Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 4447/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 3498/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin, deren Ehe mit dem Versicherten W. K. (im Folgenden: WK) weniger als 1 Jahr bestanden hat, ein Anspruch auf Witwenrente sowie - nach erfolgter Wiederheirat - auf Rentenabfindung zusteht.
WK bezog von der Beklagten seit 1. Juli 1998 Altersrente in Höhe von monatlich 1.608,04 DM. Bei WK bestand ein Zustand nach Plattenepithel-Carcinom im Oropharynxbereich (Radiatio 1998 und 1999), nach Unterlappen-Teilresektion links wegen Metastasen 11/99, eine poststenotische Pneumonie links, eine Dysphagie (Störung des Schluckaktes) bei Zungenteilresektion sowie ein Diabetes mellitus. Ausweislich des Vorerkrankungsregisters stand WK zwischen Dezember 1999 und November 2003 nicht in ärztlicher Behandlung. Er verstarb am 17. März 2004 an einem metastasierenden Lungenkarzinom.
Die am 11. September 1972 geborene rumänische Klägerin ist Mutter eines im Mai 1995 geborenen Sohnes. Sie reiste - wie schon früher wiederholt - im Februar 2003 mit einem Touristenvisum nach Deutschland ein und lernte hier in einem Lokal WK kennen. Nach Ablauf ihres Visums kehrte sie nach Rumänien zurück, reiste jedoch wenig später wieder ein und meldete sich am 24. Juni 2003 unter der Adresse des WK an. Am 24. Oktober 2003 fand vor dem Standesamt in R. die Eheschließung zwischen der Klägerin und WK statt. Seit dem 10. April 2006 ist die Klägerin wieder verheiratet und trägt den Ehenamen A ...
Am 19. März 2004 beantragte die Klägerin Witwenrente. Auf Frage der Beklagten zu den Umständen der Eheschließung teilte sie u. a. mit, vor der Heirat hätten sich keine Krankheitsanzeichen bei WK gezeigt; dies sei erstmals am 25. November 2003 der Fall gewesen, als es zu Bewegungseinschränkungen gekommen sei. Er sei dann stationär im Krankenhaus aufgenommen worden. Zuvor habe er der Klägerin nur beiläufig berichtet, dass er vor fünf Jahren einmal wegen einer Krebserkrankung behandelt worden sei, sich diese aber nicht weiterentwickelt habe und er geheilt sei. Mit Bescheid vom 24. Juni 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2004 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Hinterbliebenenrente unter Hinweis auf § 46 Abs. 2a SGB VI ab.
Am 27. Oktober 2004 hat die Klägerin zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Das SG hat den behandelnden Hausarzt des WK, Dr. H., befragt, der jedoch auf Grund der fehlenden Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht keine Angaben gemacht hat; ferner hat es die Entlassungsberichte über die stationären Aufenthalte des WK im Kreiskrankenhauses R. im November/Dezember 2003 sowie Februar/März 2004 beigezogen und die dort behandelnden Ärzte ergänzend befragt. In der mündlichen Verhandlung hat es die Klägerin angehört und P. M. als Zeugen vernommen; auf den Inhalt der jeweiligen Aussagen nimmt der Senat Bezug. Mit Urteil vom 20. Juli 2005 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, weder die eingeholten medizinischen Unterlagen noch die Erklärungen der Klägerin und die Aussage des Zeugen seien geeignet, die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI zu widerlegen.
Gegen das am 9. August 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 23. August 2005 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung hat sie vorgetragen, WK habe in der Zeit vom 11. Juli 2001 bis 24. November 2003 keinen Arzt benötigt. Die zunehmende Kachexie sei erst bei seiner stationären Aufnahme am 25. November 2003 festgestellt worden; dabei habe man auch festgehalten, dass WK erst zwei Wochen vor der Aufnahme zum ersten mal bewegungseingeschränkt gewesen sei und Husten mit Auswurf von gelben Schleimbrocken gehabt habe. Im Zeitpunkt der Eheschließung habe er einen unauffälligen gesunden Eindruck gemacht. Unabhängig davon sei - neben der Zuneigung zu ihrem Ehemann - ein starkes Motiv für die Eheschließung auch das durch die Ehe errungene Bleiberecht in Deutschland sowie die besseren Betreuungsmöglichkeiten für ihren geistig behinderten Sohn gewesen. WK habe um sie mit der Zusage geworben, dass er dem Kind jede Unterstützung für dessen körperliche und geistige Entwicklung zukommen lassen werde. Diese Zusage habe ihre Einwilligung zur Ehe maßgeblich beeinflusst.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Juli 2005 und den Bescheid vom 24. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. April 2004 bis 9. April 2006 Hinterbliebenenrente nebst Wiederverheiratungsabfindung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da die Beschränkungen des § 144 SGG nicht eingreifen; sie ist gemäß § 151 SGG frist- und formgerecht eingelegt und somit insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 24. Juni 2004/Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2004 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente bzw. Wiederverheiratungsabfindung.
Im Berufungsverfahren hat der Senat über den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente für den streitbefangenen Zeitraum sowie - infolge ihrer Wiederheirat - über ihren Anspruch auf Rentenabfindung zu entscheiden; letzterer ist gem. § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG nicht als Klageänderung anzusehen, weil infolge der Wiederheirat im April 2006 über diesen Zeitpunkt hinaus statt der ursprünglich geforderten Witwenrente nur noch ein Anspruch auf (Witwen-)Rentenabfindung in Betracht kommt.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten zeitlich limitierten Witwenrentenanspruch ist § 46 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Danach haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine oder große Witwenrente nach Maßgabe des § 46 Abs. 1 und 2 SGB VI. Dieser Anspruch ist jedoch nach § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Anknüpfung des Gesetzgebers an eine Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war (Bundestagsdrucksache 14/4095 S. 44). Diese gesetzliche Vermutung ist widerlegbar. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Vermutung dann widerlegt ist, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen (Gürtner in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht § 46 Rdnr. 46b). Die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe folgt einer Typisierung und verfolgt auch den Zweck, den Leistungsträger der Ausforschung im Bereich der Intimsphäre zu entheben. Dies gilt auch für die Widerlegung der Rechtsvermutung, so dass auch hier die außerhalb der Intimsphäre liegenden objektiven Umstände in einer typisierenden Betrachtungsweise zur Beurteilung heranzuziehen sind. Besondere Umstände i. S. von § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle Umstände des Einzelfalls, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Insbesondere sind solche Umstände maßgeblich, die auf einen anderen Beweggrund der Heirat, als auf eine Versorgungsabsicht schließen lassen. Das SG hat ferner zutreffend dargestellt, dass die Widerlegung der Rechtsvermutung nach § 202 SGG i. V. m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils erfordert. Der vollen Beweis ist nach den allgemeinen Beweisregeln nur dann erbracht, wenn die zu beweisende Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben ist und vernünftige Zweifel schweigen. Die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes derjenige, der den Witwenrentenanspruch geltend macht, mithin trägt die Witwe die objektive Beweislast (Gürtner a.a.O.).
Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat nicht mindestens ein Jahr gedauert, sie ist am 24. Oktober 2003 geschlossen worden und hat beim Tode des Versicherten am 17.März 2004 lediglich ca. fünf Monate bestanden.
Die Klägerin hat die gesetzliche Vermutung nicht zu widerlegen vermocht. Die von ihr angeführten objektiven Umstände - Führung des Haushalts des WK, gute Gesundheit des WK zum Zeitpunkt der Eheschließung, Erlangung des Bleiberechts, Sicherstellung der Betreuung des behinderten Sohnes - sind nicht geeignet nachzuweisen, dass die Annahme einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt ist. Zunächst lässt der Umstand, dass die Klägerin dem WK den Haushalt geführt hat, keinerlei Rückschluss auf einen Beweggrund zur Heirat - noch weniger auf einen überwiegenden - zu. Weiter ist auf den erheblichen Altersunterschied von 35 Jahren zwischen der Klägerin und WK hinzuweisen, ein Umstand, der objektiv auf eine Versorgungsehe hindeutet. Was den Gesundheitszustand des WK anbetraf, ist das Vorbringen der Klägerin, WK habe zum Zeitpunkt der Eheschließung einen gesunden Eindruck gemacht und sie habe von seiner schweren Erkrankung zumindest bis zur stationären Aufnahme Ende November 2003 nichts gewusst, angesichts der vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht glaubhaft. Schon das SG hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht darauf hingewiesen, dass die stationäre Aufnahme im Kreiskrankenhaus R. am 25. November 2003, also bereits einen Monat nach der Heirat, wegen "starker Verschlechterung des Allgemeinzustandes" erfolgte. Im Krankenblatt vom Aufnahmetag (25. November 2003) ist WK als "sehr kachektisch", d.h. ausgezehrt, beschrieben worden mit dem Zusatz "kann wohl in letzter Zeit nicht mehr essen". Dieser Zustand, der sich nicht binnen kurzer Zeit entwickelt, kann der Klägerin nicht verborgen geblieben sein, ebenso wenig wie die bei WK gegebene anhaltende Dysphagie (Schluckstörung) infolge der 1998 erfolgten Weichgaumen- und Zungenteilresektion rechts (Bericht der St. V.-Krankenhäuser K. vom 12. September 1999). Auch der Umstand, dass WK im Zeitraum von Dezember 1999 bis November 2003 keinen Arzt konsultiert hat, lässt keine andere Beurteilung zu. Denn wie dem Bericht des Kreiskrankenhauses R. vom 12. Oktober (richtig wohl Dezember) 2003 zu entnehmen ist, hat es der Eigenart des WK entsprochen, sich - trotz dringenden ärztlichen Rats - nicht behandeln zu lassen; so hat er trotz Verdachts auf eine Knochenmetastase im Bereich des Femurs weitere diagnostische Maßnahmen und eine entsprechende Therapie abgelehnt und wurde schließlich auf seinen dringenden Wunsch hin nach Hause entlassen. Es erscheint deshalb - auch unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen M., WK habe Ende November 2003 nicht ins Krankenhaus wollen, nachvollziehbar, dass WK trotz etwaiger Beschwerden, seinen Hausarzt nicht hat aufsuchen wollen. Dass - wie die Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemacht hat - ein wesentliches Motiv für die Heirat für sie die Erlangung des Bleiberechts in Deutschland sowie die Aussicht auf eine bessere Betreuung ihres behinderten Kindes gewesen sei, macht - entgegen ihrer Auffassung - gerade ihren starken (menschlich durchaus verständlichen) Versorgungsgedanken als Beweggrund für die Eingehung der Ehe deutlich. Es ist aber in keiner Weise plausibel, dass dieser zugegebene Versorgungswunsch die Begründung eines Hinterbliebenenrentenanspruchs durch Heirat mit WK nicht umfasst haben soll. Die objektiven Umstände des vorliegenden Rechtsstreits sprechen für eine Versorgungsehe im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI.
Da der Klägerin - wie oben dargelegt - keine Witwenrente zusteht, hat sie auch keinen Anspruch auf Rentenabfindung gemäß § 107 SGB VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin, deren Ehe mit dem Versicherten W. K. (im Folgenden: WK) weniger als 1 Jahr bestanden hat, ein Anspruch auf Witwenrente sowie - nach erfolgter Wiederheirat - auf Rentenabfindung zusteht.
WK bezog von der Beklagten seit 1. Juli 1998 Altersrente in Höhe von monatlich 1.608,04 DM. Bei WK bestand ein Zustand nach Plattenepithel-Carcinom im Oropharynxbereich (Radiatio 1998 und 1999), nach Unterlappen-Teilresektion links wegen Metastasen 11/99, eine poststenotische Pneumonie links, eine Dysphagie (Störung des Schluckaktes) bei Zungenteilresektion sowie ein Diabetes mellitus. Ausweislich des Vorerkrankungsregisters stand WK zwischen Dezember 1999 und November 2003 nicht in ärztlicher Behandlung. Er verstarb am 17. März 2004 an einem metastasierenden Lungenkarzinom.
Die am 11. September 1972 geborene rumänische Klägerin ist Mutter eines im Mai 1995 geborenen Sohnes. Sie reiste - wie schon früher wiederholt - im Februar 2003 mit einem Touristenvisum nach Deutschland ein und lernte hier in einem Lokal WK kennen. Nach Ablauf ihres Visums kehrte sie nach Rumänien zurück, reiste jedoch wenig später wieder ein und meldete sich am 24. Juni 2003 unter der Adresse des WK an. Am 24. Oktober 2003 fand vor dem Standesamt in R. die Eheschließung zwischen der Klägerin und WK statt. Seit dem 10. April 2006 ist die Klägerin wieder verheiratet und trägt den Ehenamen A ...
Am 19. März 2004 beantragte die Klägerin Witwenrente. Auf Frage der Beklagten zu den Umständen der Eheschließung teilte sie u. a. mit, vor der Heirat hätten sich keine Krankheitsanzeichen bei WK gezeigt; dies sei erstmals am 25. November 2003 der Fall gewesen, als es zu Bewegungseinschränkungen gekommen sei. Er sei dann stationär im Krankenhaus aufgenommen worden. Zuvor habe er der Klägerin nur beiläufig berichtet, dass er vor fünf Jahren einmal wegen einer Krebserkrankung behandelt worden sei, sich diese aber nicht weiterentwickelt habe und er geheilt sei. Mit Bescheid vom 24. Juni 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2004 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Hinterbliebenenrente unter Hinweis auf § 46 Abs. 2a SGB VI ab.
Am 27. Oktober 2004 hat die Klägerin zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Das SG hat den behandelnden Hausarzt des WK, Dr. H., befragt, der jedoch auf Grund der fehlenden Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht keine Angaben gemacht hat; ferner hat es die Entlassungsberichte über die stationären Aufenthalte des WK im Kreiskrankenhauses R. im November/Dezember 2003 sowie Februar/März 2004 beigezogen und die dort behandelnden Ärzte ergänzend befragt. In der mündlichen Verhandlung hat es die Klägerin angehört und P. M. als Zeugen vernommen; auf den Inhalt der jeweiligen Aussagen nimmt der Senat Bezug. Mit Urteil vom 20. Juli 2005 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, weder die eingeholten medizinischen Unterlagen noch die Erklärungen der Klägerin und die Aussage des Zeugen seien geeignet, die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI zu widerlegen.
Gegen das am 9. August 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 23. August 2005 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung hat sie vorgetragen, WK habe in der Zeit vom 11. Juli 2001 bis 24. November 2003 keinen Arzt benötigt. Die zunehmende Kachexie sei erst bei seiner stationären Aufnahme am 25. November 2003 festgestellt worden; dabei habe man auch festgehalten, dass WK erst zwei Wochen vor der Aufnahme zum ersten mal bewegungseingeschränkt gewesen sei und Husten mit Auswurf von gelben Schleimbrocken gehabt habe. Im Zeitpunkt der Eheschließung habe er einen unauffälligen gesunden Eindruck gemacht. Unabhängig davon sei - neben der Zuneigung zu ihrem Ehemann - ein starkes Motiv für die Eheschließung auch das durch die Ehe errungene Bleiberecht in Deutschland sowie die besseren Betreuungsmöglichkeiten für ihren geistig behinderten Sohn gewesen. WK habe um sie mit der Zusage geworben, dass er dem Kind jede Unterstützung für dessen körperliche und geistige Entwicklung zukommen lassen werde. Diese Zusage habe ihre Einwilligung zur Ehe maßgeblich beeinflusst.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Juli 2005 und den Bescheid vom 24. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. April 2004 bis 9. April 2006 Hinterbliebenenrente nebst Wiederverheiratungsabfindung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da die Beschränkungen des § 144 SGG nicht eingreifen; sie ist gemäß § 151 SGG frist- und formgerecht eingelegt und somit insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 24. Juni 2004/Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2004 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente bzw. Wiederverheiratungsabfindung.
Im Berufungsverfahren hat der Senat über den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente für den streitbefangenen Zeitraum sowie - infolge ihrer Wiederheirat - über ihren Anspruch auf Rentenabfindung zu entscheiden; letzterer ist gem. § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG nicht als Klageänderung anzusehen, weil infolge der Wiederheirat im April 2006 über diesen Zeitpunkt hinaus statt der ursprünglich geforderten Witwenrente nur noch ein Anspruch auf (Witwen-)Rentenabfindung in Betracht kommt.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten zeitlich limitierten Witwenrentenanspruch ist § 46 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Danach haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine oder große Witwenrente nach Maßgabe des § 46 Abs. 1 und 2 SGB VI. Dieser Anspruch ist jedoch nach § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Anknüpfung des Gesetzgebers an eine Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war (Bundestagsdrucksache 14/4095 S. 44). Diese gesetzliche Vermutung ist widerlegbar. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Vermutung dann widerlegt ist, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen (Gürtner in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht § 46 Rdnr. 46b). Die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe folgt einer Typisierung und verfolgt auch den Zweck, den Leistungsträger der Ausforschung im Bereich der Intimsphäre zu entheben. Dies gilt auch für die Widerlegung der Rechtsvermutung, so dass auch hier die außerhalb der Intimsphäre liegenden objektiven Umstände in einer typisierenden Betrachtungsweise zur Beurteilung heranzuziehen sind. Besondere Umstände i. S. von § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle Umstände des Einzelfalls, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Insbesondere sind solche Umstände maßgeblich, die auf einen anderen Beweggrund der Heirat, als auf eine Versorgungsabsicht schließen lassen. Das SG hat ferner zutreffend dargestellt, dass die Widerlegung der Rechtsvermutung nach § 202 SGG i. V. m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils erfordert. Der vollen Beweis ist nach den allgemeinen Beweisregeln nur dann erbracht, wenn die zu beweisende Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben ist und vernünftige Zweifel schweigen. Die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes derjenige, der den Witwenrentenanspruch geltend macht, mithin trägt die Witwe die objektive Beweislast (Gürtner a.a.O.).
Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat nicht mindestens ein Jahr gedauert, sie ist am 24. Oktober 2003 geschlossen worden und hat beim Tode des Versicherten am 17.März 2004 lediglich ca. fünf Monate bestanden.
Die Klägerin hat die gesetzliche Vermutung nicht zu widerlegen vermocht. Die von ihr angeführten objektiven Umstände - Führung des Haushalts des WK, gute Gesundheit des WK zum Zeitpunkt der Eheschließung, Erlangung des Bleiberechts, Sicherstellung der Betreuung des behinderten Sohnes - sind nicht geeignet nachzuweisen, dass die Annahme einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt ist. Zunächst lässt der Umstand, dass die Klägerin dem WK den Haushalt geführt hat, keinerlei Rückschluss auf einen Beweggrund zur Heirat - noch weniger auf einen überwiegenden - zu. Weiter ist auf den erheblichen Altersunterschied von 35 Jahren zwischen der Klägerin und WK hinzuweisen, ein Umstand, der objektiv auf eine Versorgungsehe hindeutet. Was den Gesundheitszustand des WK anbetraf, ist das Vorbringen der Klägerin, WK habe zum Zeitpunkt der Eheschließung einen gesunden Eindruck gemacht und sie habe von seiner schweren Erkrankung zumindest bis zur stationären Aufnahme Ende November 2003 nichts gewusst, angesichts der vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht glaubhaft. Schon das SG hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht darauf hingewiesen, dass die stationäre Aufnahme im Kreiskrankenhaus R. am 25. November 2003, also bereits einen Monat nach der Heirat, wegen "starker Verschlechterung des Allgemeinzustandes" erfolgte. Im Krankenblatt vom Aufnahmetag (25. November 2003) ist WK als "sehr kachektisch", d.h. ausgezehrt, beschrieben worden mit dem Zusatz "kann wohl in letzter Zeit nicht mehr essen". Dieser Zustand, der sich nicht binnen kurzer Zeit entwickelt, kann der Klägerin nicht verborgen geblieben sein, ebenso wenig wie die bei WK gegebene anhaltende Dysphagie (Schluckstörung) infolge der 1998 erfolgten Weichgaumen- und Zungenteilresektion rechts (Bericht der St. V.-Krankenhäuser K. vom 12. September 1999). Auch der Umstand, dass WK im Zeitraum von Dezember 1999 bis November 2003 keinen Arzt konsultiert hat, lässt keine andere Beurteilung zu. Denn wie dem Bericht des Kreiskrankenhauses R. vom 12. Oktober (richtig wohl Dezember) 2003 zu entnehmen ist, hat es der Eigenart des WK entsprochen, sich - trotz dringenden ärztlichen Rats - nicht behandeln zu lassen; so hat er trotz Verdachts auf eine Knochenmetastase im Bereich des Femurs weitere diagnostische Maßnahmen und eine entsprechende Therapie abgelehnt und wurde schließlich auf seinen dringenden Wunsch hin nach Hause entlassen. Es erscheint deshalb - auch unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen M., WK habe Ende November 2003 nicht ins Krankenhaus wollen, nachvollziehbar, dass WK trotz etwaiger Beschwerden, seinen Hausarzt nicht hat aufsuchen wollen. Dass - wie die Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemacht hat - ein wesentliches Motiv für die Heirat für sie die Erlangung des Bleiberechts in Deutschland sowie die Aussicht auf eine bessere Betreuung ihres behinderten Kindes gewesen sei, macht - entgegen ihrer Auffassung - gerade ihren starken (menschlich durchaus verständlichen) Versorgungsgedanken als Beweggrund für die Eingehung der Ehe deutlich. Es ist aber in keiner Weise plausibel, dass dieser zugegebene Versorgungswunsch die Begründung eines Hinterbliebenenrentenanspruchs durch Heirat mit WK nicht umfasst haben soll. Die objektiven Umstände des vorliegenden Rechtsstreits sprechen für eine Versorgungsehe im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI.
Da der Klägerin - wie oben dargelegt - keine Witwenrente zusteht, hat sie auch keinen Anspruch auf Rentenabfindung gemäß § 107 SGB VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
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