L 5 KR 5779/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 3413/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 5779/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Versicherter hat jedenfalls dann noch keinen Anspruch auf Implantation eines Magenbands, wenn zuvor noch nicht sämtliche konservativen Behandlungsmethoden ernsthaft und konsequent durchgeführt worden sind.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für eine Magenbandimplantation.

Der 1969 geborene Kläger, kaufmännischer Angestellter (Systembetreuer) und Mitglied der Beklagten, ist seit der Kindheit (extrem) übergewichtig und absolvierte mehrfach Kurmaßnahmen zur Gewichtsreduzierung (in den Jahren 1981, 1984 und 1987). Dabei konnte er sein Körpergewicht um jeweils einige Kilogramm vermindern, nahm in der Folgezeit aber wieder an Gewicht zu. Vom 5.9. bis 31.10.2001 nahm er auf Kosten des Rentenversicherungsträgers an einer Rehabilitationsmaßnahme teil. Im Entlassungsbericht der Reha-Klinik H., M., vom 12.11.2001 ist ausgeführt, der Kläger habe sein Gewicht von 187 kg auf 178 kg reduziert und sämtliche Anwendungen gut vertragen; er fühle sich erholt, muskulär gekräftigt, physisch und psychisch stabilisiert. Empfohlen werde, die erlernten Übungen zu Hause fortzusetzen und regelmäßig Ausgleichssport zu treiben, wie Rückenschwimmen in temperiertem Wasser oder Radfahren in der Ebene (SG-Akte S. 26 ff.).

Am 25.3.2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die Kosten einer Magenbandimplantation zu übernehmen. Hierzu legte er eine ärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. K. (Klinikum S.) vom 29.1.2003 vor. Darin ist ausgeführt, der Kläger wiege bei einer Körpergröße von 1,92 Meter derzeit 195 kg (BMI 53). Damit liege ein weit über einhundertprozentiges Übergewicht vor. Hormonelle Ursachen hierfür seien ausgeschlossen. Nach eigenen Angaben sei der Kläger schon seit dem 10. Lebensjahr übergewichtig und wiege seit dem 16. Lebensjahr deutlich über 100 kg. Er habe bislang erfolglos versucht, das extreme Übergewicht zu reduzieren, etwa umfangreiche häusliche Diäten absolviert, sein Essverhalten geändert, Ernährungskurse besucht und Medikamente eingenommen. Auch eine stationäre Therapiemaßnahme im Jahr 2001 habe nur kurzfristigen Erfolg gebracht. Der Kläger habe 17 kg abgenommen, jedoch sehr rasch wieder an Gewicht zugelegt. Er habe jegliches Sättigungsgefühl verloren und praktisch immer Hunger. Da er ein sehr unsportlicher Typ sei, seien ihm Sportprogramme kaum möglich. Beim Kläger liege das Vollbild eines metabolischen Syndroms vor. Hinzu kämen überlastungsbedingte orthopädische und psychosoziale Probleme, allerdings leichterer Art; die Sticheleien der Mitmenschen könne der Kläger ignorieren. Bislang habe man bei etwa 700 Patienten die vertikale Gastroplastik nach Mason durchgeführt mit einem durchschnittlichen Gewichtsverlust 12 Monate nach der Operation von 33 Prozent des Ausgangsgewichts. Mit anderen Methoden sei das nicht zu erreichen.

Die Beklagte holte das Gutachten des Dr. F. (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg, MDK) vom 31.3.2003 ein. Darin heißt es, bei extremer Adipositas (BMI über 40) sei ein multimodales und integratives Therapiekonzept erforderlich, um konservative Behandlungserfolge zu verzeichnen. Nachhaltiger Erfolg setze eine konsequente therapeutische Betreuung und ständige Motivierung voraus. Beim Kläger sei es im Rahmen stationärer Rehabilitationsmaßnahmen und ambulanter Behandlungen zu einer Gewichtsreduktion gekommen. Das beweise, dass mit konservativen Maßnahmen eine Besserung zu erreichen sei. Die erneute Gewichtszunahme weise darauf hin, dass eine konsequente Nachbehandlung und Betreuung gefehlt habe. Dies könne nur widerlegt werden, wenn das bisherige Behandlungskonzept ausführlich und nachvollziehbar dargelegt werde. Es reiche nicht aus, auf erfolglos durchgeführte Maßnahmen hinzuweisen. Die Notwendigkeit einer Magenbandimplantation sei nicht belegt.

Mit Bescheid vom 3.4.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nachdem der Kläger Einwendungen erhoben hatte, lehnte sie den Antrag mit Bescheid vom 23.4.2003 erneut ab.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, Ernährungs- oder Gewichtstagebücher habe er nicht geführt. Nach der vom Rentenversicherungsträger bewilligten Kur habe er 170,2 kg gewogen, trotz des Ernährungsunterrichtes, von dem er Vieles umgesetzt habe, nach 18 Monaten aber wieder ein Gewicht von etwa 195 kg erreicht. Fachärztliche Behandlung habe er bislang nicht in Anspruch genommen, da er mit den Schmerzen insbesondere in den Kniegelenken zurechtkomme. Gegen den Bluthochdruck bekomme er Medikamente.

Nachdem die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5.6.2003 unter Hinweis auf das Gutachten des MDK und die einschlägige Rechtsprechung (unter anderem Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2000, - 4 KR 1228/00 -) zurückgewiesen hatte, erhob der Kläger am 26.6.2003 Klage beim Sozialgericht Stuttgart. Er trug vor, er leide seit dem 10. Lebensjahr an Übergewicht und habe deshalb mehrfach Jugendkuren absolviert. Im Jahr 1981 habe er bei einer Körpergröße von 1,62 Meter 76,9 kg gewogen. Während der dritten Kur, der er sich mit 18 Jahren unterzogen habe, habe er von 130,8 kg auf 123,7 kg ab-, danach aber wieder kontinuierlich zugenommen. Während der vom Rentenversicherungsträger bewilligten Kur sei am 5.9.2001 ein Körpergewicht von 187 kg bei einer Körpergröße von 1,92 Meter festgehalten worden. Man habe Diabetes, Adipositas per magna, Bluthochdruck, initiale Gonarthrose beidseits sowie ein lokales HWS- und LWS-Syndrom diagnostiziert. Bei dieser Rehabilitationsmaßnahme habe er eine umfassende Ernährungsschulung und Reduktionskost erhalten. Außerdem seien Bewegungstraining und Gymnastik durchgeführt worden. Insgesamt habe er 9 kg abgenommen. Obwohl er sich nach Abschluss der Kur an die ärztlichen Empfehlungen gehalten habe, habe er sein Gewicht nicht weiter reduzieren können, stattdessen sogar wieder zugenommen bis zu einem Gewicht von 195 kg am 28.1.2003. Seit Mitte Oktober 2003 schwanke sein Gewicht zwischen 181,5 und 180 kg. Weitere Fortschritte seien trotz größter Bemühungen und trotz Führen eines Ernährungstagebuchs nicht zu erreichen. Mittlerweile leide er auch an starken Schmerzen in den Kniegelenken, weshalb eine Operation empfohlen worden sei.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 19.2.2003, - B 1 KR 1/02 R -) komme bei extremer Adipositas eine operative Magenverkleinerung als Kassenleistung in Betracht. Diätmaßnahmen habe er bereits erfolglos vorgenommen. Wegen starker Schmerzen und seines hohen Gewichts sei Bewegungstherapie nicht möglich. Medikamente könnten allenfalls begleitend eingesetzt werden; sein Hausarzt habe ihm bereits ohne großen Erfolg Xenical verordnet. Eine Psychotherapie sei nicht notwendig, da psychische Störungen nicht vorlägen; auf Süßigkeiten, Coca-Cola, Schokolade und Chips könne er auch so nahezu vollständig verzichten. Unter Fressattacken leide er nicht, ihm fehle vielmehr das Sättigungsgefühl, das durch die Operation wiederhergestellt werden könne. Insgesamt seien die konservativen Behandlungsmöglichkeiten daher erschöpft und er sei ausreichend motiviert, so dass die vom Bundessozialgericht aufgestellten Anforderungen an eine operative Behandlung erfüllt seien.

Die Beklagte trug unter Hinweis auf ein weiteres Gutachten des MDK (Dr. Z. vom 2.4.2004 - SG-Akte S. 45) vor, der Kläger habe das Basisprogramm der konservativen Adipositasbehandlung noch nicht absolviert. Dr. Z. führte unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zur Adipositaschirurgie aus, das primäre Kriterium der Leitlinien für einen adipositaschirurgischen Eingriff am Magen (BMI über 40) sei zwar erfüllt. Allerdings seien die konservativen Behandlungsmöglichkeiten nicht erfolglos ausgeschöpft worden. Ein konservatives multidisziplinäres Behandlungskonzept nach definierten Qualitätskriterien über einen Zeitrahmen von 12 Monaten sei nicht erkennbar. Der Kläger sei wohl ausreichend motiviert, die Gewichtsreduktion durch operative Maßnahmen zu erreichen, hingegen sei die Motivation zur Gewichtsreduktion auf konservativem Wege eher eingeschränkt. Maßnahmen dieser Art habe er offensichtlich nur kurzfristig in Angriff genommen.

Das Sozialgericht hörte den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2004 an. Er trug vor, derzeit wiege er 163 kg. Er habe im Grunde durch die "FdH-Therapie" so weit abgenommen, d. h. er habe seine Ernährung in Eigenregie umgestellt. Vor etwa zwei Monaten habe er zusätzlich noch damit angefangen, spazieren zu gehen; eine weitergehende Bewegungstherapie absolviere er nicht. Sein Hausarzt kontrolliere nur sein Gewicht. Seit September müsse er noch Diabetes-Tabletten einnehmen. Seit Mitte 2003 führe er ein Ernährungstagebuch und achte beim Einkaufen auf kalorienarme Nahrungsmittel. An einer Gruppentherapie (etwa "weight-watchers") nehme er nicht teil.

Mit Urteil vom 27.10.2004 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) hätten Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestehe Einigkeit darüber, dass bei starkem Übergewicht eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion notwendig sein könne, insbesondere dann, wenn bereits Folgeerkrankungen aufgetreten seien. Da jedoch nicht der Magen als solcher krank sei, stelle das Einsetzen eines Magenbandes eine mittelbare Therapie dar, die vom Leistungsanspruch nur umfasst sei, wenn sie die in §§ 2 Abs. 1 Satz 3 und 12 Abs. 1 SGB V aufgestellten Kriterien erfülle, also ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sei und dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entspreche. Eine mittelbare Behandlung, durch die operativ in eine funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert werde, bedürfe einer speziellen Rechtfertigung, wobei Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen seien. Geprüft werden müsse, ob eine chirurgische Behandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen, wie diäthetischer Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöser Behandlung und Psychotherapie, notwendig und wirtschaftlich sei. Sodann sei zu untersuchen, ob nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen einer chirurgischen Intervention erfüllt seien. Hierfür verweise das Bundessozialgericht auf die Leitlinien der Fachgesellschaften, wie der Deutschen-Adipositas-Gesellschaft. Danach komme die Implantation eines Magenbandes nur als ultima ratio und nur bei bestimmten Patienten in Betracht, die eine Reihe von Vorbedingungen erfüllten.

Hier seien die Behandlungsalternativen noch nicht erfolglos ausgeschöpft worden; darauf habe der MDK zu Recht hingewiesen. Letztendlich habe der Kläger im Wesentlichen seine Ernährung in Eigenregie umgestellt und dabei während der Rehabilitationsmaßnahmen Gelerntes umgesetzt, allerdings ohne ärztliche Betreuung gehandelt. Es fehlten sowohl eine Bewegungstherapie wie medikamentöse Behandlungen. Insoweit habe der Kläger nur vor etwa zwei Monaten mit dem Spazierengehen begonnen und einmal ein Medikament eingenommen, das er jedoch nicht vertragen habe. Das reiche bei Weitem nicht aus. Notwendig sei zunächst eine medizinische Eingangsuntersuchung mit Indikationsstellung, danach folge eine strukturierte Schulung in Gruppen, um sodann ein multidisziplinäres Konzept anzuwenden, das Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie Verhaltenstherapie umfasse. Dieses Programm sei in seinem Verlauf zu dokumentieren und zu kontrollieren und müsse mindestens 12 Monate dauern. Ein Konzept dieser Art sei umso mehr erfolgversprechend, als es dem Kläger auch ohne ärztliche Begleitung offenbar gelungen sei, sein Gewicht innerhalb von eineinhalb Jahren um etwa 30 kg zu vermindern.

Auf das ihm am 24.11.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.12.2004 Berufung eingelegt. Er trägt ergänzend vor, an seinem Magen liege ein regelwidriger Zustand vor, weil er überdehnt sei und ihm deshalb jegliches Sättigungsgefühl fehle. Gerade daran setze die operative Behandlung an. Im Übrigen habe er die Behandlungsalternativen ausgeschöpft. Er habe stationäre Kuren absolviert. Bewegungstherapie komme nicht in Betracht, da er wegen seines Übergewichts keinen Sport treiben könne. Erst nachdem er 25 bis 30 kg abgenommen habe, habe er spazieren gehen können. Medikamente könnten nur unterstützend und in geringem Maße wirken; außerdem habe er das gängigste Medikament auch nicht vertragen. Eine Verhaltenstherapie sei entbehrlich, da er die Fähigkeit zur Gewichtsabnahme bewiesen habe; er habe immerhin ca. 35 kg abgenommen. Eine weitere Gewichtsabnahme sie jedoch nicht möglich gewesen, vielmehr habe er wegen der Diabetes-Tabletten sogar wieder zugenommen. Durchschnittlich wiege er um 167 kg. Die von der Beklagten angebotenen Kurse würden zu weit entfernt von seinem Wohnort abgehalten und kämen für extrem Übergewichtige nicht in Frage. Hinreichende Behandlungsalternativen habe man ihm nicht aufgezeigt. Mittlerweile habe er eine von der Beklagten benannte Ernährungsberaterin aufgesucht, die einen Therapieplan für die Zeit bis Juli 2006 erstellt habe. Allerdings müsse er die Kosten (insgesamt etwa 470 EUR) weitgehend selbst tragen. Schwierigkeiten gebe es auch, einen geeigneten Arzt zu finden, zumal er nicht wisse, ob er mit diesem klar kommen werde. Sportlichen Aktivitäten kämen nicht in Betracht; er könne nur spazieren gehen. Zum Radfahren bräuchte er wegen seines Gewichts ein teures Spezialfahrrad (1.200 EUR), das er sich nicht leisten könne. Aquawalking scheide aus, weil er sich scheue, in der Öffentlichkeit zum Baden zu gehen. Er habe jetzt einen Arzt gefunden, der die Betreuung übernehmen wolle; dieser sei der Auffassung, er, der Kläger, habe alles Erforderliche getan. Nach der evidenzbasierten Leitlinie chirurgische Therapie der extremen Adipositas (gültig bis 12/2005) bringe die konservative Therapie auch nur kurzfristige Erfolge. Chirurgische Maßnahmen kämen in Betracht, wenn konservative Maßnahmen nicht erfolgreich gewesen seien, allerdings werde im Gegensatz zu früheren Leitlinien ein Gesamtkonzept jetzt nicht mehr gefordert. Die Anforderungen der neuen Leitlinie würden erfüllt.

Der Kläger hat außerdem eine ärztliche Stellungnahme des Allgemeinmediziners Dr. B. vom 16.2.2006 vorgelegt. Darin ist u.a. ausgeführt, wegen seiner knappen Mittagspause sei der Kläger auf Kantinenessen angewiesen und könne erst abends die von der Ernährungsberaterin vorgeschlagene Kost zu sich nehmen. Bewegungstherapie sei nur im Wasser möglich und stelle ein psychisches Problem dar. Konservative Behandlungsmöglichkeiten würden nicht mehr gesehen. Solange der Kläger vollschichtig arbeite, komme insbesondere auch eine strenge Diät kaum in Frage. Möglicherweise müsse der Kläger schon bald berentet werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.10.2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 3. und 23.4.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.6.2003 zu verurteilen, die Kosten für eine operative Magenverkleinerung (Magenband-Implantation) zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt ergänzend vor, beim Kläger, der während seiner Kuren u.a. Walking, Aquawalking, Wirbelsäulengymnastik und Rückenschulung absolviert habe und dem dort Rückenschwimmen und Radfahren in der Ebene empfohlen worden sei, könnten konservative Maßnahmen durchaus wirksam sein. Allerdings habe er die Erkenntnisse aus den Kuren nicht konsequent genug angewendet. Ein multidisziplinäres Gesamtkonzept mit den 3 Elementen "Ernährung, Bewegung und Verhalten" unter ärztlicher Koordination existiere nicht. Dem Kläger werde eine bezuschusste Ernährungsberatung angeboten, die der Auffrischung der bei früheren Beratungen gewonnenen Einsichten dienen solle. Bewegungstherapie könne der Kläger in Eigenregie nach Absprache mit dem koordinierenden Arzt, auch etwa in einem Sportverein oder Fitnessstudio, absolvieren. Hinzukomme die notwendige Verhaltenstherapie. Über all das sei der Kläger umfassend informiert worden.

Die vom Kläger angeführte Leitlinie sei eine ergänzende Leitlinie zu der evidenzbasierten Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas, die derzeit überarbeitet werde. Der vorliegende Entwurf (Stand Oktober 2005) beschreibe die möglichen Therapien und verlange als Indikation für eine chirurgische Intervention das Scheitern einer konservativen Therapie bei Patienten mit Adipositas Grad III oder II und erheblicher Komorbidität. Vor einer chirurgischen Intervention solle wenigstens eine 6 bis 12-monatige konservative Behandlung nach definierten Qualitätskriterien stattgefunden haben. Auch künftig müsse also ein langfristiges Gesamtbehandlungskonzept absolviert worden sein. Im Übrigen könne der Kläger Diät auch als Berufstätiger einhalten, sich etwa Mahlzeiten für die Mittagspause zu Hause vorbereiten. Davon abgesehen wären begleitende Ernährungs- und Bewegungstherapien auch nach einer Operation zur Sicherung des Behandlungserfolgs unabdingbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Kosten für eine operative Magenverkleinerung (Magenbandimplantation) zu übernehmen. Der Kläger hat darauf keinen Anspruch.

Gemäß § 11 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 SGB V haben gesetzlich Versicherte Anspruch auf Behandlung einer Krankheit. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB V muss die Behandlung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Der Anspruch umfasst u. a. die notwendige ärztliche Behandlung und die Krankenhausbehandlung. Krankheit im Sinne des SGB V ist ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung des Versicherten und zugleich oder allein Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Eine Krankheit wird dann zu einer Leistungsverpflichtung der Kasse, wenn Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit vorliegt (vgl. Zipperer in Maaßen-Schermer-Wiegand, Kommentar zum SGB V, Rdnr. 12 zu § 27 m.w.N.). Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Krankheit im Augenblick behandlungsbedürftig ist. Die Behandlungsbedürftigkeit ist schon dann anzunehmen, wenn der gegenwärtige Zustand zwar noch keine Schmerzen oder Beschwerden bereitet, durch ärztliche Behandlung im Frühstadium eine wesentliche Besserung oder gar Beseitigung des Leidens und damit eine günstige Wirkung auf die spätere Erwerbsfähigkeit erreicht werden kann. Regelwidrig ist ein Zustand, der von der Norm vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht.

Nicht unumstritten ist, ob bereits der Adipositas als solcher Krankheitswert zukommt. Einigkeit besteht in der Medizin aber darüber, dass bei starkem Übergewicht (im allgemeinen ab einem BMI ab 30) eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich ist, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen wie Stoffwechselkrankheiten, Herz- und Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen, gastrointestinale Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparates und bösartige Neubildungen besteht. Erfordert die Adipositas mithin eine ärztliche Behandlung, so belegt dies nach Auffassung des Senats zugleich die Regelwidrigkeit des bestehenden Zustandes und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl. Urteile vom 19.02.2003 - B 1 KR 1/02 R und Parallelentscheidungen), der der Senat folgt, kann die Leistungspflicht für eine chirurgische Therapie dieser Krankheit nicht mit der Erwägung verneint werden, dass für das Übergewicht das krankhafte Essverhalten des Patienten und nicht eine Funktionsstörung des Magens verantwortlich ist. Zwar stellt die operative Verkleinerung bzw. Veränderung des Magens keine kausale Behandlung dar, vielmehr soll damit die Verhaltensstörung des Klägers durch eine zwangsweise Begrenzung der Nahrungsmenge lediglich indirekt beeinflusst werden. Eine solche mittelbare Therapie wird jedoch vom Leistungsanspruch grundsätzlich mitumfasst, wenn sie ansonsten die in § 2 Abs. 1 Satz 3 und § 12 Abs. 1 SGB V aufgestellten Anforderungen erfüllt, also ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist sowie dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht.

Für chirurgische Eingriffe hat das BSG diesen Grundsatz jedoch eingeschränkt, wenn durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert wird, wie das bei der Applikation eines Magenbandes geschieht. In diesem Fall bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG a.a.O.; BSGE 85, 56, 60 = SozR 3 - 2500 § 28 Nr. 4 S. 18). Nachdem ein operativer Eingriff stets mit einem erheblichen Risiko (Narkose, Operationsfolgen z. B. Entzündung, Thrombose bzw. Lungenembolie, operationsspezifische Komplikationen wie Pouchdilatation, Portinfektionen und Stomastenose) verbunden ist, darf eine chirurgische Behandlung wie das Gastric-Banding stets nur die ultima ratio sein. Sie kommt nur bei Erfüllung einer Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung (BMI über 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen bzw. über 40; Erschöpfung konservativer Behandlungsmethoden; tolerables Operationsrisiko; ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung u. a.) in Betracht. Dies bedeutet, dass vor einer Operation zunächst sämtliche konservativen Behandlungsalternativen durchzuführen sind (vgl. zu alledem das den Beteiligten bekannte Senatsurteil vom 29.8.2005, - L 5 KR 1676/05 -).

Der Senat folgt im Fall des Klägers der Einschätzung des MDK. Dr. Z. hat hierzu in seinem Gutachten vom 2.4.2004 überzeugend dargelegt, dass die konservativen Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden. Es fehlt nach wie vor an einem ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzept, das Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, Bewegungstherapie, ggf. pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Interventionen umfasst und als Langzeitbehandlung auch konsequent umgesetzt werden muss. An dieser Voraussetzung ist festzuhalten, wobei eine strenge Prüfung erforderlich ist (vgl. Ziff. 6.4.7. 3. Absatz der Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas"). Die operative Magenverkleinerung als von der gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmende Therapie extremer Adipositas kommt nur als ultima ratio bei nach strengen Kriterien auszuwählenden Patienten in Betracht und setzt die mindestens 6- bis 12-monatige konservative Behandlung nach definierten Qualitätskriterien voraus (so auch der u.a. von Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin herausgegebene Entwurf der evidenzbasierten Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas - Version 2005 Entwurf Stand 4.10.2005). Diese Behandlung umfasst ein Basisprogramm mit den Komponenten Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie sowie adjuvanter medikamentöser Therapie (Nr. 6.4 der genannten Leitlinie). Sie ist ärztlich zu koordinieren, zu leiten und zu dokumentieren. All das ist im Fall des Klägers nicht in ausreichendem Maße geschehen. Das Sozialgericht hat das in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegt; hierauf wird Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Berufungsvorbringen des Klägers ändert nichts. So trifft es nicht zu, dass an seinem Magen ein regelwidriger, operativ zu therapierender Zustand vorläge. Hinweise auf ein krankhaftes Geschehen im Bereich des Magens enthalten weder das Attest von Prof. Dr. K. vom 29.1.2003 noch die anderen aktenkundigen ärztlichen Berichte und Stellungnahmen. Der Magen des Klägers soll nach seinen Angaben infolge der Nahrungsaufnahme im (extremen) Übermaß (nur) überdehnt sein. Dieser Zustand wäre nach der genannten Leitlinie nicht vorrangig durch Operation, sondern zunächst durch Verminderung der Nahrungsaufnahme und Reduzierung des Körpergewichts zu ändern, und zwar durch die zuvor genannten Maßnahmen der konservativen Adipositas-Therapie.

Dass dieser Weg für den Kläger nicht gangbar wäre, ist nicht ersichtlich. Mit dem Hinweis darauf, er sei ein unsportlicher Typ, kann er sich der Bewegungstherapie (als einer Säule der konservativen Adipositas-Therapie) nicht entziehen, zumal er während einer seiner stationären Gewichtsreduktionskuren nach eigenem Vorbringen und den Feststellungen im Entlassungsbericht der Reha-Klinik H. vom 12.11.2001 durchaus dazu imstande war, Bewegungstraining, Rückenschulung und Gymnastik durchzuführen. Mit spazieren gehen ist es nicht getan. Unerfindlich bleibt auch, weshalb der Kläger nicht in der Lage sein soll, etwa Aquawalking oder das ihm empfohlene Rückenschwimmen einzusetzen. Entweder trifft es zu, dass er, wie im zur Antragsbegründung vorgelegten Arztbericht des Prof. Dr. K. vom 29.1.2003 ausgeführt wurde, die Sticheleien seiner Mitmenschen ignorieren kann und es deshalb psychosoziale Probleme größeren Gewichts nicht gibt, oder der Kläger ist, wie er jetzt vorträgt, (doch) aus psychischen Gründen am Besuch eines Schwimmbads gehindert. Dann wäre dieses Hemmnis allerdings durch Verhaltens- oder Psychotherapie - als weiterer Säule der konservativen Adipositas-Behandlung - anzugehen und kein Grund für eine Magenoperation. Diätmaßnahmen kann der Kläger, der als kaufmännischer Angestellter (Systembetreuer) arbeitet, auch während seiner Berufstätigkeit durchführen. Darauf hat die Beklagte mit Recht hingewiesen. Sofern dem das Kantinenessen im Weg stehen sollte, wird sich der Kläger die Mühe machen müssen, Mahlzeiten zu Hause vorzubereiten und auf die Kantinenmahlzeiten zu verzichten.

Die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des Allgemeinmediziners Dr. B. vom 16.2.2006 führt nicht weiter. Sie erschöpft sich letztendlich in der nicht weiter begründeten und nichtssagenden Behauptung, konservative Behandlungsmöglichkeiten würden nicht gesehen, und wird den von Dr. Z. in seinem Gutachten dargelegten Anforderungen an die konservative Adipositas-Therapie bzw. die Indikationsstellung für eine operative Therapie schon im Ansatz nicht gerecht.

Der Kläger hat alles in allem einen langfristig und interdisziplinär angelegten Therapieansatz unter ärztlicher Anleitung und Kontrolle mit dem Ziel dauerhafter Änderung der Ernährungsgewohnheiten und dauerhafter Gewichtsreduktion nach wie vor nicht konsequent in Angriff genommen. Offenbar hält er die operative Magenverkleinerung auf Kosten der Versichertengemeinschaft für den einfacheren und aus seiner Sicht müheloseren Weg zu einem normalen Körpergewicht. Das trifft nach dem Gesagten aber nicht zu. Außerdem hätte es, worauf die Beklagte ebenfalls zu Recht hingewiesen hat, auch mit einer Operation nicht sein Bewenden, da eine langfristige Gewichtsstabilisierung entscheidend von einem langfristigen Betreuungskonzept abhängt (vgl. Nr. 6.4.8 der genannten Adipositas-Leitlinie). Der Kläger ist aber schon im Vorfeld nicht dazu bereit, eine entsprechendes langfristig angelegtes Therapiekonzept zu absolvieren.

Das Sozialgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben kann. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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