L 2 R 4813/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 132/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 4813/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. September 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 1. September 1971 bis 19. Dezember 1989 als Zeiten der fiktiven Zugehörigkeit nach Nr. 1 (Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech)) bzw. nach Nr. 5 (Altersversorgung der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften zu Berlin) der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) und die in diesem Zeitraum erzielten Entgelte festzustellen.

Die am 16. April 19x geborene Klägerin bestand am 11. Oktober 1971 in der DDR die Abschlussprüfung an der Ingenieurschule für Chemie und war seither berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur der Fachrichtung Laboratoriumstechnik der Chemie" zu tragen. Die Klägerin arbeitete als Chemie-Ingenieur vom 1. September 1971 bis 31. Mai 1979 an der Deutschen Akademie der Wissenschaften - Institut für Biochemie -, vom 1. Juni bis 9. Oktober 1979 an der H.-.Universität B. - Charité/Bereich Medizin, Abt. für experimentelle Organtransplantation - und ab 10. Oktober 1979 - mit Unterbrechung vom 1. September 1988 bis 30. September 1989 - bis zum Zeitpunkt ihrer Übersiedlung in die BRD am 19. Dezember 1989 wieder an der Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Molekularbiologie. In der BRD war die Klägerin bis zum 31. März 1991 arbeitslos; ab 1. April 1991 nahm sie eine Tätigkeit als Medizinisch-Technische Assistentin (MTA) an einem Institut der Universität K. auf. Die Klägerin war in der DDR in kein Versorgungssystem einbezogen worden. Über den Antrag des Bereichsdirektors Prof. Dr. R. vom 6. April 1982 auf Zuerkennung der Altersversorgung der Intelligenz für die Klägerin wurde nie entschieden.

Den im September 2002 gestellten Antrag der Klägerin, ihre Beschäftigungszeiten vom 1. September 1971 bis 19. Dezember 1989 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech und die dabei erzielten Arbeitsverdienste festzustellen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 2002 mit der Begründung ab, dass weder eine positive Versorgungszusage zu Zeiten der DDR vorgelegen habe noch die Klägerin am 30. Juni 1990 (Schließung der Zusatzversorgungssysteme) eine Beschäftigung ausgeübt habe, die - aus bundesrechtlicher Sicht - dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. März 2003).

Am 28. April 2003 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG - S 6 RA 1392/03 -) erhoben und geltend gemacht, um einen Wertungswiderspruch zwischen § 1 Abs. 1 S 1 AAÜG und seiner verfassungskonformen Auslegung durch das BSG mit § 1 Abs. 1 S 2 AAÜG zu vermeiden, sei auch Satz 2 verfassungskonform ausdehnend auszulegen, mit der Konsequenz, dass im Rahmen des Satzes 2 - ebenso wie bei Satz 1 - auf eine formal erlangte Rechtsposition verzichtet werde. Deshalb müsse im Ergebnis der Anwendungsbereich des AAÜG auch für die Personen eröffnet werden, für die ohne erfolgte Versorgungszusage zwar nicht am 30.07.1990 (richtig wohl 30.06.1990), jedoch bis zum Tag eines Beschäftigungswechsels, der bei bestehender Anwartschaft deren Verlust vorgesehen hätte, aus bundesrechtlicher Sicht ein Rechtsanspruch auf Versorgungszusage bestand. Die Klägerin habe in der DDR allein auf Grund ihrer mangelnden politischen Systemtreue nie einen Bescheid erhalten, was ihr heute nicht mehr zum Nachteil gereichen dürfe. Im Übrigen erfülle die Klägerin die Voraussetzungen nach Nr. 1 bzw. 5 der Anlage 1 zum AAÜG. Das mit Beschluss vom 22. Juni 2004 zum Ruhen gebrachte Verfahren ist von der Beklagten am 12. Januar 2005 wieder angerufen und unter dem Az. S 6 R 132/05 fortgeführt worden Mit Urteil vom 26. September 2005 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin sei vom persönlichen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AAÜG nicht erfasst. Sie sei weder durch eine Einzelfallentscheidung noch durch eine positive Statusentscheidung der Beklagten oder eine Versorgungszusage in Form eines nach Art. 19 Satz 1 Einigungsvertrag bindend gebliebenen Verwaltungsakts und auch nicht auf Grund eines Einzelvertrages oder einer späteren Rehabilitationsentscheidung in das Versorgungssystem der AVItech einbezogen gewesen. § 1 Abs. 1 S. 2 AAÜG komme nicht zur Anwendung, weil er den Verlust einer bestehenden Anwartschaft voraussetze, die Klägerin aber keine Rechtsposition inne- und somit auch keine verloren gehabt habe. Auch nach der vom BSG vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG sei die Klägerin dem erfassten Personenkreis nicht zuzurechnen, da sie zum Stichtag 30. Juni 1990 keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt habe, nachdem sie bereits Ende 1989 in die BRD übergesiedelt sei. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden dagegen nicht, da DDR-Unrecht und -Willkür nicht zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler "rückwirkend" ausgeglichen werden dürfe, weshalb die von der Klägerin begehrte Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG abzulehnen sei.

Dagegen richtet sich die am 11. November 2005 eingelegte Berufung, mit der die Klägerin ihr Begehren im Wesentlichen mit derselben Begründung weiterverfolgt. Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. September 2005 sowie den Bescheid vom 22. Oktober 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Beschäftigungszeit der Klägerin vom 1. September 1991 bis 19. Dezember 1989 als Zeit der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1, hilfsweise der Anlage 1 Nr. 5 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgsetzes sowie die in dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Im Erörterungstermin am 29. August 2006 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, da sie gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG) ist. Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech für die Zeiten vom 1. September 1971 - mit Unterbrechung - bis 19. Dezember 1989 sowie auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte.

Anspruchsgrundlage für den zutreffend im Wege der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) geltend gemachten Anspruch ist § 8 Abs. 3 S. 1, Abs. 1 und Abs. 2 AAÜG. Grundvoraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift ist jedoch, dass der Versicherte dem persönlichen Anwendungsbereich des am 1. August 1991 in Kraft getretenen AAÜG unterfällt. Dies beurteilt sich nach § 1 Abs. 1 AAÜG i.V.m. den Regelungen der einschlägigen Versorgungsordnungen, soweit sie auf Grund der Anordnung im Einigungsvertrag zu (sekundärem) Bundesrecht geworden sind; dies gilt allerdings nur unter der Einschränkung, dass sie im Einklang mit dem Grundgesetz und dem supranationalen europäischen Gemeinschaftsrecht stehen (vgl. BSG Urteil vom 16.03.2006, Az. B 4 RA 30/05 R, veröffentlicht in Juris). Das SG hat unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des BSG zutreffend ausgeführt, dass und warum die Klägerin weder die beiden ausdrücklich in § 1 Abs. 1 AAÜG genannten Tatbestände noch den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung in erweiternder Auslegung zu Satz 1 dieser Vorschrift herausgearbeiteten Tatbestand einer fingierten Versorgungsanwartschaft erfüllt. Es hat ferner dargelegt, dass das BSG hinsichtlich des § 1 Abs. 1 S. 2 AAÜG keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert hat und es hat deswegen die von der Klägerin gewünschte erweiternde Auslegung auch dieser Vorschrift abgelehnt. Dem schließt sich der Senat auf Grund eigener Prüfung an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht die sich durch die Stichtagsregelung ergebende unterschiedliche Behandlung innerhalb der Gruppe der zu keinem Zeitpunkt in ein Zusatzversorgungssystem förmlich einbezogenen als sachlich gerechtfertigt angesehen hat (vgl. BVerfG Beschl. v. 26. Oktober 2005, Az. 1 BvR 1921/04 in NZS S. 314 ff). Diese bewirkt keine dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) widersprechende nachteilige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu denjenigen, die von der Regelung der gesetzlich fingierten Anwartschaft in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG Nutzen gezogen haben. Das BSG war durch den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gehalten, diese Sonderregelung, die wenige betraf, auf alle diejenigen zur Anwendung zu bringen, die zu irgend einem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für einen fiktiven Anspruch im Sinne der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung erfüllten. Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem - und damit nach dem Recht der DDR rechtlich gesicherte Anwartschaften - als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren, welche der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten wollte. Um den Ausgleich von in der DDR erlittenem Unrecht - worauf sich die Klägerin beruft - geht es dabei nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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