L 5 R 1377/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 847/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 1377/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.2.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit sind die Kosten eines vom Kläger beschafften Hörgeräts.

Der 1950 geborene Kläger, Diplomsozialpädagoge (FH) und stellvertretender Leiter eines Wohnbereichs der Behindertenhilfe (G. W. Stiftung zum Bruderhaus, R.), beantragte am 18.10.2004 die Übernahme der Kosten für ein – am 30.4.2004 (Rechnung Verwaltungsakte S. 5,6) - selbst beschafftes Hörgerät. Zur Begründung seines Antrags führte er aus, nach zunehmenden beruflichen Schwierigkeiten wegen seiner (nach einem Hörsturz aufgetretenen) Schwerhörigkeit habe er auf Anraten des Betriebsarztes, seines behandelnden Arztes und eines Hörgeräteakustikers ein Mikro-Link-Hörgerät der Fa. P. ausprobiert. Seit er dieses Gerät benutze, könne er wieder an Gremiensitzungen teilnehmen und diese auch leiten. Die Krankenkasse habe den üblichen Zuschuss für Hörgeräte in Höhe von 967,31 EUR gezahlt, sich an den Kosten für die Sonderausstattung Mikro-Link aber nicht beteiligt. Die Gesamtkosten des Hörgeräts und des Mikro-Link betrügen abzüglich des Kassenanteils 5.182,69 EUR. Das Hörgerät mit Mikro-Link benötige er zur Sicherung seines derzeitigen Arbeitsplatzes; ohne dieses Gerät könne er seine Arbeit nur noch mit erheblichen Einschränkungen leisten.

Die Betriebsärztin W. der G. W. Stiftung zum Bruderhaus führte in einem Attest vom 24.6.2004 aus, der Kläger habe 1996 einen Hörsturz erlitten, in dessen Folge ein bleibender Tinnitus aufgetreten sei. Danach sei es zu Schwerhörigkeit gekommen, weshalb der Kläger seit etwa fünf Jahren Hörgeräte tragen müsse, um in seinem Beruf ohne Einschränkung tätig sein zu können. Als Dienststellenleiter in der Behindertenhilfe halte er täglich Besprechungen und Sitzungen mit bis zu 30 Teilnehmern ab und habe dabei große Verständigungsschwierigkeiten. Auch bei öfters anfallenden Fachtagungen könnten die Hörgeräte eine ungestörte Verständigung nicht mehr gewährleisten. Der Kläger habe deshalb eine Testreihe der Fa. P. absolviert und dabei ein Mikro-Link Gerät ausprobiert, das für seine berufliche Tätigkeit eine wesentliche Verbesserung erbracht habe. Aus arbeitsmedizinischer Sicht erscheine die Anschaffung dieses Geräts unumgänglich für die Funktion als Dienststellenleiter.

Mit Bescheid vom 22.11.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Leistungen, die ohne ihre vorherige Zustimmung begonnen oder durchgeführt würden, würden grundsätzlich nicht übernommen. Der Antrag sei so rechtzeitig zu stellen, dass ihr eine angemessene Frist zur Entscheidung verbleibe. Der am 18.10.2004 gestellte Antrag sei verspätet, da der Kläger die Hörhilfe bereits am 30.4.2004 angeschafft habe.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, er sei dem Grunde nach anspruchsberechtigt. Eine Rechtsvorschrift, wonach verspätete Anträge abzulehnen seien, gebe es nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.2.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ergänzend führte sie aus, gem. Nr. 4.6 ihrer Richtlinien vom 4.12.2002 müssten Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben so rechtzeitig gestellt werden, dass ihr eine angemessene Frist zur Entscheidung verbleibe. Kosten für Maßnahmen, die ohne ihre vorherige Zustimmung eingeleitet worden seien, würden nicht übernommen. Die Rechtzeitigkeit der Antragstellung sei in den Rehabilitations-Richtlinien festgelegt, weshalb insoweit kein Ermessen ausgeübt werden könne. Außerdem könne von einem aktuellen Rehabilitationsbedarf nur ausgegangen werden, solange dieser nicht gedeckt sei. Da der Kläger die Hörhilfe schon vor Antragstellung erworben habe, habe er ihr die Möglichkeit genommen zu prüfen, ob und welche Leistungen unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit am geeignetsten seien. Es obliege dem Versicherten, sich vor Antragstellung umfassend über die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen zu informieren.

Am 18.3.2005 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht R ... Ergänzend trug er vor, die Beklagte dürfe sich nicht auf die Rehabilitations-Richtlinien berufen. Diese seien für ihn nicht bindend. Die einschlägigen Gesetzesvorschriften verlangten nicht, dass der Antrag vor Inanspruchnahme der Leistung gestellt werden müsse. Die Beklagte könne die Leistungsvoraussetzungen auch im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit noch nach Anschaffung des Hörgeräts prüfen. Das entspreche dem Rechtsgedanken des § 15 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), der die Erbringung unaufschiebbarer und deshalb nicht rechtzeitig bewilligter Leistungen betreffe; entsprechendes sehe § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) vor. Der Bestimmung in § 115 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sei auch nur zu entnehmen, dass Leistungen zur Rehabilitation "in der Regel" auf Antrag gewährt würden. Die Krankenkasse habe ihn auf die Pflicht zur vorherigen Antragstellung nicht hingewiesen; das wäre spätestens dann notwendig gewesen, als der von ihm aufgesuchte Hörgeräteakustiker dort den Kostenantrag eingereicht habe. Eine entsprechende Pflichtverletzung müsse sich die Beklagte zurechnen lassen.

Die Beklagte trug ergänzend vor, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 15.3.1979, - 11 RA 34/78 -) seien Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben final ausgerichtet und zur Erhaltung des Arbeitsplatzes bestimmt; deshalb dürften sie nach Erreichen der Rehabilitation (hier mit dem Kauf der Hörhilfe) nicht mehr gewährt werden. Außerdem sei sie gem. § 13 Abs. 1 SGB VI verpflichtet, im Einzelfall über Art, Umfang und Durchführung der Leistung unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Damit sei sie "Herr der Leistungsgewährung" und müsse die Kosten für ohne ihre Zustimmung in Anspruch genommene Leistungen nicht nachträglich übernehmen.

Mit Gerichtsbescheid vom 16.2.2006 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB VI liege die Art und Weise der Erbringung von Rehabilitationsleistungen im Ermessen des Rentenversicherungsträgers. Unbeschadet der persönlichen und versicherungsrechtlichen Leistungsvoraussetzungen folge aus § 115 Abs. 1 SGB VI, wonach das Verfahren mit dem Antrag beginne, dass der (grundsätzlich notwendige) Leistungsantrag rechtzeitig und wirksam gestellt werden müsse. Nur dann könne der Rentenversicherungsträger prüfen, ob das Rehabilitationsziel mit anderen Mitteln erreicht werden könne, und welche Leistungen hierfür sinnvoll und zweckmäßig seien. Da der Kläger das Hörgerät schon vor Antragstellung erworben habe, habe die Beklagte den Antrag zu Recht als verspätet abgelehnt. Sie sei nicht verpflichtet, die Leistung von Amts wegen zu gewähren. Außerdem könne ein Rehabilitationsbedarf, der schon vor Antragstellung durch eigene Bemühungen des Versicherten befriedigt worden sei, nicht mehr Gegenstand einer Ermessensentscheidung über die Gewährung von Rehabilitationsleistungen sein. Die Beklagte sei nämlich kein bloßer Kostenträger, sondern dafür verantwortlich, dass die Leistungen entweder mit eigenen Mitteln oder durch Vertragseinrichtungen erbracht würden. Deshalb sei es nicht Ziel der Rehabilitationsleistungen, den Rehabilitationsträgern jegliche Kosten für die von den Versicherten aus eigener Initiative begonnenen Maßnahmen aufzuerlegen. Dies solle vielmehr erst nach Prüfung der Zweckmäßigkeit der gewünschten Maßnahmen geschehen (vgl. etwa SG Ulm, Urteil vom 25.5.2005, - S 6 R 2576/03 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Ein Eilfall liege hier nicht vor. Der Kläger könne sich auch nicht auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Die Krankenkassen seien nicht verpflichtet, Versicherte, die sich wegen der Verordnung von Hilfsmitteln an sie gewendet hätten, generell auf beim Rentenversicherungsträger rechtzeitig zu stellende Leistungsanträge (hier hinsichtlich von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) hinzuweisen. Leistungen dieser Art könnten nämlich nur bei Erfüllung persönlicher und versicherungsrechtlicher Voraussetzungen gewährt werden. Der Krankenversicherungsträger sei nur bei konkreten Anhaltspunkten für im Einzelfall in Betracht kommende Leistungen des Rentenversicherungsträgers zu entsprechenden Hinweisen verpflichtet. Eine umfassende Beratung über alle denkbaren Rehabilitationsmöglichkeiten müsse er nicht vornehmen.

Auf den ihm am 21.2.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.3.2006 Berufung eingelegt. Er trägt vor, die Krankenkasse hätte ihn im Rahmen der Bezuschussung seines Hörgeräts darauf hinweisen müssen, dass ihm bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zustünden. Er sei rechtlicher Laie, während die Krankenkasse entsprechend sachkundig sei. Man hätte ihm nur sagen müssen, er solle sich mit dem Rentenversicherungsträger wegen der weiteren Kostenübernahme unverzüglich in Verbindung setzen. Eine derart weitgehende und umfassende Beratungspflicht, insbesondere im Rahmen eines konkreten Antragsverfahrens ergebe sich aus den vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 25.10.1995 (SozR 5070 § 10 Nr. 30) aufgestellten Grundsätzen. Im Rahmen einer Spontanberatung müsse der Sozialleistungsträger offensichtlichen Beratungsbedarf zur Kenntnis nehmen und zumindest auf die entsprechenden Beratungsmöglichkeiten durch andere Leistungsträger hinweisen. Dem Ratsuchenden müssen im konkreten Einzelfall der Weg aufgezeigt werden, um zur gesetzlich vorgesehenen Leistung zu gelangen (BSGE 54,62). Er könne sein Begehren deshalb auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.2.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 17.2.2005 zu verurteilen, ihm Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines Mikro-Link-Hörgeräts in Höhe von 5.182,69 EUR) zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend trägt sie vor, ihre Richtlinien seien im amtlichen Veröffentlichungsblatt "Die Angestelltenversicherung" bekannt gemacht, wodurch sie ihrer Pflicht zur allgemeinen Aufklärung der Bevölkerung (§ 13 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, SGB I) erfüllt habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Kosten für das vom Kläger beschaffte Mikro-Link-Hörgerät (in Höhe von 5.182,69 EUR) zu übernehmen. Er hat darauf keinen Anspruch.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs sind die §§ 9 ff. SGB VI. Gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erbringt die Beklagte (u.a.) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (wozu vorliegend auch die Gewährung einer zur Berufsausübung notwendigen Hörhilfe zählen kann) sowie ergänzende Leistungen, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden (Nr. 1) und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern (Nr. 2). Die Leistungen können erbracht werden, wenn die in § 10 und 11 SGB VI festgelegten persönlichen und versicherungsrechtlichen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VI). Nach § 13 Abs. 1 SGB VI bestimmt der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistung nach pflichtgemäßem Ermessen.

Hinsichtlich der so genannten "Eingangsprüfung", also der Prüfung des "Ob" der Rehabilitation, steht dem Rentenversicherungsträger Ermessen nicht zu. Ergibt die Eingangsprüfung, dass die Leistungsvoraussetzungen (insbesondere der §§ 10 ff. SGB VI) erfüllt sind, ist gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) nach pflichtgemäßem Ermessen über das "Wie" der Rehabilitation zu entscheiden. Hierauf hat der Versicherte einen Rechtsanspruch (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I); er hat jedoch keinen Anspruch auf eine bestimmte Leistung (dazu etwa BSG, Urt. v. 16.11.1993, - 4 RA 22/93 -, SozR 3-5765 § 10 Nr. 1). Die gerichtliche Kontrolle der ergangenen Ermessensentscheidung beschränkt sich nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG auf die Prüfung, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Beides ist hier nicht der Fall. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für das vor Antragstellung selbst beschaffte Hörgerät vielmehr ermessensfehlerfrei abgelehnt.

Gem. § 19 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) SGB werden Leistungen (u.a.) der gesetzlichen Rentenversicherung auf Antrag erbracht, soweit nichts Abweichendes geregelt ist. § 115 Abs. 1 SGB VI bestimmt ergänzend, dass das Verfahren beim Rentenversicherungsträger grundsätzlich mit dem Antrag beginnt. Abweichend davon können gem. § 115 Abs. 4 SGB VI (u.a.) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch von Amts wegen erbracht werden, wenn der Versicherte zustimmt; die Zustimmung gilt als Leistungsantrag.

Das Antragserfordernis, das nach der Rechtsprechung des BSG nicht zu den Eingangsvoraussetzungen im vorstehend beschriebenen Sinn gehört, vielmehr im Rahmen der Ermessensentscheidung von Belang ist (anders etwa KassKomm-Niesel, SGB VI § 13 Rdnr. 5, 11), hat nicht nur verfahrensrechtliche, sondern auch materiell-rechtliche Bedeutung. Der Sozialleistungsanspruch entsteht bei Ermessensentscheidungen gem. § 40 Abs. 2 SGB I nämlich erst im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe. Die Leistungsbewilligung ist als mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt daher so lange schwebend unwirksam, bis der Antrag (bzw. gem. § 115 Abs. 4 SGB VI die ausnahmsweise genügende Zustimmung des Rentenversicherungsträgers) bei der zuständigen Stelle eingegangen ist. Das BSG hat hierzu in seinem Urteil vom 16.11.1993 (a. a. O.) weiter ausgeführt, dass der Rehabilitationsantrag bzw. die ihm ausnahmsweise gleichgestellte Zustimmung (§ 115 Abs. 4 SGB VI) Rechtswirkungen somit grundsätzlich nur für die Zukunft haben. Die Ermessensentscheidung des Rentenversicherungsträgers über die Gewährung von Rehabilitationsleistungen ist eine zukunftsorientierte, mit prognoseähnlichen Elementen vermischte und die Umstände des Einzelfalles abwägende, Entscheidung. In ihr wird bestimmt, welche Maßnahmen im konkreten Fall zur Verwirklichung der beim Versicherten festgestellten Rehabilitationschance geeignet, erforderlich, zumutbar, wirtschaftlich und sparsam sind und vom Versicherungsträger deswegen nach dem Naturalleistungsprinzip durchgeführt werden müssen. Ein Rehabilitationsbedarf, der bereits vor Eingang des Antrags/der Zustimmung beim Rentenversicherungsträger durch eigene Bemühungen des Versicherten (so genannte selbstbeschaffte Rehabilitation) oder durch Leistungen anderer befriedigt worden ist, kann nicht Gegenstand einer Ermessensentscheidung über die Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation sein. Denn der Rentenversicherungsträger ist kein bloßer "Kostenträger", sondern das verantwortliche Rechtssubjekt, das die Leistungen entweder mit eigenen Mitteln oder durch Vertragseinrichtungen erbringt (BSG, a. a. O.).

Die Beklagte legt der Entscheidung über die Gewährungen von Rehabilitationsleistungen Richtlinien zugrunde, die zwar keine Rechtsnormen sind und die Gerichte bei der Auslegung des Gesetzes daher nicht binden. Sie haben grundsätzlich nur verwaltungsinterne Bedeutung, können als Ermessensrichtlinien aber ggf. eine Selbstbindung der Beklagten bewirken (vgl. etwa KassKomm-Niesel, SGB VI § 13 Rdnr. 10). Hier hat sich die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens auf eine Richtlinienbestimmung gestützt, wonach Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben so rechtzeitig gestellt werden müssen, dass dem Leistungsträger eine angemessene Frist zur Entscheidung verbleibt, und wonach Kosten für ohne vorherige Zustimmung eingeleitete Maßnahmen nicht übernommen werden (Nr. 4.6 der Richtlinien vom 4.12.2002). Diese Maßgaben stehen nach dem Gesagten in Einklang mit den gesetzlichen Anforderungen an die Gewährung von Rehabilitationsleistungen. Daher ist es auch nicht ermessensfehlerhaft, wenn sich die Beklagte, wie hier, auf die (am 18.10.2004 erfolgte) verspätete Antragstellung durch den Kläger, der das Hörgerät zuvor (am 30.4.2004) bereits selbst beschafft hatte, beruft (BSG, Urt. v. 8.9.1982, - 5b RJ 18/81 -, BSGE 54,91; BSG, Urt. v. 16.11.1993, a. a. O.).

Die Regelungen in § 15 SGB IX und § 13 Abs. 3 SGB V bzw. die darin zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken können dem Kläger nicht weiter helfen. Zwar ist auch bei vor Antragstellung selbst beschafften Rehabilitationsleistungen die nachträgliche Kostenerstattung nicht ausnahmslos unzulässig. Das folgt schon daraus, dass in der Rentenversicherung im Bereich des Rechts der Rehabilitationsleistungen das Sachleistungsprinzip nicht uneingeschränkt gilt; so werden bspw. in der Kraftfahrzeughilfe Leistungen der beruflichen Rehabilitation als reine Zuschusszahlungen erbracht. Allerdings kann die Kostenerstattung ohne vorherigen Antrag im Hinblick auf den Rechtsgedanken der §§ 15 SGB IX, 13 Abs. 3 SGB V und im Hinblick auf das dem Leistungsträger für das "Wie" der Leistung zustehende Ermessen nur bei unvorhersehbaren und unaufschiebbaren Leistungen in Betracht kommen (vgl. dazu etwa KassKomm-Niesel, SGB VI § 115 Rdnr. 12, 13). Davon kann hier bei der Beschaffung des Hörgerätes aber keine Rede sein. Es ist nichts dafür ersichtlich oder geltend gemacht, weshalb es dem Kläger nicht zumutbar gewesen wäre, vor Anschaffung des - bereits eine Zeit lang ausprobierten - Hörgeräts bei der Beklagten einen entsprechenden Antrag zu stellen.

Schließlich hat das Sozialgericht auch zu Recht angenommen, dass der Kläger sein Begehren nicht auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen kann, da es schon an einem - der Beklagten zuzurechnenden - Beratungsfehler der Krankenkasse (§ 14 SGB I) fehlt. Diese war nicht verpflichtet, den Kläger, der sich wegen der Verordnung von Hilfsmitteln (§ 33 SGB V) an sie gewandt hatte, allgemein und umfassend über vom Rentenversicherungsträger für das Hörgerät möglicherweise zu erbringende (Zuschuss-)Leistungen der beruflichen Rehabilitation und die dafür geltenden Voraussetzungen zu beraten oder ihn zu einer entsprechenden Ratsuche aufzufordern. Ein Anlass dafür bestand für die Krankenkasse nicht. Vielmehr wäre es Sache des (als stellvertretender Leiter eines Wohnbereichs der Behindertenhilfe auch nicht gänzlich sachunkundigen) Klägers gewesen, mit dem Begehren nach Leistungen der beruflichen Rehabilitation an die Beklagte heranzutreten und sich dort ggf. nach den Leistungsvoraussetzungen zu erkundigen. Den vom Kläger angeführten Entscheidungen des BSG (vom 25.10.1985, SozR 5070 § 10 Nr. 30 und 12.8.1982, BSGE 54,54) kann der Senat anderes nicht entnehmen. Sie betreffen die Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen bei einer objektiv unrichtigen Information bzw. das Betreiben einer Rehabilitation durch den Versicherten selbst bei rechtswidriger Nichtgewährung der Maßnahme und sind vorliegend nicht einschlägig.

Das Sozialgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung des Klägers erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved