L 8 AS 4925/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 4097/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 4925/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsteller Nr. 1 wird der Beschluss des Sozialgerichtes Freiburg vom 27. September 2006 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers Nr. 1 vom 21. August 2006 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. August 2006 wird bis zur Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids angeordnet.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers Nr. 1 im Antrags- und Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß den §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers Nr. 1 gegen den Beschluss des SG vom 27.09.2006, mit dem das SG den Antrag des Antragstellers Nr. 1 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.08.2006, mit dem die Regelleistung für den Zeitraum vom 01.09.2006 bis 30.11.2006 abgesenkt wurde, weil der Antragsteller Nr. 1 einer Meldeaufforderung nicht nachkam, abgelehnt hat, ist zulässig und teilweise begründet. Der Antragsteller Nr. 1 hat einen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist, gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17.08.2006 bis zur Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. Im Übrigen ist ihre Beschwerde jedoch unbegründet.

Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach der Rechtsprechung des Senats hat der Widerspruch des Antragstellers Nr. 1 gegen den Absenkungsbescheid vom 17.08.2006 nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Zwar haben nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Da Widerspruch und Klage nur aufschiebende Wirkung besitzen können, wenn Entscheidungen der Leistungsträger mit einem bloßen Anfechtungsbegehren angegangen werden, kommen lediglich Aufhebungsentscheidungen nach den §§ 45ff SGB X i.V.m. § 40 SGB II und Entscheidungen über die Absenkung und den Wegfall von bereits bewilligtem Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld gemäß den §§ 31, 32 SGB II in Betracht (Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 39 RdNr. 12).

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs aufgrund von § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen (Krodel, Der sozialgerichtliche Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 453). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt (kritisch hierzu Eicher a.a.O. § 39 RdNr. 3). Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung (Eicher a.a.O. RdNr. 2) kann aber im Einzelfall auch zu Gunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Aufl. 2005, RdNr. 195).

Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze anzuwenden (Krodel aaO RdNr. 205). Danach sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung zu Gunsten des Antragstellers nicht erginge, die Klage später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (st. Rspr des BVerfG; vgl. BVerfG NJW 2003, 2598, 2599 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ergibt die nach den dargestellten Grundsätzen vorzunehmende Abwägung, dass das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 17.08.2006 derzeit bis zur Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides das öffentliche Interesse an einem Vollzug dieses Bescheides überwiegt, da der Bescheid vom 17.08.2006 dem Bestimmtheitserfordernis des § 33 Absatz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht gerecht wird und daher derzeit rechtswidrig ist.

In dem streitgegenständlichen Bescheid vom 17.08.2006 wurde von der Antragsgegnerin verfügt:

"Der ihnen zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II wird für die Zeit vom 01.09.2006 bis 30.11.2006 um 2 x 10 vom Hundert der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des zustehenden Auszahlungsbetrages, abgesenkt.

Daraus ergibt sich eine Absenkung in Höhe von maximal 2 x 31 EUR monatlich.

Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung wird insoweit ab dem 01.09.2006 gemäß § 48 Absatz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben."

Dieser Verfügungssatz lässt nicht hinreichend vollständig, klar und unzweideutig erkennen, in welcher Höhe eine Absenkung und Aufhebung der bewilligten Leistung für den genannten Zeitraum erfolgt, wie dies aber gemäß § 33 Absatz 1 SGB X zur inhaltlichen Bestimmtheit des streitgegenständlichen Bescheides erforderlich ist (vgl. hierzu Engelmann in von Wulffen, SGB X, § 31 Rdnr. 3ff.). Der Verfügungssatz im angefochtenen Bescheid enthält nicht näher bestimmte Höchstgrenzen ("höchstens jedoch in Höhe des Ihnen zustehenden Auszahlungsbetrages") und einen Maximalbetrag ("in Höhe von maximal 2 x 31 EUR monatlich"), die einer inhaltlichen Bestimmbarkeit des Verfügungssatzes auch im Wege der Auslegung entgegen stehen. Der (dynamische) Verweis auf den dem Antragsteller Nr. 1 jeweils zustehenden Auszahlungsbetrag, dessen Höhe im Bescheid nicht genannt wird und der sich u.U. noch z.B. durch Anrechnung von Einkommen oder aus anderen Gründen nachträglich ändern kann, führt dazu, dass auch unter Berücksichtigung eines zuvor ergangenen Bewilligungsbescheides unklar bleibt, in welcher Höhe die Absenkung konkret erfolgt ist. Nach der Rechtssprechung des Senats (Beschluss vom 17.10.2006 - L 8 AS 4922/06 ER-B - ) ist es deshalb bei einer auf § 31 SGB II gestützten Absenkung des Arbeitslosengeldes II erforderlich, entweder den genauen Betrag festzusetzen, um den die konkret zuerkannte Leistung abgesenkt wird, oder die Höhe der abgesenkten Leistung konkret zu beziffern.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches des Antragstellers Nr. 1 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache ist jedoch nicht geboten. Denn dem Bestimmtheitserfordernis wird genügt, wenn im (nach Aktenlage) noch zu erlassenden Widerspruchsbescheid § 33 Absatz 1 SGB X entsprochen wird (Engelmann, a.a.O. § 33 Rdnr. 4 m.w.N.). Der Senat macht deshalb von dem ihm gemäß § 86b Absatz 1 Satz 3 SGG eröffneten Ermessen dahin Gebrauch, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.08.2006 bis zur Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu befristen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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