L 7 SO 1253/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 183/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1253/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander sind in den §§ 102 ff SGB X umfassend und abschließend geregelt.
Ein Leistungsempfänger kann einen (vermeintlichen) Anspruch gegen den Träger der Rentenversicherung auf eine Nachzahlung (hier: Rente wegen voller Erwerbsminderung) nicht gegenüber dem vorleistenden Träger der Sozialhilfe bzw. Grundsicherung mit der Begründung geltend machen, er habe von diesem weniger erhalten, als dieser sich vom Träger der Rentenversicherung gem. § 104 Abs. 1 SGB X habe erstatten lassen. Er ist vielmehr - im Hinblick auf die Regelung des § 107 Abs. 1 SGB X (Erfüllungsfiktion) - darauf zu verweisen, den Nachzahlungsanspruch gegen den Träger der Rentenversicherung geltend zu machen.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, eine von der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg (LVA) an diesen erstattete Rentennachzahlung in Höhe von jetzt noch 10.500,00 Euro an den Kläger auszuzahlen.

Der am 1966 geborene Kläger, der seit 7. April 2003 als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 (zuvor ab Januar 1996 GdB von 60) anerkannt ist, bezog vom Beklagten seit 1994 Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) sowie einmaliger Beihilfen. Im November 2003 wurde dem Kläger vom Beklagten rückwirkend ab 1. Januar 2003 Grundsicherung nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) nach einem monatlichen Bedarf von 689,63 Euro bewilligt, wobei von diesem Betrag der zusätzlich ab Januar 2003 in Höhe von monatlich 113,00 Euro vom Beklagten gezahlte besondere Mietzuschuss nach §§ 31 ff. des Wohngeldgesetzes - WoGG - (in der Fassung der Bekanntmachung des vom 23. Januar 2002 (BGBl. I S. 474) (i.F. WoGG a.F.)) in Abzug gebracht wurde; darüber hinaus erhielt der Kläger (zuletzt im September 2004) erneut einmalige Beihilfen. Zunächst ab 1. Dezember 2003 bis 31. Dezember 2004 gewährte die Wohngeldstelle der Stadt M. außerdem Wohngeld (zunächst monatlich 98,00 Euro), wobei sie dem Beklagten mit Blick auf die erst Ende Januar 2004 erfolgte Bewilligungsentscheidung Erstattung für den Zeitraum von Dezember 2003 bis Februar 2004 in Höhe von insgesamt 294,00 Euro leistete. Ab 1. Januar 2005 bewilligte der Beklagte Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - (Zahlbetrag seinerzeit 696,15 Euro).

Bereits im Februar 2002 hatte der Beklagte für den Kläger bei der LVA eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beantragt. Im Rentenverfahren wurde der Antrag abgelehnt, weil beim Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine derartige Rentenart nicht gegeben seien (Bescheid der LVA vom 15. August 2002, Widerspruchsbescheid vom 8. April 2003). Mit seiner Klage hatte der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim insoweit Erfolg, als die LVA unter Aufhebung der angefochtenen zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. Februar 2002 verurteilt wurde (Urteil vom 5. Juli 2004 - S 10 RJ 1510/03 -). Die Berufungen beider dortigen Beteiligten zum Landessozialgericht (LSG) blieben erfolglos (Urteil vom 25. Januar 2005 - L 9 RJ 2670/04 - (rechtskräftig)).

Das Urteil des LSG vom 25. Januar 2005 wurde von der LVA mit Bescheid vom 15. März 2005 ausgeführt; die laufende Rentenzahlung erfolgte laufend ab 1. Mai 2005 (monatlicher Zahlbetrag 743,97 Euro). Für den Zeitraum vom 1. Februar 2002 an errechnete die LVA eine Nachzahlung von 29.119,07 Euro, die zur Klärung von Erstattungsansprüchen anderer Stellen einstweilen einbehalten wurde. Mit Schreiben vom 29. März 2005 bezifferte der Beklagte seinen Erstattungsanspruch mit 22.146,96 Euro. Diesen Betrag kürzte die LVA um 9,58 Euro wegen einer außerhalb des Nachzahlungszeitraums gewährten Beihilfe (Müllgebühren für Januar 2002) und überwies an den Beklagten 22.137,35 Euro. Der Restbetrag von 6.981,72 Euro (zuzügl. Zinsen von 310,42 Euro) wurde von der LVA an den Kläger ausgezahlt. Die Stadt M. wiederum forderte vom Beklagten unter dem 25. April 2005 aufgrund Aufhebung der Wohngeldbewilligungen ab 1. Dezember 2003 (wegen des Renteneinkommens des Klägers) den erstatteten Betrag von 294,00 Euro zurück. In der Folgezeit machte der Kläger wiederholt - auch gerichtlich - "Schadensersatzansprüche" u.a. gegen den Beklagten geltend, weil ihm nach seiner Auffassung eine Rente bereits zu einem früheren Zeitpunkt zugestanden hätte.

Am 17. Januar 2006 hat der Kläger Klage zum SG Mannheim erhoben mit der Begründung, er halte den Einbehalt der Rentennachzahlung durch den Beklagten nicht für rechtmäßig, weil die Rente durch ein Amtsversäumnis des Grundsicherungsamts grob fahrlässig verspätet beantragt worden sei. Jedenfalls sei der einbehaltene Betrag falsch berechnet worden, weil auch der mit der Sozialhilfe ausbezahlte besondere Mietzuschuss einbehalten worden sei. Mit Gerichtsbescheid vom 8. März 2006 hat das SG die Klage abgewiesen; in den Gründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, der gemäß § 2 Abs. 1 BSHG nachrangig verpflichtete Beklagte habe gegen den Rentenversicherungsträger gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) einen Erstattungsanspruch für die von ihm erbrachten Sozialleistungen gehabt, in dessen Höhe der Anspruch des Klägers auf Rentennachzahlungen gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt gelte; auch in Höhe des besonderen Mietzuschusses habe der Beklagte gemäß § 33 Abs. 4 und 7 WoGG a.F. Erstattung verlangen können.

Gegen diesen ihm 10. März 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. März 2006 Berufung beim LSG eingelegt.

Bereits während des Klageverfahrens hatte der Beklagte die Höhe der Rentenerstattung nochmals überprüft. Dabei kam er zum Ergebnis, dass versehentlich von der LVA auch für den Monat Dezember 2003 der besondere Mietzuschuss von 113,00 Euro verlangt worden war, sowie ferner, dass die Stadt M. wegen des zwischenzeitlich vorgelegten geänderten Schwerbehindertenausweises ab Dezember 2003 ein monatliches Wohngeld in Höhe von 35,00 Euro bewilligt hatte (die ursprüngliche Rückerstattungsforderung von 294,00 Euro reduzierte sich damit 189,00 Euro), während für den Zeitraum von April bis November 2003 ein fiktives Wohngeld von monatlich 38,00 Euro (insgesamt 304,00 Euro) errechnet wurde. Mit Bescheid vom 8. Februar 2006 (abgesandt am 9. Februar 2006) forderte der Beklagte vom Kläger den an die Wohngeldstelle gezahlten Betrag von 189,00 Euro und errechnete einen Nachzahlungsbetrag von 228,00 Euro (304,00 Euro fiktiver Wohngeldanspruch, 113,00 Euro besonderer Mietzuschuss, abzüglich 189,00 Euro); dieser Betrag wurde am 13. März 2006 nach Bestandskraft des Bescheides auf das Konto des Klägers überwiesen.

Der Kläger hat unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes von einem Amtsversäumnis des Beklagten noch vorgebracht, es sei zu klären, was und wie viel der Beklagte von der Rentennachzahlung als "Aufwandsentschädigung" insbesondere auch mit Blick auf einmalige Beihilfen geltend machen könne. Im Übrigen seien vom Beklagten an ihn nur etwa 11.500,00 Euro direkt ausbezahlt worden, nicht jedoch andere Positionen wie z.B. die Miete, sodass jedenfalls 10.500,00 Euro an ihn zu überweisen seien.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. März 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an ihn aus der Rentennachzahlung weitere 10.500,00 Euro auszuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er habe nur den tatsächlichen Aufwand beim Rentenversicherungsträger zur Erstattung angemeldet. Richtig sei zwar, dass bestimmte Leistungen (Miete, Krankenversicherungsbeiträge und Stromkosten) direkt an den Vermieter, die Krankenkasse und die Stadtwerke überwiesen worden seien; diese Leistungen seien aber dennoch erbracht worden, auch wenn sie dem Kläger nicht direkt zugeflossen seien.

Zur weiteren Darstellung wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (5 Bände), die Klageakte des SG (S 5 SO 183/06) und die Berufungsakte des Senats (L 7 SO 1253/06) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Mit Blick auf den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 1. Februar 2007 gestellten Antrag des Klägers ist Streitgegenstand im Berufungsverfahren (§ 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) nur noch ein Betrag von 10.500,00 Euro, welchen er aus der vom Beklagten vereinnahmten Rentennachzahlung verlangt.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bei weitem überschritten ist.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Dem Begehren des Klägers ist - ungeachtet dessen, dass eine Verwaltungsentscheidung des Beklagten (§ 31 SGB X) über den erhobenen Anspruch nicht vorliegt - bereits deswegen der Erfolg zu versagen, weil eine Rechtsgrundlage für den hier gegenüber dem Beklagten geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht besteht. Auf die vom Kläger im vorliegenden Gerichtsverfahren angeführten Gründe, die im Übrigen - namentlich was die nicht direkt an ihn, sondern an Dritte (z.B. den Vermieter) ausgezahlten Beträge betrifft - nicht durchgreifend sein dürften, kann daher hier nicht weiter eingegangen werden.

Der vom Kläger erhobene Anspruch lässt sich nicht aus den Bestimmungen der §§ 102 ff. SGB X (eingeführt durch Gesetz vom 4. November 1982 (BGBl. I S. 1450)) herleiten; diese Vorschriften regeln die Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander, und zwar umfassend und - von spezialgesetzlichen Regelungen abgesehen - auch abschließend (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) BVerwGE 87, 31, 34; Roos in von Wulffen u.a., SGB X, 5. Auflage, vor § 102 Rdnr. 18; Klattenhoff in Hauck/Noftz, SGB X, K §§ 102-114 Rdnr. 4). Der Erstattungsanspruch eines Trägers der Sozialhilfe (und der Grundsicherung bei verminderter Erwerbsfähigkeit) gegenüber dem Rentenversicherungsträger ergibt sich, wie vom SG Mannheim im angefochtenen Gerichtsbescheid insoweit zutreffend dargestellt, aus der Vorschrift des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist der dem Berechtigten gegenüber vorrangig verpflichtete Leistungsträger dem nachrangig verpflichteten Leistungsträger, der eine Sozialleistung bereits erbracht hat, erstattungspflichtig (zum Mietzuschuss vgl. § 33 Abs. 4 und 7 WoGG a.F.). Ein derartiger Nachrang des Sozialhilfe- und Grundsicherungsträgers ist in § 2 BSHG, § 2 SGB XII und § 2 GSiG festgeschrieben. Der erstattungsberechtigte Leistungsträger ist auch verpflichtet, diesen Weg des Vermögensausgleichs bei Leistungsbewilligungen zu suchen. Dem Sozialhilfeträger steht - entgegen der mit Inkrafttreten der §§ 102 ff. SGB X aufgehobenen Regelung in § 1531 der Reichsversicherungsordnung (vgl. hierzu etwa BVerwGE 21, 274 ff.) - bei der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nach § 104 Abs. 1 SGB X kein Ermessen zu (vgl. BVerwGE 87, 31, 34 f.). Es besteht ferner kein Wahlrecht, auf den Erstattungsausgleich unter den Leistungsträgern zu verzichten und sich stattdessen an den (Leistungs-)Berechtigten zu halten (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-1300 § 107 Nr. 10 S. 14; Klattenhoff in Hauck/Noftz, a.a.O., § 107 Rdnr. 11; Kater in Kasseler Kommentar, SGB X § 107 Rdnr. 12).

Dem entspricht die in § 107 Abs. 1 SGB X normierte Erfüllungswirkung der Leistung des vorleistenden Leistungsträgers, welche dem in § 364 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) enthaltenen Rechtsgedanken nachgebildet ist (vgl. BSGE 70, 93, 98 = SozR 3-2400 § 26 Nr. 5). Weil hiernach der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt gilt, soweit ein Erstattungsanspruch des Leistungsträgers besteht, gilt auch sein Leistungsanspruch als erloschen (vgl. BSGE 90, 172, 173 = SozR 3-5910 § 76 Nr. 4; Kater in Kasseler Kommentar, a.a.O. Rdnr. 12). Demgemäß vermag der Leistungsberechtigte mit seinen gegen die Erfüllung seiner Leistungsansprüche über die Fiktion des § 107 SGB X vorgebrachten Einwendungen nicht mit Erfolg gegenüber dem vorleistenden Leistungsträger vorzugehen (vgl. hierzu BVerwGE 87, 31 ff.; ferner Verwaltungsgericht (VG) für das Saarland, Beschluss vom 24. August 1992 - 4 F 108/92 - (juris); VG Münster, Urteil vom 4. November 2003 - 5 K 3532/00 - (juris); offengelassen SG Speyer, Urteil vom 8. Oktober S 7 RI 564/03 - (juris)). Er ist vielmehr auf den Weg der Auseinandersetzung mit dem endgültigen Leistungsträger zu verweisen, in dessen Rahmen die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs zu überprüfen sind (vgl. hierzu nur BSG SozR 3-1300 § 104 Nrn. 3 und 9; BSGE 93, 290 ff. = SozR 4-1300 § 107 Nr. 1). Auf das Erfordernis einer solchen Vorgehensweise sind die Beteiligten im Übrigen bereits in den Sernatsverfügungen vom 21. und 24. April 2006 hingewiesen worden.

Auch sonstige Rechtsgrundlagen für den vorliegend erhobenen Anspruch sind nicht gegeben. Wegen des grundsätzlich abschließenden Regelungscharakters der §§ 102 ff. SGB X lässt sich das Begehren des Klägers weder über die §§ 812 ff. BGB noch über einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch oder gar über Gewohnheitsrecht begründen (vgl. BVerwGE 87, 31, 36; VG Münster, Urteil vom 4. November 2003 a.a.O.).

Ferner bieten die Vorschriften über die Gewährung von Sozialhilfe keine gesetzliche Grundlage für das Begehren des Klägers. So vermag er sein Verlangen nicht auf die Regelungen über nachgehende Sozialhilfe (vgl. bis 31. Dezember 2004: § 6 Abs. 2 Satz 1 BSHG, ab 1. Januar 2005: § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) zu stützen. Diese Vorschriften berechtigen nicht zu Leistungen eigener Art, sondern stehen rechtlich in Zusammenhang mit der jeweiligen Leistungs- und Hilfeart, so dass bei einem unabhängig hiervon bestehenden etwaigen "Nachholbedarf" die genannten Regelungen nicht herangezogen werden können (vgl. BVerwGE 87, 31, 36 f.; Schoenfeld in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 1. Auflage, § 15 Rdnr. 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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