L 3 SB 1336/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 3016/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1336/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 24. Februar 2006 abgeändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2005 verurteilt, über den Antrag der Klägerin vom 15. Dezember 2004 auf rückwirkende Feststellung eines GdB von 50 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die rückwirkende Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Die am 11.1.1948 geborene Klägerin beantragte erstmals im März 1995 die Feststellung von Behinderungen. Den Antrag begründete sie mit Beschwerden im Bereich der rechten Hüfte, mit einem Wirbelsäulenschaden und einer Arthrose in beiden Kniegelenken.

Mit Bescheid vom 3.8.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides 29.5.1996 stellte der Beklagte als Behinderungen "Wirbelsäulensyndrom, Nacken-Schulter-Arm-Syndrom, Lumboischialgien (Teil-GdB 20), Verschleiß- und Reizerscheinungen im Bereich der Hüft- und Kniegelenke (Teil-GdB 20), Epicondylitis, Karpaltunnelsyndrom (Teil-GdB 10)" und einen GdB von 30 seit dem 7.3.1995 fest.

Den Neufeststellungsantrag vom 1.12.2000 begründete die Klägerin wiederum ausschließlich mit orthopädischen Befunden und auch in dem Entlassungsbericht vom 18.8.2000 über eine von ihr im Mai 2000 durchgeführte stationäre Heilbehandlung waren lediglich orthopädische Diagnosen genannt. Die vegetative Anamnese enthält die Angabe von Ein- und Durchschlafstörungen wegen innerer Unruhe und Schmerzen. Ferner ist im Entlassungsbericht von psychischen Belastungen infolge der anhaltenden Schmerzsymptomatik sowie von Stimmungsschwankungen durch die Wechseljahre und die Belastung durch die erneute Krebserkrankung des Ehemannes ohne Wunsch nach einer psychologischen Beratung die Rede. Die Entlassung erfolgte danach bei deutlich gebesserter psychischer Situation.

Mit Bescheid vom 16.1.2001 stellte der Beklagte daraufhin als Funktionsbeeinträchtigungen "Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom beidseits, Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 20), Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes beidseits, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes beidseits (Teil-GdB 30), Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks beidseits, Mittelnervendruckschädigung (Karpaltunnelsyndrom) beidseits (Teil-GdB 10)" und einen GdB von 40 fest.

Einen weiteren Neufeststellungsantrag stellte die Klägerin am 13.8.2001 und begründete diesen nunmehr mit einer Depression.

Nachdem in einem Befundbericht des die Klägerin am 7.5.2001 einmalig behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 8.5.2001 als Diagnose ein depressiver Verstimmungszustand genannt worden ist, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 21.11.2001 im Wesentlichen unter Beibehaltung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen im Übrigen als weitere Funktionsbeeinträchtigung "Depression" bei einem Teil-GdB von 10 fest und lehnte den Neufeststellungsantrag ab.

Den nächsten Neufeststellungsantrag stellte die Klägerin am 29.10.2002 und begründete diesen mit einer depressiven Entwicklung durch Klimakterium. Der Allgemeinmediziner Dr. H. gab in seinem Bericht vom 8.11.2002 die Behandlung wegen einer schweren Depression mit fachärztlicher Weiterbehandlung an. In einem beigefügten Arztbrief des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. S. ist von einer Behandlung wegen einer schweren depressiven Episode auf Grund seit Monaten bestehender Beschwerden die Rede.

Mit Bescheid vom 22.1.2003 lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag unter Beibehaltung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen und deren GdB-Bewertung ab.

Im Widerspruchsverfahren lag der Befundbericht von Dr. S. vom 19.2.2003 vor, worin er über eine erstmalige Behandlung der Klägerin am 30.9.2002 wegen einer schweren depressiven Episode berichtete. Es habe sich um die erste gravierende depressive Erkrankung auf Grund familiärer und beruflicher Belastungen gehandelt. Mit Abhilfebescheid vom 21.3.2003 stellte der Beklagte nunmehr einen GdB von 50 seit dem 29.10.2002 unter Bewertung der Depression mit einem Teil-GdB von 20 bei im Übrigen unveränderten Feststellungen und Bewertungen fest.

Auf den weiteren Neufeststellungsantrag der Klägerin vom 9.12.2003 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 13.2.2004 einen GdB von 60 unter Bezeichnung und Bewertung der Funktionsbeeinträchtigungen seitens der Wirbelsäule als "Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, Nervenwurzelreizerscheinungen, Bandscheibenschaden (Teil-GdB 30)" bei im Übrigen unveränderten Feststellungen und Bewertungen fest.

Im Rahmen des von der Beklagten im September 2004 von Amts wegen eingeleiteten Überprüfungsverfahrens und des von der Klägerin am 15.12.2004 - vor dem Hintergrund einer vorzeitigen Gewährung von Altersrente - eingeleiteten Verfahrens auf rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft seit dem 1.11.2000 gab Dr. H. unter dem 23.5.2005 an, die Klägerin erstmals im März 2000 wegen einer depressiven Verstimmung behandelt zu haben. In der Folgezeit sei eine kontinuierliche Zunahme der Beschwerden erfolgt und wegen ständiger Verschlechterung sei im Mai 2001 eine nervenärztliche Mitbehandlung erforderlich geworden. Es könne bescheinigt werden, dass die depressive Erkrankung im Jahr 2000 bereits vorgelegen habe.

Mit Bescheid vom 17.6.2005 lehnte der Beklagte den Antrag auf rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gestützt auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und im Wesentlichen mit der Begründung ab, im Jahr 2000 habe zwar eine leichtgradige depressive Verstimmung vorgelegen, diese habe aber nicht die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft ab November 2000 bedingt. Ferner entschied der Beklagte mit Bescheid vom 20.6.2005, dass die von Amts wegen durchgeführte Überprüfung keine wesentliche Änderung erbracht habe und deshalb keine Neufeststellung zu treffen sei.

Den gegen die Ablehnung der rückwirkenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerichteten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4.10.2005 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 18.10.2005 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat.

Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Dr. K. hat unter dem 14.10.2005 über die von ihm erstmals und einmalig am 7.5.2001 durchgeführte Behandlung berichtet. Dr. H. hat in seiner Auskunft vom 14.11.2005 den Behandlungsverlauf der Klägerin dargestellt. Danach ist erstmals anlässlich einer Behandlung vom 2.3.2000 von psychovegetativen Störungen die Rede. Am 29.1.2001 ist eine Beratung wegen einer allgemeinen Erschöpfung und einer zunehmenden depressiven Verstimmung vermerkt. Im Wesentlichen erstmals wieder im September 2002 und in der Folgezeit sind weitere Behandlungen wegen psychischer Befunde dokumentiert (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 14/15 und 16/17 der SG-Akte Bezug genommen). Vorgelegt worden ist von der Klägerin noch die Kostenzusage der B. vom 16.11.1982 für eine Verhaltenstherapie im Umfang von 30 Einzelsitzungen auf Grund einer von der Klägerin im Januar 1982 erlittenen Totgeburt (Blatt 41 der SG-Akte).

Das SG hat die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.2.2006 durch Urteil vom selben Tag abgewiesen.

Es hat unter Darstellung der für die GdB-Feststellung erforderlichen Voraussetzungen und maßgeblichen Rechtsvorschriften sowie unter Hinweis auf § 44 Abs. 1 SGB X entschieden, dass sich für die Zeit ab November 2000 lediglich ein GdB von 40 ergebe. Eine psychische Behinderung, die mit einem GdB von 20 bewertet werden könne, sei für diesen Zeitpunkt nicht nachgewiesen. Abzustellen sei auf den Reha-Entlassungsbericht vom 18.8.2000. Darin sei zwar von gewissen psychischen Belastungen mit psychovegetativen Schlafstörungen die Rede, eine psychiatrische Diagnose sei aber nicht genannt worden. Nachdem sich die Klägerin damals knapp drei Wochen in stationärer Behandlung befunden habe, sei davon auszugehen, dass eine ernsthafte psychische Erkrankung unter diesen Umständen aufgefallen wäre. Auch im danach gestellten Verschlimmerungsantrag seien lediglich die organischen Diagnosen aus dem Reha-Entlassungsbericht genannt, während zusätzliche psychische Erkrankungen nicht erwähnt worden seien. Es sei deshalb davon auszugehen, dass zu diesem Zeitpunkt keine erwähnenswerte psychische Erkrankung vorgelegen habe. Dabei werde nicht verkannt, dass Dr. H. in seinem Attest bereits seit März 2000 gewisse psychische Symptome hausärztlich behandelt habe. Er habe aber erst im Mai 2001 fachärztliche Hilfe für erforderlich gehalten und Dr. K. hinzugezogen. Damit könne erst ab diesem Zeitpunkt eine ernsthafte psychische Erkrankung als nachgewiesen angesehen werden, wobei es aber fraglich sei, ob es sich bereits damals um eine Erkrankung mit dauerhaftem (d. h. mehr als sechsmonatigem) Behinderungscharakter gehandelt habe, denn weitere Vorstellungen bei Dr. K. seien nicht erfolgt. Vielmehr sei es dann erst wieder im Herbst 2002 zu einem erneuten Ausbruch der Erkrankung gekommen, die Dr. H. dann wiederum zum Anlass für die Hinzuziehung des Nervenarztes Dr. S. genommen habe. Insgesamt sei deshalb lediglich erwiesen, dass es zwar im Laufe des Jahres 2000 zum Auftreten von psychischen Symptomen gekommen sei, die aber zunächst lediglich hausärztlich behandelt worden seien. Im Mai 2000 sei die Erkrankung noch nicht so weit fortgeschritten gewesen, dass sie während der Reha-Behandlung aufgefallen wäre, und auch im November 2000 habe offenbar noch kein Anlass bestanden, die Erkrankung gegenüber der Versorgungsverwaltung geltend zu machen. Erst im Mai 2001 sei eine Verschlimmerung eingetreten, die die Klägerin vorübergehend zur Inanspruchnahme fachärztlicher Hilfe veranlasst habe. Die wesentliche und dauerhafte Verschlechterung sei dann erst im September 2002 mit der Behandlungsnotwendigkeit bei Dr. S. eingetreten. Damit sei für November 2000 noch keine psychische Störung mit gewisser Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nachgewiesen, die nach Ziff. 26.3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AHP) mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten gewesen sei. Ausgehend von dem damals festzustellenden höchsten Teil-GdB von 30 und den weiteren Teil-GdB könne ein höherer Gesamt-GdB als 40 für den streitgegenständlichen Zeitpunkt nicht festgestellt werden. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 9.3.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.3.2006 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Klagebegehren im Wesentlichen mit der bisherigen Begründung weiterverfolgt.

Der Senat hat von den zuständigen Krankenkassen die dort über die Klägerin vorhandenen Unterlagen beigezogen (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 21/25, 27/56,58/78 und 81/86 der LSG-Akte Bezug genommen).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 24. Februar 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2005 zu verurteilen, die Bescheide vom 16. Januar 2001, 21. November 2001, 22. Januar 2003 und 21. März 2003 zurückzunehmen und einen GdB von 50 bereits ab dem 1. November 2000 festzustellen, hilfsweise, über den Antrag der Klägerin vom 15. Dezember 2004 auf rückwirkende Feststellung eines GdB von 50 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), ist zulässig, in der Sache jedoch überwiegend unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 17.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.10.2005, mit welchem er die rückwirkende Feststellung eines GdB von 50 abgelehnt hat. Gegenstand der Überprüfung sind damit auch die Bescheide vom 16.1.2001, 21.11.2001, 22.1.2003 und 21.3.2003. Letztere Bescheide erweisen sich lediglich insoweit als rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, als der Beklagte einen GdB von 50 erst ab dem Zeitpunkt der Stellung des Neufeststellungsantrags vom 29.10.2002 und nicht bereits ab dem 30.9.2002 festgestellt hat. Rechtmäßig sind die Bescheide aber insbesondere insoweit, als eine rückwirkende Feststellung eines GdB von 50 für die davor liegende Zeit abgelehnt worden ist.

Was die Ablehnung der rückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit vor dem 30.9.2002 anbelangt, weist der Senat die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die vom SG vorgenommene Beweiswürdigung betreffend die Feststellung eines GdB von 50 bereits ab November 2000 ist in jeder Hinsicht zutreffend und wird deshalb auch vom Senat geteilt.

Unter Berücksichtigung der damals im Übrigen festgestellten Teil-GdB, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, wäre ein Gesamt-GdB von 50 nur dann in Betracht gekommen, wenn bereits zum damaligen Zeitpunkt eine psychische Störung (Depression) vorgelegen hätte, die - mindestens - mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten gewesen wäre und bereits zu bemerkenswerten Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit geführt hätte. Letztere Voraussetzung ist vor dem Hintergrund der Maßstäbe zur Bildung des Gesamt-GdB zu beachten, wonach in der Regel von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB - hier: Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes beidseits, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes beidseits (Teil-GdB 30) - ausgegangen und sodann geprüft wird, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, führen dabei in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Absätze 3 und 4 der AHP).

Auch der Senat verneint vorliegend eine derart ausgeprägte psychische Funktionsbeeinträchtigung zum maßgeblichen Zeitpunkt, die es gerechtfertigt hätte, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen, und weist ergänzend zu den Ausführungen des SG noch insbesondere darauf hin, dass die Entlassung aus der im Mai 2000 erfolgten Reha-Behandlung bei deutlich gebesserter psychischer Situation erfolgt ist. Schon während der Behandlung bestand im Übrigen nicht einmal der Wunsch nach einer psychologischen Beratung, was auf insoweit fehlende wesentliche Beeinträchtigungen schließen lässt. Sowohl vor dem Hintergrund, dass lediglich vorübergehende Gesundheitsstörungen keine Behinderungen darstellen, als auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der objektiven Beweislast ist auch der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht davon überzeugt, dass vor der Behandlung durch Dr. S. am 30.9.2002 wegen einer schweren depressiven Episode eine dauerhafte psychische Funktionsbeeinträchtigung vorgelegen hat, die im oben dargestellten Sinne unter Berücksichtigung der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen die Schwerbehinderteneigenschaft begründet hätte. Der Senat leitet dies auch aus der von Dr. S. vorgenommenen Feststellung ab, es habe sich um die erste gravierende depressive Erkrankung auf Grund familiärer und beruflicher Belastungen gehandelt. Erstmals festgestellt und dokumentiert wurde diese Erkrankung auch bezüglich des Schweregrades somit erstmals am 30.9.2002.

Weder hat sich aus den vom Senat beigezogenen Krankenunterlagen der Klägerin ein abweichendes Ergebnis ergeben (psychische Befunde für den maßgeblichen Zeitpunkt sind darin überhaupt nicht erwähnt) noch lässt sich aus den von der Klägerin bereits im SG-Verfahren vorgelegten Unterlagen und insbesondere aus der Kostenzusage der B. vom 16.11.1982 für eine Verhaltenstherapie im Umfang von 30 Einzelsitzungen auf Grund einer von der Klägerin im Januar 1982 erlittenen Totgeburt (Blatt 41 der SG-Akte) etwas anderes ableiten. Gegebenenfalls vorbestehende psychische Erkrankungen waren jedenfalls zum Zeitpunkt der stationären Heilbehandlung im Mai 2000 soweit abgeklungen, dass erwähnenswerte Auswirkungen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestanden. Die Entwicklung der psychischen Situation der Klägerin in der Folgezeit hat das SG zutreffend gewürdigt. Zur Aussage von Dr. H., worin erstmals anlässlich einer Behandlung vom 2.3.2000 von psychovegetative Störungen die Rede ist, ist aus Sicht des Senats auszuführen, dass - was auch das SG eingeräumt hat - sicherlich bereits ab dem Jahr 2000 eine erneute depressive Entwicklung ihren Anfang genommen hat. Ein die Schwerbehinderteneigenschaft begründender Umfang dieser Erkrankung lässt sich aber frühestens für den Zeitpunkt der Feststellungen durch Dr. S. am 30.9.2002 hinreichend objektivieren.

Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, welches hier allerdings lediglich für die Zeit ab dem 30.9.2002 begründet ist, ist - anders als dies das SG und der Beklagte gesehen hat - § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X.

Die Rücknahme bzw. die rückwirkende Feststellung für die Vergangenheit steht damit im Ermessen des Beklagten. Dieses Ermessen erstreckt sich dabei nicht nur auf die Frage, ob eine rückwirkende Feststellung überhaupt zu treffen ist, sondern auch auf die - hier allerdings nicht einschlägige - Frage, ob der in § 44 Abs. 1 SGB X vorgesehene Rahmen von vier Jahren eingehalten werden soll oder nicht (vgl. zum Ganzen BSG vom 29.5.1991 - 9a/9. RVs 11/89 -, in SozR 3 - 1300 § 44 Nr. 3 = BSGE, 69,14).

Damit scheidet eine Verurteilung des Beklagten zur rückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 bereits ab dem 30.9.2002 aus. Auf die Berufung der Klägerin ist der Beklagte lediglich zur erneuten Verbescheidung des Antrags der Klägerin auf rückwirkende Feststellung eines GdB von 50 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu verurteilen.

Ergänzend ist insoweit noch auszuführen, dass zwar in der Rechtsprechung die rückwirkende Feststellung des GdB vom Vorliegen eines besonderen Interesses an einer solchen Feststellung bzw. eines offenkundigen Falles abhängig gemacht und hierfür die ausschließliche Geltendmachung steuerrechtlicher Vorteile teilweise als nicht ausreichend angesehen worden ist (Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 5.11.2002 - L 5 B 12/01 SB -; anderer Ansicht offenbar BSG a. a. O., wonach steuerrechtliche Vorteile funktional und systematisch den Sozialleistungen nahe stünden, sodass gerade für sie rückwirkende Berichtigungen nicht ausgeschlossen werden müssten). Vorliegend kann sich die Klägerin aber jedenfalls vor dem Hintergrund der vorzeitigen Gewährung einer Altersrente auf ein solches besonderes Interesse an einer rückwirkenden Feststellung berufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei berücksichtigt der Senat, dass die Klägerin in der Sache selbst lediglich in einem zu vernachlässigenden Umfang obsiegen kann (Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 ab dem 30.9.2002 statt ab dem 29.10.2002).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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