L 4 P 1576/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 P 3996/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 1576/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Landessozialgericht Baden-Württemberg

L 4 P 1576/06

S 5 P 3996/04

Im Namen des Volkes Urteil

Der 4. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16.02.2007 für Recht erkannt:
Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger erstreben einen Zuschuss zum - während des gerichtlichen Verfahrens durchgeführten - Bau einer Rollstuhlrampe zum Garten des elterlichen Hauses.

Die am 1995 geborenen Kläger sind Zwillingsbrüder und bei der Beklagten familienversichert. Sie leiden unter fortschreitender Muskeldystrophie und sind seit Oktober 2003 weitgehend an den Rollstuhl gebunden. Die Beklagte zahlt zwischenzeitlich Pflegegeld nach der Pflegestufe III. Die Familie war im Jahr 2001 in ein Reihenmittelhaus mit Terrasse und Garten, in dem sich ein Planschbecken (Durchmesser ca. drei Meter) befindet, umgezogen. Von der Terrasse zum Garten sind fünf Treppenstufen zu überwinden.

Im Juni 2004 beantragte der Vater der Kläger die Gewährung eines Zuschusses für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes in Höhe von EUR 2.557,00. Zwar sei der Wohnbereich des Hauses inzwischen nahezu barrierefrei gestaltet. Es sei aber unmöglich, mit den Rollstühlen in den Garten, der 0,8 Meter tiefer als das Erdgeschoss des Hauses liege, zu gelangen. Beigefügt war das Angebot der Reich Garten- und Landschaftsbau GmbH F. vom 27. Mai 2004 für den Einbau einer Rollstuhlrampe Terrasse/Garten zu einem Preis von EUR 3.100,00 zuzüglich Mehrwertsteuer. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MdK - Dr. Ch.) nahm unter dem 12. Juli 2004 Stellung. Die begehrte Maßnahme ziele nicht auf eine Verringerung des grundpflegerischen Gesamtbedarfs oder eine Ermöglichung der Grundpflege. Medizinisch begründete vollstationäre Pflege zeichne sich nicht ab. Unter Bezugnahme auf diese Stellungnahme lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 16. Juli 2004 ab, Kosten einer rollstuhlgerechten Rampe von der Terrasse zum Garten zu übernehmen. Mit dem Widerspruch hiergegen bekräftigten die Kläger, zur selbstständigen Lebensführung eines Kindes mit neun Jahren gehöre auch die Teilnahme an altersgerechten Aktivitäten im Freien. Schaukeln, Spielen und Plantschen würden ermöglicht. Es sei den Eltern unzumutbar, die Kinder in diesem Alter noch in den Garten hinunterzutragen, zumal sich die bei den Eltern diagnostizierten Rückenleiden verschlimmern könnten. Dr. Ch. vom MDK ergänzte in der weiteren Stellungnahme vom 02. August 2004, zum barrierefreien Erreichen des Gartens könne die Reihenhauszeile umfahren werden. Die nunmehr eingeschalteten Bevollmächtigten der Kläger hielten dem entgegen, der Weg um den Block herum betrage mindestens 180 m. Die Versagung der begehrten Maßnahme würde der Versichertengemeinschaft längerfristig weitaus höhere Kosten auferlegen. Durch die Maßnahme würde die Aufrechterhaltung der häuslichen Lebensgemeinschaft langfristig gesichert. Die Widerspruchsstelle der Beklagten legte zur Begründung des zurückweisenden Widerspruchsbescheids vom 08. Oktober 2004 (am 12. Oktober 2004 zur Post gegeben) dar, im Februar 2004 sei bereits ein Behindertenaufzug innerhalb des Hauses mit dem Höchstzuschuss von EUR 2.557,00 gefördert worden. Durch diesen Einbau des Behindertenaufzugs werde die häusliche Pflege gesichert. Im Übrigen verbleibe es bei der Möglichkeit, für den Weg zum Garten die Reihenhauszeile zu umfahren. Der Begriff der selbstständigen Lebensführung werde überspannt.

Mit der am 12. November 2004 zum Sozialgericht F. (SG) erhobenen Klage brachten die Kläger vor, im Garten befinde sich ein Schwimmbad und Beeren könnten von den Sträuchern geerntet werden. Die Rampe solle es ihnen ermöglichen, selbstständig vom Haus in den Garten zu gelangen. Andernfalls würde die Lebensqualität eingeschränkt. Die Belastung durch die fortschreitende Krankheit nehme zu. Regelmäßiges Tragen sei nicht mehr möglich. Der Umweg um die Reihenhauszeile betrage über 200 m und eine spontane Nutzung des Gartens sei ausgeschlossen. Die Ablehnung sei jedenfalls ermessensfehlerhaft. Das Bundessozialgericht (BSG) habe entschieden, dass etwa der Einbau einer Tür zwischen Terrassentreppe und Garten zu fördern sei, um vom unbeaufsichtigten Betreten des Gartens abzuhalten. Bei den jungen Klägern sei der Bewegungsdrang zu berücksichtigen. Das Mobilitätsdefizit müsse ausgeglichen werden. Es handele sich nicht um eine Luxusausgabe, sondern um die Teilhabe von schwerstbehinderten Kindern am familiären Leben. Es gehe nicht um eine den Wohnkomfort übersteigende Nutzung des Gartens, sondern um die Möglichkeit, erst mal dorthin zu gelangen. Es gehe auch nicht darum, sich bei jeglichen Witterungsverhältnissen im Garten aufhalten zu können.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Es handele sich nicht um eine aktive Pflegemaßnahme. Die Möglichkeit, sich im Garten aufzuhalten, übersteige den durchschnittlichen Wohnkomfort. Die Kinder könnten immerhin auf die Terrasse gelangen.

Durch Gerichtsbescheid vom 28. Februar 2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es im Wesentlichen dar, aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergebe sich, dass nur ein üblicher und durchschnittlicher Wohnstandard maßgebend sein könne. Die Nutzung eines Gartens gehöre nicht mehr dazu. Jedenfalls sei der Umweg um die Reihenhausanlage gelegentlich zumutbar. Vorrangig die Nutzung eines Schwimmbades rechtfertige das Begehren auf Kosten der Pflegekasse nicht.

Gegen den am 06. März 2006 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 29. März 2006 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Durch die Rollstuhlrampe werde ihnen ermöglicht, allein von dem Haus in den Garten zu gelangen. In bedingtem Maß würden ihre Mobilitätsgrenzen erweitert und ihre Pflege durch die Eltern werde in erheblichem Maße erleichtert, da sie (die Eltern) sie (die Kläger) auch mal für eine Zeit aus dem Auge lassen könnten ... Es sei ihnen nicht zumutbar, insbesondere in ihrer eingeschränkten Mobilität auf Umwegen in den Garten zu gelangen. Sie könnten auch nicht mit der Badehose direkt in den Garten fahren oder Gegen¬stände zum Spielen nicht einfach aus dem Haus holen. Die Benutzung des Schwimmbades diene der Kontrakturprophylaxe. Der allgemeine Lebenskomfort werden nicht überschritten. Auf das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2003 - L 3 P 42/02 - (nachgehend Urteil des BSG vom 13. Mai 2004 - B 3 P 3/03 R - = SozR 4-3300 § 40 Nr. 1), wo zum Zuschuss für einen Personenaufzug verurteilt worden sei, werde verwiesen.

Die Kläger beantragen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 28. Februar 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08. Oktober 2004 zu verurteilen, ihnen für die Anlage einer Rollstuhlrampe von der Terrasse zum Garten des elterlichen Hauses in F., einen Zuschuss in Höhe von EUR 2.557,00 zu gewähren, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Antrag vom Juni 2004 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie entgegnet, es seien nur Maßnahmen bezuschussungsfähig, die für die Pflege erforderlich seien. Dies sei bei einer Rollstuhlrampe in den Garten nicht der Fall, zumal der Garten auch auf anderem Weg erreicht werden könne.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Rechtsvoraussetzungen für einen Zuschuss zum - während des gerichtlichen Verfahrens durchgeführten - Bau einer Rollstuhlrampe im Garten nicht erfüllt sind.

Gemäß § 40 Abs. 4 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) können die Pflegekassen subsidiär - ein anderer in Betracht kommender Leistungsträger ist hier nicht ersichtlich - finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen gewähren, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbstständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird. Die Höhe der Zuschüsse ist unter Berücksichtigung der Kosten der Maßnahme sowie eines angemessenen Eigenanteils in Abhängigkeit von dem Einkommen des Pflegebedürftigen zu bemessen (Satz 2). Die Zuschüsse dürfen einen Betrag in Höhe von EUR 2.557,00 je Maßnahme nicht übersteigen (Satz 3).

Durch die Gartenrampe kann nicht das Ziel erreicht werden, dass die häusliche Pflege (erst) ermöglicht oder erheblich erleichtert wird. Die begehrte Maßnahme muss objektiv erforderlich sein, um die Pflege im häuslichen Umfeld überhaupt erst durchführen zu können oder zu einer erheblichen Erleichterung bei der Pflege zu führen (vgl. BSG SozR 3-3300 § 40 Nr. 4). Zur Pflegebedürftigkeit gehört (vgl. § 14 Abs. 1 SGB XI), dass wegen der Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Maße Hilfebedürftigkeit besteht. Zu diesen "Verrichtungen" zählt aber, worauf Beklagte und SG im Ergebnis zu Recht hinweisen, nicht ein optimaler Zugang zum Hausgarten. Auch wenn der Tatbestand der Erleichterung der Pflege nicht auf die für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit maßgebenden Verrichtungen zu beschränken ist (vgl. BSG SozR 3-3300 § 40 Nrn. 1, 4 und 5; SozR 4-3300 § 40 Nr. 1), wird gefordert, dass die begehrte Maßnahme der Befriedigung "elementarer Bedürfnisse" dient (vgl. BSG SozR 4-3300 § 40 Nr. 1). Das elterliche Haus der Kläger ist hinreichend behindertengerecht ausgestattet. Ein Behindertenaufzug ist eingebaut. Ebenso ist der Zugang zur Terrasse möglich. Die Zufahrt zum Garten war ohne die begehrte Rampe, wenn auch mit gewissem Umweg, nicht verwehrt. Unter diesen Umständen kann dem Begehren, einen "spontanen" und auch jede elterliche Hilfeleistung vermeidenden Zugang zum Garten zu ermöglichen, keine elementare Bedeutung zugemessen werden.

Der in der zuletzt zitierten Entscheidung des BSG günstig verbeschiedene Einbau eines Personenaufzugs ist, wie die Beklagte zu Recht einwendet, hierher nicht übertragbar. Dort ging es darum (ebenso BSG SozR 4-3300 § 15 Nr. 1), überhaupt erst die Wohnung verlassen zu können und auch in die Lage versetzt zu werden, den im Obergeschoss wohnenden Sohn nicht regelmäßig zu Hilfeleistungen herbeirufen zu müssen.

Ebenso wenig kann - auch im Hinblick auf die besonderen Interessen von Kindern und Jugendlichen - davon gesprochen werden, die begehrte Maßnahme lasse eine möglichst selbstständige Lebensführung wiederherstellen. Auch diesbezüglich ist es erforderlich, dass die Maßnahme der Befriedigung elementarer Bedürfnisse dient. Den Klägern steht die Familienwohnung uneingeschränkt für alle notwendigen Pflegeleistungen zur Verfügung. Sie können die Wohnung auch ohne zusätzliche Hilfsmittel verlassen. Allein das Bedürfnis, einen Garten spontan und ohne jeden Umweg aufsuchen zu können, vermag nicht als elementares Bedürfnis selbstständiger Lebensführung erkannt zu werden; dies würde letztlich auch bedeuten, dass Inhaber eines Hauses mit Garten seitens der Solidargemeinschaft regelmäßig zu begünstigen wären. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Pflegeversicherung mit ihren Leistungen keine Kostendeckung aller nützlichen und die Lebensqualität erhöhenden Maßnahmen vorsieht.

Aus dem Vortrag der Kläger ergibt sich im Übrigen, dass es ihnen in erster Linie nicht darum geht, die häusliche Pflege (erst) zu ermöglichen oder erheblich zu erleichtern, sondern um die Teilhabe am familiären Leben bzw. an der Gesellschaft (S. 2 der Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten vom 23. September 2005 und vom 12. September 2006).

Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob der behindertengerechte Umbau des Hauses als eine Gesamtmaßnahme anzusehen ist (vgl. dazu BSG SozR 3-3300 § 40 Nr. 2) und damit die Beklagte mit der Zahlung des Zuschusses in Höhe von EUR 2.557,00 für den Behindertenaufzug ihre Leistungspflicht nach § 40 Abs. 4 SGB XI bereits erfüllt hat sowie ob in dem Fall, wenn eine Maßnahme mehreren Pflegebedürftigen, die diesen nicht jeweils individuell zugeordnet werden kann, zugute kommt, der Zuschuss ggf. auch mehrfach zu zahlen ist (verneinend Kasseler Kommentar-Leitherer, Stand: 01. September 2006, § 40 SGB XI Rdnr. 42).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved