Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 1377/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3273/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 wegen wesentlicher Änderung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Bei dem am 15.5.1942 geborenen Kläger waren mit Bescheid vom 18.8.1999 als Behinderungen "Motorische und sensible Schädigung des Mittelnerven mit Herabsetzung der Nervenleitgeschwindigkeit, Bewegungseinschränkung des Daumens und der Langfinger sowie Empfindungsstörungen im Versorgungsgebiet des Mittelnerven, Minderung der Daumenballenmuskulatur, Herabsetzung der groben Kraft und Minderbeschwielung der Hohlhand, reizfreie Narben am Unterarm (Teil-GdB 20), Lendenwirbelsäulenveränderungen bei verheilter Fraktur des 5. Lendenwirbelkörpers (Teil-GdB 10)" mit einem Gesamt-GdB von 20 festgestellt worden. Ein in der Folgezeit gestellter Neufeststellungsantrag blieb im Ergebnis erfolglos. Die Funktionsbeeinträchtigungen wurden jedoch als "Unfallfolgen am rechten Arm (Teil-GdB 20), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 10)" bezeichnet (Bescheid vom 22.2.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2002).
Den streitgegenständlichen Neufeststellungsantrag stellte der Kläger am 12.5.2004.
Mit Bescheid vom 29.9.2004 stellte der Beklagte nunmehr einen GdB von 40 bei den Funktionsbeeinträchtigungen "BG-Unfallfolgen am rechten Arm (Teil-GdB 10), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, operierter Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Spinalkanalstenose, Schwindel (Teil-GdB 40)" fest und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.3.2005 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 13.4.2005 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben, mit der er sein Begehren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft weiterverfolgt hat.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung des orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. B. vom 26.8.2005. Erhoben worden sind ein Zustand nach Bandscheibenoperation L 4/5 rechts mit verbliebener diskreter Hyposensibilität, ein degeneratives Zervikalsyndrom sowie eine Quetschverletzung des rechten Unterarms mit Nervenkompression und zweimaliger Operation des Nervus medianus. Der operierte Bandscheibenvorfall ist mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden, die Veränderungen der Halswirbelsäule, die Unfallfolgen am rechten Arm und die beim Kläger vorliegenden Schwindelerscheinungen jeweils mit Teil-GdB von 10. Der Gesamt-GdB ist mit 40 eingestuft worden.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ferner das nervenärztlich-psychosomatische Sachverständigengutachten von Dr. K. vom 10.2.2006 eingeholt. Diagnostiziert worden ist neben den bereits anderweitig festgestellten orthopädischen Befunden eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit einem Teil-GdB von 20. Der Gesamt-GdB ist deswegen vom Sachverständigen unter Übernahme der sonstigen Teil-GdB mit einem Gesamt-GdB von 50 bewertet worden.
Das SG hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.5.2006 durch Urteil vom selben Tag unter Abänderung der angegriffenen Bescheide, Abweisung der Klage im Übrigen und Auferlegung von drei Vierteln der außergerichtlichen Kosten des Klägers einen GdB von 50 ab dem 2.2.2006 festgestellt. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 14.6.2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 28.6.2006 Berufung eingelegt, mit welcher er im Wesentlichen geltend macht, dass die lediglich geringgradige Funktionsbehinderung im Bereich der gesamten Wirbelsäule keinen Teil-GdB von 30 rechtfertige, zumindest seien bei Annahme eines Teil-GdB insoweit von 30 die Beschwerden von Seiten der Halswirbelsäule und auch die somatoforme Schmerzstörung darin mitenthalten, zumal insoweit weitreichende Überschneidungen vorlägen. Die übrigen Teil-GdB wirkten sich auf den Gesamt-GdB nicht aus.
Der Senat hat von Prof. Dr. R. das orthopädische Sachverständigengutachten vom 17.1.2007 eingeholt. Darin festgestellt worden sind Funktionsstörungen der Brust- und Lendenwirbelsäule mit geringen sensiblen Störungen und geringem Kraftverlust bei Zustand nach Bandscheibenoperation (Teil-GdB 30), degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit Stenose des Spinalkanals ohne fassbare Funktionsstörungen (Teil-GdB 10), Sensibilitätsstörungen und ein unvollständiger Faustschluss sowie ein Kraftverlust an der rechten Hand (Teil-GdB 10). Zwischen den Befunden der rechten Hand und der Halswirbelsäule bestünden Überschneidungen, sodass für diesen Komplex integrativ ein Teil-GdB von 20 anzusetzen sei. Auf orthopädischem Fachgebiet betrage der Gesamt-GdB 40 und unter Berücksichtigung der somatoformen Schmerzstörung 50.
Dieser Einschätzung ist der Beklagte unter Vorlage der ärztlichen Stellungnahme des Versorgungsarztes Dr. W. vom 7.2.2007 entgegengetreten.
Der Beklagte beantragt
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig und begründet.
Bei dem Kläger ist keine wesentliche Änderung in seinen gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten, die einen Gesamt-GdB von 50 rechtfertigen würde.
Wegen der für die GdB-Feststellung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und die Begründung der streitgegenständlichen Bescheide Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist zunächst festzustellen, dass beim Kläger im Bereich der Wirbelsäule insgesamt allenfalls von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen auszugehen ist. Schwere funktionelle Auswirkungen auch nur eines Wirbelsäulenabschnitts werden jedenfalls in keinem der orthopädischen Sachverständigengutachten beschrieben.
Selbst wenn man vorliegend von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ausgehen würde (obwohl solche eigentlich nur bezüglich der Lendenwirbelsäule als Folgen des dort operierten Bandscheibenvorfalls anzunehmen sind, während die Veränderungen der Halswirbelsäule in beiden Sachverständigengutachten für sich allein betrachtet lediglich als geringgradig beschrieben werden), wäre dann entsprechend Ziff. 26.18 (Seite 116) der Anhaltspunkte für die Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AHP) für die körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule als solche kein höherer Teil-GdB als 30 anzusetzen. Bei der Tagung der Sektion Versorgungsmedizin am 22.4.1991 (Prot. vom 17.9.1991) erfolgte nämlich eine Klarstellung zu Ziff. 26.18 der AHP in dem Sinne, dass mittelgradige Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 und nur schwere Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 40 zu bewerten seien. Dieser Klarstellung folgt der Senat grundsätzlich und sieht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorliegend keinen Anlass zur Abweichung, zumal auch in beiden orthopädischen Sachverständigengutachten der höchste Teil-GdB für die Wirbelsäule mit 30 bewertet wird.
Orthopädischerseits bestehen jedenfalls keine weiteren Teil-GdB, die eine Erhöhung des GdB bedingen könnten. Beide Sachverständigengutachten beschreiben insoweit schlüssig und nachvollziehbar allenfalls weitere Teil-GdB von 10, die damit nicht GdB-erhöhend sind. Schwindelerscheinungen wurden anlässlich der letzten Begutachtung durch Prof. Dr. R. nicht mehr geltend gemacht.
Nach Ziff. 18 Abs. 4 (Seite 22) der AHP sind im Allgemeinen die dort aufgeführten Funktionssysteme bei der GdB-Bewertung zusammenfassend zu beurteilen. Die von Prof. Dr. R. vorgenommene zusammenfassende Würdigung von Befunden der rechten Hand und der Halswirbelsäule, die für sich betrachtet jeweils nur Teil-GdB von 10 bedingen, mit dem Ergebnis eines integrativen GdB insoweit von 20 verbietet sich damit.
Es spricht damit im Ergebnis vieles dafür, allein für die körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen insgesamt keinen höheren GdB als 30 anzusetzen. Nach Ziff. 18 Abs. 8 (Seite 23/24) der AHP berücksichtigen die in der GdB-Tabelle niedergelegten Sätze dabei bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen, die üblicherweise vorhandenen Schmerzen und auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Soweit - rein orthopädischerseits - in den Sachverständigengutachten ein Gesamt-GdB von 40 angenommen wird, ist dies im Ergebnis also bereits als für den Kläger günstig anzusehen. Letztlich kann der Senat allerdings offenlassen, ob vorliegend allein für die körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen ein GdB von 30 oder ein solcher von 40 festzustellen ist. Denn selbst bei Annahme eines Teil-GdB insoweit von 40 lässt sich vorliegend die Schwerbehinderteneigenschaft nicht begründen
Die Gesamtbehinderung eines Menschen lässt sich rechnerisch nicht ermitteln. Daher ist für die Bildung des Gesamt-GdB eine Addition von Einzel-GdB-Werten grundsätzlich unzulässig. Auch andere Rechenmethoden sind ungeeignet (BSG vom 15.3.1979 aaO). In der Regel wird von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB ausgegangen und sodann geprüft, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird. Leichte Gesundheitsstörungen, die - wie hier - also nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, führen demgemäß in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es im Übrigen vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Absätze 3 und 4 der AHP).
Letztlich stellt sich damit hier die Frage, inwieweit die beim Kläger vorliegenden Schmerzen bzw. die von Dr. K. angenommene somatoforme Schmerzstörung sich GdB-erhöhend auswirken können.
Im Ergebnis verneint der Senat nervenärztlicherseits eine Erhöhung des durch die rein körperlichen Befunde bedingten höchsten Teil-GdB auf mehr als 40. Dies selbst dann, wenn man für die nervenärztlichen Befunde einen Teil-GdB von 20 ansetzen würde.
Was allein den Gesichtspunkt der Schmerzen anbelangt, ergibt sich dies schon aus Ziff. 18 Abs. 8 (Seite 23/24) der AHP (vgl. hierzu bereits oben). Aber auch unter Berücksichtigung dadurch bedingter psychischer Einschränkungen lässt sich hier die Schwerbehinderteneigenschaft nicht begründen. Dies zum einen, weil bei einem für eine somatoforme Schmerzstörung anzusetzenden Teil-GdB von 20 verglichen mit den Maßstäben der AHP für psychische Störungen (Ziff. 26. 3, Seite 48) lediglich eine leichter behindernde Störung anzunehmen ist. Zum anderen ergibt u. a. die anlässlich der Begutachtung durch Dr. K. erhobene Tagesstruktur des Klägers (insbesondere Blatt 49/51 der SG-Akte) - dieser Einstufung durchaus entsprechend - keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, wodurch sich wiederum erklären lässt, dass der Kläger sich nicht in entsprechender nervenärztlicher oder schmerztherapeutischer Behandlung befindet. Im Ergebnis ist es daher nicht berechtigt, auf Grund der somatoforme Schmerzstörung auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 wegen wesentlicher Änderung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Bei dem am 15.5.1942 geborenen Kläger waren mit Bescheid vom 18.8.1999 als Behinderungen "Motorische und sensible Schädigung des Mittelnerven mit Herabsetzung der Nervenleitgeschwindigkeit, Bewegungseinschränkung des Daumens und der Langfinger sowie Empfindungsstörungen im Versorgungsgebiet des Mittelnerven, Minderung der Daumenballenmuskulatur, Herabsetzung der groben Kraft und Minderbeschwielung der Hohlhand, reizfreie Narben am Unterarm (Teil-GdB 20), Lendenwirbelsäulenveränderungen bei verheilter Fraktur des 5. Lendenwirbelkörpers (Teil-GdB 10)" mit einem Gesamt-GdB von 20 festgestellt worden. Ein in der Folgezeit gestellter Neufeststellungsantrag blieb im Ergebnis erfolglos. Die Funktionsbeeinträchtigungen wurden jedoch als "Unfallfolgen am rechten Arm (Teil-GdB 20), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 10)" bezeichnet (Bescheid vom 22.2.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2002).
Den streitgegenständlichen Neufeststellungsantrag stellte der Kläger am 12.5.2004.
Mit Bescheid vom 29.9.2004 stellte der Beklagte nunmehr einen GdB von 40 bei den Funktionsbeeinträchtigungen "BG-Unfallfolgen am rechten Arm (Teil-GdB 10), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, operierter Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Spinalkanalstenose, Schwindel (Teil-GdB 40)" fest und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.3.2005 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 13.4.2005 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben, mit der er sein Begehren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft weiterverfolgt hat.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung des orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. B. vom 26.8.2005. Erhoben worden sind ein Zustand nach Bandscheibenoperation L 4/5 rechts mit verbliebener diskreter Hyposensibilität, ein degeneratives Zervikalsyndrom sowie eine Quetschverletzung des rechten Unterarms mit Nervenkompression und zweimaliger Operation des Nervus medianus. Der operierte Bandscheibenvorfall ist mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden, die Veränderungen der Halswirbelsäule, die Unfallfolgen am rechten Arm und die beim Kläger vorliegenden Schwindelerscheinungen jeweils mit Teil-GdB von 10. Der Gesamt-GdB ist mit 40 eingestuft worden.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ferner das nervenärztlich-psychosomatische Sachverständigengutachten von Dr. K. vom 10.2.2006 eingeholt. Diagnostiziert worden ist neben den bereits anderweitig festgestellten orthopädischen Befunden eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit einem Teil-GdB von 20. Der Gesamt-GdB ist deswegen vom Sachverständigen unter Übernahme der sonstigen Teil-GdB mit einem Gesamt-GdB von 50 bewertet worden.
Das SG hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.5.2006 durch Urteil vom selben Tag unter Abänderung der angegriffenen Bescheide, Abweisung der Klage im Übrigen und Auferlegung von drei Vierteln der außergerichtlichen Kosten des Klägers einen GdB von 50 ab dem 2.2.2006 festgestellt. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 14.6.2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 28.6.2006 Berufung eingelegt, mit welcher er im Wesentlichen geltend macht, dass die lediglich geringgradige Funktionsbehinderung im Bereich der gesamten Wirbelsäule keinen Teil-GdB von 30 rechtfertige, zumindest seien bei Annahme eines Teil-GdB insoweit von 30 die Beschwerden von Seiten der Halswirbelsäule und auch die somatoforme Schmerzstörung darin mitenthalten, zumal insoweit weitreichende Überschneidungen vorlägen. Die übrigen Teil-GdB wirkten sich auf den Gesamt-GdB nicht aus.
Der Senat hat von Prof. Dr. R. das orthopädische Sachverständigengutachten vom 17.1.2007 eingeholt. Darin festgestellt worden sind Funktionsstörungen der Brust- und Lendenwirbelsäule mit geringen sensiblen Störungen und geringem Kraftverlust bei Zustand nach Bandscheibenoperation (Teil-GdB 30), degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit Stenose des Spinalkanals ohne fassbare Funktionsstörungen (Teil-GdB 10), Sensibilitätsstörungen und ein unvollständiger Faustschluss sowie ein Kraftverlust an der rechten Hand (Teil-GdB 10). Zwischen den Befunden der rechten Hand und der Halswirbelsäule bestünden Überschneidungen, sodass für diesen Komplex integrativ ein Teil-GdB von 20 anzusetzen sei. Auf orthopädischem Fachgebiet betrage der Gesamt-GdB 40 und unter Berücksichtigung der somatoformen Schmerzstörung 50.
Dieser Einschätzung ist der Beklagte unter Vorlage der ärztlichen Stellungnahme des Versorgungsarztes Dr. W. vom 7.2.2007 entgegengetreten.
Der Beklagte beantragt
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig und begründet.
Bei dem Kläger ist keine wesentliche Änderung in seinen gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten, die einen Gesamt-GdB von 50 rechtfertigen würde.
Wegen der für die GdB-Feststellung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und die Begründung der streitgegenständlichen Bescheide Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist zunächst festzustellen, dass beim Kläger im Bereich der Wirbelsäule insgesamt allenfalls von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen auszugehen ist. Schwere funktionelle Auswirkungen auch nur eines Wirbelsäulenabschnitts werden jedenfalls in keinem der orthopädischen Sachverständigengutachten beschrieben.
Selbst wenn man vorliegend von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ausgehen würde (obwohl solche eigentlich nur bezüglich der Lendenwirbelsäule als Folgen des dort operierten Bandscheibenvorfalls anzunehmen sind, während die Veränderungen der Halswirbelsäule in beiden Sachverständigengutachten für sich allein betrachtet lediglich als geringgradig beschrieben werden), wäre dann entsprechend Ziff. 26.18 (Seite 116) der Anhaltspunkte für die Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AHP) für die körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule als solche kein höherer Teil-GdB als 30 anzusetzen. Bei der Tagung der Sektion Versorgungsmedizin am 22.4.1991 (Prot. vom 17.9.1991) erfolgte nämlich eine Klarstellung zu Ziff. 26.18 der AHP in dem Sinne, dass mittelgradige Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 und nur schwere Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 40 zu bewerten seien. Dieser Klarstellung folgt der Senat grundsätzlich und sieht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorliegend keinen Anlass zur Abweichung, zumal auch in beiden orthopädischen Sachverständigengutachten der höchste Teil-GdB für die Wirbelsäule mit 30 bewertet wird.
Orthopädischerseits bestehen jedenfalls keine weiteren Teil-GdB, die eine Erhöhung des GdB bedingen könnten. Beide Sachverständigengutachten beschreiben insoweit schlüssig und nachvollziehbar allenfalls weitere Teil-GdB von 10, die damit nicht GdB-erhöhend sind. Schwindelerscheinungen wurden anlässlich der letzten Begutachtung durch Prof. Dr. R. nicht mehr geltend gemacht.
Nach Ziff. 18 Abs. 4 (Seite 22) der AHP sind im Allgemeinen die dort aufgeführten Funktionssysteme bei der GdB-Bewertung zusammenfassend zu beurteilen. Die von Prof. Dr. R. vorgenommene zusammenfassende Würdigung von Befunden der rechten Hand und der Halswirbelsäule, die für sich betrachtet jeweils nur Teil-GdB von 10 bedingen, mit dem Ergebnis eines integrativen GdB insoweit von 20 verbietet sich damit.
Es spricht damit im Ergebnis vieles dafür, allein für die körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen insgesamt keinen höheren GdB als 30 anzusetzen. Nach Ziff. 18 Abs. 8 (Seite 23/24) der AHP berücksichtigen die in der GdB-Tabelle niedergelegten Sätze dabei bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen, die üblicherweise vorhandenen Schmerzen und auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Soweit - rein orthopädischerseits - in den Sachverständigengutachten ein Gesamt-GdB von 40 angenommen wird, ist dies im Ergebnis also bereits als für den Kläger günstig anzusehen. Letztlich kann der Senat allerdings offenlassen, ob vorliegend allein für die körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen ein GdB von 30 oder ein solcher von 40 festzustellen ist. Denn selbst bei Annahme eines Teil-GdB insoweit von 40 lässt sich vorliegend die Schwerbehinderteneigenschaft nicht begründen
Die Gesamtbehinderung eines Menschen lässt sich rechnerisch nicht ermitteln. Daher ist für die Bildung des Gesamt-GdB eine Addition von Einzel-GdB-Werten grundsätzlich unzulässig. Auch andere Rechenmethoden sind ungeeignet (BSG vom 15.3.1979 aaO). In der Regel wird von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB ausgegangen und sodann geprüft, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird. Leichte Gesundheitsstörungen, die - wie hier - also nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, führen demgemäß in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es im Übrigen vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Absätze 3 und 4 der AHP).
Letztlich stellt sich damit hier die Frage, inwieweit die beim Kläger vorliegenden Schmerzen bzw. die von Dr. K. angenommene somatoforme Schmerzstörung sich GdB-erhöhend auswirken können.
Im Ergebnis verneint der Senat nervenärztlicherseits eine Erhöhung des durch die rein körperlichen Befunde bedingten höchsten Teil-GdB auf mehr als 40. Dies selbst dann, wenn man für die nervenärztlichen Befunde einen Teil-GdB von 20 ansetzen würde.
Was allein den Gesichtspunkt der Schmerzen anbelangt, ergibt sich dies schon aus Ziff. 18 Abs. 8 (Seite 23/24) der AHP (vgl. hierzu bereits oben). Aber auch unter Berücksichtigung dadurch bedingter psychischer Einschränkungen lässt sich hier die Schwerbehinderteneigenschaft nicht begründen. Dies zum einen, weil bei einem für eine somatoforme Schmerzstörung anzusetzenden Teil-GdB von 20 verglichen mit den Maßstäben der AHP für psychische Störungen (Ziff. 26. 3, Seite 48) lediglich eine leichter behindernde Störung anzunehmen ist. Zum anderen ergibt u. a. die anlässlich der Begutachtung durch Dr. K. erhobene Tagesstruktur des Klägers (insbesondere Blatt 49/51 der SG-Akte) - dieser Einstufung durchaus entsprechend - keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, wodurch sich wiederum erklären lässt, dass der Kläger sich nicht in entsprechender nervenärztlicher oder schmerztherapeutischer Behandlung befindet. Im Ergebnis ist es daher nicht berechtigt, auf Grund der somatoforme Schmerzstörung auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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