L 3 R 3799/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 5023/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 3799/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1.2.1957 geborene Kläger erwarb in der ehemaligen DDR den Facharbeiterbrief im Ausbildungsberuf Maurer, der von der Handwerkskammer Stuttgart als gleichwertig mit dem Gesellenprüfungszeugnis im Maurer-Handwerk anerkannt wurde. Zuletzt arbeitete der Kläger als Chemiearbeiter und Fußbodenbeschichter.

Am 1.9.2003 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die hierauf von der Beklagten veranlasste orthopädische, nervenärztliche und internistische Begutachtung (zusammenfassende Würdigung Dr. R. vom 14.4.2004) erbrachte eine Zervicobrachialgie beidseits bei Bandscheibenvorfall C 5/6 und 6/7, ein Lumbalsyndrom bei Zustand nach Operation einer Wirbelkanalenge, eine Periarthropathia der Schultern mit beginnenden degenerativen Veränderungen, eine ulnare Epicondylopathia sowie eine Somatisierung mit einem mehr als sechsstündigen Leistungsvermögen für leichte und zumindest zeitweise mittelschwere Arbeiten bei Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 19.4.2004 ab und wies den hiergegen auch unter Berufung auf Berufsschutz als Facharbeiter erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8.11.2004 und unter Verweisung des Klägers auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zurück.

Dagegen hat der Kläger am 6.12.2004 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben, mit der er sein Rentenbegehren weiterverfolgt hat.

Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Der Neurologe und Psychiater K. hat in seiner Auskunft vom 31.3.2005 psychiatrischerseits eine Leistungseinschränkung im Bereich der Konzentration angenommen, den Schwerpunkt der leistungseinschränkenden Befunde jedoch auf orthopädischem Fachgebiet gesehen und dieses Fachgebiet auch zur Beurteilung des zeitlichen Restleistungsvermögens als maßgebend betrachtet. Die psychischen Befunde seien sekundär und Folge der ausgeprägten Schmerzsymptomatik.

Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. I. vom 18.5.2005. Darin im Wesentlichen erhoben worden sind Bandscheibenschäden im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule mit dem Erfordernis der Vermeidung von schweren körperlichen Tätigkeiten mit dem Heben und Tragen von Lasten über 12 kg, von Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen, in vornüber gebeugter Körperhaltung, von Überkopfarbeiten und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Im Übrigen könnten leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig verrichtet werden. Betriebsunübliche Arbeitsbedingungen seien nicht zu fordern und die Wegefähigkeit sei nicht relevant eingeschränkt.

Das SG hat die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.5.2006 durch Urteil vom selben Tag abgewiesen.

Es hat unter Darstellung der für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften sowie unter Darstellung der Grundsätze zum Berufsschutz entschieden, dass der als einfach angelernter Arbeiter einzustufende und damit breit verweisbare Kläger die ihm somit noch zumutbaren - unbenannten - leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden am Tag verrichten könne. Gefolgt werde den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten sowie dem Sachverständigengutachten von Dr. I ... Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 13.7.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.7.2006 Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren wiederum unter Geltendmachung von Berufsschutz als Facharbeiter und unter Berufung auf das orthopädische Sachverständigengutachten von Dr. I., welches die Zumutbarkeit der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Fußbodenbeschichter im erforderlichen zeitlichen Umfang verneint habe, weiterverfolgt hat.

Der Senat hat für den Fall der Zuerkennung von Berufsschutz als Facharbeiter als in Betracht kommende Verweisungstätigkeiten die eines Registrators und Poststellenmitarbeiters nebst Anforderungsprofil in das Verfahren eingeführt und hat auf den Hinweis des Klägers auf eine arbeitsamtsärztliche Begutachtung von der Agentur für Arbeit Pforzheim das ärztliche Gutachten vom 19.12.2005 mit einem darin bescheinigten vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten mit weiteren qualitativen Leistungseinschränkungen beigezogen (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 31/33 der LSG-Akte Bezug genommen).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2004 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, weil er auch zur Überzeugung des Senats noch in der Lage ist, leichte und ihm sozial zumutbare Tätigkeiten mindestens sechs Stunden am Tag zu verrichten.

Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Was das körperliche Restleistungsvermögen des Klägers, anbelangt stützt der Senat seine Überzeugung von einem quantitativ nicht rentenrechtlich relevant eingeschränkten Leistungsvermögen in erster Linie ebenfalls auf das Sachverständigengutachten von Dr. I ... Danach bedingen die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen lediglich die Beschränkung auf noch leichte körperliche Tätigkeiten unter Beachtung der weiteren, in dem Sachverständigengutachten im Einzelnen aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen. Die von Dr. I. vorgenommene Leistungsbeurteilung ist nach den erhobenen Befunden, bei kritischer Würdigung und der gebotenen Anlegung eines strengen Maßstabes für den Senat schlüssig und nachvollziehbar, weshalb er ihr folgt. Diese Leistungseinschätzung steht zudem im Ergebnis im Einklang mit den Feststellungen anlässlich der Begutachtung im Verwaltungsverfahren und letztlich auch mit denjenigen anlässlich der Begutachtung durch die Arbeitsverwaltung und wird mit der Berufung im Übrigen auch nicht angefochten.

Psychische Befunde werden mit der Berufungsbegründung nicht vorgebracht. Der insoweit vom SG befragte Nervenarzt hat auch nicht die nervenärztlichen, sondern die orthopädischen Befunde im Vordergrund gesehen und hat auch ausdrücklich das orthopädische Fachgebiet als für die Bestimmung des zeitlichen Leistungsvermögens maßgebend angesehen. Unter Berücksichtigung der Antwort zu Frage 3 auszuschließen sind allenfalls Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die Konzentration, was wiederum im Ergebnis im Wesentlichen im Einklang steht mit den Feststellungen im ärztlichen Gutachten der Arbeitsverwaltung. Dafür, dass nervenärztlicherseits keine weitergehende und insbesondere keine zeitliche Leistungseinschränkung besteht, spricht auch das im Verwaltungsverfahren eingeholte nervenärztliche Gutachten.

Anders als das SG lässt der Senat offen, ob der Kläger Berufsschutz als Facharbeiter genießt, weil es auch für diesen Fall objektiv und subjektiv zumutbare Verweisungstätigkeiten für ihn gibt.

Der Kläger kann dann nämlich subjektiv (sozial) zumutbar auf die Anlerntätigkeit eines Registrators im öffentlichen Dienst in der Vergütungsgruppe VIII BAT verwiesen werden.

In diese Vergütungsgruppe sind "Angestellte im Büro -, Registratur-, ... sonstigen Innendienst ... mit schwieriger Tätigkeit ..." eingruppiert (vgl. hierzu und zur zumutbaren Verweisbarkeit eines zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters gehörenden Berufskraftfahrers auf die Tätigkeit eines Registrators BSG vom 27.11.1991 - 5 RJ 91/89 - und allgemein BSG vom 12.9.1991 - 5 RJ 34/90 - sowie zur Verweisung eines Maurer-Facharbeiters auf die Tätigkeit eines Registrators Urteil des erkennenden Senats vom 19.11.2003 - L 3 RJ 2583/03 -).

Diese Tätigkeit ist ihm mit seinem Restleistungsvermögen auch objektiv (gesundheitlich) zumutbar. Nach der vom Senat in das Verfahren eingeführten berufskundlichen Stellungnahme des - damaligen - Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg vom 16.8.2000 handelt es sich bei der Tätigkeit eines Registrators um eine Tätigkeit, die auch im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ausgeübt wird und in der Regel lediglich mit leichten Arbeiten verbunden ist. In diesem Rahmen kann zwar das Heben und Tragen von Lasten (Aktenvorgänge, Poststücke) grundsätzlich nicht vermieden werden, es können dabei im Einzelfall durchaus Lasten von über 5 kg bis zu 10 kg zu bewegen sein, im Einzelfall können auch Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten häufig nicht vermieden werden und - je nach Registratur - können durchaus auch Arbeiten auf Leitern vorkommen. Für den Senat ist letztlich jedoch die berufskundliche Einschätzung maßgebend, dass die körperliche Belastung insgesamt auch weitgehend von der jeweiligen Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsorganisation abhängt. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das Bewegen von Lasten von über 5 kg bis zu 10 kg, Zwangshaltungen und das Arbeiten auf Leitern nicht generell und in allen Fällen mit der Tätigkeit eines Registrators verbunden sind. Dies deckt sich im Übrigen mit den Kenntnissen des Senats über die Tätigkeit eines Registrators z.B. bei einem Gericht, die damit aus berufskundlicher Sicht bestätigt wurden. Besondere oder sehr hohe Anforderungen an das Konzentrationsvermögen werden im Rahmen einer solchen Tätigkeit ebenfalls nicht gefordert.

Schließlich erfüllt diese Verweisungstätigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch die höchstrichterlich vorgegebene Voraussetzung, dass auf eine Tätigkeit nur verwiesen werden darf, wenn die für sie notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erworben werden können (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 23). Denn nach der erwähnten berufskundlichen Stellungnahme beträgt die Anlernzeit/Einarbeitungszeit üblicherweise nicht länger als drei Monate. Sie hängt dabei zwar auch von den jeweiligen persönlichen Fähigkeiten ab, ist aber weitgehend von Vorkenntnissen unabhängig. Es handelt sich nämlich um eine einfache Anlerntätigkeit, für die keinerlei besondere Ausbildung erforderlich ist.

Da also die für die Ausübung einer Registratorentätigkeit erforderliche Einarbeitungszeit weitgehend von Vorkenntnissen unabhängig ist (und damit auch von EDV- und Verwaltungsgrundkenntnissen), kann die Tatsache, dass der Kläger vorliegend über solche Vorkenntnisse möglicherweise nicht verfügt, im Ergebnis nicht dazu führen, dass er sich auf eine längere und damit nach der Rechtsprechung nicht mehr zumutbare Einarbeitungszeit berufen kann. Dass beim Kläger - von Vorkenntnissen abgesehen - sonst eingeschränkte persönliche Fähigkeiten vorliegen, die eine längere Einarbeitungszeit begründen, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.

In Betracht kommt ferner die Verweisung auf gehobene Büro- (Hilfs-) Tätigkeiten der Vergütungsgruppe VIII BAT. Diese dem Bereich der angelernten Tätigkeiten zuzuordnenden Bürotätigkeiten sind einem Facharbeiter grundsätzlich zumutbar (Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26.6.1995 - L 2 I 248/94 -). Dazu gehört z. B. die Tätigkeit eines Mitarbeiters in der Poststelle der Verwaltungsabteilung - Allgemeine Verwaltung -.

Diese Tätigkeit umfasst folgende Aufgaben: Öffnen der eingegangenen Post und Anbringung des Eingangsstempels, Verteilen der Post auf die Abteilungen und Referate entsprechend dem Sachverhalt, Richten von abgehenden Sammelsendungen, Kuvertieren der abgehenden Briefpost und Verpacken der Paketsendungen, Bedienen des Freistemplers entsprechend der Aufgabeneinteilung durch den Bearbeiter, Erfassung der Einschreibesendungen entsprechend der Aufgabeneinteilung durch den Bearbeiter und Beförderung der Post, entsprechend der Anweisung des Bearbeiters, von und zum Postamt mit anstaltseigenem Fahrzeug.

Es handelt sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die im Wechsel zwischen Gehen, Sitzen und Stehen ausgeübt werden kann. Zwar müssen in der Poststelle der Verwaltungsabteilung Pakete oder Körbe mit Postsendungen gehoben oder getragen werden, die 5 kg oder mehr wiegen. Solche Transporttätigkeiten sind jedoch nicht typisch für die Tätigkeit in der Poststelle, weil der Transportdienst von und zum Postamt sowie innerhalb der Poststelle nur von wenigen, und zwar speziell hierfür bestimmten Mitarbeitern wahrgenommen wird. Die Mehrheit der Mitarbeiter der Poststelle ist hingegen ausschließlich mit dem Fertigmachen der auslaufenden Post und mit der Bearbeitung der eingehenden Post betraut, so dass die zu verrichtenden Aufgaben nicht den Schweregrad leichter körperlicher Tätigkeiten übersteigen (Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26.5.1997 - L 2 I 47/95 - mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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