L 4 P 5487/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 P 2040/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 5487/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. November 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin ab Dezember 2003 Pflegegeld nach Pflegestufe I im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) zusteht.

Die am 1934 geborene verheiratete Klägerin ist bei der AOK Baden-Württemberg freiwillig krankenversichert und bei der Beklagten daher pflegepflichtversichert. Sie bewohnt mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus. Im Erdgeschoss befindet sich der Wohnbereich mit Toilette und Küche. Im ersten Obergeschoss liegen das Schlafzimmer sowie zwei Badezimmer. Ferner befindet sich im Untergeschoss (Kellerbereich) des Hauses ein Schwimmbad mit Massagedüsen. Die Klägerin erlitt im Juni 1998 einen Stammganglieninsult rechts. Wegen einer deswegen bestehenden armbetonten progressiven Hemiparese links gewährte die Beklagte der Klägerin aufgrund eines Antrags vom 22. Januar 1999 nach Erhebung eines Gutachtens des Internisten Dr. K. und der Pflegefachkraft H. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg in O. vom 25. Februar 1999 (Hilfebedarf bei der Grundpflege täglich 72 Minuten) mit Bescheid vom 15. März 1999 ab 01. Januar 1999 Pflegegeld nach Pflegestufe I. Die Beklagte bezuschusste auch Umbaumaßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfelds der Klägerin. Für die Tochter der Klägerin als Pflegeperson leistete sie Beiträge zur Rentenversicherung. Die Voraussetzungen der Pflegestufe I wurde auch noch im Gutachten des Arztes für Chirurgie, Unfallchirurgie Dr. W. vom 17. September 1999, wobei die linksseitige Hemiparese rückläufig war, bestätigt (täglicher Hilfebedarf bei der Grundpflege von 56 Minuten), weshalb die Beklagte mit Bescheid vom 28. September 1999 die Weitergewährung des Pflegegelds ebenfalls bestätigte. Am 13. September 2000 ging bei der Beklagten ein Pflegebericht ein. Im Nachprüfungsgutachten des Dr. R. und der Pflegefachkraft H. vom MDK, erstattet aufgrund einer Untersuchung in der häuslichen Umgebung der Klägerin am 24. November 2000, vom 01. Dezember 2000 wurde nur noch ein Hilfebedarf bei der Grundpflege von täglich 34 Minuten festgestellt. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 19. Dezember 2000 stellte die Beklagte danach die Zahlung von Pflegegeld zum 31. Dezember 2000 ein.

Am 08. Dezember 2003 beantragte die Klägerin bei Angabe von Hilfebedarf bei der Körperpflege und bei der Ernährung erneut Pflegegeld; Pflegeperson sei die beschäftigte Haushaltshilfe bzw. die Tochter. Die Beklagte erhob daraufhin ein Gutachten der Pflegefachkraft K. vom MDK, das nach einer in der häuslichen Umgebung der Klägerin durchgeführten Untersuchung vom 26. Januar 2004 am 02. Februar 2004 erstattet wurde. In diesem Gutachten wurden als pflegebegründende Diagnosen eine Mobilitätseinschränkung bei leichter Resthemiparese links sowie eine chronische Insuffizienz des linken Beines mit Gangunsicherheit genannt und ein täglicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von insgesamt 21 Minuten festgestellt (Körperpflege 12 Minuten, Ernährung 1 Minute und Mobilität 8 Minuten). Mit Bescheid vom 03. Februar 2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Pflegegeld ab. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch reichte die Klägerin eine Hilfebedarfsermittlung vom 18. Februar 2004 ein und machte geltend, in dem häuslichen Schwimmbad versuche sie, täglich eine halbe bis eine Stunde zu schwimmen. Dies tue ihr sehr gut, da sie auch eine Unterwassermassage erhalte. Sie könne dies jedoch nur tun, wenn sie durch ihre Tochter beaufsichtigt werde. D.h. eine Person müsse anwesend sein. Als dies vor einem Jahr nicht der Fall gewesen sei, sei sie gestürzt und sei deswegen im Krankenhaus gewesen. Falls diese täglichen Schwimmübungen nicht möglich wären, müsste sie wieder zur täglichen Krankengymnastik nach Lahr begleitet werden. Die Pflegefachkraft S. vom MDK führte im daraufhin von der Beklagten nach Aktenlage erhobenen Gutachten vom 02. März 2004 aus, unter Zugrundelegung der vorliegenden Korridorzahlen ergebe sich ein Hilfebedarf von 33 Minuten täglich im grundpflegerischen Bereich. Mit Widerspruchsbescheid des Pflegekassen-Widerspruchsausschusses der Beklagten vom 18. Mai 2004 wurde der Widerspruch unter Verweis auf die übereinstimmenden Gutachten des MDK zurückgewiesen.

Deswegen erhob die Klägerin am 15. Juni 2004 beim Sozialgericht (SG) Freiburg Klage. Sie benannte die sie behandelnden Ärzte und beschrieb den Tagesablauf sowie die dabei erforderlichen Hilfeleistungen. Daraus ergebe sich, dass bei ihr erhebliche Pflegebedürftigkeit vorliege, weil sie bei der Körperpflege, der Ernährung und auch bei der Mobilität mehrfach täglich auf fremde Hilfe angewiesen sei. Bei ihr sei krankheitsbedingt täglich Schwimmen und Unterwassermassage erforderlich. Sie sei jedoch nicht in der Lage, alleine die Treppen zum Schwimmbad im Kellerbereich zurückzulegen. Sie müsse insoweit begleitet und gestützt werden. Der tägliche Hilfebedarf liege bei mindestens vier Stunden, wobei die Grundpflege einen Hilfebedarf von ebenfalls mehr als 60 Minuten in Anspruch nehme. In dem vom Arzt für Allgemeinmedizin Dr. M. erstatteten Sachverständigengutachten, in dem ein Hilfebedarf bei der Grundpflege von täglich 40 Minuten angenommen werde, seien nicht alle maßgebenden Verrichtungen im Bereich der Grundpflege, bei denen sie Hilfe bedürfe, berücksichtigt worden. Bei ihr sei auch das notwendige An- und Ablegen von Kompressionsstrümpfen im Zusammenhang mit dem An- und Auskleiden zu berücksichtigen. Insoweit ergebe sich ein weiterer täglicher Hilfebedarf von sechs Minuten. Ferner stelle der Sachverständige beim An- und Auskleiden nicht den Umstand in Rechnung, dass sie beim täglichen Gang in den Keller zum Schwimmbad Hilfe auch beim An- und Auskleiden sowie beim Ein- und Aussteigen in das Schwimmbad benötige. Diese Hilfe sei berücksichtigungsfähig, da das tägliche Schwimmen nicht nur medizinisch wünschenswert, sondern notwendig sei. Das Schwimmen diene als Ersatz für die ansonsten notwendige mehrfache wöchentliche Lymphdrainage im Therapiezentrum Z. in L ... Zwar seien bei ihr derzeit keine wöchentlich wiederkehrenden Therapien oder Arztbesuche außerhalb des häuslichen Bereichs erforderlich. Diese Termine würden jedoch durch das tägliche Schwimmen kompensiert, weshalb der Hilfebedarf dabei auch zu berücksichtigen sei. Weiter sei ein Zeitaufwand für die einmal wöchentliche Nagelpflege sowie ein höherer Zeitaufwand für die Unterstützung beim Ausstieg aus der Dusche von zwei Minuten (statt einer Minute), für die mundgerechte Zubereitung der Hauptmahlzeit sowie wegen des Übergewichts für das Duschen erforderlich. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten entgegen. Auch der Sachverständige Dr. M. habe im Ergebnis bestätigt, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht mehr erfüllt seien. Im Übrigen seien jedoch die von Dr. M. gewählten Zeitansätze für die notwendigen Verrichtungen im Bereich der Grundpflege im Hinblick auf die Richtwerte der Begutachtungs-Richtlinien (BR) als deutlich zu hoch angesetzt anzusehen. Angesichts der deutlich überhöhten Zeitansätze komme es im Ergebnis nicht darauf an, ob der Sachverständige zu den deutlich überhöhten Zeitansätzen für das An- und Auskleiden gekommen sei, weil er bereits bei diesen Zeitansätzen das Anlegen der Kompressionsverbände berücksichtigt habe und deshalb einen doppelt so hohen wie den als angemessen anzusehenden Zeitansatz gewählt habe, oder, wie von der Klägerin geltend gemacht, hierfür ein zusätzlicher Zeitansatz von sechs Minuten in Ansatz zu bringen sei. Das tägliche Schwimmen sei sicherlich für das allgemeine Wohlbefinden der Klägerin als äußerst positiv anzusehen; dies sei jedoch der allgemeinen Lebensführung zuzurechnen und könne genau so wenig wie ein täglicher Spaziergang im Bereich der Grundpflege berücksichtigt werden. Ein hypothetischer Zeitaufwand für einen tatsächlich nicht vorliegenden wöchentlichen Arztbesuch oder eine wöchentliche Lymphdrainage könne nicht berücksichtigt werden. Soweit die Versicherte in der Lage sei, durch eigene Vorkehrungen derartige Maßnahmen zu verhindern, sei ihr dies zuzumuten.

Das SG holte das Sachverständigengutachten des Dr. M. vom 22. Oktober 2004 ein, auf das verwiesen wird. Mit Gerichtsbescheid vom 29. November 2005, der der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 23. Dezember 2005 zugestellt wurde, hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 03. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2004 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab Dezember 2003 Pflegeleistungen nach Pflegestufe I zu gewähren. Es führte aus, bei der Klägerin bestehe ein täglicher Grundpflegebedarf von 46 bis 50 Minuten; zu dem Zeitbedarf von 40 Minuten pro Tag, den der Sachverständige Dr. M. festgestellt habe, komme ein weiterer Zeitbedarf von wenigstens sechs bis zehn Minuten pro Tag für das morgendliche Anlegen der Kompressionsverbände bei erheblicher chronisch-venöser Insuffizienz der Unterschenkel, verbunden mit deutlicher Schwellneigung. Die Hilfe beim Anlegen der Kompressionsverbände, die medizinisch notwendig sei, erfolge im Zusammenhang mit dem endgültigen Anziehen der Tageskleidung der Klägerin nach dem täglichen Besuch ihres Schwimmbads. Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 23. Dezember 2005 mit Fernkopie Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie wiederholt ihre Einwendungen gegen die überhöhten Zeitansätze im Sachverständigengutachten des Dr. M ... Dieser bestätige beispielsweise lediglich die Notwendigkeit einer Teilhilfe insbesondere beim Rückenwaschen und beim Trocknen der Füße; dennoch setze der Sachverständige einen Hilfebedarf von täglich 20 Minuten an, obwohl nach den Orientierungswerten der BR selbst für eine vollständige Übernahme lediglich ein Wert von 15 bis 20 Minuten angenommen werde. Diese erhebliche Abweichung nach oben sei nicht nachvollziehbar. Diese Abweichung liege auch nicht im Rahmen eines gutachterlichen Ermessens, wie das SG annehme, zumal es selbst davon ausgehe, dass die Zeitansätze für das Duschen zu hoch bemessen seien. Es gehe daher nicht an, zu dem Zeitwert von 40 Minuten noch einen täglichen Hilfebedarf für das Anlegen der Kompressionsstrümpfe hinzuzurechnen. Insgesamt könne das Sachverständigengutachten des Dr. M. nicht als Grundlage für die Verurteilung zur Gewährung von Leistungen nach Pflegestufe I dienen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. November 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Es habe zusätzlich zu dem von Dr. M. festgestellten Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege noch mindestens sechs bis zehn Minuten pro Tag für das An- und Ablegen der Kompressionsverbände berücksichtigt. Insoweit sei Dr. M. zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich dabei lediglich um eine Verrichtung der Behandlungspflege gehandelt habe, die bei der Berücksichtigung des Grundpflegebedarfs nicht in Ansatz zu bringen sei. Bei dem Kompressionsverband handle es sich um eine elastische Binde, die mehrfach verwendet werden könne. Soweit der Sachverständige Dr. M. seine gutachterliche Einschätzung in der ergänzenden Stellungnahme vom 23. April 2006 korrigiert habe, sei dies nicht überzeugend. Er habe nicht den Nachweis geführt, dass der seinerzeit ermittelte Hilfebedarf unrichtig gewesen sei. Zwar würden seit September 2003 nur noch in unregelmäßigen Abständen Praxisbesuche bei der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. F. durchgeführt. Seit Dezember 2003 finde auch keine außer Haus verordnete Krankengymnastik oder Massage statt. Bei solchen Terminen außer Haus wäre sie an sich auf Begleitung angewiesen. Ab Dezember 2003 sei auf Anraten der Hausärztin die Krankengymnastik bzw. Massage im hauseigenen Swimmingpool durchgeführt worden, denn dieser verfüge über eine sog. Jet-Steam-Anlage mit Massagedüsen. Die Unterwassermassage finde täglich von 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr statt. Durch diese Unterwassermassage werde die Krankengymnastik bzw. normale Massage ersetzt und es könne auf eine sonst medizinisch notwendige mehrfach wöchentlich durchzuführende Lymphdrainage verzichtet werden. Daher sei der Hilfebedarf für einen wöchentlichen Arztbesuch bzw. die Hilfeleistung beim Treppensteigen zur Benutzung des Schwimmbades sowie der weitere Hilfebedarf beim An- und Ausziehen im Zusammenhang mit dem Aufsuchen und Verlassen des Schwimmbades zu berücksichtigen. Da sich aus der vorgelegten Bescheinigung der Dr. F. im Übrigen ergebe, dass bei ihr seit Oktober 2006 ein behandlungsbedürftiger Diabetes mellitus Typ II als weitere chronische Erkrankung hinzugekommen sei, sei jedenfalls davon auszugehen, dass ab Januar 2006 die Voraussetzungen der Pflegestufe I vorlägen. Die Klägerin hat auch weitere Bescheinigungen der Dr. F. vom 03. März und 22. Dezember 2006, ferner eine am 29. November 2006 eingegangene Bescheinigung, sowie einen Arztbrief der Phlebologin Dr. W. vom 04. November 1997 vorgelegt.

Der Berichterstatter des Senats hat eine schriftliche Auskunft als sachverständige Zeugin der Dr. F. vom 07. März 2006 sowie eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. M. vom 23. April 2006 erhoben. Ferner hat der Berichterstatter des Senats ein Sachverständigengutachten der Diplom-Gerontologin R. vom 03. Oktober 2006 eingeholt, das diese aufgrund einer Untersuchung der Klägerin in ihrer häuslichen Umgebung am 28. September 2006 erstattet hat. Auf die Auskünfte sowie die gutachterlichen Stellungnahmen wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig. Sie ist auch begründet.

Der Klägerin steht weder ab Dezember 2003 noch ab einem späteren Zeitpunkt, wie von ihr geltend gemacht beispielsweise ab Januar 2006, Pflegegeld nach Pflegestufe I im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI zu, weil der zeitliche Umfang der erforderlichen Grundpflege den dafür maßgebenden Wert von mehr als 45 Minuten pro Tag nicht erreicht. Deswegen ist der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 03. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2004, mit dem die Beklagte die Leistung abgelehnt hat, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das SG hätte der Klage nicht stattgeben dürfen.

Der Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe I (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB XI) verlangt erhebliche Pflegebedürftigkeit nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI, die bei Personen vorliegt, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung bedürfen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Die für die Grundpflege zu berücksichtigenden Katalogverrichtungen sind nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung (Nr. 1), im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung (Nr. 2) und im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassung und Wiederaufsuchen der Wohnung (Nr. 3). Orientierungswerte für die jeweils zu berücksichtigenden Zeitwerte bilden die Zeitkorridore der BR. Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege sind den Grundpflegezeiten dann zuzurechnen, wenn eine verrichtungsbezogene Behandlungspflege vorliegt. Maßgebend ist dafür insoweit zum einen der untrennbare Bestandteil der medizinischen Maßnahmen mit einer Verrichtung der Grundpflege und zum anderen der objektive zeitliche Zusammenhang. Bei dem zweiten Kriterium, dem objektiven zeitlichen Zusammenhang, reicht es schon aus, dass nach objektiven Kriterien, insbesondere medizinischen Erfordernissen, eine gleichzeitige Durchführung von Grundverrichtung und medizinischer Hilfeleistung erforderlich ist. Ausgeschlossen wird hierdurch nur die Einbeziehung solcher Behandlungsmaßnahmen, die lediglich aus praktischen Gründen vom Betroffenen bzw. seinen Pflegepersonen in zeitlichem Zusammenhang mit einer Verrichtung der Grundpflege durchgeführt werden (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2500 § 37 Nr. 3). Ferner ist Folgendes zu berücksichtigen: Beim An- und Auskleiden im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI und erst recht beim Treppensteigen, das ebenfalls in Nr. 3 unter dem Bereich der Mobilität aufgeführt ist, kommt es nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. SozR 3-3300 § 14 Nrn. 5, 6 und 10) darauf an, um welches Ziel bzw. welchen Zweck es jeweils geht. Es muss jeweils in Zusammenhang mit der dafür maßgeblichen Verrichtung um den Zweck der Aufrechterhaltung der Existenz des Pflegebedürftigen in der häuslichen Umgebung gehen.

Unter Beachtung dieser Grundsätze stellt der Senat bei der Klägerin einen täglichen Hilfebedarf bei der Grundpflege von 39 Minuten fest. Dabei stützt sich der Senat auf das schlüssige und überzeugende Sachverständigengutachten der Diplom-Gerontologin R., die die Klägerin am 28. September 2006 in ihrer häuslichen Umgebung untersucht hat. Indem die Sachverständige auch die eigenen genutzten Mobilitätsressourcen der Klägerin sowie auch die Zeitkorridore der BR berücksichtigt hat, ergibt sich danach ein täglicher Hilfebedarf bei der Körperpflege von 18 Minuten, bei der Ernährung von drei Minuten und bei der Mobilität von zunächst 14 Minuten, d.h. insoweit insgesamt von 35 Minuten. Soweit der Sachverständige Dr. M. im Gutachten vom 22. Oktober 2004 insoweit einen Hilfebedarf von 40 Minuten angenommen hat, überzeugt diese Schätzung schon deswegen nicht, weil dieser Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23. April 2006 die von ihm angenommenen Werte, die teilweise widersprüchlich waren, nach unten korrigiert hat. Deswegen vermag sich der Senat auf die Beurteilungen des Dr. M. nicht zu stützen. Zutreffend hat die Sachverständige R. auch das An- und Ablegen eines Kompressionsverbands am linken Unterschenkel als medizinische Behandlungspflege, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem An- und Auskleiden der Tageskleidung erforderlich ist, berücksichtigt. Insoweit hat auch das SG diese Verrichtung zutreffend mit in Ansatz gebracht. Dabei ist der unmittelbare Zusammenhang mit dem An- und Auskleiden morgens bzw. abends nicht dadurch beseitigt, dass die Klägerin vor dem endgültigen Ankleiden morgens und dem dabei notwendigen Anlegen des Kompressionsverbands links erst noch das Schwimmen im eigenen Schwimmbad durchführt. Zutreffend hat die Sachverständige R. das Anlegen des Kompressionsverbands mit zwei elastischen Binden am linken Unterschenkel, wie es in ihrer Anwesenheit durchgeführt wurde, mit einem zeitlichen Bedarf von drei Minuten und das Ablegen mit einer Minute pro Tag bewertet. Daraus ergibt sich der Hilfebedarf von insgesamt 39 Minuten. Weder kann für das An- und Ablegen des Kompressionsverbands am linken Unterschenkel insoweit ein Zeitwert von sechs bis zehn Minuten, wie vom SG angenommen, bzw. von sechs Minuten, wie von der Klägerin angenommen, bzw. von fünf bis sieben Minuten, wie von Dr. F. geschätzt, in Ansatz gebracht werden.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich die Überschreitung des Zeitwerts von 45 Minuten nicht dadurch, dass die Klägerin auch Begleitung innerhalb des eigenen Hauses beim Treppensteigen hinab bzw. wieder hinauf in den Kellerbereich benötigt, um dort täglich im eigenen Schwimmbad, das mit einer so genannten Jet-Steam-Anlage mit Massagedüsen ausgestattet ist, zu schwimmen sowie Unterwassermassage auszuführen. Selbst wenn der Senat entsprechend der vorgelegten Bescheinigung der Dr. F. vom 22. Dezember 2006 davon ausgeht, dass diese der Klägerin tägliches Schwimmen und Benutzen der Massagedüsen verordnet hat, weil dadurch der Lymphabfluss in den Beinen verbessert und Verordnung bzw. Durchführung von Lymphdrainagen eingespart wird, können die genannten Zeiten, um das Schwimmen und die Benutzung der Massagedüsen zu ermöglichen, bei der Grundpflegezeit nicht in Ansatz gebracht werden. Denn das Schwimmen gehört nicht zu den Maßnahmen der Grundpflege, wie beispielsweise das Gehen und Stehen. Die Pflegeversicherung stellt keine Vollversicherung dar, die jegliche Aktivität innerhalb und/oder außerhalb des häuslichen Bereichs ermöglichen soll. Das Schwimmen und die Durchführung der Unterwassermassage durch die Klägerin in eigener Regie dient insoweit auch nicht der Aufrechterhaltung der Existenz der Klägerin in der häuslichen Umgebung. Da ärztlich verordnete Behandlungen derzeit außerhalb des häuslichen Bereichs nicht wöchentlich durchgeführt werden, können die zuletzt genannten Zeiten auch nicht als Surrogat für tatsächlich nicht durchgeführte, außerhalb des Hauses wahrzunehmende Arztbesuche bzw. Krankengymnastiktermine, die derzeit deswegen vermieden werden, jedoch bei Durchführung eine entsprechende Begleitung der Klägerin durch ihre Pflegeperson erforderlich machen würde, in Ansatz gebracht werden. Danach war nicht zu prüfen, welche Zeitwerte insoweit für die Begleitung bei Treppensteigen in den Kellerbereich sowie beim Ab- und Anlegen des Morgenmantels, um das Schwimmen zu ermöglichen, berechnet werden könnten.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich schließlich ein zusätzlicher, im Hilfebedarf der Sachverständigen R. nicht in Ansatz gebrachter Hilfebedarf bei der Grundpflege aufgrund des Umstands, dass Dr. F. bei der Klägerin seit Oktober 2006 einen behandlungsbedürftigen Diabetes mellitus Typ II als weitere chronische Erkrankung bescheinigt hat. Allein das Vorliegen einer bestimmten Erkrankung, wie hier eines Diabetes mellitus, begründet keinen Hilfebedarf bzw. die Einordnung in eine bestimmte Pflegestufe. Ein solcher weiterer Hilfebedarf aufgrund dieser Diagnose im Hinblick auf eine der Katalogverrichtungen ist auch nicht erkennbar.

Die Erhebung eines weiteren Gutachtens bzw. die Vernehmung von Zeugen war nicht geboten.

Danach war der Gerichtsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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