L 13 R 1165/07 AK-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 5494/06 AK-A
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1165/07 AK-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Beklagten, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig, sachlich jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung von zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens S 3 R 2982/05 hat.

Gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben; es entscheidet nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders beendet wird. Bei einer Klagerücknahme ist nach der ausdrücklichen Regelung des § 102 Satz 3 SGG auf Antrag ebenfalls über die Kostenerstattung durch Beschluss zu entscheiden. Das Klageverfahren S 3 R 2982/05 ist dadurch erledigt worden, dass die Klägerin das Anerkenntnis der Beklagten vom 30. Juni 2006 zur Erledigung des Rechtsstreits angenommen hat. Nachdem das angenommene Anerkenntnis insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (vgl. § 101 Abs. 2 SGG), war mit der Prozesserklärung der Klägerin der Rechtsstreit auch dann vollständig erledigt, wenn es sich bei dem Anerkenntnis nur um ein Teilanerkenntnis gehandelt haben sollte. Mit der Erklärung, sie nehme das Anerkenntnis zur Erledigung des Rechtsstreits an, hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, den nicht anerkannten Teil des prozessualen Anspruchs nicht mehr weiterverfolgen zu wollen.

Die Entscheidung über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten ist nach sachgemäßem Ermessen zu treffen (Bundessozialgericht (BSG) BSGE 17, 124, 128; BSG SozR Nrn. 3, 4 und 7 zu § 193 SGG; BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 2). Dieses kann dazu führen, für die Kostenentscheidung den vermutlichen Verfahrensausgang unter Zugrundelegung des Sach- und Streitstandes im Zeitpunkt der Erledigung ausschlaggebend sein zu lassen (BSGE a.a.O.; BSG SozR Nrn. 3 und 4 zu § 193 SGG; BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 3); die Orientierung daran, wer voraussichtlich obsiegt hätte und wer unterlegen wäre, wird im Regelfall das maßgebende Kriterium sein. Das Gebot, die Kostenentscheidung nach sachgemäßem Ermessen zu treffen, erfordert indes, auch andere Umstände zu beachten, die für eine gerechte Verteilung der Kosten von Bedeutung sein können. So kann bei einer Kostenentscheidung nicht außer Betracht bleiben, dass ein Leistungsträger durch falsche Sachbehandlung, unzureichende Aufklärung des Sachverhalts oder unzutreffende Begründung bzw. Rechtsmittelbelehrung Anlass zur Klage gegeben hat (vgl. BSG, Urteil vom 7. Oktober 1987 - 4a RJ 93/86 - in Juris; BSG SozR 3-2600 § 319b Nr. 1; BSGE 88, 274, 288; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Februar 2006 - L 16b 89/05 KR in ZfS 2006, 118, 119 und in Juris). Gleiches gilt, wenn ein Beteiligter von vornherein vermeidbare und überflüssige Kosten verursacht hat, z.B. weil er erhebliches, einen späteren Prozess überflüssig machendes Vorbringen im Vorverfahren zurückgehalten hat (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Januar 1998 - L 13 AL 3633/97 aK-B - in Juris). Zu berücksichtigen sind auch die Gründe für die Erledigung (BSG SozR 3-1500 § 140 Nr. 2). Soweit es auf den vermutlichen Verfahrensausgang ankommt, ist es nicht Aufgabe der Kostenentscheidung, den Streitfall hinsichtlich aller für den mutmaßlichen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu überprüfen und die tatsächlichen und rechtlichen Zweifelsfragen auszuschöpfen (vgl. BSG SozR Nr. 4 zu § 193 SGG).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist auf die Beschwerde der Beklagten nicht zu beanstanden, dass das Sozialgericht die Beklagte für das Klageverfahren mit zwei Drittel zu den außergerichtlichen Kosten der Klägerin herangezogen hat. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zu der Erörterung, ob der Rechtsprechung des 2. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (vgl. Beschluss vom 26. März 2007 - L 2 R 4839/06 AK-B; ähnlich Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. November 2006 - L 1 B 1231/06 R - abgedruckt in Juris) zu folgen ist, dass beim Fehlen eines ausdrücklich anderen Antrags und einer Begründung für eine unbefristete Rente ein Begehren stets als auf Gewährung einer befristeten Rente gerichtet anzusehen ist. Im vorliegenden Fall ist, was auch das Sozialgericht so gesehen hat, nämlich davon auszugehen, dass die Klägerin eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung beansprucht hat. Dafür spricht die Begründung der Klage und der - allerdings auf einer Anregung des Gerichts beruhende - Umstand, dass die Klägerin nicht nur das eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung beinhaltende Anerkenntnis der Beklagten angenommen, sondern auch den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt erklärt hat. Nach dem Sach- und Streitstand vor Abgabe des Anerkenntnisses hätte das Begehren jedenfalls insoweit Erfolg haben müssen, als nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Voraussetzungen für eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung nachgewiesen waren. Denn die an einer chronifizierten Panikstörung mit ausgeprägter Agoraphobie sowie an einer somatoformen autonomen Störung leidende Klägerin war nach dem insoweit überzeugenden Gutachten der Sachverständigen Dr. G. für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch unter drei Stunden einsatzfähig; außerdem war sie wegen der Erkrankung auf Begleitung angewiesen. Nach Auffassung der Sachverständigen könnte durch eine zusätzliche ambulante Psychotherapie bei starker Motivation eine Besserung eintreten, wobei aber die erhebliche Chronifizierung und auch ein sekundärer Krankheitsgewinn einen negativen Prediktor darstellen würden. Die Beklagte hat diese Besserungsprognose unter Einschaltung ihrer beratenden Fachärztin für Innere Medizin Dr. J. dahin interpretiert, dass damit die für eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung vorausgesetzte Unwahrscheinlichkeit der Behebung der Leistungsminderung (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI); hierzu BSG SozR 4-2600 § 102 Nr. 2) nicht vorliegt, weil die Behebung einer rentenberechtigenden Leistungsminderung nicht unwahrscheinlich ist, solange die therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft sind. Zwingend war die Annahme, dass eine Behebung der Leistungsminderung nicht unwahrscheinlich ist, aber nicht, nachdem bereits zwei im Jahr 2002 und 2003 in kurzen Zeitabständen und in auf die Erkrankungen der Klägerin spezialisierten Kureinrichtungen durchgeführte Heilverfahren keinen Erfolg gebracht haben und in einem von Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. auf der Grundlage eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. P. erstatteten arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 10. Mai 2004 die Auffassung vertreten worden ist, dass trotz kontinuierlicher Behandlung bei einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie eine Besserung der seelischen Situation aufgrund des chronischen Verlaufs und der gescheiterten Therapiebemühungen kaum zu erwarten sei. Damit waren zumindest die Voraussetzungen für eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung erfüllt. Ob darüber hinaus sogar die Unwahrscheinlichkeit der Behebung der Leistungsminderung zu bejahen gewesen wäre, war offen und hätte weiterer Sachaufklärung bedurft; verbleibende Unsicherheiten der Prognose würden dann zu Lasten des Versicherten gehen (vgl. BSG SozR 4-2600 § 102 Nr. 2). Schon diese Konstellation, in der die Klägerin jedenfalls mit einer befristeten Rente hätte Erfolg haben müssen und das weitergehende Begehren auf unbefristete Rente bei letztlich sie treffender Beweislast als offen anzusehen war, rechtfertigt es, die Beklagte jedenfalls mit zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten zu belasten. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass Art, Schwere und Chronizität der im Klageverfahren nachgewiesenen die Leistungsminderung verursachenden Erkrankungen mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Ablauf der Befristung weiter zu bewilligen ist. Damit fällt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht besonders ins Gewicht, dass die Klägerin statt einer unbefristeten Rente für die Dauer von ca. elf Jahren nur eine befristete Rente für die Dauer von etwa dreieinhalb Jahren erreicht hat. Beide Beteiligten haben der Sach- und Rechtslage durch ihre Erklärungen umgehend Rechnung getragen und weiteren Streit vermieden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Einer Kostenentscheidung bedarf es deshalb, weil seit 1. Juli 2004 das Beschwerdeverfahren wegen einer Kostengrundentscheidung kostenrechtlich ein eigenständiges Verfahren darstellt, für das die prozessbevollmächtigte Rechtsanwältin der Klägerin einen gesonderten Vergütungsanspruch hat (vgl. § 18 Nr. 5 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz; ebenso Beschluss des 8. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. April 2006 - L 8 R 5579/05 AK-B). Der gegenteiligen Auffassung, wonach das Beschwerdeverfahren wegen der Erstattung der außergerichtlichen Kosten Teil des Hauptsacheverfahrens sei und es sich um ein nach der Kostenentscheidung des Hauptsacheverfahrens anhängig gemachtes Verfahren handele, sodass der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung dieses nachlaufende Verfahren nicht erfassen könne (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11. August 2004- L 5 B 100/04 RJ - in Juris; Landessozialgericht Rheinland Pfalz, Beschluss vom 12. Februar 2007 - L 4 B 246/06 R in Juris; ebenso zur Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren nach Erledigung der Hauptsache LSG Nordrhein Westfalen, Beschlüsse vom 14. August 2000 - L 19 B 20/06 AS - und 6. Dezember 2006 - L 19 B 103/06 AL - in Juris), vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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