L 3 SB 496/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 SB 2901/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 496/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) wegen wesentlicher Änderung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Bei der am 17.11.1952 geborenen Klägerin war zuletzt mit Bescheid vom 29.4.2002 ein GdB von 40 bei den Funktionsbeeinträchtigungen "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen (Teil-GdB 10), Funktionsstörung durch Fußfehlform, Funktionsstörung durch Zehenfehlform, Zehenverlust (Teil-GdB 20), Kopfschmerzsyndrom, Migräne (Teil-GdB 10), Überfunktion der Hirnanhangdrüse (Teil-GdB 10), Bronchialasthma, psychovegetative Störungen (Teil-GdB 20)" festgestellt worden.

Den Neufeststellungsantrag der Klägerin vom 23.5.2003 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29.8.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.4.2004 ab. Die Funktionsbeeinträchtigungen wurden als "Funktionsstörung durch Fußfehlform, Funktionsstörung durch Zehenfehlform, Zehenverlust (Teil-GdB 20, Bronchialasthma, hyperreagibles Bronchialsystem (Teil-GdB 20), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 10), Hochtonschwerhörigkeit, Ohrgeräusche beidseitig - Tinnitus - (Teil-GdB 10), Kopfschmerzsyndrom, psychovegetative Störungen (Teil-GdB 10), Überfunktion der Hirnanhangdrüse (Teil-GdB 10)" bezeichnet.

Dagegen hat die Klägerin am 10.5.2004 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren auf Feststellung eines höheren GdB weiterverfolgt hat.

Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt, von denen der Allgemeinmediziner Dr. R. unter dem 24.6.2004 unter Zustimmung zur Einschätzung durch den Beklagten im Übrigen einen Teil-GdB für einen Tinnitus von mindestens 30 angenommen hat. Demgegenüber hat sich der HNO-Arzt Dr. W. in seiner Auskunft vom 7.7.2004 für sein Fachgebiet der versorgungsärztlichen Bewertung angeschlossen. Das Hörvermögen sei durch den Tinnitus nicht herabgesetzt und psychische Begleiterkrankungen ließen sich aus der Aktenlage nicht ableiten. Schließlich hat der Orthopäde Dr. P. in seinem Bericht vom 12.6.2005 im Wesentlichen über eine Behandlung wegen von ihm als mittelgradig eingestufter Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule bei lediglich leichtgradigen Lendenwirbelsäulenbeschwerden im Sinne eines Teil-GdB von 20 berichtet. Wesentliche, über das alterstypische Maß hinausgehende Verschleißveränderungen seien im Bereich der Wirbelsäule nicht erhoben worden. Bei der Klägerin bestehe ferner ein SupR.inatussyndrom ohne Verschleißveränderungen, ohne Instabilität und bei passiv relativ freier Beweglichkeit. Bei beidseits voller Beweglichkeit der Kniegelenke ohne Verschleiß und mit lediglich fehlerhaft angelegter Kniescheibenrückfläche komme es immer wieder zu schmerzhaften Reizzuständen überwiegend nur bei Beugebelastungen (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 15 ff. und Blatt 62 ff. der SG-Akte Bezug genommen).

Das SG hat die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9.12.2005 durch Urteil vom selben Tag abgewiesen.

Es hat unter Darstellung der für die GdB-Feststellung maßgebenden Rechtsvorschriften sowie der entsprechenden Ausführungen in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AHP) und unter Hinweis auf § 48 SGB X entschieden, dass in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin keine wesentliche Änderung eingetreten sei, die die Festsetzung eines höheren GdB bedinge. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 10.1.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1.2.2006 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Klagebegehren - hauptsächlich gestützt auf die bei ihr vorliegenden orthopädischen Befunde (im Wesentlichen hinsichtlich eines neu aufgetretenen Schulter-Arm-Syndroms und eines weiteren Bandscheibenschadens) und die fehlerhafte Bewertung des Tinnitus - weiterverfolgt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. E. vom 20.10.2006. Auf orthopädischem Fachgebiet festgestellt worden ist ein Zustand nach Amputation des III. Strahles des linken Fußes mit Funktionsbeeinträchtigungen beim Abrollen des linken Fußes (Schweregrad gering bis mittel) bei einem Teil-GdB von höchstens 20. Weitere wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet seien nicht festzustellen. Den Gesamt-GdB hat der Sachverständige auf höchstens 40 eingeschätzt.

Ferner hat der Senat von Prof. Dr. R. das HNO-ärztliche Sachverständigengutachten vom 11.12.2006 eingeholt. Erhoben worden ist eine geringe Hochtonschwerhörigkeit beidseits ohne hierfür anzusetzenden Teil-GdB sowie ein geringer Tinnitus beidseits mit einem Teil-GdB von 5 bis 10. Der Gesamt-GdB betrage 40.

Die Klägerin hat sich zu den Sachverständigengutachten nicht geäußert.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2005 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2004 zu verurteilen, bei ihr einen GdB von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40, weil in ihren gesundheitlichen Verhältnissen eine entsprechende wesentliche Änderung nicht eingetreten ist.

Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Hinsichtlich der orthopädischen Befunde hat das Sachverständigengutachten von Dr. E. die vom SG getroffene Würdigung im Ergebnis bestätigt.

Bereits das SG hat - gestützt auf die Auskunft des Orthopäden Dr. P. - bezüglich der Wirbelsäulenbefunde jedenfalls keinen höheren Teil-GdB als 10 angenommen. Angesichts des Umstandes, dass Dr. P. - für die Feststellung einer Behinderung erforderliche - über das alterstypische Maß hinausgehende Verschleißveränderungen im Bereich der Wirbelsäule nicht erhoben hat, dürfte es - insoweit anders als das SG - sogar nahe liegen, mit Dr. E. hierfür keinen Teil-GdB anzusetzen.

Entsprechend den von Dr. E. in seinem Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen hat das SG im Übrigen zurecht angenommen, dass über die Fußveränderungen hinaus, die vom SG in Übereinstimmung mit Dr. E. und Ziff. 26.18 (Seite 124 und 127) der AHP zutreffend mit dem hierfür höchstens vorgesehenen Teil-GdB von 20 anzusetzen sind, keine weiteren Funktionsbeeinträchtigungen bestehen, die einen Einzel-GdB von mindestens 10 rechtfertigen. Letzteres entspricht auch der von Dr. P. mitgeteilten Befundlage, wonach im Bereich von Schulter und Kniegelenken im Wesentlichen eine freie Beweglichkeit und keine Verschleißveränderungen bestehen.

Orthopädischerseits ist daher bei integrierender Betrachtungsweise insgesamt von einem Teil-GdB von 20 auszugehen.

HNO-ärztlicherseits hat das Sachverständigengutachten von Prof. Dr. R. entsprechend Ziff. 26.5 (S. 59 - Tabelle D -) der AHP bei einem beidseitigen Hörverlust von 0% hierfür keinen Teil-GdB von höchstens 10 erbracht. Auch die darin vorgenommene Bewertung des Tinnitus ohne psychische Begleiterscheinungen mit einem Teil-GdB von 0 bis 10 entspricht Ziff. 26.5 (S. 61) der AHP. Entsprechend hat sich auch der HNO-Arzt Dr. W. in seiner Auskunft geäußert. Die abweichende Ansicht von Dr. R. ist damit widerlegt.

Anhaltspunkte dafür, dass die bei der Klägerin darüber hinaus vorliegenden Befunde bzw. Funktionsbeeinträchtigungen nach den AHP unrichtig bewertet worden wären, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

Ausgehend von einem orthopädischerseits anzusetzenden Teil-GdB von 20 und lediglich einem weiteren Teil-GdB von 20 (Bronchialasthma, psychovegetative Störungen, Allergie) kann jedenfalls kein höherer Gesamt-GdB als 40 festgestellt werden. Nach Auffassung des Senats ist vorliegend ein Gesamt-GdB von 40 bereits als für die Klägerin sehr günstig anzusehen.

Die Gesamtbehinderung eines Menschen lässt sich nämlich - worauf bereits das SG zutreffend hingewiesen hat - rechnerisch nicht ermitteln. Daher ist für die Bildung des Gesamt-GdB eine Addition von Einzel-GdB-Werten grundsätzlich unzulässig. Auch andere Rechenmethoden sind ungeeignet (BSG vom 15.3.1979 aaO). In der Regel wird von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB ausgegangen und sodann geprüft, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, führen dabei in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Absätze 3 und 4 der AHP).

In Anwendung dieser Grundsätze dürfte es also eher angezeigt sein, aus den zwei höchsten Teil-GdB von jeweils 20 einen Gesamt-GdB von 30 zu bilden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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