Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 1963/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 958/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1954 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie hat in der Zeit von Februar 1970 bis April 1997 mit Unterbrechungen Pflichtbeiträge wegen Kindererziehung und Pflegetätigkeit erworben. Von Oktober 2000 an verrichtete sie versicherungspflichtige Heimarbeit (Anfertigen von Briefumschlägen). Seit 4.11.2002 war sie arbeitsunfähig und erhielt ab 5.11.2002 Krankengeld.
Am 30.5.2000 beantragte die Klägerin erstmals die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Am 30.6.2003 beantragte die Klägerin Leistungen zur Teilhabe. Die Beklagte gewährte der Klägerin vom 29.7. bis 18.8.2003 ein Heilverfahren in der Federseeklinik B. B. Die dortigen Ärzte stellten bei der Klägerin im Entlassungsbericht vom 27.8.2003 folgende Diagnosen: • Lumbalgien bei statisch degenerativem LWS-Syndrom • Bandscheibenvorfall L 5/S 1 ohne neurologische Ausfälle • Schwindel mit Gangunsicherheit unklarer Genese • Anpassungsstörung • Adipositas permagna. Die Klägerin sei in der Lage als Heimarbeiterin sechs Stunden und mehr zu arbeiten sowie leichte überwiegend sitzende Tätigkeiten in Tagesschicht sechs Stunden und mehr zu verrichten. Zu vermeiden seien häufiges Bücken, Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie Schichtarbeiten. Die Gehstrecke sei eingeschränkt.
Am 21.10.2003 beantragte die Klägerin, bei der ein Grad der Behinderung von 80 und das Merkzeichen G festgestellt sind, die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Zu den Akten gelangten u.a. zwei Bescheinigungen der Hausärztin Dr. P. vom 25.8.2003 und vom 10.10.2003, ein Arztbericht von Prof. Dr. Z. von der Chirurgischen Klinik der Kreiskliniken Reutlingen vom 19.8.2003 und ein MDK-Gutachten vom 9.9.2003. Die Beklagte ließ die Klägerin von der Ärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin sowie Sozialmedizin Dr. S. gutachterlich untersuchen. Diese gelangte im Gutachten vom 1.12.2003 zum Ergebnis, die multimorbide Klägerin sei seit der letzten Arbeitsunfähigkeit vom 4.11.2002 nur noch unter drei Stunden einsetzbar. Auch könne die Klägerin nicht viermal täglich 500 Meter zurücklegen. Der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung im Entlassungsbericht der Federseeklinik B. B. könne nicht gefolgt werden, da die orthopädischen Leiden i. V. m. dem leistungseinschränkenden Übergewicht nicht ausreichend und die bestehenden internistischen Erkrankungen (Asthma bronchiale, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie) nur bedingt gewürdigt worden seien.
Mit Bescheid vom 4.12.2003 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 30.6.2003 auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab, weil in den letzten fünf Jahren keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden seien.
Hiergegen legte die Klägerin am 29.12.2003 Widerspruch ein und trug vor, die Erwerbsminderung sei nicht schon am 3.11.2002, sondern erst am 2.12.2003 eingetreten. Dies ergebe sich daraus, dass ihr für die Zeit vom 29.7. bis 18.8.2003 Übergangsgeld bewilligt worden sei und dass sie aus der Reha-Klinik B. B. als arbeitsfähig entlassen worden sei. Ausgehend von einem Versicherungsfall vom 2.12.2003 habe sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt.
Die Beklagte holte eine ärztliche Stellungnahme bei Dr. M. vom 17.2.2004 ein, der ausführte, die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen hätten ab 5.11.2002 zu einer Arbeitsunfähigkeit auf Dauer und einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden geführt. Der Leistungsfall sei nach dem medizinischen Befund ganz eindeutig der 5.11.2002 (letzte Arbeitsunfähigkeit).
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.5.2004, abgesandt am 11.6.2004, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, seit 4.11.2002 könne die Klägerin leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur weniger als drei Stunden verrichten. Zu diesem Zeitpunkt seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, da im maßgebenden Zeitraum vom 4.11.1997 bis 3.11.2002 lediglich 26 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen vorhanden seien und der Zeitraum vom 1.1.1984 bis 3.11.2002 auch nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt sei.
Hiergegen erhob die Klägerin am 23.6.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen, mit der sie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgte. Das SG hörte die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. P. schriftlich als sachverständige Zeugin. Diese führte in der Auskunft vom 22.9.2004 aus, ab November 2002 habe die Klägerin wegen der zunehmenden Beschwerden krankgeschrieben werden müssen. Sie sei ab November 2002 nicht mehr in der Lage gewesen, ihrer Arbeit nachzugehen. Sie sei weder im Sitzen noch Stehen belastbar und könne ihre häusliche Tätigkeit nur mit Mühe verrichten. Sie sei keine Minute schmerzfrei. Im Laufe der Behandlung seit Juli 2002 sei keine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes eingetreten.
Das SG beauftragte Dr. N., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Begutachtung der Klägerin. Dieser stellte im Gutachten vom 15.4.2005 bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen fest: • Ataxie (Gangunsicherheit) nach Operation eines Kleinhirntumors (Hämangionblastom) 1988 • Lumbales Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen der unteren LWS (Bandscheibenprotrusion im Segment LWK 4/5, rechtsseitiger Bandscheibenvorfall im lumbosakralen Übergangssegment) • Diabetische Polyneuropathie • Depressive Anpassungsstörung. Auf Grund der Gesundheitsstörungen sei nicht vorstellbar, dass die Klägerin selbst leichte Tätigkeiten auch nur stundenweise ausübe. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich in den letzten fünf Jahren zunehmend verschlechtert, weswegen sie seit 5.11.2002 arbeitsunfähig sei. Ob die Klägerin bereits ab November 2002 durchgehend nicht mehr in der Lage gewesen sei, mindestens sechs Stunden an 5 Tagen in der Woche zu arbeiten, sei retrospektiv bei dem offenbar progredienten Verlauf schwer zu sagen. Auf jeden Fall habe zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit noch die Aussicht bestanden, durch adäquate therapeutische Maßnahmen eine Besserung zu erreichen, auch wenn sich diese Hoffnung später nicht erfüllt habe. Aus diesen Gründen habe die Beklagte auch die stationäre Reha-Maßnahme bewilligt.
Mit Gerichtsbescheid vom 18.1.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor. Das SG schließe sich der Auffassung der Beklagten an, wonach der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung mit dem Beginn der lang andauernden Arbeitsunfähigkeit im November 2002 eingetreten sei. Ausgehend hiervon habe die Klägerin im Zeitraum vom November 1997 bis November 2002 lediglich 26 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt. Des weiteren sei der Zeitraum vom 1.1.1984 bis zum Eintritt des Versicherungsfalles nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen den am vom 25.1.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24.2.2006 Berufung eingelegt und vorgetragen, sie sei unstreitig erwerbsgemindert und habe bis 2.10.2003 Pflichtversicherungszeiten zurückgelegt. Die Beklagte stütze sich darauf, dass die Erwerbsminderung schon vorher vorgelegen habe. Dabei berufe sie sich auf einen Ausschlussgrund, für den sie vollumfänglich beweispflichtig sei. Das SG habe außer Acht gelassen, dass auch nach November 2002 noch Anstrengungen unternommen worden seien, sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auch stelle sich die Frage, ob die Beurteilung des Gesundheitszustandes aus heutiger oder damaliger Sicht zu erfolgen habe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Januar 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. November 2003 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunktes zuließen.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat. Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die an eine Rentengewährung geknüpften Voraussetzungen zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab. Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht vorliegen. Der Senat ist ebenso wie das SG und die Beklagte zu der Überzeugung gelangt, dass der Leistungsfall der Erwerbsminderung mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 4.11.2002 eingetreten ist. Gemäß § 103 S. 1, 1. Hs. SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Eine subjektive Beweisführungslast haben die Beteiligten nicht. Dagegen gibt es auch im sozialgerichtlichen Verfahren eine objektive Beweislast. Sie regelt, wen die Folgen treffen, wenn das Gericht eine bestimmte Tatsache trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen kann, d. h. wenn ein sogenanntes "non liquet" vorliegt. Es gilt dann der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 103 Rdnr. 19 und 19a). Auf Grund der Gesamtwürdigung der durchgeführten Ermittlungen, insbesondere des sozialmedizinischen Gutachtens des MDK vom 9.9.2003, der ärztlichen Bescheinigungen von Dr. P. vom 25.8. und 10.10.2003, des Gutachtens von Dr. S. vom 1.12.2003, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, der sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. P. vom 22.9.2004 sowie des Gutachtens des Sachverständigen Dr. N. vom 15.4.2005 ist der Senat davon überzeugt, dass das Leistungsvermögen der Klägerin seit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 4.11.2002 auf unter drei Stunden abgesunken ist. Der Senat schließt sich damit der Beurteilung von Dr. Schneider in ihrem Gutachten vom 1.12.2003 an. Diese hat - ebenso wie Dr. P. in den Bescheinigungen vom 25.8. und 10.10.2003 und der MDK im Gutachten vom 9.9.2003 - die anderslautende Beurteilung im Entlassungsbericht der Federseeklinik B. nicht für nachvollziehbar gehalten, weil weder das Asthma bronchiale, welches ausweislich des Berichts vom 19.8.2003 Prof. Dr. Z. veranlasste, die Klägerin am Tag nach der Entlassung aus dem Heilverfahren in der Inneren Notaufnahme der Kreiskliniken R. zur weiteren Abklärung vorzustellen, noch die orthopädischen Leiden der Klägerin hinreichend berücksichtigt und gewürdigt wurden. Der MDK hat am 9.9.2003 ebenfalls keine Möglichkeit gesehen, die seit 4.11.2002 andauernde Arbeitsunfähigkeit zu beenden. Für den Eintritt des Leistungsfalls am 4.11.2002 spricht auch, dass die behandelnde Ärztin Dr. P. eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin seit Juli 2002 in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 22.9.2004 verneint hat und die Klägerin seit 4.11.2002 durchgehend arbeitsunfähig krank geschrieben hat. Da die Klägerin seit diesem Zeitpunkt ihre sitzende Tätigkeit (Falten und Kleben von Briefumschlägen) nicht mehr ausüben konnte, ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin in der Zeit vom 4.11.2002 bis 1.9.2003 noch in der Lage gewesen wäre, eine andere Tätigkeit zu verrichten. Im übrigen müsste - bei Eintritt des Leistungsfalls im September 2003 - auch eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes der Klägerin zwischen dem 4.11.2002 bis 1.9.2003 nachweisbar sein, was nicht der Fall ist. Unerheblich ist, ob zum Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalls oder der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe (medizinische Rehabilitation) noch die Hoffnung oder Aussicht auf eine Besserung der Erwerbsfähigkeit bestanden hat. Entscheidend ist, dass die Klägerin seit 4.11.2002 nicht mehr in der Lage war, mindestens drei Stunden und erst recht nicht sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein. Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden.
Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine
Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1954 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie hat in der Zeit von Februar 1970 bis April 1997 mit Unterbrechungen Pflichtbeiträge wegen Kindererziehung und Pflegetätigkeit erworben. Von Oktober 2000 an verrichtete sie versicherungspflichtige Heimarbeit (Anfertigen von Briefumschlägen). Seit 4.11.2002 war sie arbeitsunfähig und erhielt ab 5.11.2002 Krankengeld.
Am 30.5.2000 beantragte die Klägerin erstmals die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Am 30.6.2003 beantragte die Klägerin Leistungen zur Teilhabe. Die Beklagte gewährte der Klägerin vom 29.7. bis 18.8.2003 ein Heilverfahren in der Federseeklinik B. B. Die dortigen Ärzte stellten bei der Klägerin im Entlassungsbericht vom 27.8.2003 folgende Diagnosen: • Lumbalgien bei statisch degenerativem LWS-Syndrom • Bandscheibenvorfall L 5/S 1 ohne neurologische Ausfälle • Schwindel mit Gangunsicherheit unklarer Genese • Anpassungsstörung • Adipositas permagna. Die Klägerin sei in der Lage als Heimarbeiterin sechs Stunden und mehr zu arbeiten sowie leichte überwiegend sitzende Tätigkeiten in Tagesschicht sechs Stunden und mehr zu verrichten. Zu vermeiden seien häufiges Bücken, Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie Schichtarbeiten. Die Gehstrecke sei eingeschränkt.
Am 21.10.2003 beantragte die Klägerin, bei der ein Grad der Behinderung von 80 und das Merkzeichen G festgestellt sind, die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Zu den Akten gelangten u.a. zwei Bescheinigungen der Hausärztin Dr. P. vom 25.8.2003 und vom 10.10.2003, ein Arztbericht von Prof. Dr. Z. von der Chirurgischen Klinik der Kreiskliniken Reutlingen vom 19.8.2003 und ein MDK-Gutachten vom 9.9.2003. Die Beklagte ließ die Klägerin von der Ärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin sowie Sozialmedizin Dr. S. gutachterlich untersuchen. Diese gelangte im Gutachten vom 1.12.2003 zum Ergebnis, die multimorbide Klägerin sei seit der letzten Arbeitsunfähigkeit vom 4.11.2002 nur noch unter drei Stunden einsetzbar. Auch könne die Klägerin nicht viermal täglich 500 Meter zurücklegen. Der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung im Entlassungsbericht der Federseeklinik B. B. könne nicht gefolgt werden, da die orthopädischen Leiden i. V. m. dem leistungseinschränkenden Übergewicht nicht ausreichend und die bestehenden internistischen Erkrankungen (Asthma bronchiale, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie) nur bedingt gewürdigt worden seien.
Mit Bescheid vom 4.12.2003 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 30.6.2003 auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab, weil in den letzten fünf Jahren keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden seien.
Hiergegen legte die Klägerin am 29.12.2003 Widerspruch ein und trug vor, die Erwerbsminderung sei nicht schon am 3.11.2002, sondern erst am 2.12.2003 eingetreten. Dies ergebe sich daraus, dass ihr für die Zeit vom 29.7. bis 18.8.2003 Übergangsgeld bewilligt worden sei und dass sie aus der Reha-Klinik B. B. als arbeitsfähig entlassen worden sei. Ausgehend von einem Versicherungsfall vom 2.12.2003 habe sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt.
Die Beklagte holte eine ärztliche Stellungnahme bei Dr. M. vom 17.2.2004 ein, der ausführte, die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen hätten ab 5.11.2002 zu einer Arbeitsunfähigkeit auf Dauer und einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden geführt. Der Leistungsfall sei nach dem medizinischen Befund ganz eindeutig der 5.11.2002 (letzte Arbeitsunfähigkeit).
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.5.2004, abgesandt am 11.6.2004, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, seit 4.11.2002 könne die Klägerin leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur weniger als drei Stunden verrichten. Zu diesem Zeitpunkt seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, da im maßgebenden Zeitraum vom 4.11.1997 bis 3.11.2002 lediglich 26 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen vorhanden seien und der Zeitraum vom 1.1.1984 bis 3.11.2002 auch nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt sei.
Hiergegen erhob die Klägerin am 23.6.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen, mit der sie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgte. Das SG hörte die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. P. schriftlich als sachverständige Zeugin. Diese führte in der Auskunft vom 22.9.2004 aus, ab November 2002 habe die Klägerin wegen der zunehmenden Beschwerden krankgeschrieben werden müssen. Sie sei ab November 2002 nicht mehr in der Lage gewesen, ihrer Arbeit nachzugehen. Sie sei weder im Sitzen noch Stehen belastbar und könne ihre häusliche Tätigkeit nur mit Mühe verrichten. Sie sei keine Minute schmerzfrei. Im Laufe der Behandlung seit Juli 2002 sei keine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes eingetreten.
Das SG beauftragte Dr. N., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Begutachtung der Klägerin. Dieser stellte im Gutachten vom 15.4.2005 bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen fest: • Ataxie (Gangunsicherheit) nach Operation eines Kleinhirntumors (Hämangionblastom) 1988 • Lumbales Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen der unteren LWS (Bandscheibenprotrusion im Segment LWK 4/5, rechtsseitiger Bandscheibenvorfall im lumbosakralen Übergangssegment) • Diabetische Polyneuropathie • Depressive Anpassungsstörung. Auf Grund der Gesundheitsstörungen sei nicht vorstellbar, dass die Klägerin selbst leichte Tätigkeiten auch nur stundenweise ausübe. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich in den letzten fünf Jahren zunehmend verschlechtert, weswegen sie seit 5.11.2002 arbeitsunfähig sei. Ob die Klägerin bereits ab November 2002 durchgehend nicht mehr in der Lage gewesen sei, mindestens sechs Stunden an 5 Tagen in der Woche zu arbeiten, sei retrospektiv bei dem offenbar progredienten Verlauf schwer zu sagen. Auf jeden Fall habe zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit noch die Aussicht bestanden, durch adäquate therapeutische Maßnahmen eine Besserung zu erreichen, auch wenn sich diese Hoffnung später nicht erfüllt habe. Aus diesen Gründen habe die Beklagte auch die stationäre Reha-Maßnahme bewilligt.
Mit Gerichtsbescheid vom 18.1.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor. Das SG schließe sich der Auffassung der Beklagten an, wonach der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung mit dem Beginn der lang andauernden Arbeitsunfähigkeit im November 2002 eingetreten sei. Ausgehend hiervon habe die Klägerin im Zeitraum vom November 1997 bis November 2002 lediglich 26 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt. Des weiteren sei der Zeitraum vom 1.1.1984 bis zum Eintritt des Versicherungsfalles nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen den am vom 25.1.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24.2.2006 Berufung eingelegt und vorgetragen, sie sei unstreitig erwerbsgemindert und habe bis 2.10.2003 Pflichtversicherungszeiten zurückgelegt. Die Beklagte stütze sich darauf, dass die Erwerbsminderung schon vorher vorgelegen habe. Dabei berufe sie sich auf einen Ausschlussgrund, für den sie vollumfänglich beweispflichtig sei. Das SG habe außer Acht gelassen, dass auch nach November 2002 noch Anstrengungen unternommen worden seien, sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auch stelle sich die Frage, ob die Beurteilung des Gesundheitszustandes aus heutiger oder damaliger Sicht zu erfolgen habe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Januar 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. November 2003 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunktes zuließen.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat. Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die an eine Rentengewährung geknüpften Voraussetzungen zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab. Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht vorliegen. Der Senat ist ebenso wie das SG und die Beklagte zu der Überzeugung gelangt, dass der Leistungsfall der Erwerbsminderung mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 4.11.2002 eingetreten ist. Gemäß § 103 S. 1, 1. Hs. SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Eine subjektive Beweisführungslast haben die Beteiligten nicht. Dagegen gibt es auch im sozialgerichtlichen Verfahren eine objektive Beweislast. Sie regelt, wen die Folgen treffen, wenn das Gericht eine bestimmte Tatsache trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen kann, d. h. wenn ein sogenanntes "non liquet" vorliegt. Es gilt dann der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 103 Rdnr. 19 und 19a). Auf Grund der Gesamtwürdigung der durchgeführten Ermittlungen, insbesondere des sozialmedizinischen Gutachtens des MDK vom 9.9.2003, der ärztlichen Bescheinigungen von Dr. P. vom 25.8. und 10.10.2003, des Gutachtens von Dr. S. vom 1.12.2003, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, der sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. P. vom 22.9.2004 sowie des Gutachtens des Sachverständigen Dr. N. vom 15.4.2005 ist der Senat davon überzeugt, dass das Leistungsvermögen der Klägerin seit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 4.11.2002 auf unter drei Stunden abgesunken ist. Der Senat schließt sich damit der Beurteilung von Dr. Schneider in ihrem Gutachten vom 1.12.2003 an. Diese hat - ebenso wie Dr. P. in den Bescheinigungen vom 25.8. und 10.10.2003 und der MDK im Gutachten vom 9.9.2003 - die anderslautende Beurteilung im Entlassungsbericht der Federseeklinik B. nicht für nachvollziehbar gehalten, weil weder das Asthma bronchiale, welches ausweislich des Berichts vom 19.8.2003 Prof. Dr. Z. veranlasste, die Klägerin am Tag nach der Entlassung aus dem Heilverfahren in der Inneren Notaufnahme der Kreiskliniken R. zur weiteren Abklärung vorzustellen, noch die orthopädischen Leiden der Klägerin hinreichend berücksichtigt und gewürdigt wurden. Der MDK hat am 9.9.2003 ebenfalls keine Möglichkeit gesehen, die seit 4.11.2002 andauernde Arbeitsunfähigkeit zu beenden. Für den Eintritt des Leistungsfalls am 4.11.2002 spricht auch, dass die behandelnde Ärztin Dr. P. eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin seit Juli 2002 in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 22.9.2004 verneint hat und die Klägerin seit 4.11.2002 durchgehend arbeitsunfähig krank geschrieben hat. Da die Klägerin seit diesem Zeitpunkt ihre sitzende Tätigkeit (Falten und Kleben von Briefumschlägen) nicht mehr ausüben konnte, ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin in der Zeit vom 4.11.2002 bis 1.9.2003 noch in der Lage gewesen wäre, eine andere Tätigkeit zu verrichten. Im übrigen müsste - bei Eintritt des Leistungsfalls im September 2003 - auch eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes der Klägerin zwischen dem 4.11.2002 bis 1.9.2003 nachweisbar sein, was nicht der Fall ist. Unerheblich ist, ob zum Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalls oder der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe (medizinische Rehabilitation) noch die Hoffnung oder Aussicht auf eine Besserung der Erwerbsfähigkeit bestanden hat. Entscheidend ist, dass die Klägerin seit 4.11.2002 nicht mehr in der Lage war, mindestens drei Stunden und erst recht nicht sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein. Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden.
Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine
Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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