L 12 R 8/07 KO-A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 R 8/07 KO-A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Vergütung des Antragstellers für das Gutachten vom 06.12.2006 wird auf 987,33 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

In dem beim Landessozialgericht anhängigen Berufungsverfahren L 5 R 2007/05 geht es um die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Im Februar 2006 wurde der Antragsteller zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und um die Erstattung eines Gutachtens auf Grund ambulanter Untersuchung der Klägerin gebeten. Die hierbei zu berücksichtigenden Verwaltungs- und Gerichtsakten hatten zu diesem Zeitpunkt einen Umfang von ca. 585 Blatt. Unter dem Datum des 06.12.2006 wurde das 32-seitige orthopädische Gutachten vorgelegt (davon 1 Seite Deckblatt und Einleitung, 5 Seiten Anamnese, 10,5 Seiten Befunde und 15,5 Seiten Beantwortung der Beweisfragen), welches 48.000 (aufgerundet) Zeichen enthält. Der Antragsteller verlangte mit seiner Rechnung eine Vergütung in Höhe von 1300,53 EUR. Hierbei hat er 17,5 Stunden Arbeitszeit nach einem Stundensatz von 60 EUR (5,5 Stunden Aktenstudium und Beurteilung von Röntgenaufnahmen, 1,5 Stunden Untersuchung und Anamneseerhebung, 2 Stunden Diktat der Anamnese und der Befunde, 6 Stunden Beurteilung und Beantwortung des Beweisfragen und Diktat sowie 2,5 Stunden Korrektur), Schreibgebühren von 63,10 EUR und 8,05 EUR Porto und Gebühren sowie die gesetzliche Umsatzsteuer zugrunde gelegt. Die Kostenbeamtin hat einen Aktenumfang von 590 Blatt zugrunde gelegt und lediglich 13 Stunden Arbeitszeit anerkannt, weshalb sie die Vergütung auf 987,33 EUR herabgesetzt hat. In dem Antrag auf richterliche Festsetzung hat sich der Antragsteller gegen die von der Kostenbeamtin durchgeführte Berechnung gewandt. Er ist der Auffassung, dass die angesetzte Stundenzahl dem Aufwand für die Begutachtung nicht gerecht werde. Tatsächlich hätten die von ihm zu beurteilenden Akten einen Umfang von 751 Blatt gehabt. Der Aufwand für die Beuteilung und Beantwortung der Beweisfragen sei zutreffend mit 6 Stunden angegeben worden. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.

II.

Im vorliegenden Fall finden die Regelungen des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, JVEG) Anwendung, weil der Gutachtensauftrag dem Antragsteller nach dem 30.6.2004 erteilt worden ist (§ 25 Satz 1 JVEG). Vorliegend entscheidet der Senat, nachdem die Sache vom Einzelrichter auf ihn übertragen worden ist, § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG erhält der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen bemessen ist. Dementsprechend wird es gem. § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt, wobei die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet wird, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrages. Für die Ermittlung der Anzahl der zu vergütenden Stunden kommt es - wie im bisherigen Recht, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) - nicht auf die vom Sachverständigen tatsächlich aufgewandten Stunden an. Dabei hängt die Zeit, die erforderlich ist, nicht von der individuellen Arbeitsweise des jeweiligen Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen (Meyer/Höver/Bach, JVEG, 23. Aufl., § 8 Rdnr. 8.48).

Medizinische Sachverständige erhalten nach § 9 Abs. 1 für jede Stunde ein Honorar in Höhe von 50, 60 oder 85 EUR, je nachdem, welcher Honorargruppe (M 1 bis M 3) das von ihnen erstattete Gutachten nach der Anlage 1 JVEG zuzuordnen ist. Die Zuordnung zur Honorargruppe M 2 ist vorliegend richtigerweise nicht umstritten.

Aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG ergibt sich, dass sich die Anzahl der zu vergütenden Stunden nicht daran orientiert, wie viele Stunden der Sachverständige zur Erstattung des Gutachtens aufgewandt hat, sondern daran, wie viele Stunden für die Erstattung des Gutachtens erforderlich, also notwendig waren. Insoweit ist keine Änderung der Rechtslage gegenüber dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) eingetreten. Für die Ermittlung der Anzahl der zu vergütenden Stunden kommt es - wie im bisherigen Recht, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 ZSEG - nicht auf die vom Sachverständigen tatsächlich aufgewandten Stunden an. Auch hängt die Zeit, die erforderlich ist, nicht von der individuellen Arbeitsweise des jeweiligen Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen (Meyer/Höver/Bach, ZSEG, 22. Aufl., § 3 Rdnr. 21).

Wie bisher schon kann auch unter der Geltung des JVEG allerdings davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich aufgewandte Zeit richtig sind und dass die vom Sachverständigen zur Vergütung verlangten Stunden für die Erstellung des Gutachtens auch notwendig waren. Dementsprechend findet regelmäßig nur eine Plausibilitätsprüfung der Kostenrechnung anhand allgemeiner Erfahrungswerte statt. Voraussetzung ist allerdings, dass der Sachverständige eine Kostenrechnung vorlegt, anhand derer eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen werden kann. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn der Sachverständige die Kostenrechnung entsprechend der Vorgaben verfasst, wie sie ihm im Merkblatt, das er zusammen mit dem Gutachtensauftrag erhält, mitgeteilt werden. Sofern der Sachverständige innerhalb des durch die Plausibilitätsprüfung gezogenen Rahmens bleibt oder diesen Rahmen nur geringfügig überschreitet, wird er antragsgemäß entschädigt. Verlangt er erheblich mehr als die sich nach der Plausibilitätsprüfung ergebenden Stunden vergütet, muss diese Überschreitung nachvollziehbar sein, entweder aufgrund ohne weiteres erkennbarer oder auf Grund vom Sachverständigen vorgetragener besonderer, eine Abweichung von den allgemeinen Erfahrungswerten rechtfertigender Umstände. Lässt sich die (erhebliche) Überschreitung nicht nachvollziehen, können nur die auf Grund der Plausibilitätsprüfung ermittelten Stunden vergütet werden.

Beim Zeitaufwand für die Aktendurchsicht einschließlich Diktat des für das Gutachten erforderlichen Akteninhalts ist auch das Ausmaß der gutachtensrelevanten Aktenteile (einschlägige Befundberichte der behandelnden Ärzte, Vorgutachten, Rehabilitationsberichte, Beschwerdeschilderungen beispielsweise in der Widerspruchs-, Klage- und Berufungsbegründung) zu berücksichtigen. Dabei legt der Senat seine eigenen Erfahrungswerte aus dem richterlichen Bereich zu Grunde. Danach ist - bei Gutachten auf Grund ambulanter Untersuchung - für bis zu 200 Aktenseiten mit bis zu 50% gutachtensrelevantem Anteil bei der Plausibilitätsprüfung eine Stunde für Durchsicht und erforderliches Diktat anzusetzen.

Zu differenzieren ist auch im Bereich des zeitlichen Aufwandes für das Diktat der Anamnese und der Befunde gegenüber der Beurteilung. Denn anders als das Diktat von Anamnese und Befunden stellt die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen die eigentliche Gedankenarbeit mit der Auswertung der Befunde und deren Würdigung im Hinblick auf die Beweisfragen dar. Dementsprechend ist der zeitliche Aufwand für die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen einschließlich Diktat wesentlich höher anzunehmen, als die Wiedergabe von Anamnese und den erhobenen Befunden. Auch insoweit verfügt der Senat über Erfahrungswerte und hält beim außerhalb der Untersuchung erfolgtem Diktat von Anamnese und Befunden einen zeitlichen Aufwand von einer Stunde für acht Seiten im Falle der Darstellung standardisiert erhobener Anamnese und Befunde (häufig in orthopädischen Gutachten) bzw. einen zeitlichen Aufwand von einer Stunde für sechs Seiten bei ausführlicher und komplizierterer Darstellung (beispielsweise in psychiatrischen Gutachten) für akzeptabel. Für die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen (ohne deren Wiedergabe) dagegen ist in erster Linie der Inhalt des Gutachtens, in dem der Grad der Intensität und die Gewissenhaftigkeit der Arbeitsweise des Sachverständigen zum Ausdruck kommt, maßgeblich. Bei durchschnittlich komplizierten Ausführungen ohne Wiederholungen ist - auch dies entspricht Erfahrungswerten aus der (auch kosten-) richterlichen Praxis - ein Zeitaufwand von einer Stunde für zweieinhalb Seiten nicht zu beanstanden. Für die Korrektur einschließlich abschließender Durchsicht sieht der Senat einen Zeitaufwand von einer Stunde für zwölf Seiten als angemessen an.

Zusammengefasst gestaltet sich die kostenrechtliche Prüfung demnach so (Beschluss vom 05.04.2005, L 12 SB 795/05 KO-A), dass in einem ersten Schritt im Rahmen der Plausibilitätsprüfung das Gutachten und seine einzelnen Teile auf sogenannte Standardseiten mit 2700 Anschlägen je Seite umgerechnet wird und anhand von Erfahrungswerten (Blätter je Stunde im Falle der Aktendurchsicht bzw. Seiten je Stunde) für die jeweilige Tätigkeit (Aktendurchsicht, Diktat von Anamnese und Befunden, Beurteilung einschließlich Beantwortung der Beweisfragen, Korrektur) ein Zeitaufwand ermittelt wird, der im Falle eines "Routinegutachtens" zu erwarten ist. Überschreitet der Sachverständige mit seinem geltend gemachten Zeitaufwand das Ergebnis dieser Plausibilitätsprüfung, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob sich - insbesondere aus dem Gutachten selbst unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zeitaufwandes und ggf. vom Sachverständigen dargelegter Umstände - Hinweise ergeben, die eine Abweichung vom Ergebnis der Plausibilitätsprüfung rechtfertigen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Sachverständige eine Kostenrechnung vorlegt, anhand derer eine solche Prüfung vorgenommen werden kann. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn der Sachverständige die Kostenrechnung unter Mitteilung seines tatsächlichen Zeitaufwandes entsprechend der Vorgaben verfasst, wie sie ihm im Hinweisblatt mitgeteilt worden sind.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt dazu, dass in einem ersten Rechenschritt die Seiten des Gutachtens in Standardseiten mit 2.700 Zeichen umzurechnen sind. Hieraus ergibt sich ein Umrechnungsfaktor von x 0,56 je Seite (48.000 Zeichen: 2.700 Anschläge = 17,8 Standardseiten für das vorliegende Gutachten; 17,8 Standardseiten: 32 tatsächlich vorgelegte Seiten = Umrechnungsfaktor 0,56 für die einzelne Seite).

Danach ergibt sich vorliegend im Rahmen der Plausibilitätsprüfung ein Stundenaufwand von 12 Stunden (2,9 Stunden Aktenstudium, 1,5 Stunden Untersuchung und Anamnese, 1,1 Stunden Diktat der fachorthopädischen Befunde, 1,5 Stunden Beurteilung fremder Röntgenaufnahmen, 3,5 Stunden Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen, 1,5 Stunden Korrektur).

Zum Einwand des Antragstellers, die Verwaltungsakten seien umfangreicher als von der Kostenbeamtin berücksichtigt gewesen, ist auf Folgendes hinzuweisen:

Der Umfang des Aktenpakets betrug vorliegend geschätzte (weil nicht alle Akten paginiert sind) 585 Blatt. Sofern der Antragsteller darauf hinweist, dass die Verwaltungsakten tatsächlich umfangreicher gewesen seien, verweist er auf die unterschiedliche Paginierung der Akten, die bei den Sozialgerichten mit einer Seitenzahl pro Blatt und bei der Rentenversicherung mit zwei Seitenzahlen pro Blatt (für Vorder- und Rückseite jedes Blattes) erfolgt. Vorliegend ist die Leistungsakte des Rentenversicherungsträgers bis zur Nr. 575 paginiert, wobei nur ca. ein Viertel der auf diese Weise mitgezählten Blatt-Rückseiten tatsächlich auch bedruckt sind. Die Reha-Akte des Rentenversicherungsträgers besteht vorliegend aus 240 Blatt, die nicht paginiert sind.

Nach dem JVEG besteht ein Anspruch auf Entschädigung des entstandenen Aufwands, zu dem auch die zu lesenden Blatt-Rückseiten zählen, sofern diese bedruckt sind. Die genaueste Lösung für eine kostenrechtliche Prüfung, die Blätter insoweit einzeln zu erfassen, scheidet offensichtlich wegen des hierbei entstehenden unvertretbaren zeitlichen Aufwandes aus. Insofern ist eine Methode der Pauschalierung anzuwenden, welche die größtmögliche Gewähr für eine angemessene Vergütung bietet. Nicht zugrunde gelegt werden kann die Paginierung der Versicherungsträger, weil es auch Sozialversicherungsträger gibt - wie etwa die Bundesagentur für Arbeit - die wie die Sozialgerichte paginieren und der Vergütungsanspruch nicht von Zufälligkeiten abhängen darf, welcher Versicherungsträger und welche Paginierungsweise erfolgt sind. Hierbei besteht das zusätzliche Problem, dass bei beiden Paginierungsweisen unzutreffende Ergebnisse entstehen, weil sich in fast jeder Akte Blätter mit bedruckten und mit unbedruckten Seiten finden.

Es ist daher der Berechnung der Seitenzahlen grundsätzlich die Anzahl der beschriebenen Seiten zugrunde zu legen. Um diese Zahl zu ermitteln, dürfte ein Verfahren praktikabel sein, nachdem die Seitenzahlen einheitlich nach der Blattzahl ermittelt werden und in einem weiteren Schritt zu prüfen ist, ob aufgrund dieser Vorgehensweise eine relevante Anzahl von (Rück-)Seiten außer Acht gelassen worden ist. Sollte sich eine solche relevante Anzahl feststellen lassen, kann hierfür ein prozentualer zeitlicher Zuschlag gewährt werden.

Vorliegend sind 585 Blatt Verwaltungsakten mit ca. einem Viertel bedruckter Rückseiten zu berücksichtigen gewesen. Demnach erhöht sich der vergütungsfähige zeitliche Aufwand um ein Viertel von 2,9 auf 3,7 Stunden.

Insgesamt ergibt sich damit ein Zeitaufwand von 12,7 Stunden, der auf 13 Stunden zu runden ist.

Das Ergebnis der Plausibilitätsprüfung ist jedoch kritisch zu hinterfragen, da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Sachverständige seine aufgewendeten Stunden zutreffend angibt.

Daher ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob der Gutachter den durch die Plausibilitätsprüfung gezogenen Rahmen nur geringfügig überschreitet (maximal um 10 %); liegt eine nur geringfügige Überschreitung vor, wird er antragsgemäß entschädigt. Vorliegend macht der Antragsteller allerdings eine um mehr als 10 % von der Plausibilitätsprüfung abweichende Stundenzahl geltend, weswegen aus diesem Gesichtspunkt eine Erhöhung der Stundenzahl nicht erfolgen kann.

Liegen darüber hinaus Anhaltspunkte oder Angaben des Gutachters vor, die einen höheren Stundensatz rechtfertigen, so sind die höheren Stunden zugrunde zu legen (vgl. Beschluss des Senats vom 09.05.2005, L 12 U 1512/05 KO-A). Die unspezifischen Ausführungen des Antragstellers in seinem Kostenantrag lassen es indes vorliegend nicht zu, aus diesem Gesichtspunkt eine weitere Erhöhung anzunehmen.

Demnach sind 13 Stunden nach der Honorargruppe M 2 zu entschädigen (780 EUR). Zuzüglich der von der Kostenbeamtin zutreffend ermittelten weiteren Rechnungsposten ergibt sich damit eine Kostenforderung von 987,33 EUR. Die Berechnung der Kostenbeamtin ist daher im Ergebnis zutreffend.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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