Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 6977/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1691/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung seiner Hörminderung als Berufskrankheit hat.
Der am 05.04.1935 geborene Kläger war seinen Angaben zufolge von 1962 bis 1967 als Hilfsarbeiter in einer Druckerei und schließlich bis 03.04.2000 als Drucker beschäftigt, zuletzt ab 1976 bei der C. GmbH in S ...
Der HNO-Arzt Dr. P. zeigte der Beklagten im Mai 2003 eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit des Klägers als mögliche berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit an. Er teilte mit, seine erste Untersuchung des Klägers habe am 03.04.2003 wegen einer seit 2002 bemerkten beidseitigen Hörminderung stattgefunden (Schreiben vom 29.07.2003). In den von der Beklagten eingeholten Berichten der HNO-Ärztin Dr. K. vom 18.06. und 02.07.2003 wurde angegeben, der Kläger sei 1995, 1999 und im Juni 2003 wegen der Diagnose einer mittel bis hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit aufgrund Lärms am Arbeitsplatz behandelt worden. Bei ihrem Praxisvorgänger Dr. B. sei der Kläger 1990 und 1995 bereits wegen Infekten in Behandlung gewesen, eine Hörminderung sei damals nicht angegeben worden. In der von der Beklagten beigezogenen Akte des Versorgungsamts befand sich der ärztliche Befundbericht des mittlerweile nicht mehr praktizierenden HNO-Arztes Dr. L. vom April 1986, den der Kläger im Dezember 1985 erstmals wegen einer blockierten Nase und eines herabgesetzten Hörvermögens aufgesucht hatte. Das beigefügte, im Dezember 1985 erstellte Audiogramm habe eine beidseitige geringgradige Innenohrschwerhörigkeit ergeben.
Die Firma C. GmbH erteilte der Beklagten unter dem 04.09. und 31.10.2003 Auskünfte über die Beschäftigungsdauer des Klägers und der an seinem Arbeitsplatz verwendeten Druck- und Schneidemaschinen. Vorsorgeuntersuchungen seien beim Kläger nicht durchgeführt worden, da er an seinem Arbeitsplatz nur mit einem Lärmpegel von unter 85 dB belastet gewesen sei. In dem schallmesstechnischen Gutachten vom 11.11.2003 der Präventionsabteilung der Beklagten, das auf den Angaben des Klägers und des Arbeitgebers beruhte, wurde der Beurteilungspegel im Bereich des ehemaligen Arbeitsplatzes des Klägers mit unter 85 dB errechnet. Da der Maschinenpark beim Arbeitgeber einem kontinuierlichen Wechsel unterlegen habe, seien zur Berechnung die Schallmessungen an vergleichbaren Druckmaschinen des gleichen Herstellers und Typs herangezogen worden.
Mit Bescheid vom 26.01.2004 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und die Gewährung von Leistungen wegen einer Berufskrankheit ab. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Hörminderung des Klägers und seiner beruflichen Tätigkeit könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit begründet werden. Der Kläger sei seit 1976 keiner Lärmbelastung ausgesetzt gewesen, die zur Verursachung oder Verschlimmerung einer Lärmschwerhörigkeit geeignet gewesen sei. Eine Lärmschwerhörigkeit schreite nach Ende der Lärmexposition nicht fort. Der erste aktenkundige Befund einer möglichen Lärmschwerhörigkeit datiere vom 12.12.1985. Ob ein beruflicher Hörverlust bereits 1976 vorgelegen habe, sei nicht bewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, denn bei seiner Tätigkeit als Hilfsarbeiter von 1962 bis 1967 habe er ohne Ohrenschutz zu 70 Prozent an einer Falzmaschine gearbeitet und ebenso sei er von 1967 bis 1974 während seiner Lehre und nachfolgend als Drucker dem Lärm einer im gleichen Raum befindlichen Falzmaschine ausgesetzt gewesen. Außerdem sei von der Firma C. GmbH nicht erwähnt worden, wie lange die alte Falzmaschine neben der Druckmaschine gestanden habe, deren Lärm er ohne Schutz ausgeliefert gewesen sei. Hierbei habe es sich um die Falzmaschine Stahl und die Maschinen "Heidelberg Zylinder A 2 (OAZ) und Tiegel (OHT) und GTO" gehandelt (Schreiben vom 26.05.2004). Hierzu führte der Arbeitgebers in der Stellungnahme vom 20.08.2004 aus, der Kläger sei nur einen verhältnismäßig geringen Zeitraum dem Arbeitslärm einer Falzmaschine ausgesetzt gewesen. Die Maschine sei nur für zirka ein Jahr im Arbeitsraum des Klägers untergebracht gewesen, bevor sie in einen anderen Gebäudeteil verlagert worden sei. Zum relevanten Zeitpunkt sei die Maschine auch gering ausgelastet gewesen, man müsse von zirka vier bis acht Stunden pro Woche ausgehen. Weitergehende Angaben könnten nicht mehr gemacht werden, da keine Unterlagen mehr vorhanden seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2004 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 19.10.2004 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben, das von Dr. P. die sachverständige Zeugenaussage vom 14.02.2005 eingeholt hat. Danach habe der Kläger ihn im Mai 2003 aufgesucht, weil er seit dem Jahr 2002 die Hörminderung bemerkt habe. Mit Gerichtsbescheid vom 20.02.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Nach der medizinischen Wissenschaft sei eine Lärmschwerhörigkeit ausgeschlossen, wenn die Lärmexposition durchweg unter 85 dB gelegen habe. Nach den Ermittlungen der Beklagten habe die Lärmexposition am Arbeitsplatz des Klägers den Wert von 85 dB nicht überschritten. Die vom Kläger in Widerspruchsverfahren vorgetragenen Arbeiten an der Falzmaschine seien nur über einen relativ kurzen Zeitraum zu bewerten, der lärmbelastungstechnisch nicht relevant sei. Die Hörminderung sei erstmals im Jahr 2002 bemerkt worden, der Kläger habe jedoch nur bis zum Jahre 2000 gearbeitet, weshalb auch der medizinische Sachverhalt fraglich sei.
Gegen den dem Kläger am 24.02.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 20.03.2006 Berufung eingelegt und diese zunächst nicht begründet. Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 17.08.2006 hat der Kläger vorgetragen, es treffe nicht zu, dass die Falzmaschine nur ein Jahr in seinem Arbeitsraum bei der Firma C. GmbH untergebracht gewesen sei. Er meine, sie habe mindestens drei bis vier Jahre in seinem Arbeitsraum gestanden. Seine ehemalige Arbeitskollegin, Frau G., könne hierüber Auskunft erteilen. Sie habe mindestens drei Jahre an der Maschine gearbeitet, bevor sie verkauft worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.02.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 26.01. 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.10.2004 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, die Innenohrschwerhörigkeit beidseits als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts.
Die frühere Arbeitskollegin des Klägers, E. G., ist als Zeugin schriftlich gehört worden. In ihrer am 29.08.2006 eingegangenen Aussage hat sie angegeben, sie habe 26 Jahre an einer Falzmaschine gearbeitet. Die Maschine "Stahl" habe fünf Jahre ohne Lärmschutz in der Maschinenhalle und 21 Jahre im Nebengebäude mit Lärmschutz gestanden. Sie sei fünf Stunden am Tag in Betrieb gewesen. Der Arbeitsplatz des Klägers habe sich während der gesamten Dauer der Verwendung der Falzmaschine im gleichen Arbeitsraum befunden. Der Kläger habe von 7:00 bis 17:00 Uhr in dem gleichen Raum gearbeitet, fünf Jahre ohne Lärmschutz.
Nach richterlichem Hinweis auf die vom eigenen Vorbringen des Klägers abweichenden Angaben der Zeugin (richterliche Verfügung vom 31.08.2006) hat der Kläger geltend gemacht, die Angaben der Zeugen würden falsch interpretiert. Die Zeugin habe drei bis vier Jahre an der Falzmaschine zusammen mit ihm im gleichen Raum gearbeitet. Als die Maschine in einen anderen Raum gekommen sei, sei auch die Zeugin in diesen Raum gewechselt.
Der Senat hat die Akten der Beklagten und des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Akte wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Hörminderung als Berufskrankheit.
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheiten Verordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. Im Anhang zur BKV ist die Erkrankung an einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 enthalten.
Eine Leistungspflicht wegen einer Berufskrankheit besteht nur dann, wenn die Gefährdung durch schädigende Einwirkungen ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsbegründende Kausalität) und durch die schädigende Einwirkung die Krankheit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden ist (haftungsausfüllende Kausalität). Die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u.a. neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen, die Schädigung und die Krankheit gehören, müssen erwiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSGE 19, 52; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287; 58, 80, 83). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9/A 26). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist.
Nach diesen Grundsätzen fehlt es bereits an der haftungsbegründenden Kausalität, denn gesundheitsschädigende Einwirkungen am Arbeitsplatz des Klägers sind nicht nachgewiesen.
Die Beklagte und das Sozialgericht (unter Verweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 417 f) haben in den vom Kläger angegriffenen Entscheidungen zutreffend dargelegt, dass der Beurteilungspegel von unter 85 dB(A) über den Zeitraum von 1976 bis 2000 keine ausreichende Lärmexposition darstellt. Nach den bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen kann eine Lärmschwerhörigkeit nur durch eine langjährige Tätigkeit an einem lärmexponierten Arbeitsplatz entstehen, wobei erst ein Dauerlärm oberhalb von 90 dB(A) während des überwiegenden Teils der Arbeitszeit sich im Regelfall gehörschädigend auswirken kann. Bei darunter liegenden Beurteilungspegeln im Bereich zwischen 85 und 90 dB(A) kommt eine Lärmschädigung nur bei langjähriger Exposition oder außergewöhnlich großer individueller Gehörsensibilität in Betracht, wohingegen bei einer durchweg unter 85 dB(A) gelegenen Lärmexposition eine Lärmschwerhörigkeit auszuschließen ist (siehe auch LSG Niedersachsen, Urteil vom 31. März 1998 - L 3 U 267/95 -, veröffentlicht in juris). Aus dem schallmesstechnischen Gutachten des Präventionsdienstes der Beklagten vom 11.11.2003 ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass ein Beurteilungspegel von mehr als 85 dB(A) während der Beschäftigung des Klägers bei der C. GmbH nicht aufgetreten ist. Die vom Kläger im Widerspruchsverfahren genannten Druckmaschinen OHZ und Tiegel OHT und GTO sind im Gutachten neben weiteren Maschine ausdrücklich angeführt. Die Lärmentwicklung beim Betrieb der Maschinen wurde anhand vorhandener Schallmessungen an vergleichbaren Druckmaschinen des gleichen Herstellers und Typs errechnet, ebenso wie die Lärmentwicklung an den Schneidemaschinen auf der Grundlage der Erfahrungswerte des Messtechnischen Dienstes beurteilt wurde.
Eine höhere Lärmentwicklung über einen ausreichend langen Zeitraum ist nicht nachgewiesen. Zwar hat der Arbeitgeber des Klägers sein Vorbringen, für einen bestimmten Zeitraum habe eine Falzmaschine in unmittelbarer Nähe zu seinem Arbeitsplatz gestanden, bestätigt, doch die Intensität der damit einhergehenden Lärmexposition konnte nicht aufgeklärt werden. Nach Angaben des Arbeitgebers wurde die Falzmaschine nur ein Jahr im gleichen Arbeitsraum eingesetzt und war nur etwa vier bis acht Stunden in der Woche in Betrieb. Die Behauptung des Klägers, die Maschine habe drei bis vier Jahre in seinem Arbeitsraum gestanden, ist durch die Aussage der Zeugin G. nicht zur vollen Überzeugung des Senats bestätigt worden. Sie hat, was selbst der Kläger nicht behauptet hat, angegeben, der Kläger habe für die ganze Zeit der Verwendung der Falzmaschine im Betrieb, also über 26 Jahre lang, im gleichen Arbeitsraum mit der Maschine gearbeitet. Andererseits hat sie angegeben, dass die Maschine fünf Jahre in der Maschinenhalle und 21 Jahre im Nebengebäude gestanden habe. Darüber hinaus hat auch sie den Hersteller und den Maschinentyp der Falzmaschine nicht angeben können. Da auch der Kläger hierzu keine Angaben hat machen können und der Arbeitgeber über die veräußerte Maschine keine Unterlagen mehr hat, können auch keine vergleichbaren Messwerte aus früheren Messungen an Maschinen des gleichen oder vergleichbaren Typs herangezogen werden. Die Feststellung einer gehörschädigenden Exposition durch den Betrieb der Falzmaschine scheitert daher auch aus diesem Grund.
Soweit der Kläger sich im Widerspruchsverfahren auf eine Lärmexposition während seiner Beschäftigungszeit bei anderen Arbeitgebern vor 1976 berufen hat, ist die haftungsbegründende Kausalität nicht wahrscheinlich gemacht. Ausmaß und Intensität der Lärmentwicklung an diesen Arbeitsplätzen ist nicht ermittelt worden. Dies kann aber dahinstehen, denn der Eintritt der Schädigung während einer ausreichenden Lärmexposition ist nicht nachgewiesen. Der Kläger hat wegen einer Hörminderung erstmals 1985 Dr. L. aufgesucht. Nach Behandlung der blockierten Nase und damit verbessertem Druckausgleich hatte sich die Hörminderung gebessert. Ob die von Dr. L. im Dezember 1985 diagnostizierte beidseitige geringgradige Innenohrschwerhörigkeit bereits im Zeitpunkt einer unterstellten ausreichenden Lärmexposition bis 1976 vorlag, ist mangels früherer HNO-ärztlicher Befunde nicht mit Sicherheit festzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung seiner Hörminderung als Berufskrankheit hat.
Der am 05.04.1935 geborene Kläger war seinen Angaben zufolge von 1962 bis 1967 als Hilfsarbeiter in einer Druckerei und schließlich bis 03.04.2000 als Drucker beschäftigt, zuletzt ab 1976 bei der C. GmbH in S ...
Der HNO-Arzt Dr. P. zeigte der Beklagten im Mai 2003 eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit des Klägers als mögliche berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit an. Er teilte mit, seine erste Untersuchung des Klägers habe am 03.04.2003 wegen einer seit 2002 bemerkten beidseitigen Hörminderung stattgefunden (Schreiben vom 29.07.2003). In den von der Beklagten eingeholten Berichten der HNO-Ärztin Dr. K. vom 18.06. und 02.07.2003 wurde angegeben, der Kläger sei 1995, 1999 und im Juni 2003 wegen der Diagnose einer mittel bis hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit aufgrund Lärms am Arbeitsplatz behandelt worden. Bei ihrem Praxisvorgänger Dr. B. sei der Kläger 1990 und 1995 bereits wegen Infekten in Behandlung gewesen, eine Hörminderung sei damals nicht angegeben worden. In der von der Beklagten beigezogenen Akte des Versorgungsamts befand sich der ärztliche Befundbericht des mittlerweile nicht mehr praktizierenden HNO-Arztes Dr. L. vom April 1986, den der Kläger im Dezember 1985 erstmals wegen einer blockierten Nase und eines herabgesetzten Hörvermögens aufgesucht hatte. Das beigefügte, im Dezember 1985 erstellte Audiogramm habe eine beidseitige geringgradige Innenohrschwerhörigkeit ergeben.
Die Firma C. GmbH erteilte der Beklagten unter dem 04.09. und 31.10.2003 Auskünfte über die Beschäftigungsdauer des Klägers und der an seinem Arbeitsplatz verwendeten Druck- und Schneidemaschinen. Vorsorgeuntersuchungen seien beim Kläger nicht durchgeführt worden, da er an seinem Arbeitsplatz nur mit einem Lärmpegel von unter 85 dB belastet gewesen sei. In dem schallmesstechnischen Gutachten vom 11.11.2003 der Präventionsabteilung der Beklagten, das auf den Angaben des Klägers und des Arbeitgebers beruhte, wurde der Beurteilungspegel im Bereich des ehemaligen Arbeitsplatzes des Klägers mit unter 85 dB errechnet. Da der Maschinenpark beim Arbeitgeber einem kontinuierlichen Wechsel unterlegen habe, seien zur Berechnung die Schallmessungen an vergleichbaren Druckmaschinen des gleichen Herstellers und Typs herangezogen worden.
Mit Bescheid vom 26.01.2004 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und die Gewährung von Leistungen wegen einer Berufskrankheit ab. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Hörminderung des Klägers und seiner beruflichen Tätigkeit könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit begründet werden. Der Kläger sei seit 1976 keiner Lärmbelastung ausgesetzt gewesen, die zur Verursachung oder Verschlimmerung einer Lärmschwerhörigkeit geeignet gewesen sei. Eine Lärmschwerhörigkeit schreite nach Ende der Lärmexposition nicht fort. Der erste aktenkundige Befund einer möglichen Lärmschwerhörigkeit datiere vom 12.12.1985. Ob ein beruflicher Hörverlust bereits 1976 vorgelegen habe, sei nicht bewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, denn bei seiner Tätigkeit als Hilfsarbeiter von 1962 bis 1967 habe er ohne Ohrenschutz zu 70 Prozent an einer Falzmaschine gearbeitet und ebenso sei er von 1967 bis 1974 während seiner Lehre und nachfolgend als Drucker dem Lärm einer im gleichen Raum befindlichen Falzmaschine ausgesetzt gewesen. Außerdem sei von der Firma C. GmbH nicht erwähnt worden, wie lange die alte Falzmaschine neben der Druckmaschine gestanden habe, deren Lärm er ohne Schutz ausgeliefert gewesen sei. Hierbei habe es sich um die Falzmaschine Stahl und die Maschinen "Heidelberg Zylinder A 2 (OAZ) und Tiegel (OHT) und GTO" gehandelt (Schreiben vom 26.05.2004). Hierzu führte der Arbeitgebers in der Stellungnahme vom 20.08.2004 aus, der Kläger sei nur einen verhältnismäßig geringen Zeitraum dem Arbeitslärm einer Falzmaschine ausgesetzt gewesen. Die Maschine sei nur für zirka ein Jahr im Arbeitsraum des Klägers untergebracht gewesen, bevor sie in einen anderen Gebäudeteil verlagert worden sei. Zum relevanten Zeitpunkt sei die Maschine auch gering ausgelastet gewesen, man müsse von zirka vier bis acht Stunden pro Woche ausgehen. Weitergehende Angaben könnten nicht mehr gemacht werden, da keine Unterlagen mehr vorhanden seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2004 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 19.10.2004 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben, das von Dr. P. die sachverständige Zeugenaussage vom 14.02.2005 eingeholt hat. Danach habe der Kläger ihn im Mai 2003 aufgesucht, weil er seit dem Jahr 2002 die Hörminderung bemerkt habe. Mit Gerichtsbescheid vom 20.02.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Nach der medizinischen Wissenschaft sei eine Lärmschwerhörigkeit ausgeschlossen, wenn die Lärmexposition durchweg unter 85 dB gelegen habe. Nach den Ermittlungen der Beklagten habe die Lärmexposition am Arbeitsplatz des Klägers den Wert von 85 dB nicht überschritten. Die vom Kläger in Widerspruchsverfahren vorgetragenen Arbeiten an der Falzmaschine seien nur über einen relativ kurzen Zeitraum zu bewerten, der lärmbelastungstechnisch nicht relevant sei. Die Hörminderung sei erstmals im Jahr 2002 bemerkt worden, der Kläger habe jedoch nur bis zum Jahre 2000 gearbeitet, weshalb auch der medizinische Sachverhalt fraglich sei.
Gegen den dem Kläger am 24.02.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 20.03.2006 Berufung eingelegt und diese zunächst nicht begründet. Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 17.08.2006 hat der Kläger vorgetragen, es treffe nicht zu, dass die Falzmaschine nur ein Jahr in seinem Arbeitsraum bei der Firma C. GmbH untergebracht gewesen sei. Er meine, sie habe mindestens drei bis vier Jahre in seinem Arbeitsraum gestanden. Seine ehemalige Arbeitskollegin, Frau G., könne hierüber Auskunft erteilen. Sie habe mindestens drei Jahre an der Maschine gearbeitet, bevor sie verkauft worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.02.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 26.01. 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.10.2004 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, die Innenohrschwerhörigkeit beidseits als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts.
Die frühere Arbeitskollegin des Klägers, E. G., ist als Zeugin schriftlich gehört worden. In ihrer am 29.08.2006 eingegangenen Aussage hat sie angegeben, sie habe 26 Jahre an einer Falzmaschine gearbeitet. Die Maschine "Stahl" habe fünf Jahre ohne Lärmschutz in der Maschinenhalle und 21 Jahre im Nebengebäude mit Lärmschutz gestanden. Sie sei fünf Stunden am Tag in Betrieb gewesen. Der Arbeitsplatz des Klägers habe sich während der gesamten Dauer der Verwendung der Falzmaschine im gleichen Arbeitsraum befunden. Der Kläger habe von 7:00 bis 17:00 Uhr in dem gleichen Raum gearbeitet, fünf Jahre ohne Lärmschutz.
Nach richterlichem Hinweis auf die vom eigenen Vorbringen des Klägers abweichenden Angaben der Zeugin (richterliche Verfügung vom 31.08.2006) hat der Kläger geltend gemacht, die Angaben der Zeugen würden falsch interpretiert. Die Zeugin habe drei bis vier Jahre an der Falzmaschine zusammen mit ihm im gleichen Raum gearbeitet. Als die Maschine in einen anderen Raum gekommen sei, sei auch die Zeugin in diesen Raum gewechselt.
Der Senat hat die Akten der Beklagten und des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Akte wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Hörminderung als Berufskrankheit.
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheiten Verordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. Im Anhang zur BKV ist die Erkrankung an einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 enthalten.
Eine Leistungspflicht wegen einer Berufskrankheit besteht nur dann, wenn die Gefährdung durch schädigende Einwirkungen ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsbegründende Kausalität) und durch die schädigende Einwirkung die Krankheit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden ist (haftungsausfüllende Kausalität). Die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u.a. neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen, die Schädigung und die Krankheit gehören, müssen erwiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSGE 19, 52; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287; 58, 80, 83). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9/A 26). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist.
Nach diesen Grundsätzen fehlt es bereits an der haftungsbegründenden Kausalität, denn gesundheitsschädigende Einwirkungen am Arbeitsplatz des Klägers sind nicht nachgewiesen.
Die Beklagte und das Sozialgericht (unter Verweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 417 f) haben in den vom Kläger angegriffenen Entscheidungen zutreffend dargelegt, dass der Beurteilungspegel von unter 85 dB(A) über den Zeitraum von 1976 bis 2000 keine ausreichende Lärmexposition darstellt. Nach den bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen kann eine Lärmschwerhörigkeit nur durch eine langjährige Tätigkeit an einem lärmexponierten Arbeitsplatz entstehen, wobei erst ein Dauerlärm oberhalb von 90 dB(A) während des überwiegenden Teils der Arbeitszeit sich im Regelfall gehörschädigend auswirken kann. Bei darunter liegenden Beurteilungspegeln im Bereich zwischen 85 und 90 dB(A) kommt eine Lärmschädigung nur bei langjähriger Exposition oder außergewöhnlich großer individueller Gehörsensibilität in Betracht, wohingegen bei einer durchweg unter 85 dB(A) gelegenen Lärmexposition eine Lärmschwerhörigkeit auszuschließen ist (siehe auch LSG Niedersachsen, Urteil vom 31. März 1998 - L 3 U 267/95 -, veröffentlicht in juris). Aus dem schallmesstechnischen Gutachten des Präventionsdienstes der Beklagten vom 11.11.2003 ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass ein Beurteilungspegel von mehr als 85 dB(A) während der Beschäftigung des Klägers bei der C. GmbH nicht aufgetreten ist. Die vom Kläger im Widerspruchsverfahren genannten Druckmaschinen OHZ und Tiegel OHT und GTO sind im Gutachten neben weiteren Maschine ausdrücklich angeführt. Die Lärmentwicklung beim Betrieb der Maschinen wurde anhand vorhandener Schallmessungen an vergleichbaren Druckmaschinen des gleichen Herstellers und Typs errechnet, ebenso wie die Lärmentwicklung an den Schneidemaschinen auf der Grundlage der Erfahrungswerte des Messtechnischen Dienstes beurteilt wurde.
Eine höhere Lärmentwicklung über einen ausreichend langen Zeitraum ist nicht nachgewiesen. Zwar hat der Arbeitgeber des Klägers sein Vorbringen, für einen bestimmten Zeitraum habe eine Falzmaschine in unmittelbarer Nähe zu seinem Arbeitsplatz gestanden, bestätigt, doch die Intensität der damit einhergehenden Lärmexposition konnte nicht aufgeklärt werden. Nach Angaben des Arbeitgebers wurde die Falzmaschine nur ein Jahr im gleichen Arbeitsraum eingesetzt und war nur etwa vier bis acht Stunden in der Woche in Betrieb. Die Behauptung des Klägers, die Maschine habe drei bis vier Jahre in seinem Arbeitsraum gestanden, ist durch die Aussage der Zeugin G. nicht zur vollen Überzeugung des Senats bestätigt worden. Sie hat, was selbst der Kläger nicht behauptet hat, angegeben, der Kläger habe für die ganze Zeit der Verwendung der Falzmaschine im Betrieb, also über 26 Jahre lang, im gleichen Arbeitsraum mit der Maschine gearbeitet. Andererseits hat sie angegeben, dass die Maschine fünf Jahre in der Maschinenhalle und 21 Jahre im Nebengebäude gestanden habe. Darüber hinaus hat auch sie den Hersteller und den Maschinentyp der Falzmaschine nicht angeben können. Da auch der Kläger hierzu keine Angaben hat machen können und der Arbeitgeber über die veräußerte Maschine keine Unterlagen mehr hat, können auch keine vergleichbaren Messwerte aus früheren Messungen an Maschinen des gleichen oder vergleichbaren Typs herangezogen werden. Die Feststellung einer gehörschädigenden Exposition durch den Betrieb der Falzmaschine scheitert daher auch aus diesem Grund.
Soweit der Kläger sich im Widerspruchsverfahren auf eine Lärmexposition während seiner Beschäftigungszeit bei anderen Arbeitgebern vor 1976 berufen hat, ist die haftungsbegründende Kausalität nicht wahrscheinlich gemacht. Ausmaß und Intensität der Lärmentwicklung an diesen Arbeitsplätzen ist nicht ermittelt worden. Dies kann aber dahinstehen, denn der Eintritt der Schädigung während einer ausreichenden Lärmexposition ist nicht nachgewiesen. Der Kläger hat wegen einer Hörminderung erstmals 1985 Dr. L. aufgesucht. Nach Behandlung der blockierten Nase und damit verbessertem Druckausgleich hatte sich die Hörminderung gebessert. Ob die von Dr. L. im Dezember 1985 diagnostizierte beidseitige geringgradige Innenohrschwerhörigkeit bereits im Zeitpunkt einer unterstellten ausreichenden Lärmexposition bis 1976 vorlag, ist mangels früherer HNO-ärztlicher Befunde nicht mit Sicherheit festzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
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