopäden und Chirotherapeuten Dr. F. (H-Arzt-Bericht vom 30. März 1999) und bei Dr. M. (Befundbericht vom 17. Mai 1999).

Sodann holte die Beklagte das Erste Rentengutachten von Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., vom 21. Mai 1999 ein. Der Gutachter bewertete die MdE auf chirurgischem Fachgebiet ab 18. März 1999 mit 30 v. H. Des Weiteren wurde der Kläger im Rahmen eines auf die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gerichteten Verfahrens im Auftrag der Landesversicherungsanstalt Baden (LVA) durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie S. untersucht und begutachtet. Sie gelangte in ihrem Gutachten vom 7. Juni 1999 zu dem Ergebnis, dass der Kläger nur noch unter 2-stündig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsatzfähig sei. In einem weiteren, von der Beklagten veranlassten neurologischen Gutachten gelangte Prof. Dr. D., Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T., unter dem 14. Juni 1999 zu der Einschätzung der MdE auf neurologischem Fachgebiet mit 15 v. H. Prof. Dr. W. schätzte in seiner Stellungnahme vom 29. Juni 1999 die Gesamt-MdE auf 45 v. H. In seinem im Auftrag des Arbeitsamtes R. (AA) unter dem 18. August 1999 erstellten Gutachten nach Aktenlage gelangte der Allgemein- und Sozialmediziner Richter zu dem Ergebnis, in absehbarer Zeit liege keine ausreichende Belastbarkeit für den allgemein Arbeitsmarkt vor.

Mit Bescheid vom 26. August 1999 anerkannte die Beklagte als Folgen des Arbeitsunfalls links eine endgradige Einschränkung der Streckfähigkeit des Kniegelenks, ein gestörtes Gangbild bei Fuß- und Zehenheberschwäche infolge einer Schädigung des Wadenbeinnervs, Sensibilitätsstörungen im Bereich des Unterschenkels und des Vorfußes, ein wetterabhängiges Schmerzsyndrom sowie eine geringe Minderung des Kalksalzgehalts in den kniegelenksbildenden Knochen nach mit noch einliegendem Metall knöchern verheiltem Schienbeinkopftrümmerbruch, rechts eine Bewegungseinschränkung des oberen sowie endgradig des unteren Sprunggelenks, ein wetterabhängiges Schmerzsyndrom sowie arthrotische Veränderungen im Bereich des unteren Sprunggelenks nach knöchern fest verheilten Brüchen des Kahn-, Keil- und Fersenbeins, sowie einen mit noch einliegendem Metall knöchern festverheilten Schienbeinkopftrümmerbruch, eine leichte Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks nach mit noch einliegendem Metall knöchern fest verheiltem Schlüsselbeinbruch und folgenlos verheilte Brüche des Nasen- und Brustbeins und bewilligte eine Rente auf unbestimmte Zeit ab 18. März 1999 nach einer MdE um 45 v. H.

Dagegen erhob der Kläger am 13. September 1999 Widerspruch. Im Wesentlichen zeigte sich der Kläger mit der auf chirurgischem Fachgebiet eingeschätzten MdE nicht einverstanden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2000 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 9. März 2000 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Seit dem Unfallereignis könne er nur an zwei Unterarm-Gehstützen gehen. Trotz mehrerer Operationen habe er im linken Bein noch immer erhebliche Schmerzen im Knie- und Fuß-/Sprunggelenk. Im rechten Bein sei die Situation ebenso, wobei jedoch zusätzlich hinzukomme, dass erhebliche Schmerzen im Bereich der Fußsohle und des Unterschenkels vorlägen. Zu diesen Beeinträchtigungen des Gehapparates kämen Schmerzen im Bereich der rechten Schulter hinzu, welche in den Hals-/Nackenbereich ausstrahlten und des Öfteren auch Kopfschmerzen verursachten. Er habe seit dem Unfallereignis häufig Rückenschmerzen. Aus der rechten Brustkorbhälfte hätten die Rippen entfernt werden müssen, was beim Husten und bei Wetterumschwung Schmerzen verursache. Die Beklagte legte den Bericht von Dr. M. vom 2. März 2000 vor, in welchem u. a. eine Belastungsreaktion diagnostiziert wurde.

Sodann ließ das SG den Kläger auf chirurgischem Fachgebiet untersuchen und begutachten. Dr. E., Oberarzt in der Chirurgie des Bundeswehrkrankenhauses U., gelangte in seinem fachchirurgischen Gutachten vom 28. Mai 2001 zu dem Ergebnis, auf chirurgischem Fachgebiet liege eine MdE um mindestens 50 v. H. und damit eine Gesamt-MdE um 60 v. H. vor. Beigefügt war der Befundbericht des Facharztes für Diagnostische Radiologie Dr. K. vom 21. Februar 2001. Dr. E. blieb in seiner Stellungnahme vom 5. September 2001 bei seiner Einschätzung.

Dr. T., Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Klinikums der Stadt V.-S. GmbH, führte in seinem unfallchirurgischen Fachgutachten vom 18. Dezember 2001 aus, die MdE auf unfallchirurgischem Fachgebiet betrage 40 v. H. und damit die Gesamt-MdE 50 v. H.

Der Kläger legte das Attest der Physikalischen Therapie der Kreisklinik T. vom 1. Juli 2002 vor.

Mit Urteil vom 29. Januar 2003 wies das SG die Klage ab. Zusammengefasst könne auf chirurgischem Gebiet eine MdE um 30 v. H. gebildet werden. Wenn bei der Bildung der Gesamt-MdE die durch die neurologischen Schäden im Bereich des linken Fußes unstreitig bedingte MdE um 15 v. H. zu der chirurgischerseits bedingten MdE um 30 v. H. addiert würde, was bei der teilweisen Überschneidung nicht üblich sei, so sei damit dem Umstand angemessen Rechnung getragen worden, dass der Kläger unter einer Schmerzsymptomatik im Bereich des linken Beins leide, die zusammen mit einer Schwäche des linken Beins dazu führe, dass er nur mit Hilfe von Krücken gehe. Im Übrigen würde eine MdE um 50 v. H. noch im Bereich der jeder ärztlichen Schätzung des MdE-Grades eigentümlichen Schwankungsbreite liegen, sodass dies nicht dazu berechtige, den Bescheid der Beklagten zu korrigieren. Auch sei eine Änderung der Unfallfolgen nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 v. H. betrage.

Gegen das ihm am 27. Februar 2003 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 24. März 2003 Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, er leide unter Depressionen, die kausal auf das Unfallereignis zurückzuführen seien und hierzu Auszüge aus den Krankenblatteinträgen des Internisten Dr. H. für die Zeit vom 5. Januar 1998 bis zum 3. Juli 2003 und von Dr. M. für die Zeit vom 27. Oktober 1992 bis zum 23. Juni 2003 vorgelegt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Januar 2003 aufzuheben, den Bescheid vom 26. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2000 abzuändern, weitere Unfallfolgen festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um 80 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat zunächst die sachverständige Zeugenauskunft von Dr. M. vom 1. September 2003 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, der Kläger stehe seit 1992 in seiner Behandlung. Im Vordergrund stehe derzeit ein chronisches Schmerzsyndrom bei einem Zustand nach beidseitiger Unterschenkelfraktur mit begleitender Nervenläsion sowie einer jetzt deutlichen reaktiven Depression mit chronischen Ein- und Durchschlafstörungen. Bei dem Krankheitsbild handle es sich um chronische Beschwerden, welche über die Jahre konstant in Form von schweren Schmerzzuständen anhielten. Zusätzlich belastend sei die berufliche Perspektivlosigkeit des Klägers, welche mittlerweile auch zu einer reaktiven Depression geführt habe. Insgesamt könne deshalb von einer Verschlimmerung der Gesamtsituation ausgegangen werden. Beigefügt worden sind u. a. sein Arztbrief vom 15. Mai 2003 und sein für die HUK-Coburg erstellter ärztlicher Bericht über die Unfallfolgen.

Der Senat hat das nervenärztliche Fachgutachten von Dr. G., Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Gerontopsychiatrie und Neurologie der Klinik R. in R., vom 2. Dezember 2003 eingeholt. Er hat ausgeführt, der Kläger habe im Rahmen der Begutachtung u. a. über eine lange Behandlungsperiode in verschiedenen chirurgischen Kliniken, über vielfache Operationen infolge des Unfalls sowie die daraus resultierenden Behinderungen und Schmerzen, die zu einer deutlich depressiven Symptomatik geführt hätten, einhergehend mit Hoffnungslosigkeit, Lebensüberdruss, Insuffizienzerleben, sozialem Rückzug, Interessen- und Freudlosigkeit, über immer wieder sich aufdrängende Gedanken an das Unfallgeschehen mit Wiedererleben jener Situation, einhergehend mit erheblichen vegetativen Beschwerden wie Schwitzen, Herzrasen und Zittern, über eine innere Unruhe, die er früher nicht gekannt habe, über eine gesteigerte Reizbarkeit und Aggressivität, was zu erheblichen Schwierigkeiten im Umgang mit der Partnerin führe, über Probleme, Gefühle noch wahrzunehmen, was bisweilen zu Abweisungen der Partnerin führe und beispielsweise anhaltend das sexuelle Empfinden störe und damit das Sexualleben behindere, berichtet. Der Kläger leide unter Schlafstörungen und Träumen von dem Unfallgeschehen, zeige ein Vermeidungsverhalten hinsichtlich möglicher Erinnerungen an das Unfallgeschehen und erhebliche vegetative Reaktionen im Zusammenhang mit Erinnerungen an den Unfall, habe starke Ängste bei aktiver und passiver Teilnahme am Straßenverkehr und leide an einer gesteigerten Schreckhaftigkeit und Konzentrationsstörungen, die verhinderten, dass er Tätigkeiten aufmerksam noch über einen längeren Zeitraum als 10 bis 20 Minuten ausführen könne. Dabei sei der Kläger deutlich depressiv gestimmt, was bei der Schilderung des Unfallgeschehens dazu geführt habe, dass er bei einer deutlich psychomotorischen Verlangsamung zu weinen begonnen habe und kaum noch habe sprechen können. Bei der allgemein-medizinischen und neurologischen Untersuchung sei vordergründig die deutliche Gehbehinderung aufgefallen, einhergehend mit einem hinkenden Gangbild, einer Unfähigkeit, das linke Kniegelenk noch ausstrecken zu können und einer Fußheberparese links, die mit einem orthopädischen Schuh kompensiert werde. Daneben hätten sich eine Schwäche im Bereich der rechten oberen Extremität sowie Gefühlsstörungen im Bereich des linken Unterschenkels und Fußes gezeigt. Sehe man von den neurologischen Störungen, die bereits eine MdE um 15 v. H. begründeten, einmal ab, liege beim Kläger darüber hinaus auf psychiatrischem Fachgebiet sowohl eine mittelschwere depressive Störung, als auch eine schwere chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung vor. Dabei sei letztere unmittelbare Folge des erlittenen Verkehrsunfalls mit zwei Todesopfern, in den der Kläger unverschuldet verwickelt worden sei und der das Leben und Erleben des Klägers nachhaltig verändert habe. Die bestehende Depression sei mittelbare Folge der im Rahmen des Verkehrsunfalls erlittenen Verletzungen und daraus resultierenden Behinderungen, die sich nachweislich auf die Lebensgestaltung und weitere Lebensplanung des Klägers negativ ausgewirkt hätten. Daher sei die hierdurch bedingte MdE auf psychiatrischem Gebiet unter Berücksichtigung der im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Bewertungsmaßstäbe ab dem 18. März 1999 mit 50 v. H. zu bewerten, was aus der Kombination von Depression und schwerer posttraumatischer Belastungsstörung resultiere, deren Ausprägungsgrad maßgeblich die MdE begründe und auch therapeutisch nur schwer zu beeinflussen sein dürfte. Hingegen könne die depressive Komponente durch eine entsprechend konsequente psychopharmakologische und Psychotherapie evtl. noch gebessert werden, sodass die Gesamt-MdE auf nervenärztlichem Fachgebiet in zwei Jahren überprüft werden solle. Insgesamt hat Dr. G. unter Einbeziehung der neurologisch bedingten MdE um 15 v. H. eine Gesamt-MdE auf nervenärztlichem Fachgebiet um 60 v. H. für angemessen gehalten. Auf Frage des Senats hat Dr. G. in seiner Stellungnahme vom 27. April 2004 ausgeführt, in Ermangelung diesbezüglicher Bewertungsmaßstäbe im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung habe er sich bei der Bemessung der MdE an den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht orientiert.

Hiergegen hat die Beklagte eingewandt, Dr. G. solle die Diagnosen nach dem ICD-10-Schlüssel klassifizieren, zur Erfassung der posttraumatischen Belastungsstörung seien psychometrische Verfahren sowie psychophysiologische Messungen nicht angewandt worden, der Kläger habe bislang noch an keiner Psychotherapie teilgenommen, differentialdiagnostische Abwägungen zwischen endogenen und exogenen Faktoren seien nicht angestellt worden, die subjektiven Schilderungen des Klägers seien im Hinblick auf Aggravationstendenzen - auch in einem auf die Feststellung einer Lärmschwerhörigkeit gerichteten Verfahren - mit Vorsicht zu genießen und die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht seien vorliegend nicht anwendbar.

Hierzu hat Dr. G. in seiner Stellungnahme vom 20. September 2004 ausgeführt, beim Kläger liege eine mittelschwere depressive Störung nach ICD-10 F 32.1 und eine posttraumatische Belastungsstörung nach ICD-10 F 43.1 vor. Psychometrische Verfahren und psychophysiologische Messungen gehörten nicht zum diagnostischen Standard der posttraumatischen Belastungsstörung und würden vorwiegend für wissenschaftliche Untersuchungen herangezogen. Der Kläger habe während der Begutachtung ausgeführt, im Hinblick auf eine Psychotherapie sei er bislang nicht entsprechend beraten worden. Aus diesem Umstand könne nicht auf die Schwere einer psychischen Beeinträchtigung geschlossen werden, insbesondere, da die Motivation zu einer Psychotherapie auch nicht zwangsläufig mit der Schwere einer Störung korreliere. Hinsichtlich endogener und exogener Faktoren bei der Entstehung der psychischen Störungen fänden sich keine Hinweise auf eine schwerere psychische Beeinträchtigung vor dem Unfallereignis. An exogenen Faktoren für seine psychischen Störungen sei in erster Linie das Unfallereignis zu erwähnen. Bis zum Unfallzeitpunkt sei der Kläger durch Aktivität geprägt gewesen. Hinsichtlich Aggravationstendenzen sei im Rahmen der Begutachtung nicht der Eindruck entstanden, dass der Kläger maßgeblich übertreibe, da der klinische Eindruck mit der von ihm geschilderten Symptomatik gut in Einklang zu bringen gewesen sei. Die Schwere des Traumas sowie die sich daraus ergebenden mittelbaren und unmittelbaren Folgen reichten aus, eine depressive Episode bzw. eine posttraumatische Belastungsstörung hervorzurufen. Zwar seien die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht bei der Bestimmung der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung prinzipiell nicht anwendbar. In der gesetzlichen Unfallversicherung würden psychische Störungen, die sich in der weiteren Folge von Unfällen entwickelten, nicht hinreichend berücksichtigt, obwohl sich diese - wie im Falle des Klägers - auch auf die Erwerbsfähigkeit auswirkten, indem sie die körperliche Leistungsfähigkeit ebenso reduzieren könnten wie somatische Störungen.

Hiergegen hat die Beklagte ausgeführt, die erstmals ca. 7 Jahre nach dem Unfallereignis festgestellte posttraumatische Belastungsstörung halte einer Plausibilitätsprüfung mit der Aktenlage und der Anamnese nicht stand. Keiner der den Kläger zuvor behandelnden Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie habe eine posttraumatische Belastungsstörung feststellen können. Der Frage, welche Lebenssachverhalte zwischen dem Unfallereignis und den von Dr. G. erhobenen Befunden eine Bedeutung haben könnten, sei der Gutachter gar nicht nachgegangen.

Der Senat hat einen Auszug aus der Mitglieder- und Leistungskartei der AOK - Die Gesundheitskasse für den Landkreis T. für die Zeit vom 21. September 1994 bis zum 25. Juli 1997 beigezogen.

Sodann hat der Senat das Gutachten nach Aktenlage des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. L. vom 9. Januar 2006 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, aus den Akten lasse sich nachweisen, dass der Kläger seit 1998 fast ununterbrochen wegen einer depressiven Symptomatik in (medikamentöser antidepressiver) Behandlung gestanden habe. In den Dokumentationen der behandelnden Ärzte werde durchgehend eine Depression erwähnt. Das Gutachten von Dr. G. enthalte aus nervenfachärztlicher Sicht eine kompetente und gründliche Erhebung hinsichtlich der Vorgeschichte, des aktuellen Erlebens und der Beschwerden des Klägers. Die erhobenen Befunde entsprächen einmal exakt der Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung und zusätzlich einer Anpassungsstörung. Beim Kläger lasse sich feststellen, dass er durch den Unfall eine tiefgreifende Veränderungen in seiner Lebenssituation mit Verlust der Arbeitstätigkeit erlitten habe und sein Lebensalter ebenso wie seine persönliche Struktur auch wenig Ausgleichschancen biete. Das soziale Umfeld vor der traumatischen Situation scheine nach der Aktenlage keine Auffälligkeiten gehabt zu haben. Im Hinblick auf eine depressive Entwicklung hätten sicher die durchgemachten Krankenhausaufenthalte und Operationen sowie die fortbestehende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität mit den begleitenden Schmerzen zur weiteren Verschlimmerung der depressiven Symptomatik beigetragen. Die durch die posttraumatische Belastungsstörung nach ICD-10 F 43.1 und die bereits chronifizierte Depression nach ICD-10 F 43.21 bedingte MdE sei mit 30 v. H. zu bewerten. Unter der Annahme, dass eine MdE um 50 v. H. auf dem unfallchirurgisch/neurologischen Fachgebiet angemessen erscheine, ergebe sich daraus eine Gesamt-MdE um 80 v. H.

Hiergegen hat die Beklagte eingewandt, im Hinblick darauf, dass die Berufung des Klägers allein darauf gestützt werde, die geklagte Depression sei bislang nicht berücksichtigt worden, sei die Bewertung der chirurgisch und neurologisch bedingten MdE nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens und daher weiterhin mit 45 v. H. und nicht mit 50 v. H. zu bewerten. Auch Prof. Dr. L. habe sich ausschließlich auf die Aussagen des Klägers gestützt, ohne eine Überprüfung auf Aggravationstendenzen durchzuführen. Die zuvor behandelnden Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie hätten kein posttraumatisches Belastungssyndrom festgestellt. Geschilderte Schlafstörungen seien durchgehend auf Schmerzen zurückgeführt worden. Eine gründliche psychopathologische Erhebung im Hinblick auf Vor- und Nachschäden sei nicht erfolgt. Auch seien psychologische Leistungstests nicht durchgeführt worden. Insbesondere sei unberücksichtigt geblieben, dass der Kläger ab August 1997 eine Ehescheidung mit den damit zusammenhängenden Vermögensfragen erlebt und deshalb eine schwierige persönliche Situation bestanden habe. Schließlich sei der Sachverständige nicht darauf eingegangen, ob und in welchem Ausmaß insbesondere das posttraumatische Belastungssyndrom bereits im Zeitpunkt des Rentenbeginns vorgelegen habe. Auch zur Schwere der Gesundheitsschäden und Einzelheiten der MdE-Bewertung fehlten die erforderlichen Ausführungen.

Der Senat hat die sachverständigen Zeugenauskünfte von Dr. M. vom 8. Februar 2006 und des Facharztes für Innere Medizin Dr. H. vom 9. März 2006 eingeholt sowie die medizinischen Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung Oberbayern beigezogen. Dr. M. hat unter Vorlage seiner Krankenkarte ausgeführt, der Kläger habe sich nach dem Unfallereignis wegen der Folgen des Polytraumas sowie wegen einer Zehenheberparese, aber auch wegen Schlafstörungen im Rahmen einer depressiven posttraumatischen Belastungsstörung vorgestellt. In den folgenden Jahren habe er ihn durchschnittlich 2-3 Mal jährlich kontaktiert. Seit 2003 sei eine regelmäßige antidepressive Behandlung durchgeführt worden. Diagnostisch müsse von einer mittelschweren bis zeitweilig schweren Depression ausgegangen werden, welche sich im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsreaktion, aber auch aufgrund des chronischen Schmerzsyndroms entwickelt habe. In seinem Gutachten vom 2. Februar 1999 habe er die psychiatrisch bedingten Gesundheitsstörungen nicht erwähnt, da sich dieses Gutachten ausschließlich auf die neurologischen Folgen des Unfalls, also konkret auf die Fuß- und Zehenheberparese links bezogen habe. Im Übrigen habe der Kläger ihm gegenüber erst am 5. März 1999 von Ängsten und depressiven Verstimmungszuständen berichtet, welche ihn zunehmend beeinträchtigen würden. Ab dem 5. März 1999 sei eine antidepressive Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva durchgeführt worden, welche insbesondere die nächtlichen Schlafstörungen mitverbessern sollten. Ab Juli 2003 sei die antidepressive Behandlung teilweise umgestellt worden. Familienanamnestisch hätten sich beim Kläger keine Hinweise auf eine depressive Veranlagung gefunden. Bei der Erstuntersuchung im Oktober 1992 wegen einer Ischialgie hätten sich für eine Depression keinerlei Hinweise gefunden. Erst nach seinem Unfall habe sich der Kläger langsam verändert, aber zunehmend hin in eine depressive Richtung. Ursprünglich habe der Kläger noch angenommen, die Unfallfolgen überwinden zu können. Später hätten sich irreversible Schmerzen eingestellt, welche mit nicht mehr behandelbaren neurologischen und orthopädischen Defiziten einhergegangen seien. Der Kläger habe nach dem Unfall zunehmend seine Lebensperspektive verloren und habe sich immer mehr zurückgezogen. Die Scheidung habe dann mehr oder weniger als eine Konsequenz aus diesem Verhalten resultiert. Insgesamt müsse der Verkehrsunfall als das entscheidende Ereignis gewertet werden, welches die Lebensbahn des Klägers verändert, wenn nicht gar zerstört habe. Insgesamt könne von einer langsamen schleichenden Verschlimmerung ausgegangen werden. Aktuell bestehe ein deutlich depressiver Symptomenkomplex, der sich insbesondere im Fehlen jeglicher Perspektiven ausdrücke. Im Laufe der letzten Jahre sei das Thema der Depression immer mehr in den Vordergrund der Gespräche gerückt worden. Dr. H. hat ausgeführt, der Kläger sei vom 16. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1999 durch seinen damaligen Partner Dr. B. und seit 11. Januar 2000 durch ihn selbst behandelt worden. In seiner Sprechstunde habe der Kläger erstmals am 27. Juni 2000 über depressive Symptome geklagt. Neben der fraglos bestehenden depressiven Stimmungslage habe er typische somatische Symptome wie Schlaflosigkeit, innere Unruhe und schwitzige Hände beschrieben. Es habe also eine mittelgradige Depression mit Somatisierungstendenz vorgelegen. Neben der medikamentösen Behandlung sei eine psychotherapeutische Betreuung in Form stützender Gespräche erfolgt. Die Hauptursache der depressiven Erkrankung sei das Unfallereignis. Durch die damals eingetretene erhebliche Invalidisierung sei die gesamte Lebensperspektive des Klägers in sich zusammengefallen. Die gleichzeitige Entwicklung eines chronisches Schmerzsyndroms sei keineswegs überraschend. Der Kläger leide seither in zunehmendem Maße an einer Selbstwertproblematik, nicht zuletzt, weil seitens der Beklagten und der Sozialgerichte die nachgewiesenermaßen erst nach dem Unfall aufgetretene Depression und Lebensuntüchtigkeit als Unfallfolge nicht anerkannt werde. Die Ehescheidung sei lediglich eine Folge und damit ein zusätzlicher Grund seines zerstörten Selbstwertgefühls. In den vergangenen fünf Jahren sei trotz antidepressiver Medikation eine kontinuierliche Verschlechterung zu beobachten. Zu der immer geringeren Schwingungsfähigkeit sei eine selbstzerstörerische Verbitterung hinzugekommen. Unter dem 1. Mai 2006 hat Dr. H. sämtliche den Kläger betreffenden Krankenunterlagen vorgelegt.

Schließlich hat der Senat die abschließende Stellungnahme von Prof. Dr. L. vom 5. Juli 2006 eingeholt. Die Erfahrung habe gezeigt, dass die posttraumatische Belastungsstörung diagnostisch häufig übersehen werde, wenn nicht sehr spezifisch danach gefragt werde. Weniger differenzierte Patienten kämen oft gar nicht darauf, solche Beschwerden zu schildern, da sie sie nicht zur Sache gehörig einschätzten. Die Tatsache, dass die posttraumatische Belastungsstörung erst durch Dr. G. festgestellt worden sei, besage noch nicht, dass diese Symptomatik nicht schon lange, d. h. praktisch seit dem Unfallereignis, bestanden habe. Die Wahrscheinlichkeit spreche jedoch dafür. Weiterhin gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass die Primärpersönlichkeit des Klägers oder Einflüsse aus seiner Biographie die Symptomatik beeinflusst haben könnten. Auch die Ehescheidung könne in dieser Hinsicht nicht verwertet werden, zumal der Kläger eine neue Beziehung eingegangen sei. Eine psychiatrisch-psychologische Testung könne zwar eine wertvolle Ergänzung sein, sei aber nicht zwingend notwendig.

Die Beklagte hat an ihrer gegenteiligen Auffassung festgehalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der beigezogenen medizinischen Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung Oberbayern und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung mit anhaltender Persönlichkeitsänderung als weitere Unfallfolge und auf die Gewährung einer Verletztenrente ab 18. März 1999 nach einer MdE um 70 v. H. statt 45 v. H.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d. h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSG, Urteil vom 4. August 1955 - 2 RU 62/54 - BSGE 1, 174, 178; BSG, Urteil vom 14. November 1984 - 9b RU 38/84 - SozR 2200 § 581 Nr. 22). Für die Bewertung der unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 - SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23; BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R - HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, haben aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 - HVBG-Info 1989, 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.

Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der hierbei eingetretenen Schädigung und der Gesundheitsstörung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, welcher nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich (BSG, Urteil vom 30. April 1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 82; BSG, Urteil vom 20. Januar 1987 - 2 RU 27/86 - BSGE 61, 127, 129; BSG, Urteil vom 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - HVBG-Info 2000, 2811). Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSG, Urteil vom 2. Februar 1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 286). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (BSG, Urteil vom 28. Juni 1988 - 2/9b RU 28/87 - BSGE 63, 277, 278). Insoweit ist eine wertende Gegenüberstellung der ursächlichen Faktoren erforderlich (BSG, Urteil vom 29. März 1963 - 2 RU 75/61 - BSGE 19, 52, 53; BSG, Urteil vom 31. Oktober 1969 - 2 RU 40/67 - BSGE 30, 121, 123; BSG, Urteil vom 20. Januar 1977 - 8 RU 52/76 - BSGE 43, 110, 112). Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten (BSG, Urteil vom 24. Oktober 1957 - 10 RV 945/55 - BSGE 6, 70, 72; BSG, Urteil vom 27. Juni 1991 - 2 RU 31/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 11 S. 33).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass neben den mit Bescheid vom 26. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2000 anerkannten Unfallfolgen zusätzlich eine posttraumatische Belastungsstörung mit anhaltender Persönlichkeitsänderung als Unfallfolge festzustellen ist und dem Kläger seit dem 18. März 1999 eine Verletztenrente statt nach einer MdE um 45 v. H. nach einer MdE um 70 v. H. zu gewähren ist.

Der Senat stützt sich auf das Gutachten von Dr. G. vom 2. Dezember 2003 und seine Stellungnahmen vom 27. April und 20. September 2004 sowie auf das Gutachten von Prof. Dr. L. vom 9. Januar 2006 und seine Stellungnahme vom 5. Juli 2006.

Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung mit anhaltender Persönlichkeitsänderung vorliegt.

Nach der unfallmedizinischen Fachliteratur sind charakteristische Merkmale der posttraumatischen Belastungsstörung ein ungewolltes Wiederaufleben des traumatischen Ereignisses in Träumen und Gedanken, Vermeiden von Situationen, die an das Ereignis erinnern, Ängste oder Phobien, Einschränkung der emotionalen Reagibilität und anhaltende Symptome eines erhöhten Erregungsniveaus, wie Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Schreckreaktionen. Störungen wurden beschrieben nach traumatischen Einzelereignissen, z. B. nach Verkehrsunfällen. Hierbei handelt es sich um Ereignisse, die für fast jeden Menschen belastend sind. Sie werden im Einzelfall mit intensiver Angst, Schrecken oder Hilflosigkeit erlebt. Als Stressoren kommen eine ernsthafte Bedrohung oder Schädigung der eigenen körperlichen Integrität oder das Erleben, wie andere Menschen infolge eines Unfalls verletzt werden bzw. sterben, in Betracht. Die posttraumatische Belastungsstörung folgt dem Trauma unmittelbar, selten mit einer Latenz bis zu 6 Monaten. Der chronische Verlauf dauert im Allgemeinen bis zu 2 Jahren. Langfristig kann sich - nach einer vorangegangenen posttraumatischen Belastungsstörung unter Herstellung einer Verknüpfung zum Unfallereignis - eine andauernde Persönlichkeitsänderung, durch Misstrauen, Rückzug, Hoffnungslosigkeit, ständige Nervosität und Entfremdung gekennzeichnet, entwickeln. Sekundär treten auch seelische sowie soziale Beeinträchtigungen ein. Diese Persönlichkeitsänderung muss andauern und zu Beeinträchtigungen in den zwischenmenschlichen, sozialen und beruflichen Beziehungen führen. Die andauernde Persönlichkeitsänderung nach psychischer Erkrankung entwickelt sich also auf der Grundlage einer schweren psychischen Störung (z. B. im Gefolge schwerer posttraumatischer Belastungsreaktion), die als emotional extrem belastend und zerstörerisch für das Selbstbild des Individuums erlebt wird (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, 5.1.3 und 5.1.4, S. 229 bis 231).

Im Hinblick auf die Schwere des Unfallereignisses und den Krankheitsverlauf ist für den Senat die Einschätzung von Dr. G. und Prof. Dr. L., beim Kläger liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor, gut nachvollziehbar.

Infolge des Verkehrsunfalls hat nicht nur der Kläger erhebliche Verletzungen, welche einige Krankenhausaufenthalte nach sich gezogen und dauerhafte Einschränkungen und Schmerzen hinterlassen haben, erlitten, sondern sind auch zwei Personen gestorben. Bei dem Verkehrsunfall hat es sich daher um ein den Kläger extrem belastendes Ereignis gehandelt.

Der Kläger hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung für den Senat glaubhaft dargelegt, dass er bereits während der ersten stationären Maßnahmen im Kreiskrankenhaus T. und in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. Angstträume, welche sich später allmählich verstärkt hätten, gehabt habe. Der Kläger hat sich bereits Anfang Oktober 1997 und damit nach Ansicht des Senats ausreichend zeitnah zum Unfall vom März 1997 wegen psychiatrischer Beschwerden in Behandlung begeben.

Der Kläger ist bei Dr. B. seit 9. Oktober 1997 u. a. wegen einer reaktiven Depression und Schlafstörungen in Behandlung gestanden und deswegen medikamentös behandelt worden (Bescheinigung vom 29. Oktober 1998). Auch hat der Kläger Dr. M. bereits am 13. Oktober 1997 u. a. wegen Schlafstörungen aufgesucht (Krankenblattunterlagen von Dr. M.). Am 18. September 1998 hat der Kläger gegenüber Dr. B. über Schlafstörungen geklagt, was zur Diagnose einer fraglichen reaktiven Depression geführt hat. Eine weitere diesbezügliche Vorstellung des Klägers bei Dr. B. ist am 28. Oktober 1998 erfolgt (von Dr. H. vorgelegte Krankenblatteinträge). Im Rahmen des am 3. März 1999 durchgeführten Betriebsbesuchs der Beklagten hat der Kläger über seine Schlaflosigkeit und darüber berichtet, er habe psychische Schwierigkeiten bei der Verarbeitung der Unfallfolgen und müsse deshalb Medikamente einnehmen. Ab 5. März 1999 ist der Kläger durch Dr. M. mit dem Antidepressivum Stangyl behandelt worden (Krankenblattunterlagen von Dr. M.). Eine ständige Nervosität, Unruhe, Zukunftsängste und erhebliche Ein- und Durchschlafstörungen hat der Kläger bei subdepressiver Verstimmungslage gegenüber Dr. M. am 5. und 25. März 1999 geschildert (Befundbericht vom 17. Mai 1999). Am 26. April 1999 hat sich der Kläger erneut bei Dr. M. vorgestellt. Auch hat der Kläger im Rahmen der gutachtlichen Untersuchung bei Prof. Dr. W. am 12. Mai 1999 einen "reichlich depressiven Eindruck" gemacht (Gutachten vom 21. Mai 1999). Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie S. hat aufgrund der am 7. Juni 1999 durchgeführten Untersuchung eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion diagnostiziert. Im Rahmen der Untersuchung hat der Kläger berichtet, er könne nicht durchschlafen, er wache und stehe dann immer wieder auf. Er sei niedergestimmt und das Leben sei für ihn nicht mehr lebenswert. Er könne fast gar nichts mehr tun. Er lebe mit seiner Freundin zusammen. Vorher sei dies eine sehr gute Beziehung gewesen, jetzt reagiere er oft gereizt und könne sich nicht beherrschen. Er vertrage einfach nichts mehr und fühle sich seelisch überlastet. Die Freundin habe ihm angedroht, ihn zu verlassen. Er habe Angst vor dem Alleinsein. Die 1996 erfolgte Scheidung habe er verkraftet. Den Unfall könne er jedoch nur sehr schwer verkraften (Gutachten vom 7. Juni 1999). Weitere Vorstellungen wegen psychischer Beschwerden sind am 26. Oktober 1999 bei Dr. B., am 15. März 2000 bei Dr. M. und am 27. Juni und 13. September 2000 bei Dr. H. erfolgt. Dr. M. hat eine Überlastungsreaktion beschrieben (Befundbericht vom 2. März 2000). Gegenüber Dr. E. hat der Kläger im Rahmen der dem Gutachten vom 28. Mai 2001 zugrunde gelegenen Untersuchung angegeben, in letzter Zeit sei die Stimmung deutlich depressiv gefärbt. Gelegentlich habe er aufgrund der für ihn aussichtslosen Lage Selbstmordgedanken. Des Weiteren hat er eine innerliche Unruhe sowie massive Schlafstörungen angegeben und während der Exploration zu weinen begonnen (Gutachten vom 28. Mai 2001). Auf diesen seelischen Befund hat Dr. E. auch in seiner Stellungnahme vom 5. September 2001 hingewiesen. Weitere Behandlungen sind am 19. Oktober 2001 sowie am 22. Januar und 15. April 2002 bei Dr. H. erfolgt. Auch ist der Kläger im Bericht der Physikalischen Therapie der Kreisklinik T. vom 1. Juli 2002 als "sehr deprimiert" beschrieben worden. Weitere Vorstellungen sind am 22. Juli, 27. Oktober und 18. Dezember 2002 und am 3. Februar 2003 bei Dr. H. sowie am 15. Mai, 18. Juni und 15. Juli 2003 bei Dr. M. erfolgt.

Dass der Kläger nicht unmittelbar nach dem Unfallereignis, sondern erstmals sechs Monate später gegenüber Dr. B. und Dr. M. psychische Beschwerden angegeben hat, hält der Senat für unschädlich. Denn Prof. Dr. L. hat in seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2006 für den Senat gut nachvollziehbar dargelegt, dass eine posttraumatische Belastungsstörung häufig übersehen werde, da diesbezügliche Beschwerden oft gar nicht geschildert würden. Dies mag nach Einschätzung des Senats daran liegen, dass im Anfangsstadium der ärztlichen Behandlung die chirurgisch bedingten Gesundheitsschäden und Schmerzen im Vordergrund stehen und sich die Patienten in der Regel eine folgenlose Heilung erhoffen. Im Übrigen erklärt sich der Umstand, dass sich der Kläger erst knapp 6 Monate nach dem Unfallereignis wegen Schlafstörungen und Depressionen in ärztliche Behandlung begeben hat, daraus, dass er sich in den ersten 3 Monaten nach dem Unfallereignis in stationärer Behandlung befunden hat.

Auch ist ein Wiederaufleben des traumatischen Ereignisses aktenkundig. Insbesondere hat der Kläger gegenüber Dr. G. auch über sich aufdrängende Gedanken an das Unfallgeschehen mit Wiedererleben jener Situation, einhergehend mit erheblichen vegetativen Beschwerden wie Schwitzen, Herzrasen und Zittern, beschrieben. Der Kläger zeigt nach den Ausführungen des Sachverständigen auch ein Vermeideverhalten hinsichtlich möglicher Erinnerungen an das Unfallgeschehen und hat starke Ängste bei Teilnahme am Straßenverkehr. Dabei handelt es sich um typische Merkmale einer posttraumatischen Belastungsreaktion. Demgegenüber hat der Senat nicht genügend Anhaltspunkte für eine prämorbide Persönlichkeitsstruktur oder äußere unfallunabhängige Ursachen. So finden sich weder in den Leistungsverzeichnissen der Krankenkassen noch in den aktenkundigen ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten diesbezügliche Hinweise.

Aus dieser posttraumatischen Belastungsstörung hat sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die andauernde Persönlichkeitsänderung des Klägers entwickelt. Dass der Kläger in seinen sozialen Beziehungen beeinträchtigt und in seinem Selbstbild gestört ist, haben Dr. G. und Prof. Dr. L. für den Senat ausreichend und schlüssig dargelegt. Im Übrigen haben auch Dr. M. und Dr. H. in ihren sachverständigen Zeugenauskünften Krankheitsentwicklung und -bild für den Senat nachvollziehbar beschrieben.

Die Gesamt-MdE schätzt der Senat auf 70 v. H. Hierbei ist der Senat von einer Teil-MdE auf chirurgischem Fachgebiet unter Zugrundelegung des Gutachtens von Dr. T. vom 18. Dezember 2001 um 40 v. H. und auf neurologischem Fachgebiet unter Zugrundelegung des Gutachtens von Prof. Dr. D. vom 14. Juni 1999 um 15 v. H. ausgegangen. Für die posttraumatische Belastungssituation mit andauernder Persönlichkeitsänderung schätzt der Senat die Teil-MdE auf 30 v. H. ein. Nach der unfallmedizinischen Fachliteratur ist ein MdE-Rahmen für leichtere neurotische Störungen von 0-10 v. H., für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit von 20-40 v. H. und für schwere Störungen mit erheblichen sozialen Anpassungsschwierigkeiten von 50-100 v. H. eröffnet (Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, 5.1.12, S. 246/247). Vorliegend geht der Senat unter Berücksichtigung der von Dr. G. erhobenen Befunde und der hieraus resultierenden Einschränkungen von einer stärker behindernden Störung mittleren Grades aus. Der Senat bewegt sich dabei, nachdem Dr. G. von einer Teil-MdE um 50 v. H. und Prof. Dr. L. von einer Teil-MdE um 30 v. H. ausgehen, in einem in dieser Hinsicht "mittleren" Rahmen. Nach Einschätzung des Senats ergibt sich aus einer Zusammenschau der Teil-MdE-Werte für das chirurgische Fachgebiet um 40 v. H., für das psychiatrische Fachgebiet um 30 v. H. und für das neurologische Fachgebiet um 15 v. H. eine Gesamt-MdE um 70 v. H.

Nach alledem war das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Januar 2003 aufzuheben sowie der Bescheid vom 26. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2000 abzuändern, als weitere Unfallfolgen eine posttraumatische Belastungsstörung mit anhaltender Persönlichkeitsänderung festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger ab 18. März 1999 gewährte Verletztenrente nach einer MdE um 70 v. H. zu gewähren.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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