L 8 R 2749/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 1847/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 2749/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 17. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1950 geborene Klägerin erlernte keinen Beruf. Sie war zuletzt als Reinigungskraft im Zentrum für Psychiatrie B. S. in versicherungspflichtig beschäftigt. Im Zeitraum vom 12.05.1995 bis zum 11.05.2000 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung sowie für Lohnersatzleistungen wie Krankengeld oder Arbeitslosengeld gezahlt; insgesamt wurden für die Klägerin mehr als fünf Jahre Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung gezahlt. Ab 11.05.2000 war die Klägerin arbeitsunfähig. Seit 03.07.2000 ist die Klägerin als schwer behinderter Mensch (GdB 50) anerkannt.

Die Klägerin leidet nach eigenen Angaben seit Jahrzehnten an Rückenschmerzen (vgl. Angaben im sozialmedizinischen Gutachten Dr. L. vom 16.05.2002). Bei einer computertomographischen Untersuchung der Lendenwirbelsäule (LWS) am 19.01.2000 wurde ein Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 ohne raumfordernde Wirkung und ohne Nachweis einer Spinalkanalstenose (verschleißbedingte Enge des Wirbelkanals) entdeckt. Eine vom behandelnden Orthopäden eingeleitete ambulante Behandlung führte zu einer Besserung, so dass die Klägerin ab 30.01.2000 (zunächst) wieder arbeitsfähig war (Arztbrief Dr. B. vom 08.02.2000). Anschließend traten jedoch erneut Beschwerden im Bereich der LWS mit Ausstrahlung in das rechte Bein auf. Vom 10.05. bis zum 05.06.2000 befand sich die Klägerin wegen dieser Beschwerden in stationärer Behandlung im Kreiskrankenhaus B ... Dort wurden konservative Maßnahmen wie intensive Krankengymnastik durchgeführt. Im Arztbrief der Klinik vom 13.07.2000 wird berichtet, die Klägerin habe eine deutliche Besserung ihrer Beschwerden angegeben. Die Klinik leitete auch eine Anschlussheilbehandlung ein, die vom 15.06.2000 bis 13.07.2000 in der S.-Klinik in B. W. durchgeführt wurde. Im Entlassungsbericht dieser Klinik vom 17.07.2000 werden folgende Diagnosen genannt: rechtsseitiges lumbales Pseudoradikulär-, teilweise auch Radikulärsyndrom (Kreuzschmerzen); Periarthropathia humeroscapularis chronica rechts (schmerzhafte Einschränkung der Schulterbeweglichkeit) und Hypertonie (Bluthochdruck). Als Putzfrau könne die Klägerin nur noch unter 2 Stunden täglich arbeiten, leichte körperliche Arbeiten seien ihr dagegen noch vollschichtig zumutbar. Die volle Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes sei eingeschränkt, insbesondere hinsichtlich von Überkopfarbeiten. Auch häufiges Heben und Tragen von Lasten über 5 kg bis 7 kg seien der Klägerin nicht mehr zumutbar. Die Klägerin wurde als arbeitsunfähig aus der Maßnahme entlassen.

Am 12.05.2000 beantragte die Klägerin über die Stadtverwaltung in (Ortsbehörde der Beklagten) formularmäßig die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) bzw. Erwerbsunfähigkeit (EU).

Vom 23.08.2000 bis 15.09.2000 befand sich die Klägerin zur Abklärung einer Schwäche im rechten Arm und im rechten Bein sowie wegen Kopfschmerzen, Verschwommensehen und zeitweiser Inkontinenz in stationärer Behandlung in der Fachklinik für Neurologie in D ... Im Bericht über diese Behandlung vom 20.09.2000 wird zu "Therapie und Verlauf" ausgeführt: "Unsere ausführliche Diagnostik (MR-BWS, Elektroneurographie, Elektromyographie, SEP, MEP, Doppler- und Duplexsonographie, EEG, VEP, EKG sowie laborchemische Untersuchungen und Untersuchung des Liquor cerebrospinalis) erbrachte erfreulicherweise keinen Hinweis auf eine Störung der zentralmotorischen oder periphermotorischen Bahnen. Insbesondere konnte eine Amyotrophe Lateralsklerose, ein raumfordernder Prozess im Bereich des ZNS oder das Vorliegen einer akuten oder chronischen ZNS-Erkrankung sowie eine vaskuläre Genese oder Störung ausgeschlossen werden." Die Entlassung aus der stationären Behandlung erfolgte mit der Diagnose: funktionelle Hemiparese rechts (ICD 10: F 45.8). Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme (Anschlussheilbehandlung), die vom 27.09.2000 bis 08.11.2000 in der S.-Klinik in B. B. durchgeführt wurde. Im Entlassungsbericht vom 24.11.2000 wird als Diagnose nur noch eine "psychogene Gangstörung" genannt. Bei der während der Maßnahme durchgeführten Anamneseerhebung berichtete die Klägerin, dass sie seit ca. 1990 immer wieder an Depressionen leide. Wegen dieser Beschwerden habe sie aber bislang noch keinen Arzt aufgesucht. Ferner gab sie an, sie habe bereits in der Schulzeit etwa zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr hin und wieder unter kurzeitigen Lähmungserscheinungen der Beine gelitten. Diese Erscheinungen seien dann mit rechtsseitiger Betonung während der Ehejahre deutlicher in der Ausprägung geworden, jedoch nicht besonders häufig. Vor vier Jahren sei dann während eines Urlaubs eine deutliche rechtsseitige Beinlähmung aufgetreten. In den Monaten Januar bis Mai 2001 unterzog sich die Klägerin mehrmals einer sog. Facettenblockade der Wirbelsäule (röntgen- bzw. lasergestützte Einspritzungen in die Wirbelgelenke). Der behandelnde Facharzt für Neurochirurgie Dr. G. führte hierzu in seiner sachverständigen Zeugenaussage gegenüber dem Sozialgericht Ulm (SG) aus, die Klägerin habe sich bei der Vorstellung am 29.05.2001 deutlich beschwerdegebessert und zufrieden gezeigt. Es finde sich lediglich noch eine Restschmerzsymptomatik (Schreiben vom 12.06.2001, Bl. 18ff im Klageverfahren S 2 SB 637/01).

Mit Bescheid vom 28.09.2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen BU- bzw. EU ab.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 22.10.2001 Widerspruch ein. Sie machte geltend, bei ihr sei im Mai 2000 eine diagnostisch nicht vollständig geklärte Erkrankung aufgetreten. Es sei zu Lähmungserscheinungen und Gedächtnisstörungen gekommen. Sie habe zunächst einen Rollstuhl benutzen müssen. Jetzt sei ihr das Gehen mühsam mit einer Stockstütze möglich.

Am 14.01.2002 führte der Neurochirurg Dr. G. bei der Klägerin eine Laservaporisation (minimalinvasiver Eingriff) im Lendenwirbelkörper (LWK) 4/5 durch. Vom 04.02. bis 06.03.2002 befand sie sich wiederum in stationärer Behandlung in der Fachklinik für Neurologie in D ... Die Klägerin ging zwar nur mit Hilfe eines Rollators; an den unteren Extremitäten waren jedoch keine Muskelatrophien feststellbar. Die Klinik äußerte in ihrem Arztbrief vom 26.03.2002 den dringenden Verdacht auf eine dissoziative Störung. Dieser Verdacht ergebe sich aufgrund der atypischen klinischen neurologischen Befunde und dem sekundären Krankheitsgewinn. Eine weitere stationäre Rehabilitationsmaßnahme wurde vom 06.03.2002 bis zum 27.03.2002 in der R.klinik in B. K. durchgeführt. Dort wurde die Klägerin aus orthopädischer Sicht für fähig erachtet, leichte, vorwiegend sitzende körperliche Tätigkeiten ohne die Wirbelsäule belastende Zwangshaltungen sowie ohne Überkopfarbeiten vollschichtig zu verrichten. Hinsichtlich der funktionellen Hemiparese wurde zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung für erforderliche gehalten (Entlassungsbericht vom 03.04.2002).

Die Beklagte ließ die Klägerin durch ihren Ärztlichen Dienst begutachten. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. L. kam in seinem Gutachten vom 16.05.2002 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch leichte körperliche Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung gewisser Einschränkungen vollschichtig verrichten kann.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2002 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 24.07.2002 hat die Klägerin Klage beim SG erhoben.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin befragt. Dr. C., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, hat in seinem Schreiben vom 09.12.2002 (Bl. 31/34 der SG-Akte S RJ 1847/02) mitgeteilt, er habe die Klägerin erstmals am 27.05.2002 untersucht. Damals habe sich die Fragestellung auf eine möglicherweise vorliegende Nervenschädigung am rechten Handgelenk (Karpaltunnelsyndrom) bezogen. Am 03.09.2002 sei ihm die Klägerin wegen der unklaren Halbseitenlähmung vorgestellt worden. Im Liegen habe die Klägerin das rechte Bein nicht anheben können. Das Gangbild sei aber nicht typisch im Sinne einer z.B. durch einen Hirnschlag ausgelöste Hemiparese gestört gewesen. Auffällig sei die Angabe der Klägerin gewesen, dass sie selber mit dem Auto fahre, was bei einer so ausgeprägten Lähmung des rechten Beines nicht möglich wäre. Nachdem er Kenntnis von den in der Klinik in D. erhobenen Vorbefunde erhalten habe, habe er dem Hausarzt mitgeteilt, dass der Verdacht auf eine psychisch verursachte Lähmung vorliege. Ob es sich bei der Klägerin um eine neurologische oder psychiatrische Erkrankung handele oder um eine tendenziöse Fehlhaltung, sei nicht zu klären gewesen.

Der Neurochirurg Dr. G. hat bei der Klägerin am 30.07.2003 eine Bandscheibenoperation durchgeführt. Nach seinem Befundbericht vom 01.08.2003 erfolgte eine Bandscheibenfachausräumung und die Sequesterexstirpation in den Bewegungssegmenten HWK 5/6/7 sowie die knöchern-ligamentäre C6 und C7-Nervenwurzeldekompression. Ferner wurde eine ventrale Spondylodese mittels Titanplatten und einer ventralen Plattenosteosynthese HWK 5 bis 7 angelegt. Zum Entlassungszeitpunkt am 01.08.2003 sei die Klägerin schmerzfrei gewesen.

Das SG hat ferner beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Jöstingmeier in Ulm ein Gutachten eingeholt. Im Gutachten vom 26.08.2003, welches auf einer Untersuchung der Klägerin am 12.08.2003 beruht, ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, bei der von der Klägerin gezeigten Halbseitenlähmung rechts, handele es sich eindeutig um eine Tendenzreaktion im Rahmen des Rentenverfahrens. Eine echte Depression liege nicht vor. Die Klägerin sei zwar aufgrund der Operation noch für einige Zeit arbeitsunfähig krank, könne ansonsten aber leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit wechselnder Körperhaltung vollschichtig verrichten. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein weiteres Gutachten bei Dr. V., Facharzt für Neurochirurgie, in H. eingeholt. Er hat in seinem Gutachten vom 30.04.2004 die Ansicht vertreten, seit Januar 2003 sei eine Arbeitsfähigkeit der Klägerin nicht mehr gegeben. Die Klägerin hat ferner eine Stellungnahme des Dr. G. vom 05.10.2004 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass die Klägerin über anhaltende Schulterschmerzen rechts sowie eine Lumboischialgie klage. Unverändert finde sich die langsam progrediente rechtsseitige Halbseitenlähmung, die Klägerin sei mit einem Elektrorollstuhl versorgt. Das SG hat eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. J. eingeholt. Dieser hat in seinem Ergänzungsgutachten vom 11.05.2002 ausgeführt, bei der jetzt durchgeführten Untersuchung sei eine verstärkte Tendenzreaktion im Rahmen des Rentenverfahrens erkennbar gewesen. Die dargebotene Halbseitenlähmung rechts sei nicht nachvollziehbar gewesen. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig zu verrichten.

Mit Urteil vom 17.06.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausführlich dargelegt, weshalb es der Beurteilung durch Dr. J. anschließt. Das Urteil ist der Klägerin am 23.06.2005 zugestellt worden.

Am 06.07.2005 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, die bei ihr bestehende rechtsseitige Halbseitenlähmung sei nicht angemessen berücksichtigt worden. Schließlich sei sie auch mit einem Elektrorollstuhl versorgt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 17. Juni 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2002 aufzuheben und die Beklagte zu erurteilen, ihr Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Mai 2000 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzueisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage des behandelnden Arztes eingeholt (Schreiben Dr. S. vom 07.12.2005) und bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K.-S., E.n, eine nervenärztliche Begutachtung der Klägerin veranlasst. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 08.05.2006 die Auffassung vertreten, bei der Klägerin bestehe eine dissoziative Bewegungsstörung. Sie könne aber noch leichte Arbeiten - unter Beachtung gewisser Einschränkungen - vollschichtig verrichten. Zu diesem Gutachten hat sich die Klägerin mit Schreiben vom 26.07.2006 geäußert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache nicht begründet. Es besteht kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbs- oder Berufunfähigkeit und auch kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Maßgeblich für die erhobenen Rentenansprüche sind noch die Bestimmungen des SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, nachdem der Rentenantrag im Mai 2000 gestellt worden ist und sich auf Leistungen noch für dieses Jahr bezieht (vgl. § 300 Abs. 2, § 302 b Abs. 1 Satz 1 SGB VI in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2000, BGBl. I S. 1827). Versicherte haben hiernach gemäß § 44 Abs. 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Rentenart sowie die allgemeine Wartezeit erfüllt haben und erwerbsunfähig sind. Entsprechende Regelungen gelten in § 43 Abs. 1 SGB VI für die Rente wegen Berufsunfähigkeit. Die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 Abs. 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI) ist hier ebenso erfüllt wie die Drei-Fünftel-Belegung mit Pflichtbeiträgen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 305 SGB VI). Nach § 43 Abs. 2 Satz 4, § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI in der Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 1996, BGBl. I S. 659 ist bei vollschichtigem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf oder in einer zumutbaren Verweisungstätigkeit die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. Bundessozialgericht - BSG - BSGE 78, 207, 212; Großer Senat BSGE 89, 24ff.).

Berufsschutz im Sinne der Vorschriften über Berufsunfähigkeit steht der Klägerin nicht zu. Ein solcher kommt regelmäßig erst in Betracht, wenn zuletzt eine Beschäftigung mit einer erforderlichen Anlernzeit von über 12 Monaten ausgeübt worden ist (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Die Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat, hat auch eine solche Anlernzeit nicht durchlaufen; sie ist mithin auf alle ungelernten Tätigkeiten des Arbeitsmarktes verweisbar. Solche kann sie aus den im Folgenden darzulegenden Gründen noch vollschichtig (8 Stunden an 5 Tagen) verrichten. Zu vermeiden sind Arbeiten in Zwangshaltung, Überkopfarbeiten, Arbeiten, die überwiegend im Gehen oder Stehen ausgeübt werden, Arbeiten in Kälte, Nässe und Zugluft und Arbeiten die mit häufigem Bücken verbunden sind.

Bei der Klägerin bestehen weder auf neurologischem noch auf psychiatrischem Fachgebiet Erkrankungen, die zu einer Einschränkung ihres beruflichen Leistungsvermögens führen. Die von ihr demonstrierte Halbseitenlähmung rechts ist funktionell zu sehen und als tendenziöse Zweckreaktion im Rahmen des Rentenbegehrens zu werten. Dies folgt aus den überzeugenden Gutachten von Dr. K.-S. und Dr. J. und wird von den zahlreichen Untersuchungen während des Rentenverfahrens bestätigt. Bereits während der stationären Behandlung der Klägerin in der Fachklinik für Neurologie in D. vom 23.08.2000 bis 15.09.2000 erbrachte die dort vorgenommene ausführliche Diagnostik (MR-BWS, Elektroneuropraphie, Elektromyographie, SEP, MEP, Doppler- und Duplexsonographie, EEG, VEP, EKG sowie laborchemische Untersuchungen und Untersuchung des Liquor cerebrospinalis) keinen Hinweis auf eine Störung der zentralmotorischen oder periphermotorischen Bahnen. Insbesondere konnte eine Amyotrophe Lateralsklerose, ein raumfordernder Prozess im Bereich des ZNS oder das Vorliegen einer akuten oder chronischen ZNS-Erkrankung sowie eine vaskuläre Genese oder Störung ausgeschlossen werden. Schon die die Entlassung aus dieser stationären Behandlung erfolgte mit der Diagnose: funktionelle Hemiparese rechts (ICD 10: F 45.8).

Während des zweiten Aufenthaltes in dieser Klinik vom 04.02. bis 06.03.2002 wurde diese Einschätzung bestätigt. Die Klägerin ging damals zwar nur mit Hilfe eines Rollators; an den unteren Extremitäten waren jedoch keine Muskelatrophien feststellbar. Die Klinik äußerte deshalb in ihrem Arztbrief vom 26.03.2002 den dringenden Verdacht auf eine dissoziative Störung. Dieser Verdacht ergebe sich aufgrund der atypischen klinischen neurologischen Befunde und dem sekundären Krankheitsgewinn. Diese Einschätzung wird von den gerichtlichen Sachverständigen Dr. J. und Dr. K.-S. bestätigt. Schon der behandelnde Nervenarzt Dr. C. hat darauf hingewiesen, dass eine Diskrepanz besteht zwischen der von der Klägerin demonstrierten Halbseitenlähmung und der Tatsache, dass sie selbst noch Auto fährt. Hinzukommt, dass an den unteren Extremitäten keine Muskelatrophien feststellbar sind und die Umfangmaße auf der angeblich gelähmten rechten Seite noch geringfügig größer waren als auf der linken Seite (Gutachten Dr. Jöstingmeier Seite 7, Bl. 165 der SG-Akte). Für den Senat bestehen daher keine Zweifel an der Richtigkeit der von den genannten Sachverständigen vorgenommenen Beurteilung.

Dagegen vermag die Beurteilung durch den auf Antrag der Klägerin gehörten Dr. V. nicht zu überzeugen. Dieser hat zwar ebenfalls erkannt, dass bei der Klägerin ein sekundärer Krankheitsgewinn anzunehmen ist (Seite 5 seines Gutachtens) und auch er hat keine Muskelatrophien festgestellt, was auf einen normalen Gebrauch der Arme und Beine schließen lässt, diesen Kriterien, aber zu Unrecht keine Bedeutung beigemessen. Er ist auch den aus den Akten bereits erkennbaren Aggravationstendenzen bei der Klägerin im Gegensatz etwa durch Dr. K.-S. nicht mit der gebotenen Gründlichkeit nachgegangen. So hat Dr. K.-S. z. B. festgestellt, dass die Klägerin während der Untersuchung den rechten Arm bei schlaffen Tonus nicht bewegt, aber die Unterarmgehstütze mit dem rechten Arm gehalten hat. Beim Gehen ohne Hilfsmittel drohte sie einmal zu stürzen und fing sich mit der rechten Hand an der Wand ab. Außerdem war sie in der Lage, mit der rechten Hand zu schreiben. Von einer Halbseitenlähmung kann daher keine Rede sein. Auch sprechen diese Gesichtspunkte dafür, dass die Klägerin in der Lage ist, die von ihr gezeigte Störung willentlich zu beeinflussen und zu überwinden. Die Sachverständige führt ferner aus, unter Berücksichtigung der angeblich seit Juni 2000 bestehenden Symptomatik sprächen auch das Fehlen von Reflexdifferenzen, fehlende Pyramidenbahnzeichen, fehlende Tonusdifferenz zu links und fehlende Sprachstörungen eindeutig gegen eine organische Ursache der Hemiparese rechts. Psychopathologisch lägen weder eine endogene Depression noch eine Persönlichkeitsstörung vor.

Mit diesem Leistungsvermögen scheidet auch ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht aus. Daher kann offen bleiben, ob der Antrag auf Rente wegen BU bzw. EU nach dem bis zum 31.12.2000 geltenden Recht im vorliegenden Fall auch als Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung anzusehen ist (vgl. BSG 23.05.2006 - B 13 RJ 38/05 R - ).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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